Читать книгу DIE HAVARIE - Klaus J. Hennig - Страница 3
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ОглавлениеDer alte Senator war jetzt betrunken genug, um sich von seinen weißblonden Schwuchteln in das warme Wasser gleiten zu lassen. Hätte den Zwillingen die Kraft dazu gar nicht zugetraut, denn an einen fetteren Patienten konnte ich mich nicht erinnern. Fünf, sechs Figuren lehnten an den Wänden des Baderaumes, zwei kannte ich vom Sehen, Im- Export, hiesige Hautevolee. Weiter hinten machte sich einer Notizen. Was der da noch zu schreiben hatte war mir nicht klar, denn der Ex hatte zu schweigen begonnen. Seine endlosen Monologe waren stadtbekannt und gefürchtet, im Lauf der Jahre waren seine Abendessen daher immer einsamer geworden. Jetzt stöhnte er nur noch. Sein Ausatmen war ein gepreßtes, fiependes Stöhnen, als ob er die Luft nicht wieder hergeben, sie mit aller Kraft in sich behalten wollte, vielleicht um nicht immer wieder einatmen zu müssen. Die Augen öffnete er auch nicht mehr.
Manche aus der Erinnerung aufsteigende Bilder sind kaum zu unterdrücken, eher könnte einer die blaugrün schillernden Schmeißfliegen von einem am Wege liegendem Aas verscheuchen. Als wäre es gestern gewesen, doch sind seitdem schon über drei Jahre vergangen.
Ein ungewöhnlich heißer Herbst damals, bis dieser Sturm gekommen war, der auch im neuen Hafen kein Schiff heil gelassen hatte. Ich war in die Villa des Aelius Aquila geschickt worden, keine dreitausend Schritte von der Porta Marina am Meer gelegen, wenn man auf der Uferstraße nach Süden geht. Nimm kleines Besteck mit und warte dort im Bad, alles weitere sagt man dir dann. Der Bronzehocker mußte ein Vermögen gekostet haben, doch nach einigen Stunden tat mir der Hintern weh.
In die Villa des Ex-Senators war ich schon öfter ausgeliehen worden, hier ist das üblich unter den alten Familien. Wer einen besonders guten Koch oder Arzt besitzt, leiht ihn schon einmal an Freunde aus, zu besonderen Gelegenheiten. Bei den Rusticeli und den Palatina waren es immer wieder Kinderkrankheiten, zwei, dreimal war ich bei einer Enzephalitis am Ende machtlos; und natürlich die ewigen geriatrischen Syndrome, letztendlich untherapierbar, mehr als ein paar symptom-lindernde Therapeutika hat man da nicht in der Hand. Bei den Volusi hatten sie schon in der dritten Generation Fälle von Mongolismus, dürften eben keine Kinder mehr machen, riet zu Adoptionen. Anspruchsvolle Patienten auch im Hause Cartilius, atopische Dermatitis, und bei den Voturia erbliche Arthritis urica. Ganz altes Geld das, Reedereien und Lagerhäuser, Finanziers für Im- Export, Landgüter selbstverständlich, halten zusammen gegen das neureiche Pack, das sich in der Stadt mehr und mehr breitmacht. Immer wieder auch Symptome von Saturnismus in diesen Clans, rätselhaft, sie sind doch keine Bleiminensklaven. Bei armen Leuten, die sich bleierne Gefäße in der Küche nicht leisten konnten, hab ich sie niemals gesehen. Auch der dicke Aquila hier: Verstopfungen, Koliken, Mundgeruch, blaugrauer Zahnfleisch-rand, rechtsseitig eine beginnende Fallhand; Radialislähmungen gehören auch in diesen Formenkreis. Er lebte schon lange in Ostia, ich glaube seit ..., jedenfalls viel länger als ich. Es hieß, er habe sich in den letzten Jahren des Claudius vom Forum Romanum zurückgezogen, damals Schluß gemacht mit der Politik. Er blieb selbst im Winter hier am Meer. Hatte kaum Klientel, anders als unser Haus, wo jeden Morgen an die hundert Freigelassene ihre Aufwartung machen. Nur den Verwalter einer selbst für Ostia beachtlichen Zahl von Speicherhäusern, und diesem ehemaligen Unteroffizier, der ihn allerdings seltener besuchte. Die Zwillinge haßten ihn, diese weißblonden Bengel, die ihm Gott-weiß-wer verkauft hatte.
Nun wollte der Senator also nicht länger leben - meine Instrumente lagen bereit. Oft hatte ich das noch nicht gemacht, doch immer waren dann auch Freunde des Hauses gekommen, um Abschied zu nehmen. Die hier herumlungerten sahen eher aus wie bezahlte Zeugen einer nicht ganz koscheren Gerichtsverhandlung. Kamen sie aus Rom? Seneca, ich kannte ihn zwar nicht von Angesicht, war keiner von denen, das hätte sich herumgesprochen. Sicherlich auch Piso nicht, einer seiner ältesten Freunde. Die berühmten römischen Freunde - der Ex war nicht müde geworden sie zu zitieren - hatte hier in Ostia noch niemand gesehen.
Die Firma würde natürlich wieder alles ganz genau von mir wissen wollen, für ihre Akten. Wer war da, wer kam oder ging wann und wohin, wer sagte was zu wem? Wurde Botschaften, geheime Blicke ausgetauscht? Konnte so eine Riesenbehörde wie das TAB an Paranoia leiden? Waren ein oder zwei von denen, die da an den Wänden herumstanden, schon vom TAB geschickt? Sie wollten es ja immer doppelt und dreifach, trauten keinem über den Weg. Was konnte ich denn schon groß ausspionieren? Nichts wirklich Wichtiges. Sicher - man sperrt die Ohren auf, hört dies und das, macht sich einen Vers darauf. Aber eigentlich stochere ich nur im Nebel. Kein Wunder, daß meine Berichte mehrheitlich Phantasie und Schneegestöber waren, sie wollten es ja nicht anders.
Wie nur unter all dem Fett die Venen finden? Er wollte es im warmen Wasser liegend gemacht haben. Was er sich nur davon versprach? Weniger Schmerzen? Leichteres Hinübergehen, wie im Dämmer eines Halbschlafes?
Dieser ehemalige Unteroffizier oder Feldwebel, ein gewisser Aelius Tullius vom Seeamt, war jedenfalls nicht gekommen. Sein Klient immerhin. Er sei hier auch nicht dringend erwünscht, hatten die Zwillinge auf meine Frage gesagt. Zickenspitz. Ein untersetzter, häßlicher Kerl; vor einem Jahr ungefähr hatte ich ihm einen Abszeß am Hals geöffnet, Schmerz konnte er ertragen, ein maulfauler, sturer Kommißkopf. Doch daß ich diesen Tullius niemals wiedersehen würde, daß der schon aus der Stadt verschwunden war, als ich noch bei dem Ex im Bad hockte, das wußte ich da noch nicht. Auch auf dem Seeamt hatte ihn an niemand mehr gesehen, und die Miete seiner Wohnung war seit kurzem überfällig. Soweit der Griffel, meine Augen und Ohren im Seeamt.
Diesmal hatten sie mich bei der Neptunstherme abgepaßt, Lupus Mielcus, weiß der Schinder, welche Namen ihre Väter ihnen einmal in Wahrheit gegeben hatten. Miese Leut. Kamen sich wie Intellektuelle vor, als sie mir den Decknamen Aesculap verpaßt hatten, diese Chamojrim. In ihrer üblichen, übertrieben geheimnistuerischen Manier, sie schienen ernstlich zu glauben, dadurch unauffällig zu sein, hatten sie mir einen amtlich aussehenden Brief zugesteckt. An das Seeamt in Ostia. Die Adresse hatte ich eben noch lesen können, bevor sie mich ziemlich scharf fragten, ob ich etwa gedenke ihn hier auch noch laut vorzulesen, und was ich denn glaubte, worum es eigentlich ginge? Der Brief müsse an den richtigen Mann kommen, und zwar schnellstens, ich wüßte schon an wen, und derjenige solle ihn zur Kenntnis nehmen, ebenfalls schnellstens, und ob das klar sei. Nähere Ausführungshinweise erübrigten sich wohl bei meiner Intelligenz. Ich war geschmeichelt.
Über meinen Antrag war natürlich immer noch nicht entschieden. Würde noch bearbeitet, seit Monaten dieselbe Leier. Dieser eine Fall noch, kämen diesmal ohne mich überhaupt nicht weiter, Chefsache, absolut vorrangig, danach aber würde man sehen. Ganz sicher. Nur dieser Fall noch. Dieser eine. Hatten mich natürlich in der Hand, diese Drecksäcke - wenn meine Legende aufflog, ginge ich für den halben Preis in irgend ein Provinznest. Ich wollte aber nach Rom. Nach meiner Freilassung. Das Geld dafür hatte ich längst zusammen, zu einer eigenen Praxis reichte es auch, einer kleinen, für den Anfang. Für meinen Patron hätte ich immer noch da sein müssen, natürlich - Gott, wenn der jemals erführe, daß ich überhaupt kein Grieche bin ... Wer geht denn zu einem judäischen Arzt? Ein paar verlauste Tiberschiffer vielleicht, bei der Hautevolee hier wäre ich glatt unten durch. Und Rom hätte ich mir ganz abschminken können. Das weiß die Firma ganz genau. Dabei hätten sie nach meiner Freilassung immer noch auf mich zählen können, über die ersten Häuser hier in Ostia wissen sie doch ohnehin alles nur durch mich. Ob sie fürchteten, ich käme sie teurer als Freigelassener? Haben doch Geld wie Mist in ihrem Tabularium. Oder nebenan im Saturntempel. Wen müssen die denn fragen, wenn sie in den Staatsschatz greifen wollen? Lupus Mielcus sagten immer, solange ich ihnen das Ostia-Netz führte, sei ich unentbehrlich - Gott, wie schmeichelhaft. Was war hier groß zu führen, man war doch schon froh, wenn diese Tunten einem für einen schnellen Fick einigermaßen Brauchbares lieferten. Oder für ein paar vage Versprechen. Mit dem Griffel hatte ich allerdings Glück, der wußte sehr gut, daß ich seine Beförderung in das Seeamt gedeichselt hatte. Ihm mußte ich nur noch ab und zu andeuten, daß in dieser Hinsicht noch nicht aller Tage Abend sei, dann brauchte ich ihn nicht einmal mehr zum Essen ausführen.
Der Senator wurde unruhig. Einer der Zwillinge kam schon mit heißem Wein aus der Küche. Sie waren nicht ungeschickt, dennoch lief eine Menge davon aus den tiefen Falten, die seine Mundwinkel verbargen, und verteilte sich im Badewasser. Sein Blut darin würde gleich anders aussehen, wolkiger, und sich nicht so rasch verteilen. Der Senator hustete etwas und sprach plötzlich mit überraschend klarer Stimme.
»Fangt endlich an!«
Die Zwillinge wichen mir aus, aneinander gedrängt. In ihren geschminkten Gesichtern, ihren rötlichen Augen, stand etwas wie Gier.