Читать книгу DIE HAVARIE - Klaus J. Hennig - Страница 5
III
ОглавлениеJa, Tullius verstand seine neuen Vorgesetzten ganz genau, denn Tullius fühlte sich zu alt, um sich noch einmal in eine Provinz zu schicken zu lassen, wo er niemanden kannte und wo ihn niemand liebte; Tullius war heilfroh, es bis hierher geschafft zu haben. Ostia war nicht Rom, aber eben auch nicht allzuweit weg von der Hauptstadt. In den hellen Marmorräumen am Tiberiusforum, in denen Tullius zu erscheinen hatte, um seine Orders entgegenzunehmen, wußten sie das natürlich auch. Genau wie sie die Toga nach römischem Schick zu fälteln wußten und wie man sich von den Spaniern einladen ließ. Tullius verstand das alles, obschon ihn nicht einmal die Syrer oder die Judäer einluden. Aber was die schon ein Essen nannten ...
Sein Schreiber erschien in der Tür, machte ein fragendes Gesicht und wies mit dem Daumen über seine Schulter hinter sich.
»Hol sie schon rein, die Aasgeier! Das wird wieder ein Tag!«
Die beiden drängten sich neben dem Gemeindesklaven durch die Tür, vier schlaue, schnelle Augen.
»Zum Untersuchungsbeamten Decimus Aelius Tullius, bitte, wir vertreten die Investmentgesellschaften, die Finanzierungsfirmen, sind bevollmächtigt...«
Offenbar Anwälte. Orientalisch klingendes Gebrabbel, wahrscheinlich ihre Namen, Tullius hatte keine Lust nachzufragen.
»Ja gut! Kommen Sie rein!«
Ihre Begrüßung war das Gegenteil militärischer Knappheit, sie wurden ihm dadurch nicht sympathischer. Waren es Syrer? Griechen?
Griechen gingen an, schlau, aber man konnte mit ihnen auskommen. Verstanden auch was von der Seefahrt. Aber die hier waren keine, auch keine Syrer. Sahen nur so aus. In ihrer Sprache, trotz griechischer Wörter darin, gab es noch etwas anderes, man würde ja sehen. Ihre Begrüßung hatte jedenfalls dreihundert Wörter zuviel. Gut, man war nicht mehr beim Militär, aber auch auf einer römischen Hafenbehörde konnte man irgendwann einmal zur Sache kommen.
Kreter? Ägypter?
Damals in Mainz hatte er sich mit einem griechischen Schiffsoffizier angefreundet, ein paar Jahre lang geziemend einen zur Brust genommen mit ihm, was der wohl jetzt machte? Immer noch seine Matrosen zusammenscheißen? Vertrug nicht allzuviel vom Roten, aber von seinen Flußkähnen hatte er was verstanden.
Die Zwei hier waren keine Griechen, so wie sie fuchtelten. Vorne, in den Marmorbüros, mochte man solche Typen nicht besonders, warum also sollte er ihnen Sympathie entgegenbringen? Und wie der Ältere ihm auf den Leib rückte; wollte der etwa auf seinem Schoß sitzen?
»Sehen Sie sich, bitte sehr, besonders genau den Schlußpunkt an. Es geht um den Havarieort der Orion. Der ist noch unklar. Wir denken, daß sie an der Insel Malta scheiterte. Und, äußerst wichtig, dieser Punkt hier, den Verbleib der Getreideladung betreffend. Wir werden auf Unterschlagung plädieren. Auf vorsätzlichen Betrug, wenn die Reise überfinanziert war. Und auf Urkundenfälschung, falls das Logbuch noch auftaucht.«
Es saßen keine Fliegen auf dem Papyrus, wieso versuchte der trotzdem welche zu verscheuchen?
»Wenn niemand sein Leben verlor...«
Wie ein Specht gegen einen Baumstamm pochte er jetzt mit dem Finger auf die Akte.
»...und das wird hier behauptet, wenn also alle am Leben geblieben sind, Besatzung, Soldaten, Passagiere, zusammen über zweihundert steht hier, dann wird man auch Zeugen finden. Und der Schiffer, wenn er denn unschuldig ist, wird das Logbuch gerettet haben. Das tun sie immer, wenn sie glauben, daß sie unschuldig sind.«
Tullius starrte ihn blöde an. Der jüngere Anwalt versuchte es ruhiger.
»Wenn eine Schiffsführung die Havarie verschuldet, wenn sie die Ladung unterschlagen und anderen Ortes verkauft hat, dann wird das Logbuch meistens nicht gerettet. So dumm sind nicht einmal die Friesen. Deswegen kommt neuerdings in derartigen Fällen auch die Folter zur Anwendung. Weil das überhandgenommen hat in der Getreidefahrt, vor allem von Ägypten.«
»Und vor allem zum Winter, bei den Einzelfahrern.«
Der Erste hatte einen Moment lang schweigen müssen, aber einer wie er hielt das nicht lange aus. Tullius schob den Papyrus zur Seite, ließ die Unterarme auf dem Tisch.
»Was ist ein Logbuch?«
Die Beiden sahen sich an. Der Zweite war jetzt ganz vorsichtig.
»Sie sind erst seit kurzem hier am Seeamt? Wir hatten jedenfalls noch nicht das Vergnügen, ich meine die Ehre...«
Der Erste fuhr wieder dazwischen.
»Hat die Sache schon Termin? Am Aushang haben wir nichts gefunden, aber wenn wir...«
»Einen Termin wird es geben, wenn ich ihn anberaume.«
Tullius hatte sich jetzt zurückgelehnt, die Arme über der Brust verschränkt, mit dem Kinn wies er auf die zweite, noch ungeöffnete Rolle.
»Was ist das für eine Akte?«
»Ein Itinerar.«
»Ein was?«
»Ja, wie sagt man…, eine Art Reisetagebuch, ein Fahrtenbericht. In diesem Fall die Übersetzung einer Aufzeichnung über den Verlauf der Fahrt des hier zur Rede stehenden Handelsschiffes, der Orion. Eine Übersetzung aus dem Griechischen oder aus dem Aramäischen. Das ist nicht ganz klar, tut letztlich nichts zur Sache. Möglicherweise ist der Autor ein hellenisierter Judäer, gewisse syntagmatische Eigentümlichkeiten..., Sie verstehen?
Tullius verstand, jeder konnte es ihm ansehen.
»Die Sprache dieser Übersetzung ist in der Tat, nun - wir dürfen das wohl so ausdrücken, etwas merkwürdig. Genaueres wissen wir zur Zeit noch nicht. Ganz sicher war der Verfasser dieses, obwohl Augenzeuge, gewiß kein Seemann, das wird aus verständnislosen Beschreibungen oder falscher Interpretation seemännischer Manöver und Handlungen sehr deutlich. Vielleicht war er einer der Gefangenen an Bord?«
»Ein Sklave? Die Aussage eines Sklaven? Dann können sie das gleich wieder mitnehmen. Das müssen Sie doch wissen, als Anwälte! Das sind sie doch hoffentlich?«
Das tat gut. Arrogantes Pack.
»Selbstverständlich - hier sind unsere Zulassungen und Vollmachten.«
Tullius besah mit mißtrauisch verkniffener Miene was der Sklave dieser Kreter oder Zyprioten ihm noch auf den Tisch legte.
»Werde das prüfen lassen.«
Dann pochte wieder der Erste mit dem gekrümmten Zeigefinger auf die Akte. Der Specht schien jetzt etwas ermattet.
»Die Sprache dieses... Itinerars erscheint vielleicht etwas altertümlich, aber der Berichterstatter war ein guter Beobachter, wiewohl kein Nautiker, kein Seemann. Denn, wenn Sie gestatten, der Ort der Havarie ist obskur – um es höflich auszudrücken!«
»Wieso?«
Tullius wußte genau, was der Anwalt dachte: sperriger Klotzkopf, unsensibel, bösartig. Es war ihm recht.
»Wieso höflich?«
»Lesen Sie es doch erst einmal.«
»Wo ist denn nun das Schiff havariert? Ich werd' das schon noch lesen. Keine Bange!«
»Im Itinerar steht es ganz am Ende unserer Abschrift. Die Insel heißt... Hier, bei Ziffer achtundzwanzig...«
Diese Fummelei machte ihn noch wahnsinnig.
»Hier …, hier heißt es: Und da wir alle auskamen - gemeint ist aus dem Wrack, aus dem Meer oder der Gefahr - erfuhren wir, daß die Insel Melite hieß. Melite - verstehen Sie?«
»Und was ist daran obs... obs...?«
»Obskur - dunkel, also verdeckt, unklar. Wie konnte denn die Orion von ihrer Route soweit abgekommen und so weit in die nördliche Adria bis an diese dalmatinische Insel geraten sein? Das Schiff war in einen Sturm getrieben, gewiß, aber Stürme, die das in der Kürze der beschriebenen Zeit zuwege bringen könnten, die gibt es nicht. In vierzehn Tagen von Kreta bis nach Mljet im Norden der Adria? Mljet - bei manchen auch Melite, je nach Herkommen. Aber vielleicht gibt es ja noch andere Inseln dieses Namens, nicht wahr? Wie viele Römer heißen Septimus? Wie viele Griechen Philon? Immerhin gibt es Völker, bei denen Melite auch der Name für die Insel Malta ist. Malta, im Süden, zwischen Sizilien und Afrika.«
Er wies mit großer Geste und gestrecktem Zeigefinger auf das Fenster, vor dem die Mittagssonne stand.
»Sie werden's vielleicht nicht glauben, aber ich weiß wo Malta liegt. Und die Klärung des Sachverhalts wollen wir der Verhandlung überlassen, ja? Da werden wir die Sachverständigen hören, auch die nautischen. Aber Ihnen geht es hier doch wohl um Geld, oder irre ich mich?«
»Wir hoffen sehr,...«
Eine leichte Verbeugung, geziertes Zurechtrücken der langen, teuer gefältelten Tunika.
»...daß diese Verhandlung alle Umstände klärt. Unseren Mandanten wäre äußerst viel daran gelegen. Ihre Verluste waren beträchtlich. Sie bezweifeln ja nicht, daß die Orion an einer Insel gestrandet ist, aber an welcher? Denn sie wollen wissen, wo ihre Getreideladung geblieben ist. Diese Akte, der Reisebericht hier, könnte ja auch Desinformationen enthalten. Irrtümliche, vorsätzliche ... Augenzeugen wären gut, der Schiffer selbst, es sei denn ... Oder dieser Hauptmann Julius, der Kommandeur der Wachmannschaft. Wir hoffen sehr, daß das hiesige, uns als überaus kompetent bekannte Seeamt dies alles umgehend zu klären imstande sein wird.«
Wieder die leichte Verbeugung, von beiden diesmal - war da Ironie im Spiel? Tullius schob die Akte - das Itinerar - zu den anderen hinüber. Aber sie waren immer noch nicht fertig.
»Bitte sehr, hier wäre noch der formelle Antrag auf Verklarung, auf einen Rapport maritime, wenn Sie so wollen, also auf eine vom Schiffer und der Mannschaft vor der zuständigen Behörde abzulegende, auf Antrag auch zu beeidende Aussage über die Ereignisse während einer Seereise. Grundlage derselben wäre das Schiffsjournal...«
Ein schneller Blickwechsel unter verhangenen, braunvioletten Lidern.
»...das Logbuch. Verklarung also ist erforderlich, wenn ein Schiff einen Schaden erlitten hat, um eventuelle Ansprüche des Reeders, der Befrachter und der Finanziers, respektive eine Schuld der Schiffsführung oder der Mannschaft feststellen zu können. Ein Rapport maritime oder Verklarung, so verlangt es das Gesetz.«
Tullius' Laune näherte sich einem Tiefpunkt, sein Bein schmerzte und sein Magen knurrte. Hatten diese Levantiner kein Gespür dafür, wann sie jemandem auf die Nerven gingen? Griechen merkten das doch. Vielleicht waren es ja Ägypter; er hatte keine Lust mehr darüber nachzudenken. Es war Mittagszeit, und er war ein kleiner römischer Beamter, mußte früh raus, manchmal vor dem Büro noch zum Patron.
»Wenn Termin ergeht, lesen Sie es am Aushang. Ich habe zu tun.«
Und im Kasernenhofton zum Schreiber draußen im Vorraum.
»Ich diktiere!«
Gelernt war gelernt, das konnte er noch wie in den alten Tagen.
»Sie verzeihen bitte noch einmal?«
Immerhin kam das schon von der Tür.
»Unsere Mandanten ermächtigten uns zu erklären, daß, falls besondere Nachforschungen angestellt werden müßten, durch welche, in gewissem Umfang, Kosten entstünden, sie nicht anstehen würden...«
Der Zweite unterbrach.
»Unsere Mandanten wissen, daß manchmal auch dort für Informationen gezahlt werden muß, wo keine Quittung zu erwarten ist.«
Zum Schreiber, immer noch Unteroffizier.
»Wo bleibst du?«
Den Blick auf seine Tischplatte gerichtet, hörte er endlich die Schritte der beiden Anwälte auf dem gefliesten Gang des Seeamtskorridors verhallen. Der Schreiber schniefte; er stehe bereit, sollte das heißen. Widerliche Angewohnheit.
»Also los, Datum von heute. Es erschienen als Vertreter der Firma XY, Im- Export, die Anwälte..., trag die Namen nach, und stellten Antrag auf Rapport maritime betreffend Reiseverlauf und Havarie des Handelsschiffes Orion. Mit dem..., Datum vom kommenden Montag, trete ich in die Voruntersuchung ein, von deren Ergebnis eine offizielle Eröffnung eines Verfahrens vor dem Kaiserlichen Seeamt Ostia abhängig zu machen sein wird. Ich geh jetzt was essen, du auch?«
Unlustig starrte Tullius auf das Durcheinander auf seinem Tisch. Das waren keine Griechen, er würde schon noch dahinterkommen. Arrogantes Pack. Auf seinem Tisch hatte Ordnung zu herrschen, die leere, staubfreie Ordnung einer gut gehobelten und gewachsten Holzplatte. Mißmutig räumte er die Rollen ins Regal und nahm nach einigem Nachdenken die mit zum Tisch zurück, die die Anwälte Itinerar genannt hatten, die er so unbedingt lesen sollte. Als ob er über seine Lektüre nicht selbst entscheiden könne. Schweinepriester.