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3 RE–PLAY OHNE BLITZ

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Frankfurt, Montag, 19. Juli 2010, 10:29 Uhr, RTO–Bank Tower

Herr Pechthold nahm den Füller in die Hand. Sinrot lächelte mitleidig.

„Haben Sie sonst noch eine Frage, Herr Pechthold?“

„Im Augenblick nicht, Herr Sinrot.“

„Nun, melden Sie sich einfach, wenn etwas ist.“

„Das werde ich. Und vielen Dank, Herr Sinrot.“

„Aber das mache ich doch gerne“, entgegnete Sinrot kühl, und sein Gesicht verlor jeden Ausdruck.

Würdig wie der Prophet, der seine Botschaft nun verkündet hatte, wandte sich Sinrot ab und schritt gemessen zur Tür. Seine Hand griff die Klinke und drückte sie bedachtsam herunter. Er zögerte, zweifelte, überlegte:

Aber Nusskopf hatte recht. Und Emma? Sollte er dabei bleiben? Ach, Stefan und Elisabeth werden’s überleben. (Stefan und Elisabeth Schmauch waren ein mit Sinrot und seiner Frau Emma befreundetes Geschwisterpaar, das besagten Kredit benötigt hätte, um in Porto Cristo auf Mallorca eine Filiale ihres Fahrradverleihs zu eröffnen, ein Plan, der in dieser Realität gleich ins Wasser fallen würde.)

Sinrots Zweifeln hatte sich erledigt. Er hatte sich entschieden. In diesem Augenblick. In dieser Alternative der Realität. In dieser Alternative allerdings gegen den Kredit. Anders also, als es in der anderen, der zuerst dargestellten Realität geschah. Anders also, als es in jener Realität geschah, die sich in genau dem Moment der Entscheidung abspaltete von dieser jetzt dargestellten Realität. Was Sinrot derweil im Moment nach der Entscheidung in „seiner“ Realität nicht bemerkte, da er den Blick von der Tür abwandte und auf Herrn Pechthold richtete, war, wie seine Hand grell leuchtete und in eine beginnende Explosion moskitogroßer schwarzer Splitter desintegrierte, doch sogleich re–integrierte in genau die Hand, welche die Klinke zuvor gehalten hatte und nun noch immer hielt. Auch hatte Herr Pechthold nichts bemerkt, da er – über sein Pult gekrümmt – den Füller fixiert hatte, der just hinabgesunken war, um fügsam über den Kreditvertrag zu kratzen. Sinrot ließ also die Türklinke nichtsahnend los, ging einen Schritt auf Herrn Pechthold zu, hob sein Kinn und seine rechte Braue, und sagte:

„Ach, Pechthold!“ Der Füller rammte in den Kreditvertrag und Herr Pechthold fuhr in seinem Sessel hoch. „Sie haben recht“, offenbarte Sinrot; er lächelte mild und erläuterte: „Da ist wirklich zu wenig Substanz. Schließen Sie diese Schmauch–Sache besser ab.“

„Bitte?“, entfuhr es Herrn Pechthold, und er starrte Sinrot durch seine wie blinde Spiegel blitzenden Brillengläser an.

„Ist gecancelt, der Kredit“, bestätigte Sinrot mit „blitzenden“ Pupillen. Herrn Pechtholds Rechte klammerte den Füller, der linke Handballen presste sich auf den Tintenfleck. Er schien verwirrt, als könnte er nicht glauben, was er da von Sinrot gehört hatte. Dieser half ihm mit gütiger Stimme: „Die Sache lohnt noch nicht mal weitere Recherchen.“

„Wie Sie wünschen, Herr Sinrot“, senkte Herr Pechthold seinen Nacken.

Sinrot warf seinem Mitarbeiter ein aufmunterndes Lächeln zu, wandte sich zur Tür, und verließ den Raum. Auf dem Flur bog er ab nach rechts in Richtung der Aufzüge, um sich wieder in sein Büro zu begeben, doch blieb er nach zwei Schritten stehen und stutzte:

Da rauschte etwas! Sinrot sah irritiert nach unten, lauschte, betrachtete die hellgraue Fußleiste, den dunkelgrauen Teppichboden, seine eleganten schwarzen Schuhe. Er fokussierte das Rauschen. Was rauschte da? Ach!, realisierte er, Jemand hatte vergessen, den Wasserhahn in den Toiletten zuzudrehen! Er wandte sich nach links dorthin, blieb aber erneut stehen. Das Rauschen hatte aufgehört! Der jemand war noch da! Beruhigt drehte sich Sinrot um und ging weiter in Richtung der Aufzüge.

Zur gleichen Zeit in eben diesem Toilettenraum

Sinrot betrachtete sich konzentriert im Spiegel. Er dachte:

Täuschte ihn dieses ekelhafte Braun des Spiegels wieder, oder war tatsächlich Farbe in sein Gesicht zurückgekehrt? Er näherte sich seiner Reflexion an. Gut, er sah nochmals akzeptabel aus.

Konzentriert rückte Sinrot seine Krawatte zurecht und zog den Kragen seines Sakkos symmetrisch. Ein Durchatmen und er machte sich auf zu seinem Büro. Es lag im siebzehnten Stock.

Sinrot hatte den Aufzug verlassen. Wieder festen Schrittes, steuerte er seine Büroräume an. Sie befanden sich in der Chefetage, ein Palast aus Glas und Stahl und Sichtbeton. Und da lag es nun, das Foyer du Palais, wie eine lichte Ebene zu seinem Olymp, dem Olymp der Zahlen und Bilanzen. Sinrot lächelte. Unmerklich neigte sich sein Kopf nach hinten und seine Nasenflügel flachten sich ab, als nähme er eine Witterung auf.

Frisch aufgebrühter Kaffee!, dachte er, und schloss: Die Messerschmidt! Die alte Vogelscheuche musste just das Büro verlassen oder betreten haben.

Frau Messerschmidt war Sinrots Sekretärin. Mit seiner Vermutung hatte Sinrot im Übrigen nicht richtiggelegen. Nicht Frau Messerschmidt war es gewesen, die die Tür geöffnet hatte und so den Kaffeeduft aus ihrem Raum in das Foyer hatte entweichen lassen. Doch hierzu später. Gerhard Sinrot hatte den Bürokomplex erreicht.

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