Читать книгу Vor dem Mast – ein Nautiker erzählt vom Beginn seiner Seefahrt 1951-56 - Klaus Perschke - Страница 10
Endlich an Bord des ersten Schiffes
ОглавлениеAm 18. Juni 1951 hieß es wieder Abschied nehmen von zuhause, dieses Mal in Richtung Hamburg-Finkenwerder. Es war für mich absolutes Neuland, für einen etwas verwöhnten Beamtensohn ein Sprung ins kalte Wasser. Schon allein die Fahrt vom Hamburger Hauptbahnhof mit der Straßenbahn bis zu den Landungsbrücken war ein halbes Abenteuer. Irgendwelche Penner oder Zuhälter wollten mir meinen Seesack abnehmen, den ich verteidigen musste, wollten mich mit hübschen Mädchen bekannt machen, mir den Weg zu den Landungsbrücken zeigen. Erst, als sie zu aufdringlich wurden, sprang ein Hamburger Hafenarbeiter dazwischen, ließ seine Muskeln spielen, jagte sie in die Flucht und brachte mich anschließend direkt zum Anleger der Hafenfähre, mit der ich nach Finkenwerder übersetzte. Vom Anleger in Finkenwerder fragte ich mich nach der August-Pahl-Werft durch, und als ich mich vor dem Tor ausgewiesen hatte, durfte ich an Bord der ACHILLES gehen, wo ich mich zum Ersten Steuermann durchfragte, der mich anschließend zum Kapitän brachte, welcher mir mein Seefahrtsbuch zwecks „Musterung“ am 19. Juni abnahm.
An- und Abmusterung auf MS ACHILLES
Der 1. Steuermann führte mich unter die Back, wo ein Matrose, ein Leichtmatrose und zwei Jungmänner ihre Kammern und Kojen hatten. Ich war der fünfte in der Deckscrew.
Die Besatzung bestand überwiegend aus Finkenwerder Jungens, Söhnen von Kümo- oder Fischkuttereignern, außer dem 2. Steuermann Georg Richters, der gebürtiger Stader war. Der Moses, Klaus Perschke war also ein Außenseiter. Die Umgangssprache war „Finkenwarder Platt“. Ich, der Seiteneinsteiger in die Seefahrt, sprach nur hochdeutsch. Also, da ich kein Einheimischer war, war ich „Ausländer“, stand auf der Stufe der hergelaufenen Flüchtlinge und Vertriebenen. Türken waren damals ja noch unbekannt in Deutschland.
„Na Moses, du hes jo noch nie to See foaahrt? Un platt snacks jo og nich, dat musst nu’ leehrn bi us. Sünst kumms nich torech mit us.“ Das war der Kommentar des Leichtmatrosen. Nachdem ich mich umgezogen hatte und im Arbetstüch an Deck kam und fragte, was ich denn machen solle, antwortete der Leichtmatrose: „Du künns ja mol den Kompassschlödl (Kompass-Schlüssel) holen!“ „Und wo bekomme ich den her?“ „Muss op de Warf in de Maschinhall goon!“ Also tigerte ich die Gangway runter und ging in die Werfthalle, wo ich mich bei einem Schlossermeister nach den „Kompassschlödl“ erkundigte. Der sah mich verdattert an, grinste über alle Backen und wies auf einen riesigen „Ruderquadranten“, der in der Schmiede lag. Ein Ruderquadrant ist ein Teil der manuellen Übersetzung vom Ruderrad im Ruderhaus über ein Schneckengestänge bis zur Ruderanlage, die im Ruderraum unter Deck des Achterschiffs eingebaut ist. Der Quadrant sitzt direkt auf der senkrecht stehenden Ruderachse. Das geschmiedete Teil wog zirka 600 kg. Ich guckte dumm aus der Wäsche und ärgerte mich über den Leichtmatrosen, der sich bei meiner Rückkehr an Bord halb totlachen wollte. Alle Finkenwerder Junges waren körperlich groß und kräftig, sehr muskulös, hatten alle jede Menge Muckies. Natürlich waren die Finkenwerder gut genährt durch die Jahre 1945 bis 1948 gekommen. Ich war ein unterernährter Hampelmann, der – wie schon vorher erwähnt - sein Vater Unser. durch die Backen blasen konnte. Auf jeden Fall, die Jungens waren mir alle an Kräften überlegen. Ich war ihnen körperlich absolut ausgeliefert. Das bekam ich dann auch in den nächsten Wochen öfters zu spüren.
Auf der Probefahrt auf der Elbe, auch Gästefahrt genannt, war der Laderaum im Zwischendeck zu einer riesigen Kantine umfunktioniert. Die „Werftgrandies“ hatten Tische und Bänke aufgestellt, auf den Tischen waren Endlospapiertischendecken ausgerollt, die Tische mit Tellern, Bier- und Schnapsgläsern eingedeckt, und von oben führte achtern durch die Lukenöffnung eine breite Holztreppe ins Zwischendeck, damit alle mitfahrenden Gäste des Kapitäns während der Fahrt rauf und runter steigen und unten ihre Essensportionen einnehmen konnten. Die Gäste, alles Freunde, Verwandte und Geschäftsfreunde, wurde mit Erbseneintopf und Würstchen abgefüttert, danach gab es Kaffee und Kuchen, später Bier und Köm. Wir, die Besatzung, mussten uns unsere Portion Erbsensuppe aus dem Zwischendeck abholen und durften nur vorn unter der Back in unserer Mannschaftsmesse essen.
Natürlich waren wir nie allein unter uns, ständig kamen neugierige Gäste nach vorn, um die Unterkünfte zu inspizieren und uns mit dummen Sprüchen vom Essen abzuhalten.
Während der Probefahrt auf der Elbe mussten sich der Matrose und ein Leichtmatrose am Ruder ablösen, der Elblotse brachte das Schiff bis zum Anleger „Stader Sand“, dort wurden die Gäste wieder an Land gesetzt, wo sie mit Bussen zurück nach Hamburg transportiert wurden. Nach dem Landgang der Probefahrtgäste wurden von einen Kompensierer des DHI auf der Elbe der Magnetsteuer- und Magnetpeilkompass reguliert, danach der alte Funkpeiler mit Kreuzrahmenantenne kompensiert, und dem Kapitän wurden die Ergebnisse als ermittelte Deviationstabellen ausgehändigt. Anschließend wurde das Schiff zurück zur Werft gebracht, wo die Werftgrandies die ausgeliehenen Tische, Stühle, Pött und Pann, sowie den ganzen Müll an Land brachten. Der restliche Schiffsproviant wurde vom Schiffshändler, einem Bruder von Fritz von Busch, geliefert und von unseren Leuten an Bord gebracht und verstaut. Das Schiff wurde seeklar gemacht, und abends am 19. Juni 1951 hieß es: „Klar vorn und achtern, alle Leinen los“, auslaufen in Richtung Antwerpen. Das Wetter im Juni war schön, der Moses wurde nicht seekrank bei seiner ersten Reise.
Die Pflicht des Moses an Bord ist am Anfang in erster Linie die Zubereitung von Mahlzeiten in der Kombüse. Das heißt alle anfallenden Arbeiten, vom Zubereiten des Frühstücks, über Essen kochen, abwaschen und Kombüse aufklaren waren sein, also mein Job. Ich hatte aber großes Glück, denn die ersten zwei Reisen fuhr ein Garantieingenieur des Hauptmaschinen-Herstellers Klöckner-Humboldt-Deutz zusammen mit seiner Frau bei uns an Bord mit. Und da der Moses aus Cuxhaven zu dusselig war und noch nie gekocht hatte, übernahm diese Dame freiwillig den Job der Köchin. Ich war nur fürs Kartoffelschälen, Auf- und Abbacken bzw. Abwaschen eingeteilt. Und die Frau konnte kochen! Sie war absolut die gute Fee an Bord. Auf jeden Fall gab es nichts Steckrübenartiges, das ich mein Leben lang hasste. Und die Frau weihte mich auch in die Kochkünste ein, die mir von Haus aus fremd waren. Wir hatten in der Kombüse einen Kohlenofen, auch „Bilegger“ genannt. Ich musste also morgens als Erster aufstehen, dann das abends bereits klein gehackte Feuerholz mit Papier in den Ofen legen und das Feuer anmachen. Die Kohlen oder Briketts waren im Ruderraum unter Deck im Heck untergebracht Und wenn die Frau des Ingenieurs in der Kombüse auftauchte, dann brannte das Feuer, und der Wasserkessel für das Kaffeewasser kochte bereits. Die Frau zeigte mir, wie man auf einem Tablett für den Kapitän und den Steuermann die Kaffeekanne, Kaffeetassen, den Brotkorb, Wurst, Käse, Marmelade, und Essbestecke arrangiert und dann um halb acht morgens damit auf die Brücke jongliert und dort alles am Fenster auf dem Klapptisch serviert. Die Kunst darin bestand, dass bei der Schaukelei nichts umkippte oder überschwappte. Wenn der Kapitän, auch noch zwei Spiegeleier haben wollte, dann musste ich sofort wieder abtauchen und die Spiegeleier in der Kombüse brutzeln, das konnte ich schon am zweiten Tag. Sobald die Brücke versorgt war, kamen die Jan Maaten dran. Denen musste ich den Kaffee nach vorn in die Mannschaftsmesse bringen, den Tisch aufdecken, Brotkorb, Butter, Marmelade, Geschirr und Essbestecke aufbacken und servieren. Wenn ich etwas vergessen hatte, bekam ich den obligatorischen „Arschtritt“ verpasst, auch wenn nur ein Aschenbecher fehlte. „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, das war auch schon immer der Leitspruch meines Vaters für seinen Kronsohn gewesen.
Nach dem Frühstück wurde der Reihe nach alles wieder abgebackt, zuerst oben auf der Brücke, dann vorn in der Mannschaftsmesse, anschließend in der Kombüse für alle Backschaft gemacht (abgewaschen). Das habe ich mir bis heute für immer verinnerlicht, denn auch zuhause bin ich der vollautomatische Backschafter meiner Frau.