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Kapitel 5

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Buchholz hatte sich noch einen Tee gemacht.

Diese Akte war wirklich nicht dazu angetan, ihm die Laune zu verbessern.

Manchmal hasste er seine Arbeit: Schule besuchen, mit den Lehrern sprechen, die nichts wussten, Mitschüler befragen, die nichts preisgaben, auch wenn sie viel wussten, die Eltern aufsuchen, die nur sehr selten zur Kooperation bereit waren. Und dann die Gespräche mit den Streetworkern, die er im Tiefsten seines Herzens verachtete.

Trieben sich den ganzen Tag auf der Straße rum auf der Suche nach Problemkindern, die sie angeblich wieder auf den rechten Weg bringen wollten. Kuschelpädagogen! Und was brachte dieser Kuschelkurs? Vielleicht gingen die Kinder für ein paar Tage wieder in die Schule und kehrten zu ihren Eltern zurück. Aber nach ganz kurzer Zeit waren sie wieder auf der Straße. Bei aller positiven Prognose des Streetworkers.

Er war ganz sicher kein Nazi, das konnte niemand von ihm behaupten. Aber wenn er diese Typen sah, die sich nur durch ihr Alter von den Kindern unterschieden, dann packte ihn der Zorn.

Die Kinder sollten in die Gesellschaft zurückgeführt werden, und die Gesellschaft war hart, da mussten die Maßnahmen auch hart sein! Wenn man sie gefunden hatte, Polizei rufen, sie auf die Wache mitnehmen, im Streifenwagen nach Hause bringen, das volle Programm! Die würden nie wieder abhauen!

Früher, ja früher, da hätte man dieses ganze nutzlose Theater nicht gemacht. Nein, er wollte die alten Zeiten wirklich nicht wieder haben, aber musste man deshalb alles über Bord werfen, was damals gut war? Sport zum Beispiel, fünfmal um den Platz laufen, oder Arbeit, am besten in einem Erziehungslager, da verging den Gören die Lust am Ausreißen.

Aber das sollte man heute mal sagen!

Sofort hätte man alle Kollegen gegen sich, auch wenn die meisten seine Meinung teilten. Und wenn das gar an die Presse durchsickerte, dann konnte man froh sein, wenn man seinen Posten behielt.

Einmal hatte er seine Meinung klar und deutlich geäußert. Und hatte einen Rüffel bekommen, der sich gewaschen hatte.

Sonst war nichts passiert im Umgang mit diesen Jugendlichen, alles war geblieben wie zuvor. Nur, dass sich die Bezeichnung Wolfskinder eingebürgert hatte nach dem Interview.

Buchholz erinnerte sich an den Fall eines Jungen, war auch ausgerissen, sechs Wochen hatte er in der Schule gefehlt, dann hatten sie, er und ein junger Kollege, der ganz seiner Meinung war, ihn aufgespürt und gefangen. Sie hatten ihn nicht gleich zurückgebracht, sondern erst einmal in eine Schrebergartenlaube gesperrt. Sie hatten ihm Fußfesseln angelegt.

Um Nahrung zu bekommen, musste er arbeiten, Feuerholz spalten. Zwei Tage hatte er sich geweigert. Dann war sein Hunger so groß, dass er alles getan hätte für ein bisschen Essen.

Das hatten sie zwei Wochen durchgezogen. Dann war er geläutert. Handzahm war er geworden, hatte gelobt, wieder zur Schule zu gehen und nach Hause zurückzukehren.

Er selbst hatte ihn hingebracht.

Voller Stolz hatte er die Akte geschlossen.

Geht doch auch so!

Und beschwert hat er sich auch nicht. Hatte viel zu viel Angst.

Angst, ja die fehlte heute den Kindern und Jugendlichen. Früher wusste man, hatte man etwas gemacht, was nicht in Ordnung war, dann folgte die Strafe. Heute? Da konnten die tun, was sie wollten, immer gab es jemanden, der es verstand.

Wenn er das schon hörte: verstand!

Buchholz blätterte weiter.

Wieder so einer, der von so einem Oberkuschler heimgeholt worden war. Natürlich war wieder die Umwelt Schuld! Mutter Schlampe, Vater Säufer! Wenn er das schon hörte!

Aber er hatte es immerhin geschafft, jedenfalls bis jetzt.

Und die hier, eine Julia, die auch.

Wenn er ganz ehrlich war, Erfolge hatte der Müller schon, aber er brauchte unendlich viel Zeit. Das würde er auf jeden Fall erwähnen, wenn er nach der Effizienz dieser Methode gefragt würde. Und er würde die Frage aufwerfen, ob es sich lohne, einen Mann, einen hoch qualifizierten noch dazu, an diese verkrachten Typen zu binden. Er würde sie nicht beantworten, aber er würde sie so stellen, dass die Presseleute sie selbst beantworten würden, wenn sie das Material bekamen.

Buchholz beschloss, den Ordner jetzt genau, Fall für Fall durchzuarbeiten. Er legte einen Stapel Zettel vor sich auf den Tisch, die er mit den Namen und Stichworten beschriftete: Wohnort, Schule, Alter, Geschlecht, Fehlzeit, durchgehend oder sporadisch? Wann und wo und von wem aufgegriffen? Wo war er/sie in der Zwischenzeit untergekommen? Wovon hatte er/sie in der Zwischenzeit gelebt?

War er/sie wieder rückfällig geworden?

Er schlug die nächste Akte auf, sah sich noch einmal das erste Foto an.

Er kannte das Gesicht. Ein aufsässiges Mädchen, wenn er sich richtig erinnerte. War von zu Hause weggelaufen, hatte die Schule geschwänzt. Er hatte sie aufgetrieben. Hauste mit ein paar verwahrlosten Typen in einer heruntergekommenen Laube am Kanal. Er hatte den Tipp von einem Junkie bekommen, hatte ihn ein paar Gramm Marihuana gekostet. Stand natürlich nichts davon in der Akte. Auch nicht, wie sie die Laube gesäubert hatten, er und die beiden Polizisten, die ihn begleiteten. Es reichte das Ergebnis.

Nur dass das Aas ihn gebissen hatte, das war nicht akzeptabel. Hat er auch nicht so einfach hingenommen. Hatte ausgeholt und ihr eine geklebt. Die Hand tat ihm richtig weh danach.

Sie hat nichts davon gesagt. War auch besser so. Schließlich wollte sie in kein Heim. Und er hat es in seinem Bericht auch nicht erwähnt. War für alle das Beste.

Es war nicht so, dass Buchholz sich Sorgen wegen damals machte, aber etwas mulmig war ihm doch.

Etwas ruppig war er schon mit dem kleinen Teufel umgegangen.

Und nun war sie schon wieder überfällig. Hatte also alles nichts genützt.

Und Müller war dran.

Buchholz wählte Müllers Handynummer.

Müller hatte sich erfolgreich geweigert, einen Festnetzanschluss zu bekommen. Er wäre so viel unterwegs, da wäre er auf das Handy angewiesen, und er wollte vermeiden, dass man über seine Telefonnummer seine Adresse herausbekäme.

Da war er ganz eigen.

Auch seine Kollegen kannten sie nicht. Wenn er sich mal mit einem Kollegen traf, dann geschah das in einem kleinen Bistro, oder er suchte das Amt auf.

Jetzt also versuchte Buchholz, ihn über das Handy zu erreichen. Vergeblich. Es meldete sich nur seine Mailbox und forderte ihn auf, eine kurze Nachricht zu hinterlassen, er würde zurückrufen, sobald es ihm möglich wäre.

Wolfskinder

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