Читать книгу Macht - Klaus-Jürgen Bruder - Страница 12
Pioniere der Propagandaforschung:
Walter Lippmann, Edward Bernays
ОглавлениеMit der Weiterentwicklung des Kapitalismus zur Massen- und Konsumgesellschaft, der Verschärfung der Klassengegensätze, mit den nun neuen Erfordernissen für die Herrschenden, Massen in großem Maßstab kontrollieren, lenken und beeinflussen zu können, entwickelte sich in den USA ein neuer Forschungszweig und eine neue Praxis der Propaganda, Medientheorie, Meinungsforschung. Der Kriegseintritt 1917, die bewegten Zwanzigerjahre mit den kulturellen Aufbrüchen, den politischen und gewerkschaftlichen Kämpfen (die teils mit großer Gewalt niedergerungen wurden), die darauffolgende Große Depression ab 1929 und die Reformbewegung des New Deal von 1933 bis 1939 verstärkten diese Notwendigkeiten.
Massenkommunikationsforschung hat sich zunächst durchaus auch an der Massenpsychologie Le Bons orientiert und psychoanalytische Konzepte einbezogen, denn Psychoanalyse war ab circa 1910 bis weit in die Zwanzigerjahre hinein unter amerikanischen Intellektuellen und Bohémiens zur Analyse der Kultur und Politik, sehr beliebt, dementsprechend in entsprechenden Zirkeln, Medien und Publikationen präsent.
Walter Lippmann, geboren 1889 in New York, deutscher Herkunft, war Journalist, Kolumnist, Medientheoretiker mit engen Verbindungen nach oben, zu den US-Präsidenten Theodore Roosevelt und Woodrow Wilson, und zu universitären Kreisen unter anderem zu William James. 1916 trat er im Wahlkampf von Woodrow Wilson auf, und beide arbeiteten auf den Kriegseintritt hin.
Nach dem Eintritt der USA in den Krieg im April 1917 wurde durch die Anregung und Beratung von Walter Lippmann ein Propagandaapparat (Commitee on Public Informationn, CPI) eingerichtet. Es sollte sachliche Argumente für das amerikanische Kriegsengagement bereitstellen, wurde aber immer mehr ein massenpsychologisch orientiertes, emotional-manipulatives Propagandainstrument (Bussemer 2005, S. 73 f.), etwas, was zuvor aus einem liberal-demokratischen Denken heraus in der Öffentlichkeit abgelehnt wurde.
Lippmanns bekanntestes Buch, The Public Opinion von 1922, das als eine Art Bibel und grundlegende Arbeit für das Verständnis moderner Massenmedien und Massenmanipulation verstanden wird, liest sich in Teilen zunächst wie ein Buch aus der kognitions- oder wahrnehmungspsychologischen Grundlagenforschung für die praktische Beeinflussung und Propaganda. Wenigstens drei Merkmale sind demnach wesentliche Instrumente der Meinungsbeeinflussung:
1.Unsere Meinung über die Welt ist wesentlich durch unsere Bilder von der Welt geprägt.
2.In der Wahrnehmung der Welt werden wir von Stereotypen geleitet.
3.Symbole spielen für die Meinungsbildung und für die Führung der Massen eine bedeutende Rolle.
Zu Punkt eins: Menschen machen sich Bilder oder erfinden Fiktionen von der Wirklichkeit, was Lippmann auch »Pseudoumwelt« nennt, und sie reagieren auf diese Bilder ebenso stark wie auf die Wirklichkeit. »Sein Verhalten ist die Reaktion auf diese Pseudoumwelt« (Lippmann 1922/2018, S. 64). Pseudoumwelten, ihre inneren Vorstellungen von der Welt, sind ein bestimmendes Element im Denken, Fühlen und Handeln. Alles, was der Mensch tut, beruht »nicht auf unmittelbarem und sicherem Wissen, sondern auf Bildern, die er sich geschaffen oder die man ihm gegeben hat« (ebd., S. 72.).
Zu Punkt zwei: Unsere Meinungen sind zusammengesetzt aus Schilderungen anderer Leute und aus unseren inneren Vorstellungen (vgl. ebd., S. 109).
Wir werden über die Welt bereits unterrichtet, bevor wir sie sehen. Wir stellen uns die meisten Dinge vor, bevor wir unsere Erfahrungen damit machen. Und diese vorgefassten Meinungen beherrschen aufs Stärkste den Vorgang der Wahrnehmung. (ebd., S. 116 f.)
Wir wählen aus, »was unsere Kultur bereits für uns definiert […] und stereotypisiert hat« (ebd., S. 110), »die subtilsten und allgegenwärtigsten aller Einflüsse sind diejenigen, die das Stereotypenrepertoire schaffen und aufrechterhalten« (ebd., S. 116).
Zu Punkt drei: Symbole halten die Anhänger zusammen, mit Symbolen kann der Führer eine Menschenmenge in Bewegung setzen, »im Symbol entlädt sich das Gefühl in Richtung eines gemeinsamen Ziels« (ebd., S. 220 f.). Es kann »die Manipulation der Masse durch Symbole das einzig effiziente Mittel sein, um eine brenzlige Situation zu meistern« (ebd., S. 222).
Aus all dem folgt für Lippmann: »Aber was ist Propaganda, wenn nicht die Bemühung, das Bild zu ändern, auf das die Menschen reagieren, das heißt ein Gesellschaftsmodell durch ein anderes zu ersetzen?« (ebd., S. 73) Wer also die Bilder in den Köpfen der Menschen beherrschen kann, beherrscht sie. 2
In der Propaganda verwehre »eine Gruppe von Menschen […] der Öffentlichkeit den ungehinderten Zugang zu den Ereignissen […] [und] arrangiert die Nachrichten«. Sie benutze ihre Macht, »um die Öffentlichkeit […] die Dinge so sehen zu lassen, wie sie es wünschten« (ebd., S. 84). Daher ist Propaganda »ohne eine gewisse Form der Zensur« nicht möglich, denn Propaganda errichtet »eine Schranke zwischen Öffentlichkeit und Ereignis, […] der wirklichen Umwelt« (ebd., S. 85).
Hier geht Lippmann zwar von allgemeinpsychologischen Grundlagen aus, ist in seiner Haltung der Anwendung aber getragen von Vorstellungen der irrationalen Masse, die in ihren Gedanken, Gefühlen und Bedürfnissen durch wirtschaftliche und politische Führer gelenkt und manipuliert werden muss.
Lippmann hatte stets eine Elitentheorie oder »Expertokratie« vertreten. Die öffentliche Meinung müsse über die Medien gesteuert werden, von eine intellektuellen Elite, denn nur die politische Elite sei in der Lage, die Komplexität der Wirklichkeit zu verstehen – in Wirklichkeit geht es natürlich nicht darum, sondern um den Machterhalt der Elite.
Das Volk als »verwirrte Herde« behält in Lippmanns »Demokratie« die Rolle von Zuschauern. Die Herde müsse gezähmt werden, mittels der neuen Propagandatechniken, durch die Herstellung von Konsens (manufacturing consent).
Lippmann deutet vieles nur an, der Kritiker Chomsky bringt es auf den Punkt:
Die Öffentlichkeit soll auf Ereignisse eingestimmt werden, die sie eigentlich ablehnt (vgl. Chomsky 1991/2003, S. 30). Sobald es Probleme bei der Konsensbildung gibt, muss man die verwirrte Herde ablenken, man muss die Angst vor den Feinden schüren oder einen neuen Feind gegebenenfalls erfinden (vgl. ebd., S. 41 f.). Nützlich sei auch, eine regelmäßige Dosis patriotischer Propaganda darzubieten (vgl. ebd., S. 103). Auch Debatten und Diskussionen können im Propagandasystem ihre Aufgabe erfüllen, wenn sie in angemessenen Grenzen bleiben (vgl. ebd., S. 102).
Chomsky verweist noch einmal besonders auf die Rolle der Intellektuellen als Erfüllungsgehilfen der Mächtigen: Intellektuelle und führende Persönlichkeiten seien erstrangiges Ziel der Herstellung von Konsens. Wer die Meinungselite mobilisiert, hat damit auch die Öffentlichkeit. »Die Wirkungen staatlicher Propaganda sind umso größer, je mehr sie von den gebildeten Schichten unterstützt und keine Kritik daran zugelassen wird« (ebd., S. 30).
Hier müssen wir natürlich wieder an die Figur des »Tui« von Brecht denken, die Intellektuellen und Wissenschaftler als »Mandarine« am Hofe des Kaisers. Die großen Tuis müssen für den Kaiser die beste, die überzeugendste Lüge für einen Betrug vom Kaiser erfinden. Das klappt, hat immer geklappt und funktioniert auch heute blendend.
Nach dem Krieg 1918 wurde die Propaganda in den USA erweitert auf Werbepsychologie und Reklameforschung, weiter neben der politischen Propaganda. Hier ist vor allem Edward Bernays, geboren 1891 in Wien, aufgewachsen ab 1892 in New York, Neffe von Freud, zu nennen, als Pionier der »Public Relations« – wie die anrüchige Propaganda nun genannt wird. Bernays, durchaus beeinflusst von Lippmann, gilt als »PR-Machiavelli« und »Ingenieur der Demagogie« (Kocks 2011, S. 12 f.), der auf dem Klavier der unbewussten Wünsche und Sehnsüchte zu spielen verstand. In »brutaler Offenheit« pries er »die Möglichkeiten, die Öffentlichkeit ohne deren Wissen vorsätzlich zu manipulieren« (ebd., S. 11).
Auch er hatte seine Sporen bereits in der Kriegspropaganda (CPI) verdient, die er als »grandios« erfolgreich rühmte und die ihm »die Augen geöffnet« hat für die »Möglichkeiten von Manipulation der Massenmeinung« (Bernays, 1928/2011, S. 33). Bernays, eher Praktiker als Theoretiker, wurde PR-Berater für Politiker auf höchster Ebene und Berater für verschiedenste große Industriebranchen und Institutionen.
Er beginnt sein Buch Propaganda (1928) mit folgenden Sätzen:
Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Organisationen, die im Verborgenen arbeiten, lenken die gesellschaftlichen Abläufe. Sie sind die eigentlichen Regierungen in unserem Land […]. Die unsichtbaren Herrscher, die Mitglieder des Schattenkabinetts, regieren uns dank ihrer angeborenen Führungsqualitäten […] und aufgrund der Schlüsselpositionen, die sie in der Gesellschaft einnehmen. (Bernays 1928/2011, S. 19)3
Bernays definiert Propaganda als das stetige, konsequente Bemühen, Ereignisse zu formen oder zu schaffen mit dem Zweck, die Haltung der Öffentlichkeit zu einem Unternehmen, einer Idee oder einer Gruppe zu beeinflussen (ebd., S. 31).
Er entwickelt ein Konzept der Beratung mit systematischer Abfolge, wie Analyse des Problems des Auftraggebers, Analyse des Publikums, das erreicht werden soll, Formulierung übergreifender Strategien und so weiter (ebd., S. 42 f.). Wichtig ist nicht nur, Emotionen und Gefühle zu erfassen und zu wecken, auch muss – »da der Mensch ein Gemeinschaftswesen ist« – es »den verborgenen Herrschern« gelingen, »den Einzelnen in seiner Gruppenzugehörigkeit zu erreichen und seine Motive zu manipulieren« (ebd., S. 49).
Dies wendet er natürlich auch auf die Politik an, was sein zynisches Verhältnis zur Demokratie noch einmal mehr verdeutlicht:
Ein seriöser und talentierter Politiker ist dank des Instrumentariums der Propaganda glücklicherweise in der Lage, den Volkswillen zu formen und zu kanalisieren. Unsere Demokratie muss von einer intelligenten Minderheit geführt werden, die weiß, wie man die Massen leitet und lenkt. (ebd., S. 99)