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Kapitel 3

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Der Schlüssel knirschte im Schloss, die Tür öffnete sich, und Heiko trat ein, hängte seine Jacke an den Garderobenhaken und betrat, mit zwei Einkaufstüten beladen, das Wohnzimmer. Noch hatte er Carmen nicht wahrgenommen, war nur damit beschäftigt, seine Einkaufstüten sicher auf der Arbeitsplatte abzulegen, da sah er sie.

Was er sah, übertraf alle seine Erwartungen.

Er hatte ein hübsches Mädchen erwartet, nachdem sie von all dem Schmutz befreit war.

Was er sah, war eine Schönheit.

Wie gebannt starrte er auf ihre Beine, die der Pullover nicht bedecken konnte, so sehr Carmen an ihm auch ziehen mochte.

Er sah das sanfte Gekräusel ihrer Schamhaare, ahnte ihre jungen straffen Brüste unter dem voluminösen Pullover.

Er sah ihren schlanken Hals, der sich aus dem Ausschnitt reckte, den etwas zur Seite geneigten Kopf, der auf ihren Knien ruhte, und die langen schwarzen Haare, die wie ein leichter Vorhang ihren Kopf umschmiegten.

„Ich habe uns etwas zu essen besorgt“, riss er sich von dem Anblick los.

Leicht wie eine Feder stand sie auf, zog den Pullover etwas in die Länge und kam auf ihn zu, reckte sich ein klein wenig, bis sie sein Gesicht erreichte, und hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

Das geschah so selbstverständlich, so unvorbereitet, dass beide einen Augenblick innehielten.

Müller bückte sich und holte aus der untersten Schublade eines Schrankens zwei Holzbretter hervor, entnahm einer anderen Schublade, direkt neben dem Herd, vier Messer, zwei Küchen- und zwei Kochmesser und verteilte sie auf die beiden Bretter.

Er stülpte die Einkaufsbeutel um und ließ ihren Inhalt auf die Arbeitsplatte fallen, Tomaten, Paprika, Zucchini, eine Aubergine.

Als Carmen ihn fragend ansah, nickte er nur.

„Ich weiß ja nicht, wie groß dein Hunger ist.“

Dem Kühlschrank entnahm er ein noch verpacktes Kaninchen, tranchierte es mit geschickten Griffen und zog den Fleischstücken die Häute ab.

Er schien genug geredet zu haben. Was es jetzt zu tun gab, brauchte nicht erklärt zu werden.

„Ist es so richtig?“

Sie hielt ein Stück Paprika hoch.

Er war einverstanden, arbeitete wortlos weiter, sah nur von Zeit zu Zeit zu Carmen hinüber.

„Heißt du nun Heiko oder Jose?“, fragte sie, als sie das Gemüse putzte, das Heiko eingekauft hatte.

Er lachte.

Natürlich hieß er Heiko.

Offensichtlich kannte sie nicht die Figur, nach der sie benannt worden war, wusste nicht, was ihre Namenspatronin mit Jose gemacht hatte. Vielleicht war das auch gut so. Sie konnte schon jetzt einem Mann verdammt gefährlich werden. Noch, so hatte er den Eindruck, geschah alles unbeabsichtigt, einfach so, fast unschuldig. Und sie schlug ihn und ganz sicher jeden anderen Mann in ihren Bann. Wie würde das erst sein, wenn Absicht dahinter stünde!

Er warf ihr einen heimlichen Blick zu, während er das Fleisch in mundgerechte Stücke schnitt.

Wie sie sich bewegte, wie sie das Messer hielt und das Gemüse putzte und schnitt, das alles ließ darauf schließen, dass sie in geordneten Verhältnissen aufgewachsen war, dass sie ihrer Mutter in der Küche hatte helfen müssen.

„Sag mal?“, begann Heiko beiläufig, „wie war das bei euch, nachdem dein Vater zu trinken angefangen hatte? Was hat denn deine Mutter dazu gesagt?“

„Ach, das kam ja nicht von einem Tag zum anderen. Das hat langsam begonnen. Erst hat mein Vater nur zu Hause gesessen und vor sich hin gebrütet. Dann hat er schon nach dem Frühstück sein erstes Bier getrunken. Meine Mutter fand das nicht gut, aber sie hat das geduldet. ‚Wenigstens diese kleine Freude soll er haben’, hat sie gesagt.

Als sie dann die Putzstelle im Supermarkt bekam, musste sie morgens um fünf aus dem Haus, und sie hat meinen Vater schlafen lassen. ‚Was soll er so früh schon aufstehen? Er hat doch nichts zu tun’, hat sie gesagt.

Und er tat auch nichts. Wenn meine Mutter um elf nach Hause kam, war er gerade mal aufgestanden und hatte gefrühstückt. Und die ersten zwei Bier getrunken.

Glaub nicht, dass er sein Geschirr weggeräumt hätte. Das stand alles noch auf dem Küchentisch. Und die Marmelade und Margarine. Und natürlich die Bierflaschen.

‚Wenigstens das hättest du wegräumen können!’, schimpfte meine Mutter. Da hat er sie einfach stehen lassen, hat sich eine neue Flasche Bier geschnappt und ist ins Wohnzimmer gegangen.

Irgendwann hat meine Mutter gemerkt, dass er heimlich Schnaps trank. Immer Wodka, den riecht man nämlich nicht. Erst nur ein kleines Glas, dann reichte das nicht mehr, und er nahm ein größeres Glas.

Als meine Mutter eine zweite Putzstelle angenommen hatte und erst nachmittags nach Hause kam, da ging es mit ihm ganz bergab.

Er stand erst mittags auf, trank keinen Kaffee mehr, sondern gleich Bier und spülte das Frühstück mit Wodka runter. Ein Glas brauchte er schon nicht mehr. Er trank gleich aus der Flasche. Aus dem Haus ging er nur noch, um neuen Wodka zu kaufen.

Wenn ich aus der Schule kam, konnte er sich kaum noch auf den Beinen halten, so voll war er.

Aber rumbrüllen konnte er immer noch.

An allem hatte er rumzumeckern.

‚Kannst du nicht Ordnung halten? Was ist das hier für ein Saustall?’

Wenn er so richtig in Fahrt war, riss er die Bücher aus dem Schrank und schmiss das Geschirr auf den Boden.

‚Räum das gefälligst weg!’, brüllte er, ‚wozu bist du eigentlich nutze?’

Da bin ich erst später aus der Schule zurückgekommen, habe meine Hausaufgaben bei Freundinnen gemacht.

Wenn ich nach Hause kam, war meine Mutter schon da. Er hat immer noch getobt, aber es ging schon über in ein Lallen. Dann haben wir ihn gemeinsam ins Bett gebracht und hatten unsere Ruhe.

Vor ein paar Wochen ist er total ausgerastet. Wir wollten ihn wieder ins Bett bringen, da hat er mich geschlagen, so stark, dass ich drei Tage mit einer Gehirnerschütterung im Bett gelegen habe.

Meine Mutter konnte ihn ja nicht alleine ins Bett bringen, da hat sie ihn einfach im Wohnzimmer liegen gelassen. Seitdem schläft er immer dort.

Wenn meine Mutter nach Hause kommt, geht sie gar nicht ins Wohnzimmer. Sie macht das Essen und stellt seinen Teil beiseite. Wenn er es nimmt, ist es okay, wenn nicht, ist es auch gut.

Am Abend gehe ich manchmal zu ihr ins Schlafzimmer, und wir unterhalten uns oder sehen gemeinsam fern. Oder ich bleibe die Nacht bei einer Freundin.“

„Jetzt hast du aber lange nicht mehr bei einer Freundin geschlafen.“

Carmen sah ihn erstaunt an, und eine leichte Röte flog über ihr Gesicht.

„Ach so“, flüsterte sie und sah an sich herunter, an dem geräumigen Pullover mit den viel zu langen Ärmeln, und an ihren nackten Beinen.

„Was machen meine Klamotten?“

„Die brauchen noch, und dann müssen sie noch trocknen.“

Carmen hatte aufgehört, das Gemüse zu putzen.

Müller sah ihr an, sie hatte noch etwas, das auf ihr lastete, das sie gerne loswerden würde, das auszusprechen aber ungeheure Überwindung kosten würde.

Er hätte ihr helfen können, aber er hatte sich entschieden, es nicht zu tun, jedenfalls noch nicht jetzt.

Sie war noch nicht so weit.

Aus dem Badezimmer drang das Schleudergeräusch der Waschmaschine.

„Hilfst du mir beim Aufhängen?“, fragte Heiko.

Carmen legte das Messer aus der Hand und wusch sich die Hände.

„Gibt es einen Trockenraum, oder hast du einen Wäscheständer?“

Er ging ins Badezimmer und klappte einen Wäschetrockner auf, der an der Wand über der Badewanne befestigt war.

„Soll ich?“, fragte sie und beugte sich vor, um die Klappe der Waschmaschine zu öffnen.

Wie von selbst rutschte der viel zu weite Pullover hoch, schob sich über ihren wundervoll geformten Po, weiter über die herrliche Taille, wurde erst von dem kleinen Busen gestoppt.

Sie drehte sich um, das Wäschestück in der Hand, reckte sich, um es aufzuhängen, und der Pullover fiel wieder hinunter, bedeckte züchtig die Blöße. Immer wieder.

Und das alles geschah ohne Zweck, schien unbewusst, mit einer unvorstellbaren Anmut.

Falls sie Heikos heimliche Blicke bemerkt hatte, ließ sie sich nichts anmerken.

Carmen hatte das letzte Wäschestück aufgehängt und sah abwartend an ihm vorbei.

Was würde jetzt kommen? Würde sie jetzt bezahlen müssen?

Heiko drehte ihren Kopf, so dass sie ihn ansehen musste.

„Was dachtest du?“, fragte er.

„Dass ich jetzt mit dir schlafen muss!“, flüsterte sie.

Ganz behutsam fasste er sie beim Oberarm, wie er es schon so oft an diesem Tage gemacht hatte, und führte sie ins Wohnzimmer, vorbei an der Sitzecke, direkt zu der breiten Fensterfront. Er öffnete die Balkontür und schob Carmen vor sich auf den Balkon. Ein leichter Südwind verfing sich in ihrem Haar und ließ es um ihr Gesicht spielen.

Er zeigte mit der Hand nach unten, auf den Fluss und auf das andere Ufer, auf die Dächer von Hannover, den Turm der Markkirche, das Neue Rathaus, auf das Anzeiger Hochhaus.

„Genieße den Augenblick, solange du kannst“, sagte er und umfasste sie ganz sanft.

„Du wirst bald gehen. Morgen oder übermorgen, ich weiß es nicht. Aber es wird dein eigener Entschluss sein. Ich werfe dich nicht raus, und ich halte dich nicht fest.“

„Bei Licht muss die Stadt wunderbar aussehen“, sagte sie und sah lange auf die Georgstraße hinunter, die tief unten als schnurgerades Band sich vom Anzeiger Hochhaus bis zum Aegi zog und sich weit hinten als Hildesheimer Straße verlor.

„Du wirst sie sehen. Heute bleibst du ja hier.“

Als er ein unruhiges Flackern in Carmens Augen sah, fügte er rasch hinzu: „Keine Angst! Du schläfst auf dem Sofa.“

Wolfskinder

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