Читать книгу DIE HAVARIE - Klaus J. Hennig - Страница 11
IX
ОглавлениеIn dieser Stadt ein Mithräum zu finden war einfach. In Ostia gab es mehr als ein Dutzend, doch Tullius hatte es nach seiner Ankunft damit nicht allzu eilig gehabt. Manchmal war er einigen Uniformierten gefolgt, die sich unauffällig auf eine bestimmte, eben auch seine Art begrüßt und danach ihren Weg zusammen fortgesetzt hatten. Doch war er ihnen lange nicht in eins der Gebäude gefolgt, in denen sie dann, wie vom Erdboden verschluckt, verschwunden waren.
Seit er auf dem Seeamt täglich seine Stunden absaß, hatte Tullius immer einen aufmerksamen Blick für die Waffenträger des Imperiums gehabt. Auf seinem langen Marsch von Norden war er ganz selbstverständlich noch Soldat gewesen, das Kurzschwert allerdings am Reisesack, und übernachtete, wenn er die Wahl hatte, lieber in einem Legionsstützpunkt als in der Herberge gegenüber, wo sie einen schon blöde anglotzten, wenn er nach Werkzeug fragte, um sein Schuhzeug neu zu benageln.
Doch einmal hatte vor der Neptunstherme ein deutlich keltisch gefärbtes Latein seine Aufmerksamkeit gefangen, aus zwei Marinesoldaten waren vier, fünf und sechs geworden, die den Decumanus hinunter geschlendert und an den Fischhallen rechts, als ob sie zu den alten Kais hin wollten, in die Via del Foce abgebogen waren. Er war denen auch weiter in die enge Seitengasse und die Stufen hinunter in die Keller der Therme gefolgt, hatte sich dort neben dem Schöpfrad gewaschen, sorgfältig darauf geachtet mit dem rechten Fuß zuerst über die Schwelle in das Gewölbe einzutreten und sich mit seiner Soldatenmaske auf eine der beiden langen Steinbänke an den Längswänden niedergelassen, zuerst einmal noch möglichst weit vom Altartisch. Hinter dem fiel von oben das Licht auf den aus dem Fels geborenen Mithras, der, sein Schwert in den Stier stoßend, das Böse selbst besiegte. Bei den Legionen liebte man den kämpfenden Gott, der auch der Sonne immer wieder zum Sieg verhalf. Hier würde er in weitere Mysterien eingeweiht werden, Stufe für Stufe mehr wissen dürfen über die Bilder, die Sternzeichen und die Macht, die, noch hinter dem Großen Bären, die Bewegungen des Himmels beherrscht. Warum wendet Mithras das Gesicht ab und blickt nicht auf sein Tun wie Nike, wenn er den Stier opfert? Warum ist der Kopf des Tieres rechts, am nächtlichen Himmel aber, in seinem Sternzeichen, links? Die Fackeln der Dioskuren zeigen den Beginn von Frühling und Herbst, warum aber halten sie ihre Beine gekreuzt? Er mußte Geduld haben. Aus dem Blut des besiegten Stieres wächst der neue Wein, aus seinem Schwanz der Weizen, jedes Jahr neu, er mußte Geduld haben. Was tun Skorpion und Schlange an seinem Gemächt? Geduld. Der die Sterne bewegt, wird auch ihn, Tullius, zu sich hinaufheben.
»Im Namen des Gottes, der die Erde vom Himmel geschieden hat, das Licht von der Finsternis, den Tag von der Nacht, die Welt vom Chaos, das Leben vom Tod und das Werden vom Vergehen, schwöre ich nach bestem Wissen und Gewissen, die Mysterien geheim zu halten, die mir anvertraut wurden durch unseren gottesfürchtigen Vater und durch den ehrwürdigen und heiligen Herold, denen die Weihen obliegen, und durch meine miteingeweihten und sehr teuren Brüder. Treu meinem Eid hoffe ich, daß es mir wohlergehe; aber ich schwöre auch, daß mich Strafe treffen möge, wenn ich zum Verräter werde.«
Die langen Bänke füllten sich, die Worte drangen undeutlich durch die Masken, doch er kannte die Texte, murmelte nun selbst, was er niemals zu verraten geschworen hatte. Alles weitere würde sich finden, das heilige Mahl mit den Brüdern, geweihtes Brot, Wasser und Wein, die Symbole der Mitteilung göttlichen Lebens. Auf sein Fell hingelagert verzehren auch Mithras und Sol Fleisch und Blut des Stieres. Tullius war wieder in der Gemeinschaft der Kameraden und mit dem stiertötenden Gott, der das Blut vergoß, um die Finsternis zu überwinden, um neues Leben zu schaffen, ewiges vielleicht. Sein Bein schmerzte ihn nicht, auch kein Juckreiz in der Kopfhaut, er war angekommen, das spürte er deutlich und warm.
Zu oft schon, seit er der schäbigen Ziegelei am Tiber den Rücken gekehrt hatte, hatte er sich gefragt, in welchem Land, welcher Stadt, welchem Lager, bei welcher Frau er je wieder zu Hause gewesen wäre. Manchmal war es nur ein Geruch, der ihn fremd bleiben ließ, nur der Klang einer anderen Sprache. Oder man benutzte bekannte Worte in einem anderen Sinn, wie ihm das auch hier in Ostia immer noch begegnete, nicht nur in den Amtsräumen oder an den Hafenkais. Der Mann, der nur alt genug werden wollte, um, am Strom sitzend, die Leichen seiner Feinde vorbei treiben zu sehen, hatte gut lachen. Der war seßhaft. Kein Legionär, den ein Befehl Orte, ja Erdteile wechseln ließ. Hatte er überhaupt Feinde? Niemand hatte jemals sein Leben so bedroht wie dieser keltische Bulle, keine fünf Fuß Stockmaß, aber ein paar Zentner geballte Wut. Tullius fühlte sich dem Mithras zu Dank verpflichtet, mehr noch als seinem Patron.