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Empirische Massenkommunikationsforschung:
Paul Lazarsfeld, Carl Hovland

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Mit der Großen Depression von 1929 kam es auch in den USA zu großer Verarmung, Arbeitslosigkeit, die Streiks und Unruhen auslösten. Dies wurde dann Anfang der Dreißigerjahre mit den Reformkonzepten des New Deal ab 1933 beantwortet. Dieser unter Präsident Franklin D. Roosevelt in Kraft getretene Plan bedeutete in verschiedenen Etappen Aufbruch, Erneuerung auf allen Ebenen, auch Förderung der Psychologie und Sozialwissenschaften, Entwicklung positivistisch begründeter Sozialtechniken. Man hatte verstanden, dass statt Repression von Unruhen, Befriedung der Bevölkerung nötig und langfristiger wirksam ist für die Sta­bilisierung der kapitalistischen Gesellschaft. Impfen statt operieren. So entstanden in allen Bereichen, Pädagogik, Bildung, Arbeitsorganisation, Zusammenleben, Kultur, neue Konzepte. Massenkommunikation, Medienforschung, Erforschung der Meinungen waren dafür notwendige Instrumente, man hat sich verabschiedet von der abschätzigen, wertenden Massenpsychologie im bisherigen Sinn à la Le Bon, damit auch von dem entsprechenden Propaganda- und Manipulationsbegriff, und verstand »Masse« als disperses, inhomogenes, keine Gemeinschaft bildendes Publikum, das erforscht und pazifiziert werden musste. Diese Wende geschah trotz oder weil man die Zuspitzung und Totalisierung der Massenpsychologie in der Propaganda der Nazis gerade erlebte.

Mit dieser neuen Auffassung und Aufgabe der Massenkommunikation ist der Name Paul Lazarsfeld, geboren 1901 in Wien, aufs Engste verbunden. Mit Lazarsfeld beginnt in den Vierzigerjahren ein neues Kapitel der Massenkommunikationsforschung, »die empirische Wende: Propaganda als Sozialtechnik« (Bussemer 2005, S. 249). Er wurde der führende Kopf der neuen Massenkommunikationsforschung, der Wahlanalysen und Wahlforschung. Ich halte mich hier im Wesentlichen an die Darstellung von Bussemer (2005).

Lazarsfeld hat in den Vierzigerjahren eine Reihe interessanter Thesen zur Medienwirkung aufgestellt und erforscht, unter anderem:

1.Zweistufenhypothese (Two-step flow of communication): Meinungen von Medien fließen zunächst zu Meinungsführern, dann erst zur breiten Masse (Bussemer 2005, S. 260).4

2.Theorie der selective exposure des Publikums zu Medienangeboten, das heißt, es findet eine selbstbestimmte Auswahl der quasi persönlichen Medien, Zeitung, des Kanals et cetera statt.

3.Bedeutung der Gruppe bei Medienrezeption.

Lazarsfeld betont mit diesen Thesen eine Verankerung der individuellen Meinung in den sozialen Beziehungen, über den lokalen Meinungsführer (opinion leader) (These 1) oder der Gruppe, der man zugehört, dem engeren sozialen Netzwerk von Familie, Freunden, Kollegen (These 3). Diese engeren, lokalen sozialen Bezüge seien »Bollwerke gegen mediale Persuasion« (ebd., S. 261). »Opinion leader« können aber auch selbst gewählt sein durch die Selektion meines Mediums (These 2). In diese Selektion gehen ebenfalls Meinungsführer, auch Vorerfahrungen, Haltungen aus anderen Quellen ein.

Wir müssen wohl von einer Stufenfolge von Meinungsführern ausgehen, sodass dem Meinungsführer meiner Gruppe wiederum andere vorausgehen. So können Meinungsführer auch Autoritätspersonen sein, wie Politiker, Nachrichtensprecher, Lehrer Ärzte, Pfarrer und so weiter, je nach Fragestellung, Personen des öffentlichen Lebens.

Mit seinen Thesen begründet Lazarsfeld seine Auffassung, dass die Medien selbst direkt nur begrenzte Effekte haben, sie müssen erst verschiedene Filter durchlaufen (vgl. Lazarsfeld 1968/1975, S. 260 f.).

Doch räumt er die Möglichkeit einer besonderen Wirkungsmacht von manipulativer Propaganda unter besonderen Bedingungen ein. Entscheidend sei dafür die »Monopolisierung«, das heißt Gleichschaltung der Medien, ohne alternative Informationsquellen. Monopolisierung könne aber auch durch hochangesehene Personen oder Institutionen ausgestrahlt werden, denen als ausschließliche Quelle vertraut werde. Lazarsfeld verweist bei »Monopolisierung« auf Nazideutschland und die sozialistischen Länder. Aber uns ist dies auch heute keineswegs fremd, erleben wir doch erneut Höhepunkte der (erfolgreichen) Angleichung im Fernsehen und den Printmedien und die entsprechenden Haltungen und Zustimmungen zur Politik der »Coronakrise«. Allerdings wird dieser Einheitsdiskurs heute durch die Sozialen Netzwerke aufgebrochen – ein Grund, diese auch so heftig zu bekämpfen.

Im Weiteren schränkt Lazarsfeld aber wieder auch die Medienwirkung dahingehend ein, indem er sagt, Medien können Verhaltensnormen in andere Bahnen lenken oder geringfügig modifizieren (»Kanalisieren«), nicht aber die Grundhaltung (Bussemer 2005, S. 268 f.).

Zudem ging Lazarsfeld von der Wirkung der erlebten sozialen Realität aus, die nicht durch Propaganda überspielt werden könne. Botschaften, die im krassen Widerspruch zur eigenen Erfahrung stünden, würden als nicht relevant erachtet. Propaganda würde oft überschätzt, sie habe keinen Einfluss, wenn sie der sozialen Praxis widerspreche (ebd., S. 270).

Lazarsfeld bedeutet nicht nur ein neues Kapitel in der Medienforschung, er repräsentiert auch ein neues Menschenbild:

Zum einen: Mit der die Massen als irrational kennzeichnenden Massenpsychologie war Lazarsfelds Position nicht vereinbar.5

Zum anderen: Menschen sind für Lazarsfeld nicht reine Spielbälle der Medien, nicht wirklich beliebig manipulierbar (ebd., S. 263). Sie sind stattdessen fähig zur Selektion, zur aktiven Interpretation und zur Verarbeitung ihrer eigenen Erfahrungen.6 Lazarsfeld spricht daher eher von Einfluss als von Manipulation (ebd., S. 261). So geht Lazarsfeld doch recht weit – vielleicht sogar verleugnend –, wenn er meint: Nicht Medien machen die Meinung, sondern die Menschen selber, wozu sie die Information benutzen.

In seiner ganzen Haltung spielt Lazarsfelds Herkunft aus Wien eine Rolle. In Wien über dreißig Jahre aufgewachsen, kam er 1933 durch ein Rockefeller-Stipendium als bereits wissenschaftlich ausgewiesener und politisch geprägter Sozialwissenschaftler aus der sozialistischen Reformmetropole »Rotes Wien« in die USA. Er war in Wien Assistent bei den Psychologen Karl und Charlotte Bühler und war Mitarbeiter der bahnbrechenden empirischen Studie über die »Arbeitslosen in Marienthal« (1932). Er war, wie er in einem autobiografischen Beitrag schreibt, »aktives Mitglied der Sozialistischen Studentenbewegung« und aktiv in der sozialistischen Erziehungsbewegung als »Amateur-Erzieher«, »Betreuer in sozialistischen Jugendlagern«.7 Hier wurde ein freundlicheres, selbstbewussteres Menschenbild gepflegt. Zudem fand sich seine Bezugsgruppe im Zirkel um Alfred Adler (vgl. Lazarsfeld, 1968/1975, S. 149) – seine Familie, besonders seine Mutter Sophie, waren wichtige, aktive Anhänger Adlers. Adler, ehemaliger Anhänger Freuds, spielte eine herausragende Rolle in der austromarxistischen Pädagogik und hatte besonders das aktive, gestaltende, ja »schöpferische« Moment in der Bewusstseins- und Persönlichkeitsbildung hervorgehoben.

Als Amerika nun in den Zweiten Weltkrieg eingetreten war, begann in breitem Maß Propagandaforschung für die psychologische Kriegsführung. Aus diesen Forschungen ging in großem Maßstab die »Medienwirkungsforschung« von Carl Hovland (geboren 1912 in Chicago) hervor, der selbst auch am Pentagon über die Kampfmoral amerikanischer Soldaten geforscht hatte. In den Fünfzigerjahren hat Hovland im großen Stil an der Universität von Yale über die Änderungen der Einstellungen durch »persuasive Kommunikation« Forschungen betrieben (die sog. Yale Studies). Dafür hat er eine ganze Fülle von Experimenten durchgeführt, deren Fragestellungen und Ergebnisse zeigen, wie speziell und differenziert, man kann auch sagen, gemein raffiniert, diese Thematik angegangen wird. Erforscht wurde in fünfzig Experimenten unter anderem: Wie viel Glaubwürdigkeit des Kommunikators (Experten) ist für die Meinungsformung nötig? Ist eine einseitige Argumentation oder eine Pro-und-contra-Argumentation günstiger? (Das sei abhängig vom Bildungsstand des Rezipienten.) An welcher Stelle, am Anfang oder am Ende, muss eine Botschaft stehen? Sind implizite oder explizite Schlussfolgerungen günstiger? Sind rationale oder emotionale Argumentationen erfolgreicher? Welches Ausmaß an Angst und Furchterregung beeinflusst mehr? (vgl. Bussemer S. 301).

Die Antworten auf diese Fragestellungen sind differenziert, sie hängen von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem davon, um welche Nachricht und um welchen Sprecher es sich handelt, um welche Interessen und welchen Bildungsstand des Empfängers. Besonders bekannt ist der »sleeper effect« als »forgetting effect«: die Assoziation zwischen Kommunikator und Nachricht wird bald vergessen, d. h. auch wenn der Kommunikator (Sender) unglaubwürdig war, bleibt die Botschaft erhalten – das muss nicht immer stimmen, stimmt aber erschreckend genug oft.

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