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Wie kommt es, dass die Beherrschten die Meinungen der Herrschenden übernehmen? Der Diskurs der Macht in Zeiten von Corona

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Was wir augenblicklich erleben: Die Mehrzahl der Bevölkerung willigt vertrauensvoll in die Anweisungen der Regierung ein – obwohl diese Anweisungen den Interessen der Bevölkerung an der Fortsetzung ihres bisherigen Lebensalltags entgegenstehen oder sogar widersprechen.

Wie hat die Regierung das geschafft? Hat ihr die Angst – vor Ansteckung, Krankheit und Tod – dabei geholfen? Oder die Angst vor Ungehorsam?

Angst vor dem Virus, vor etwas, das wir nicht sehen, von dessen Anwesenheit wir nichts wissen, auch nichts davon spüren, solange wir nicht – von anderen – davon erfahren, solange uns andere davon nichts sehen lassen, wie Eulenspiegel einst dem Erzbischof von Mainz die wunderbarsten Gemälde an die Wände seines Palasts zu malen versprochen hat, die allerdings nur derjenige tatsächlich sehen könne, der wirklich frei von jeder Sünde sei.

Wie ist es möglich, dass wir übernehmen, was andere meinen, uns als unsere eigene Meinung zu eigen machen? Und zwar nicht die Meinung unserer besten Freunde oder uns Nahestehenden, von denen wir wissen, dass sie die Ratschläge, die sie uns geben, auch selber befolgen – nein, wir übernehmen die Meinung uns persönlich völlig fremder Menschen, die wir allenfalls aus dem Fernsehen kennen, deren tatsächliches Handeln wir niemals nachprüfen könnten, ja sogar wenn wir die Erfahrung gemacht haben, dass sie sich an das, was sie versprochen haben zu tun, nachdem wir sie in ihre Positionen gewählt hatten, nicht mehr erinnern.

Das ist nicht Angst vor dem Virus allein, das ist Vertrauen in jene, die uns Angst machen, und wenn es nicht Vertrauen ist, das sich in einer Beziehung aus der Erfahrung gebildet hat, dass wir immer gut gefahren sind mit den Ratschlägen und Mitteilungen, die wir von anderen bekommen haben, wenn wir sogar aller schlechten Erfahrung zum Trotz dem anderen »vertrauen«, seine Meinung übernehmen, dann ist es »Loyalität« (s. Brückner 1972).

Loyalität den »Oberen« gegenüber, dass es schon »seine Richtigkeit« habe, was sie von uns verlangen, spielt zumindest am Anfang eine entscheidende Rolle, dass die Bevölkerung überhaupt die »Angst« übernehmen und entwickeln konnte, die Herrschaft braucht, um »unliebsame« Forderungen durchzusetzen. Wir können nach Milgram (1974) mit der Bereitschaft rechnen, Gehorsam gegenüber autoritären Anweisungen zu zeigen, auch dann, wenn diese in Widerspruch zu den Forderungen des eigenen Gewissens stehen.

Die entscheidenden gesellschaftlichen Vermittler von Meinungen sind die Medien. Und oft sind sie sogar die Produzenten von Meinungen. Die Medien entfalten auch die Macht der Meinung aufs Höchste, geben der Meinung die größte Macht: allein dadurch, dass sie ihr die größte Verbreitung verschaffen. Dadurch erreicht die Meinung mehr als nur den einen (oder vielleicht das anwesende Auditorium), Sprecher und Angesprochene sind nicht darauf angewiesen, einander unmittelbar gegenüberzutreten, sondern sind – imaginär – miteinander verbunden: vermittelt durch die Medien (sic!).

Die Medien »organisier[en] und beherrsch[en] überall die öffentliche Kundgebung, die Zeugenschaft im öffentlichen Raum« (Derrida 1993/95, S. 90 f.).

Dank der »Vermittlung der Medien« werden die unterschiedlichen Diskurse der politischen Klasse, der massenmedialen Kultur und der akademischen Kultur miteinander verschmolzen. […] Sie kommunizieren und zielen in jedem Augenblick auf den Punkt der größten Kraft hin, um die politisch-ökonomische Hegemonie und den Imperialismus zu sichern. (ebd., S. 91)

Derrida nennt diesen Diskurs einen »herrschsüchtigen« (ebd. S. 90 f.).

Ein Diskurs schließt mehr Teilnehmer ein als die Dyade, ist nicht an deren Anwesenheit gebunden, verselbstständigt sich sozusagen gegenüber den Teilnehmenden. Diskurse sind als Ensembles definiert, die festlegen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt, von und/oder für eine(r) bestimmte(n) Gruppe, über einen Gegenstand gesagt werden kann (s. Foucault, 1970/1974). Dadurch üben sie bereits Macht aus.

Es ist dies eine Macht, der man die Macht nicht ansieht. Sie wirkt nicht – oder nur im Grenzfall – durch Drohung, Befehl oder Vorschrift, sondern sie wirkt durch »Überzeugung«, durch Behauptung, Belehrung, durch »Zeigen« – durch die Register des Redens – und des Verschweigens, Versteckens, einfach dadurch, dass man in den Diskurs einsteigt und sich gemäß seiner Regeln in diesem Diskurs bewegt (vgl. Foucault 1982/1987, S. 255).

Die überwältigende Bedeutung dieser Macht des Diskurses können wir in der gegenwärtigen »Pandemie-Inszenierung« beobachten. Es genügt die bloße Behauptung einer alle und alles erdrückenden Gefahr, um eine ganze Bevölkerung in reflexhafte Unterwerfung unter unsinnigste Anweisungen zu bewegen.

Dieser Sachverhalt ist mit dem Begriff der »Inszenierung« gemeint. So wurde er von dem Politikwissenschaftler Thomas Meyer aus der Welt des Theaters in die der Politik übertragen: »Die Inszenierung des Politischen« (2000). Die Inszenierung ist es, von der die Zuschauer beeindruckt und zugleich beeinflußt, gelenkt werden. Damit wird die Existenz einer Realität – also hier eines Virus – außerhalb und unabhängig von der Inszenierung nicht bestritten. Es ist tatsächlich die Macht des Diskurses und nicht die Macht eines von diesem unabhängigen, »natürlichen« Ereignisses. Der Diskurs der Macht hat das Corona-Virus okkupiert – nicht umgekehrt (Bruder 2020 a). Der Diskurs kann eine Krise, durchaus eine ökonomische Krise erzeugen, indem er Anordnungen setzt, die die Ökonomie zum Zusammenbruch führen, wie wir gesehen haben.

All das bewirkt der Diskurs allerdings nur in den Händen der Macht. Es waren die Mächtigen, die Inhaber der Machtpositionen der Gesellschaft, in Politik und Medien, die die Macht des Diskurses einsetzen konnten, um diese Wirkung zu erzielen. Der Diskurs allein, in den Händen kritischer Intellektueller und »alternativer« Medien, konnte das nicht. Kein einziges Argument von dieser Seite, kein noch so gründlich differenzierter Nachweis, kein noch so wissenschaftlicher Beleg konnte die Wirkung des Diskurses in den Händen der Macht brechen oder auch nur schwächen.

Zwar sind es bekanntlich die Meinungen der Herrschenden, die in einer Gesellschaft die herrschenden Meinungen sind. Ihre Macht gewinnen sie aber erst dadurch, dass die Masse der Beherrschten sie als ihre Meinung übernimmt, ihnen gemäß handelt. Damit das geschieht, muss es ihr etwas bedeuten, bloße Wiederholung der Verkündigung der Meinung genügt nicht. Sie muss sich etwas davon versprechen, die Meinung zu vertreten, etwas, was wichtig genug ist, darauf einzugehen, eine Begründung für die Übernahme der Meinung.

Diese Begründung zu liefern, ist die Aufgabe des Diskurses der Macht, der damit die Zustimmung der Bevölkerung zu den Meinungen der Herrschenden organisiert: »manufactoring consent« (Chomsky 2002).

Die Begründungen müssen das Subjekt, den Adressaten des Diskurses der Macht »überzeugen«, der Diskurs der Macht muss das Subjekt berücksichtigen.

Die Möglichkeit dazu liegt in der Struktur der ­Sprache, die dem Sprechen die Möglichkeit des Ver-Sprechens, der »Dop­pel­züngigkeit« bietet, etwas anderes zu sagen, als man meint, und ohne feste Beziehung zum in Rede stehenden Handeln, »verstecken durch zeigen« (Bourdieu (1996). Bezeichnetes und Bezeichnendes sind nicht miteinander »verlötet«, sondern miteinander »frei flottierend«.

Durch dieses Instrument, das ihr die Sprache zur Verfügung stellt, kann die Macht »eine Weise des Einwirkens auf ein/mehrere Subjekte« sein, die wirkt, indem sie »anstachelt«, »eingibt«, »ablenkt«.

[Nur] im Grenzfall nötigt oder verhindert sie vollständig; aber stets sofern die Subjekte handeln oder zum Handeln fähig sind. Stets bleiben die Subjekte ihrer Einwirkung als solche anerkannt. (Foucault 1982/1987, S. 255)

Dies macht die Sprache zum wirksamsten Mittel der Herrschaftsausübung – der »soften«, »smarten« Gewalt, die das Subjekt seines Subjektcharakters nicht beraubt, sondern es als solches anspricht, affirmiert – im Unterschied zur handfesten, gewalttätigen Gewalt: Polizei, Militär oder ökonomische Machtausübung. Die Macht der »Überredung«, der Überzeugung, der Einsicht – der Zuhörer, Zuschauer muss dieser Meinung erst zur Macht verhelfen, zur Macht über ihn: Er muss die Meinung annehmen, übernehmen, sich zu eigen machen, zu seiner eigenen Meinung, er muss zumindest so handeln, als ob er sie zu seiner eigenen Meinung gemacht hätte.

Insofern ist Sprache beziehungsweise Sprechen nicht nur Begleitung des Handelns, als Kommentar oder Versprechen, sondern zugleich immer auch selbst Handeln, »Ansage«, Befehl, die Möglichkeit, eine Situation »performativ« herzustellen: »Die Sitzung ist eröffnet.« Für Deleuze & Guattari ist die Sprache »dazu da, zu gehorchen und Gehorsam zu verschaffen«, der Befehl (die »Parole«, das Kennwort) ist die »Grundeinheit der Sprache« (Dies. 1980, S. 106 f.).

Für die Übernahme der Parolen des Diskurses der Macht ist es entscheidend, dass die Parolen als eigene ausgegeben werden, um gehorchen zu können. Wir müssen also das Gehorchen verleugnen: Wir tun so, als folgten wir dem eigenen Befehl. Darin realisiert sich das Subjekt als Herr seines eigenen Sprechens und Handelns.

Die bereits im Dialog mögliche Differenz zwischen Versprechen und Erfüllung wird im Diskurs der Macht zum Gegensatz gesteigert, zur Verkehrung ins Gegenteil: Verkehrung von Krieg und Frieden, Verkehrung von Ursache und Wirkung, Aktion und Reaktion. Beispiele: die Bezeichnungen »Sicherheits-Konferenz«, »Verteidigungs-Ministerium«, »Innere Sicherheit«, »Verantwortung für Deutschland« usw.

Im »Corona-Jahr« 2020 erreichte diese Verkehrung ihren bisherigen Höhepunkt: Die zum Schutz der Bevölkerung erklärten Maßnahmen beinhalteten die Außerkraftsetzung fast sämtlicher Grundrechte, wie der allgemeinen Handlungsfreiheit, der Religionsfreiheit, der Freiheit der Lehre, der Kunstfreiheit, der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, der Berufsfreiheit, der Eigentumsfreiheit, des Rechts der Unverletzlichkeit der Wohnung (s. Paech 2021). Die dringend erforderliche Kommunikation der Bürger konnte nur noch über das Netz erfolgen, in Vollendung des Orwellschen Horrorszenarios: die Überwachung selbst der Organisation des Protests gegen die Überwachung. Und es gab Meinungsumfragen, die behaupten konnten, dass sogar 90 Prozent der Bevölkerung die Maßnahmen befürwortet haben (zit. n. Paech 2020): Man vertraute der Regierung, dass sie sie aus Sorge um ihr Wohlergehen entmündigt.

Was war das? Ein großes Experiment in Gehorsamkeit:

Eine arglose, nichts ahnende Bevölkerung wird ohne jede Vorbereitung »über Nacht« dazu gebracht, alles zu vergessen, was ihr bisher wichtig gewesen war: alle Ziele, alle Bewegungen, alle Geschäfte, alle Kontakte, um sich am Morgen die Augen zu reiben. So schnell war die »Schwarze Null« noch nicht vergessen, wie im atemberaubenden Auflegen der Finanz-Rettungspakete das Etappenziel gesichert worden war und Unterwerfung nur noch als Übersprungshandlung offenstand, als das Annehmen neuer Regeln des (Nicht-)Kontakts: den anderen nicht heranzulassen, ja ihn zurückzuweisen, wenn er zu nahe kommt, überhaupt misstrauisch gegen jeden zu sein, die bisherigen Regeln lauthals zu sanktionieren, beispielsweise bisher übliche Einkaufgewohnheiten als »Hamsterkauf« zu diffamieren, das nicht sofort einwilligende Denken zum Feind zu erklären.

Gewiss: Ganz so naiv war die Bevölkerung auch vorher nicht: Unzufriedenheit hatte viele Gründe und Anlässe, auch Ängste, den bisherigen Standard zu verlieren, nach unten zu fallen, breiteten sich aus und waren bereits »nach unten« weitergegeben worden.

Aber diese Reaktion hatte jetzt Verstärkung erfahren, ebenso wie das Erleben der Bedrohung. Es ist ja auch bedrohlich zu hören, dass eine ungeheure Epidemie, die bereits in China viele Opfer gefordert hat, nun auch uns in Europa erreicht. Und nachvollziehbar ist ebenso, dankbar die vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen anzunehmen und darauf zu achten, dass auch die anderen diese befolgen.

Aber einigermaßen verblüffend ist, dass dies alles so ohne jede Frage und in einer Heftigkeit geschieht, dass vereinzelter Widerspruch sofort aggressive Abwehr hervorruft, wie wir sie schon lange nicht mehr erlebt haben, wie wir sie eigentlich nur aus Zeiten kennen, in denen Kritik an den Handlungen des Staates zur Denunziation des Feindes geführt hatte.

Gut, man kann einwenden, dass zu diesem Zeitpunkt niemand die Anweisung aus dem Bundesinnenministerium9 gekannt hatte, in der die Bearbeitung der Bevölkerung durch massive und geschlossene Angstkampagnen vorgeschlagen worden war – denn diese kursierte nur als Verschlusssache für den Dienstgebrauch.

Und Angst zu machen ist eine alte Herrschaftstechnik.

Aber trotzdem gab es nicht den Funken von Nachdenken: dass es ja sehr auffällig hätte sein müssen, dass dieselben Leute und Stellen keinerlei Vorsorge für den Fall getroffen hatten, dass das bereits seit Monaten grassierende Virus auch zu uns kommen könnte – und es war ja auch nicht die erste Epidemie. Wie sich ebenfalls erst jetzt herausstellte, waren epidemiologische Forschungen, die in der Folge früherer Epidemien deren Erfahrungen berücksichtigen hätten können, eingestellt worden. Ebenso wie der gesamte Gesundheitssektor, sowohl personell als auch materiell abgebaut und privatisiert worden war und damit dem Regiment und Prinzip der Profitproduktion Einzelner unterstellt.

Den dafür Verantwortlichen nahm man plötzlich die Sorge um uns ab, man sprach ihnen die Kompetenz zu, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen und Maßnahmen ergreifen können! War Angst – vor der Gefahr des Virus – doch das Entscheidende, das das Denken ausgeschaltet hat? Die Angst, die Panik, die geschürt wurde durch unzureichende Information – sowohl über die Gefahren, vor denen sich zu schützen sei, als auch über das »Wie« des Schutzes.

Ununterbrochen wurden die neuesten Meldungen über steigende Zahlen – von Infizierten – durchgegeben, als »Fälle« wurden sie bezeichnet, womit der Anschein erweckt wurde, es handle sich um Kranke. Nur höchst selten wurden diese Zahlen ins Verhältnis gesetzt zu den Zahlen der durch die Infektion Gestorbenen. Wie Klaus Püschel, Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts der Universität Hamburg nachweisen konnte (2020), war bis zum Zeitpunkt seiner Untersuchungen Anfang April 2020 noch niemand an einer Corona-Infektion gestorben, sondern allenfalls mit einem positiven Testwert – »im Zusammenhang mit Corona«! Ebenso wurden die Zahlen nicht ins Verhältnis zu den Zahlen anderer Jahre gesetzt, sodass das Gefühl des Schreckens an keinen Grenzen innehalten konnte. Nur nebenbei erfuhr man, dass im Jahr zuvor 24 000 Menschen an Grippe gestorben waren – was zum Zeitpunkt der damaligen Epidemie keiner einzigen Erwähnung wert gewesen war (Schiffmann 2020).

Eine zentrale Rolle spielten bei der Entfesselung der Panikstimmung die Medien. In der Verschlusssache des Innenministeriums wird ihnen diese Aufgabe zugeschrieben, die Bevölkerung durch Angstkampagnen zur Zustimmung zu den neuen Verhaltensvorgaben und Einschränkungen zu bringen. Das geschlossene Auftreten der Medien entspricht den Anweisungen des Ministeriums. Viele Medien, die bereits vorher unkritisches Sprachrohr der Politik waren, wurden zum Organ der Verbreitung der offiziellen Verlautbarungen, das keiner anderen Stimme Raum ließ. Der Vergleich mit George Orwells 1984 drängte sich auf: »Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke« – die Verkehrung aller Begriffe in ihr Gegenteil.

Wir kannten das zwar bereits aus der Zeit, als der Neoliberalismus aus der Umkodierung der Werte der 68er-Bewegung Profit zu schlagen versuchte, in dem er die Verwirklichung von »Autonomie, Selbstbestimmung, Emanzipation« versprach. (vgl. Boltanski & Chiapello 1999). So wurde nun »Solidarität« die fraglose Übernahme der Parolen, der Ansagen der Regierung genannt – die »Volksgemeinschaft« war nicht weit entfernt. »Zu ihrem Schutz« wurde die Anordnung begründet, ältere Menschen abzusondern. »Verantwortungslos« wurde nun genannt, wer sich nicht bedingungslos einreihte.

Auch wenn diese Verkehrungen an Menschenverachtung grenzten, grundlegende Selbstverständlichkeiten ethischer Gebote, ja des menschlichen Wesens schlechthin missachten, so das Kontaktverbot, auch zwischen Großeltern und Enkeln, von der praktisch vollständigen Schließung der Restaurants, Cafés und Freizeiteinrichtungen oder dem Verbot öffentlicher Treffen und Demonstrationen zu schweigen, wurden sie mit einer empirisch nicht belegten »erhöhten Ansteckungsgefahr« begründet, selbst wenn diese von Experten, die nicht zu den Regierungsberatern im weiteren Sinne zählten, bestritten worden war.

Die Statistiken der Anzahl der mit Corona-Infektion Gestorbenen wurden inkorrekt geführt, man muss es Fälschung nennen. Und trotzdem stellten sich die Millionen nicht ein, die zur Begründung der Maßnahmen herangezogen worden waren. Und dann, als die Zahlen einfach nicht steigen wollten, wurden die »Ausnahmeregelungen« immer noch aufrechterhalten, ja sogar für die »Risikogruppen« verschärft (Telefonschaltkonferenz 2020): Pauschal sollen Ältere in Quarantäne abgesondert werden, gleichgültig ob sie »Vorerkrankungen« haben oder nicht haben.

Selbstverständlich wurde der Begriff der »Zwangsimpfung« zur gleichen Zeit aus dem Verkehr gezogen und stattdessen ein sogenannter »Immunitäts-Pass« als Bedingung, am sozialen Leben teilnehmen zu dürfen (Deutscher Ethikrat 2020),10 in das Vokabular des »Neusprech« aufgenommen: Nicht die Immunität des Trägers wird mit diesem Dokument belegt, sondern die Impfung – von der noch nicht mal sicher ist, ob sie Immunität herstellt oder zerstört (vgl. Bhakdi 2020; Yeadon 2020).11 Der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, gab im Interview bei »phoenix persönlich« zum Besten:

Wir gehen alle davon aus, dass im nächsten Jahr Impfstoffe zugelassen werden, wir wissen aber nicht genau, wie die wirken, wie gut die wirken, was die bewirken […] aber ich bin sehr optimistisch, dass es Impfstoffe gibt.

Also müsste die »Wirkung«, »Immunität« zu erreichen, auch auf einer anderen Ebene liegen, als der medizinischen. Als Psychoanalytiker kommt man ohnehin nicht umhin, an anderes zu denken, als an die uns unter die Nase gehaltenen Begründungen, entweder Überreaktion mit dem vorangegangenes Versagen bei der Vorsorge verdeckt werden soll oder Ausnützen der sich bietenden Gelegenheit, Probleme zu lösen, die unter zivilen Bedingungen auf Widerstand gestoßen wären, oder die Versuchung zum Staatsstreich und das Ausprobieren, wie weit die Bevölkerung das mit sich machen lässt: »Wir alle sind in einem riesigen psychologischen Experiment«, meinte der Psychologe Arno Deister – was er nicht sagt: ein Experiment über die Wirkungsweise des Diskurses der Macht –, gerade rechtzeitig vor der ökonomischen Krise (IWF 2020).

Und dieses Experiment zeigt uns, dass der Diskurs der Macht sich nicht nur auf der Ebene des Sprechens bewegt, der Ebene der Desinformation durch die Medien, sondern gleichzeitig auch die Handlungsebene einbezieht, die in den meisten Fällen der Wahrnehmung, dem Bewusstsein – der Bevölkerung – entzogen ist, »unbewusst gemacht« (Erdheim 1982). Die Maßnahmen, die zur Abwendung der behaupteten Gefahr der Bevölkerung aufgezwungen worden waren, hatten die Funktion, die Behauptungen über die Gefährlichkeit des Virus zu »beweisen«. Je mehr die Maßnahmen verschärft wurden, umso mehr stieg das Gefühl des Bedrohtseins durch das Virus, sollten sie doch dem Schutz vor diesem dienen. Dieses Gefühl aufrechtzuerhalten, ständig daran zu erinnern, ist die Funktion der Mund- und Nasenmaske. Dasselbe galt auch für die Taktik, die Maßnahmen immer wieder zu verlängern und nur »in kleinen Schritten« abzubauen, ebenso wie die gleichzeitige Erklärung der nicht mehr zu verheimlichenden Tatsache, dass die zwischenzeitlich sinkenden Zahlen nicht als »Erfolg der Maßnahmen« verkauft werden konnten (Wollbold 2020). Das dadurch beim Empfänger der Nachricht in Gang gesetzte Denken folgt dem Mechanismus der »Nachträglichkeit« des Diskurses (Lacan 1953, Freud 1895).

Der Zynismus, mit dem dieses Experiment durchgeführt, ja geplant worden war, wird bestätigt durch den Zynismus der Schriften und Äußerungen der Protagonisten und Propagandisten, allen voran Klaus Schwab, dem Organisator des Weltwirtschaftsforum Forums (WEF), bekannt durch seine jährlichen Treffen in Davos, das diejenigen versammelt, die sich selbstbewusst »Entscheider« in Politik und Wirtschaft nennen. Das letzte Buch von Schwab, Covid-19: The Great Reset (2020), ist tatsächlich ein beispielhaftes Dokument, nicht nur eine Wortmeldung, sondern eine Keynote des Diskurses der Macht, mit der er die Katze aus dem Sack lässt, indem er alles, was wir in den letzten Monaten erlebt haben, bereits als »unvermeidliche Entwicklung« beschreibt: »Unvermeidlich« wird es zu einer Vernichtung einer unvorstellbar großen Anzahl kleiner und mittlerer Betriebe kommen, werden Millionen Arbeitslose entstehen, werden Generationen in beispiellosem Leid leben müssen – alles als Folge von Covid-19. Er, einer der wichtigsten Akteure in dieser Inszenierung, stellt deren Ergebnisse als Folge einer »Pandemie« dar, für die er selbst keinerlei Verantwortung übernimmt. Und – auch das ist für die Wirkung des Diskurses der Macht unverzichtbar – Schwab verspricht als Licht am Ende des Tunnels eine Gesellschaft, in der wir alle glücklich sein werden, auch wenn wir weder über Besitz verfügen werden noch über uns selbst. Er nennt diese Dystopie nicht Schöne neue Welt, aber wer mit »wir« gemeint ist, zeigt die maskenfreie »Corona-Party« im Hause Springer im Dezember 2020, auf der Tesla-Chef Elon Musk mit dem Axel Springer Award geehrt wurde und Gesundheitsminister Spahn die Preisrede hielt (Rügemer 2020).

Bei dem noch laufenden Experiment hat der Diskurs der Macht seine Wirkungsmacht in beeindruckender Weise bewiesen: Buchstäblich von einem Tag auf den anderen war die bisher noch funktionierende – gewiss von Kritikern bereits als Fassade analysierte – Demokratie vor unseren Augen beiseitegeschoben worden, und unverhüllt war ein Notstandsregime in Aktion erschienen: Ein Ausnahmezustand nahezu ohne Widerstand und Protest, den man noch nicht einmal bei seinem Namen nennen darf. Das charakterisiert ihn ebenso wie die überraschende Tatsache, dass er stillschweigend, ohne Widerstand, hingenommen wurde. Unvorbereitet auf das, was kommen sollte, war die Bevölkerung wie durch einen Schock gelähmt.

Zu verdanken haben wir dieses Besondere dem Diskurs der Macht, seinem Orwellschen Umgang mit den Begriffen: der Verkehrung der Bedeutung ins Gegenteil, seiner Verbindung der beiden Ebenen des Sprechens und des Tuns, in der die Behauptung – der Gefährlichkeit des Virus – durch die Schwere des Eingriffs in den Alltag vermittels der Maßnahmen bewiesen wird, schließlich durch den langen Zeitraum der Einübung in die Semantik des Diskurses, beispielhaft mit den Begriffen »Antisemitismus«, »Verschwörungstheorie« und in gewissem Maße noch »Querfront« (s. Bruder 2018).

Diese ursprünglich gesellschaftskritisch verwendeten Begriffe waren mit den Jahren nach 1989 zunehmend in staatstragende Hände gewandert, die sie zur Entsolidarisierung und Demoralisierung der politischen Opposition benutzen. Dabei wird ein doppeltes Spiel getrieben: Die Begriffe werden einerseits mit ihrem ursprünglichen Bedeutungshof in die Diskussion geworfen, zugleich gegen politisch linke Positionen gerichtet.

So wird der Begriff »Antisemitismus« zur Diffamierung der Kritik an der völkerrechtswidrigen Politik Israels gegenüber der palästinensischen Bevölkerung missbraucht, zur Diffamierung der Kritik an der Zerstörung demokratischer Strukturen durch die politisch immer weniger kontrollierte Durchdringung aller gesellschaftlichen Verhältnisse durch kapitalistische Strukturen, allem voran des Finanzkapitals, das als »jüdisches« konnotiert wird, der Kritik entzogen werden soll, durch Diffamierung jedes kritischen Hinterfragens der medial dargebotenen Oberfläche der politischen Inszenierungen.

Eine ähnliche Rolle spielt dabei auch der Begriff »Verschwörungstheorie«. Seine Verwendung zieht das Register des selbsternannten Kampfes gegen den Antisemitismus, welcher die Analyse kapitalistischer Zusammenhänge sogleich mit der antisemitischen »Theorie« der »jüdischen Weltverschwörung« gleichsetzt. Zugleich wird mit diesem Etikett versucht, die Analyse der kapitalistischen Verhältnisse als Angst vor »dunklen Mächten aus dem Jenseits« lächerlich zu machen. Mit dem Begriff »Querfront«, der für die Versuche der Kommunisten in der Weimarer Republik steht, im Bündnis mit rechten Parteien und Gruppierungen den erstarkenden Faschismus aufzuhalten, schließlich sollen vor allem jene politischen Artikulationen, die sich außerhalb der etablierten Parteien oder Gewerkschaften organisieren, gegenwärtig vor allem die »Querdenker«, mit dem Stigma des »Rechten« des Rechts auf politische Artikulation beraubt werden.

Diese Begriffe spielen heute die entscheidende Rolle bei der »Immunisierung« der Öffentlichkeit gegen das »Virus« der Proteste gegen die »Pandemie-Inszenierung«. Der politische Diskurs ist inzwischen so weit verkommen, dass es genügt, diese ohne jede Begründung dem politischen Gegner als Kainsmale aufzukleben, um ihn als ernst zu nehmende Opposition gegen die Politik der Regierung auszuschalten. Sie dienen der Einübung der Bevölkerung in die »Abwehr« von Aufklärung und Widerstand, die, sobald sie auftauchen, sofort im Keim erstickt werden sollen.

Während also die Regisseure der Pandemie-Inszenierung sich – seit den Neunzigerjahren – vorbereitet hatten in den sogenannten »Rollenspielen«, in denen sie die Handlungsanweisungen der geplanten Inszenierung entwickelten und sich selbst dabei in ihrer Rolle als deren Regisseure einübten, wie in dem aufsehenerregenden Buch von Paul Schreyer Chronik einer angekündigten Krise (2020) nachgezeichnet wird, fand parallel dazu die Vorbereitung der Bevölkerung durch ihre Einübung in das orwellsche »Neusprech« des Diskurses statt, mit dessen Parolen sie Protest und Aufklärung als »antidemokratisch« abzuwehren gelernt hatten.

Diese Abwehrfront, die sofort stand, hält bis heute – gegen jeden – auch den honorigsten – wissenschaftlichen Widerspruch; einzig die Aggressivität, mit der sie durch die mobilisierten Bürger verteidigt wird, bis hin zum Blockwartverhalten und angefeuert durch die Aufforderung zur Denunziation12 durch die »Maschinengewehre hinter der Front« (Freud 1920)13, zeugt von der Anstrengung der Verleugnung, die diese aufwenden müssen, um sich vor der Erkenntnis zu schützen, dass sie »Opfer fremder Machtgelüste« geworden waren (Adler 1919, S. 129).

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