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Seemännische Ausbildung – Theorie und Praxis

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Wie sah die so genannte „seemännische Ausbildung“ für die Decklaufbahn damals 1951 aus? Gab es überhaupt eine? Ich weiß es nicht, eigentlich hat mich keiner auf diesem Schiff ausgebildet. Ich bekam nur plattdeutsche Anweisungen, die ich stets wie ein Papagei hinterfragen musste. Also, wie sah es damit aus?

Nun, nach der Broschüre 50 Jahre im Dienst der Berufsbildung in der Seeschifffahrt herausgegeben von der Berufsbildungsstelle Schifffahrt e.V., Bremen, gab es 1938 bereits erste Versuche einer geregelten Berufsausbildung in der Seeschifffahrt.

Diese erstreckte sich auf eine seemännische „Vorausbildung“. Eine Seeberufsschule, einen Lehrvertrag und eine Matrosenprüfung. Leider blieben diese Anstrengungen unvollendet. Soweit die BBS-Darstellung. Die Verfasser dieser Broschüre kannten offenbar die Berufsausbildung in der Handelsschifffahrt aus der Zeit des Dritten Reiches nicht so genau.

Kommen wir zu Hans Wölbing, dem Verfasser des Artikels „Hol dien Muul“, Seite 60 in „Küstenschiffer“. Er schreibt darin von einer „Schiffsjungenschule Stettin“ bei Ziegenort, wohin er 1942 einberufen worden war. (siehe auch Band 2 in dieser maritimen gelben Buchreihe) „An die dortige komprimierte Einführung in alle wichtigen Kenntnisse und Fähigkeiten und den Unterricht zu Fragen der Schiffssicherheit und Rettungseinrichtungen schloss sich eine mehr-monatliche Fahrtzeit auf dem Viermastschoner NORDWIND an. Unter Führung eines alten und sehr qualifizierten Bootsmannes sowie eines ebenfalls qualifizierten ehemaligen Offiziers der Kaiserlichen Marine als Kapitän versah der 14jährige Schiffsjunge Wölbing zusammen mit gleichaltrigen Kameraden seinen Dienst wie ein gestandener Matrose.“

Auch Wilhelm Hausmann, der spätere Leiter der Referate „Fischerei“ und „Nautik“ bei der See-Berufsgenossenschaft Hamburg, erinnerte sich, dass es außer Stettin noch in Hamburg und Bremen Ausbildungszentren gab, die alle dem Reichskommissar für die Seeschifffahrt unterstanden. Auf dem Fünfmastschoner „KAPITÄN HILGENDORF“, der 1918 in Vancouver ursprünglich für kanadische Rechnung gebaut worden war und 1939 vom Reichsverkehrsministerium, Abteilung „Reichsverkehrsgruppe Seeschifffahrt“ erworben und nach entsprechendem Umbau als stationäres Schulschiff in Dienst gestellt wurde, fanden sechswöchige Ausbildungslehrgänge statt. Ein straffer Lehrgang vermittelte seemännische Grundfertigkeiten im Umgang mit Tauwerk und Drähten, im Rettungsbootsdienst, im Lichtmorsen sowie Winken mit Signalflaggen, in der Unterweisung wichtiger Kapitel der Seeschifffahrtsstraßenordnung und der Lichterführung der Schiffe auf See“.

Es gab aber auch private Initiatoren wie den Hamburger Reeder John T. Essberger, welcher ein „Fracht fahrendes Segelschulschiff“, die Bark „SEUTE DEERN“, in der Ostseefahrt seit Ende der 1930er Jahre als Ausbildungsschiff in Dienst hatte. Nach wechselvollem Schicksal liegt es heute als Museumsschiff des Deutschen Schifffahrtmuseums in Bremerhaven im Museumshafen.

Erwähnenswert ist auch das stationäre Ausbildungsschiff „NAWITKA“, des Norddeutschen Lloyds in Bremerhaven. Die NAWITKA war ein ehemaliger amerikanischer Dampfer, der seit 1923 in Bremerhaven als Hulk aufgelegen hatte und 1925 vom NDL als Ausbildungsschiff übernommen worden war. Auch dort hatten pädagogisch erfahrene Bootsleute den angehenden Schiffsjungen mit preußischer Disziplin und Drill Grundkenntnisse der Seemannschaft bis hin zum Spleißen und Knoten von Schiffstauwerk und Schiffsdrähten vermittelt.

Band 1 dieser maritimen gelben Buchreihe berichtet über den späteren Kapitän Hans Borgward:

Am 11.4.1944 begann Hans seine seemännische Laufbahn als Schiffsjunge auf dem Schulschiff „GROSSHERZOGIN ELISABETH“, das der Seemannsschule Finkenwerder zur Verfügung stand. In vier Monaten wurde ihm mit dem damals üblichen militärischen Drill das seemännische Grundwissen eingebläut. „Wir schliefen mit etwa 60 Mann in einem Raum in Hängematten. Geweckt wurde mittels Flötens mit einer Trillerpfeife. Morgens beim Wecken fingen bereits die ersten Schikanen an. Jede Hängematte musste am Fußende mit einem Slipsteek versehen sein. Wer nicht sofort aus der Matte war, dem wurde der Slipsteek gezogen, und er fiel aus 1,5 m Höhe auf den Fußboden. Die Ausbilder zogen immer erst bei einigen Schiffsjungen den Slipsteek, bevor sie flöteten. Es war eine harte Schule mit viel Schikane, aber ich zehre noch heute von den Grundverhaltensmustern, zu denen wir damals erzogen wurden. Vor dem Landgang am Sonntag wurden wir streng kontrolliert. Es wurden ja mindestens acht Mann für Reinigungsarbeiten an Bord benötigt. Die suchte man sich bei den Landgangskontrollen heraus: Wessen Schuhsohlensteg nicht einwandfrei sauber war, war für den Landgang ausgeschlossen. Wenn alle Schuhstege sauber waren, fand man bestimmt Leute, deren Zahnbürste Mängel aufwies. Die benötigten 8 Mann fielen immer durchs Sieb.

Nach den vier Monaten in Finkenwerder wechselte ich auf das in der Flensburger Förde liegende Schulschiff „PADUA“ (die heute unter russischer Flagge segelnde „KRUSENSTRERN“). Es war nicht leicht, auf diesem Schulschiff einen Platz zu bekommen, aber mein Onkel war dort Kapitän, und diese Beziehungen halfen mir. Zum Ausbildungsprogramm gehörten auch Lerninhalte militärischen Charakters, z.B. Lichtmorsen und Ausbildung an der Vierlingsflak. Wenn die angloamerikanischen Bomberverbände über uns hinwegzogen, mussten wir Munition für die Flak schleppen. Nach 8 Monaten bestand ich im Herbst 1944 an Bord der PADUA die Leichtmatrosen-Prüfung und meldete mich sofort freiwillig auf einen Dampfer.“

Also gab es doch die vorgeschriebene Ausbildung für angehende Seeleute, allerdings militärisch straff ausgerichtet mit gewissen Hintergedanken. Die damalige Reichsregierung hatte entsprechend qualifizierte Ausbildungszentren für den seemännischen Nachwuchs an Nord- und Ostseeküste eingerichtet und die vorgeschulten Schiffsjungen in die verbliebene Nord- und Ostseefahrt vermittelt.

Nach 1945 wurden diese pädagogischen Aufgaben zur Ausbildung des Nachwuchses stark vernachlässigt, besonders in der Küstenschifffahrt. Dafür hatte man in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch keine Zeit und kein Geld und die meisten Küstenschiffer vermutlich auch kein großes pädagogisches Feeling für die Ausbildung des Nachwuchses in der Nord- und Ostseefahrt.

Ein Blick über den Tellerrand zu unseren britischen Nachbarn kann auch nicht schaden. Ich möchte behaupten, die absolut beste Ausbildung für den seemännischen Nachwuchs auf Segelschiffen wurde in U.K., also in Großbritannien, praktiziert.

In „YOUNG SEAMAN’s MANUAL and RIGGER’s GUIDE”, herausgegeben von CAPTAIN C. BURNEY, R.N., C.B., F.R.G.S, Superintendent of Greenwich Hospital Schools, erschienen im KEGAN PAUL, TRENCH, TRÜBNER Verlag, London 1901, wird ein Nachschlagwerk vorgestellt, welches wahrscheinlich schon ein Jahrhundert lang zur Standartausrüstung für die Royal Navy und die Mercantile Marine gehört und die gesamte Palette der Seemannschaft auf Segelschiffen bis ins kleinste Detail abhandelte. Es würde Monate dauern, um den komplexen Inhalt zu studieren und zu verinnerlichen.


Vor dem Mast – ein Nautiker erzählt vom Beginn seiner Seefahrt 1951-56

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