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II

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Es besteht Anfangsverdacht! Na wundervoll - sie wissen also nichts. Haben nichts in der Hand, nicht das Geringste. Gerüchte, bestenfalls. Üble Nachrede, Häme natürlich reichlich. Tullius las die Aktennotiz noch einmal, langsam und mit halblauter Stimme; es schien ihm, als verstünde er derartige, von der Tradition unendlicher Bürojahre geprägte Texte, so ein wenig leichter.

»An Seeamt Ostia. Betr. Havarie des Handelsschiffes Orion. Es besteht Anfangsverdacht gegen Unbekannt auf Unterschlagung, Betrug oder den Versuch der Unterschlagung und des Betruges zum Nachteil der an ihrer letzten Reise beteiligten Reeder, Befrachter, Finanziers und Importeure, in Zusammenhang mit dem Schiffbruch der Orion im vorletzten Winter vorgenannte Straftaten tatsächlich begangen oder zu begehen versucht zu haben. Veranlassung des Nötigen seitens zuständiger Stellen wird hiermit unter Beachtung entsprechender Sorgfalt angeordnet, da Berührungspunkte mit hierorts anhängigem Staatsschutzverfahren nicht ausgeschlossen werden können. Rom, im August - gez. (unleserlich)«

Anfangsverdacht gegen Unbekannt - wer verdächtigt hier wen? Die Händler die Seeleute, die Reeder beide, die Finanziers alle zusammen? Neidisches Gequatsche, aber keine Beweise, keine verläßlichen Zeugen. Und er, Tullius, kann sich wieder einmal Blasen laufen, von den alten Kais zum neuen Portus, zu den Corporationen, auf das Forum, und nach Monaten dann eine finale Bemerkung, leicht hingeworfen.

»Stell die Sache ein, Tullius. Wegen mangelnder Erfolgsaussicht. Schriftlich an alle Beteiligten. Du weißt schon, wie üblich.«

Neue Stiefelsohlen zahlten sie ihm natürlich nicht, die feinen Pinkel vorne in den Marmorbüros. Gingen aber großkotzig essen, zum Griechen ins Thermopolium womöglich, um sich dort von den spanischen Reedern traktieren lassen.

»Dürfen wir etwas vom letzten Valdepeñas an Ihre werte Adresse senden lassen, er gefiel Ihnen doch so...«

Während er sich die Hacken abgelaufen hatte nach Indizien, aus denen eine Anklage zu flechten wäre für eine nette kleine Seeamtsverhandlung mit ordentlichen Schuldsprüchen in Schönschrift, mit Geldstrafen, Folter, Verbannungen - auch ein, zwei kleine Todesurteile gefällig? - nur damit sie in Rom sehen, daß wir hier morgens ausgeschlafen ins Büro kommen.

»Wir müssen unsere Behörde wieder mehr ins Gespräch bringen. Tullius, mein Lieber, du bist doch ein alter Praktiker! Wir müssen einfach mehr Aufmerksamkeit erregen, sonst fangen sie auf dem Forum an sich zu fragen, ob wir hier überhaupt noch von Nöten sind. Willst du etwa wieder zurück nach Trier oder Mainz oder wo du hergekommen bist? Na also! Aber genau das kann uns passieren. Aus heiterstem Himmel heißt es dann: Alles einpacken! Die Akten ins Archiv; die Beamten nach Caesaria oder Cadiz oder wo immer sonst noch die Welt zu Ende ist. Tullius, mein Lieber - wir haben uns verstanden?«

Natürlich hatte Tullius verstanden, wie immer, denn Tullius ist Soldat bei der V. Legion 'Alaudae' gewesen, dann Unteroffizier, Zahlmeister, zwanzig Jahre in allem, hat dort auch einiges Keltisch gelernt, kein übles Leben geführt als der Sohn eines Freigelassenen, während seines kleinen Aufstiegs in der Armee des Kaisers. Dreier Kaiser, wenn man genau sein wollte. Eingetreten war er in die des finsteren Tiberius, am Rhein Straßen und Hafenkais gebaut in der des durchgeknallten Caligula und Karriere gemacht unter dem lahmen Claudius. Die dreitausend Denare Entlassungsgeld lagen noch in ewiger Ferne, als er Gefreiter wurde. Zwar hatte er durch diese Beförderung kein As mehr auf der Naht, mußte sich aber den Arsch nicht mehr im Außendienst aufreißen. Jetzt saß er auf Schreibstube und hielt den Unteroffizieren die Listen in Ordnung. Es sollte jedoch noch erstaunlich lange dauern, bis man ihm endlich die nächst höheren Abzeichen verlieh. Immer hatte es geheißen, daß kein anderer da wäre, der so korrekt, so verläßlich seine Arbeit machte, dessen Gedächtnis so weit zurück reichte, den man nach längst Vergangenem nur zu fragen brauchte und sich nicht erst lange in der Legionsablage auf die Suche machen mußte. Er sah, wie weniger Verläßliche, Vergeßlichere, Schlampigere als er, an ihm vorbei gezogen waren und schon den Legionsadler tragen, den dreifachen Sold einstreichen durften, als man ihm erst das Feldzeichen und die Aufsicht über das Tabularium, die Schreibstube und die Kasse der Centurie gab. Tullius gehörte nicht zu denen, die sich oben einschmeichelten, das sagten alle. Daß sie ihn nicht besonders leiden konnten, daß er ihnen auf die Nerven ging, sagten sie ihm nicht.

Tullius konnte recht unangenehm werden, vor allem später, als Unteroffizier. Körpergröße: etwas unterdurchschnittliche fünfeinhalb Fuß, Haare: dunkel, Augen: dunkel, besondere Kennzeichen: Schnittnarbe vom linken Ohr zum Hals hinablaufend. Untersetzt, sehr muskulös. Bei normal erscheinenden Kopf- und Leibesproportionen unverhältnismäßig kurze Glied-maßen, kurze, breite Hände und Füße. Finger- und Zehennägel breiter als lang. Unter niedrigem, dichten Haaransatz eine gebuckelte Stirn, die in den Nasenrücken auslief, der im oberen Bereich breit, wie geschwollen wirkte. Die Augen eher Schnitte in dicklich vortretenden Beulen, engstehend, die Lider kaum sichtbar. Wimpern und Brauen fast haarlos, nicht gezupft, so gut wie nicht vorhanden. Wenn er sprach oder, selten, einmal lachte, sah man unter der kurzen Oberlippe das Gehege seiner Frontzähne, deren mittlere schief und versetzt standen, zu wenig Platz zu haben schienen, in dem massigen Gesicht ein eigentümlicher Effekt. Er schien es zu wissen, auch darunter zu leiden, denn er sprach gerne etwas aus dem Mundwinkel, so die schlimmere Seite seiner Zähne mit der Oberlippe verdeckt haltend. Wer ihn sich im Profil betrachtete, konnte auf den Gedanken kommen, daß er sich eher das Kinn als die Nase aufschrammte, liefe er einmal gegen eine Mauer. Die Ohren lagen ihm flach am Kopf an, bei Anstrengungen lief heftiger Schweiß unter ihnen hervor. Ihre Läppchen standen noch am weitesten ab, das linke war ein wenig eingeschnitten, wo ihn das auf seine Kehle gerichtete, eher linkisch geführte Messer getroffen hatte. Sein Hals war nur von vorn ein Stück weit zu erkennen, seitlich setzten die Schultern schon kurz unter den Ohren an. Aus diesem Grund war diese Schnittnarbe auch nicht besonders lang, er hatte die Messerwunde empfangen, als er sich nach dem Stein bückte, der dem anderen den Unterkiefer brach.

Bei seinem Eintritt ins Militär hatten die Narbe und vor allem ihre wortkarge Erklärung einen eher günstigen Eindruck hinterlassen. Tullius hatte mit seiner Linken den Weg der Messerklinge angedeutet, sich dabei blitzschnell nach einem imaginären Stein gebückt und den mit der Rechten in einem Halbkreis vom Boden bis etwa in die Höhe einer menschlichen Kinnlade gerissen, sich dann wieder aufgerichtet und seine rechte Faust, mit dem Handrücken nach oben, langsam geöffnet. Sie sahen den Stein geradezu auf den Boden fallen, so tief hatte sie die unheimliche Geschwindigkeit des Gezeigten beeindruckt.

»So ungefähr ist das gelaufen.«

Mehr sagte er nicht dazu. Alles andere hatten sich seine neuen Kameraden selbst ausmalen müssen, mögliche Folgen und die Vorgeschichte erst recht. Unbehaglich war er ihnen, doch einer, den man trotz allem lieber im eigenen Zelt hatte, damit er aus dem heraus pißte, als ihn außen vor stehen zu wissen und ...

Ein nennenswerter Krieg war ihm nicht vergönnt gewesen, Polizeiaktionen allenfalls, zu denen es genaugenommen keine Legionäre brauchte. Stadtwachen hätten das erledigen können, Auxiliare, Vigilanten, Feuerwehrleute. Seine Beinverletzung war ihm denn auch etwas peinlich. Einigen germanischen Strolchen hatten sie das gestohlene Rindvieh bald wieder abgejagt, nur ein junger Stier hatte nicht mit zurück über den Fluß gewollt und ihm sein Horn in den Schenkel gerammt. An die Spottnamen, die Frotzeleien deswegen erinnerte er sich nur ungern. Es ging auch bald wieder zu Ende damit, die losen Mäuler hatten schnell begriffen, wieso in ihrem täglichen Dienst auf einmal Gewaltmärsche, Nachtwachen und Latrinenputzen überwogen. Seine Dankopfer allerdings verrichtete er seitdem in einem unterirdischen Tempel, wo er dem stiertötenden Mithras seine Erleichterung darüber bezeugte, daß ihm dieses Vieh die Eier gelassen hatte. Wenn ihn das Horn nur einen daumenbreit weiter rechts getroffen hätte … Er mochte es sich nicht ausmalen.

DIE HAVARIE

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