Читать книгу Vor dem Mast – ein Nautiker erzählt vom Beginn seiner Seefahrt 1951-56 - Klaus Perschke - Страница 11

Die ersten Reisen als Moses auf MS ACHILLES

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Die Jungfernreise führte zunächst nach Antwerpen, wo der belgische Schiffsmakler von Kapitän Fritz von Busch eine Ladung Buntmetallschrott für Rostock gebucht hatte. Das Wetter war gut, die Besatzung ging - außer dem Moses - Seewache. Also ein Leichtmatrose und ein Jungmann gingen die 6-Stundenwache: 6 Stunden Wache, 6 Stunden Ruhe. Der Matrose und der zweite Jungmann machten sich unter Leitung des Ersten Steuermanns mit der Ausrüstung des Schiffes vertraut. Es war für uns alles noch ziemlich neu.

Das, was von der „großen Gästeabfütterung“ der Probefahrt übrig geblieben war, wurde jetzt von der Frau des Deutz-Garantie-Ingenieurs zu schmackhaften Speisen verarbeitet, es wurde also nichts über Bord gekippt. Ich wurde zurzeit noch für das Aufbacken, Abbacken, also das übliche Backschafts-Ritual und „Reinschiffmachen“ in der Kombüse und vorn unter der Back im Mannschaftslogis verbraten. Und wie gesagt, ich wurde frühmorgens als der erste Mann geweckt, damit ich zuerst in der Kombüse im Bilegger Feuer machen, den Wasserkessel aufsetzen und das Kaffeewasser zum Kochen bringen konnte.

Außer der Frau des Garantie-Ingenieurs fuhr auch noch die Gattin von Fritz von Busch mit an Bord, seine vierte Frau. Laut Hörensagen war er von seiner ersten Frau geschieden worden, das muss vor Ausbruch des Krieges gewesen sein, die zweite Frau soll bei einen Bombenangriff auf Hamburg-Finkenwerder ums Leben gekommen sein, seine dritte Frau verunglückte tödlich, als die Nobiskruger BERTA VON BUSCH Ausgang der Kieler Förde auf eine Mine lief und in die Luft flog. Und seine vierte Frau hatte er in Kiel im Krankenhaus kennen gelernt. Angeblich war seine Frau eine MTA, andere machten aus ihr sogar eine Assistenzärztin. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass sie keine große Neigung zum Rest der Besatzung hatte. Und die Jan Maaten wiederum mochten dieses aufgedonnerte späte Mädchen auch nicht besonders gern. Die Dame duftete immer nach dem billigsten Parfüm, wenn sie aus dem Kapitänskabuff auf die Brücke kam. Dafür hatte sie aber eine große Zuneigung zu ihren beiden verwöhnten Pudelweibchen. Nachdem die Essensreste der Probefahrt zu Ende gegangen waren, gab es das berühmten Einheitsessen: „Plum un Klüten“ oder Frühlingssuppe, wie es damals auf vielen Kümos üblich war, nur die Hunde der Kapitänsfrau bekam stets Besseres vorgesetzt. Vorne unter der Back in unserer Mannschaftsmesse hieß es dann auch immer öfter: „Ich möchte mal mein Essen mit dem Hundefutter der Tölen der Frau des Alten tauschen!“

Aber die Finkenwerder Jungens waren auch nicht von gestern. Sie wussten, wie man an Knete herankommt. Doch zunächst mussten wir erst einmal in Antwerpen ankommen. Alles Weitere würde sich mit Sicherheit später ergeben.

Also bei der Ansteuerung der Westerschelde kam zuerst ein niederländischer Lotse an Bord, der die ACHILLES bis querab von Vlissingen brachte, dort fand der Lotsenwechsel statt und der belgische Scheldelotse brachte dann die Achilles bis zur Schleuseneinfahrt von Antwerpen. Das hieß, die ACHILLES wurde auf der Scheldereede querab der Schleusenkammern vor Anker gelegt. Der Lotse ging von Bord, und wir mussten warten, bis der Hafenlotse kam. Das dauerte hier meistens zwischen ein und zwei Stunden. Die Frau des Alten war sauer, weil sie dachte, bei Ankunft in Antwerpen würde man ihr einen roten Teppich ausrollen, sie per Nobelkarosse abholen und ihr die Stadt zeigen. Da wurde der Alte gnatzig und musste ein Machtwort sprechen, also ihr klarmachen, dass sich nicht alles nur um sie dreht, sondern in erster Linie um einen Liegeplatz und um den Ladebeginn. Denn nur mit Ladung könnte er Geld verdienen, nicht mit ihren parfümierten Pudeldamen.

Endlich kam nach knapp einer Stunde ein kleiner Hafenschlepper mit dem Hafenlotsen, der uns nach dem Ankerhieven nach den Lotsenanweisungen in die Schleusenkammer zog. Zoll und Immigrationsbehörde kamen zur Einklarierung und Passkontrolle an Bord. Nachdem sie gegangen waren, zog uns ein neuer kleiner Hafenschlepper aus der Schleusenkammer durch ein Gewirr von Hafenbecken bis zu unserem Liegeplatz, wo auch schon der Waterclark (der außendiensttätige Angestellter des Maklers) auf uns wartete. Nach dem Festmachen mit Fallreep-an-Land-setzen kam er mit dem Stauereiinspektor an Bord, welcher dem Alten den Stauplan und Ladepapiere brachte. Der 1. Steuermann bekam Anweisung, die Luken zu öffnen und die Ladebäume zu toppen und nach außenbords zu klappen, damit der Kran vom Kai aus jeden Winkel im Laderaum erreichen konnte. Ich erinnere mich, dass es ein Nachmittag war, an dem wir mit den Ladungsarbeiten begannen. Der Buntmetallschrott wurde in Eisenbahnwagons herangefahren, und der Kran holte mit seinem Greifer eine Hieve nach der anderen aus den Wagons, drehte über die geöffneten Luken und fierte den Greifer bis auf den Boden, bevor er ihn öffnete und entleerte.

Der Alte fuhr zusammen mit seiner Madame, den Pudeln und dem Waterclark in die Stadt „tum Geldutgeben“. Die gnädige Frau brauchte Nachschub zum „Eindieseln“, sie benutze natürlich nur echtes französisches Parfüm, das man in Antwerpen bekam.

Der 1.Steuermann, Herr Bohning und der 2. Steuermann, Herr Richters, spazierten in der Pausenzeit der Hafenarbeiter derweil am Kai entlang zum „Klönen“ mit anderen Kümosteuerleuten. Und genau in dieser Pausenzeit kletterten unsere Finkenwerder Briten, also der Matrose, der Leichtmatrose und die Jungmänner, in den Laderaum, öffneten die achteren Bilgendeckel an Backbord- und Steuerbordseite und schaufelten die Bilgen bis zum Rand voll mit Kupfer- und Messingschrott.

Doch was sind Bilgen? Bilgen sind eine Art „Gräben“, die tiefer angeordnet sind als die Doppelbodentankdecke, und zwar je an Bb- und an Stb-Seite-Außenhaut der Doppelbodentanks. Sie dienen zur Aufnahme von Leck- und Schmutzwasser.

In Deutschland und auch im Ausland wurden 1951 hohe Preise für Buntmetallschrott gezahlt. Und das bedeutete, die Jungens brauchten später beim Kapitän keinen Pfennig Vorschuss aufnehmen, wenn sie in Hamburg Finkenwerder an Land gehen wollten. Finkenwerder Jungs sind ganz schön clever, aber auch leichtsinnig. Ich musste an Deck stehen und Ausschau halten, ob die Hafenarbeiter vom Coffeeshop wieder zurück an Bord kamen. „Moses, segg us sofort Bescheed, wenn die Hobnarbeder trüchkümmn!“ Okay, unsere Leute hatten alles im Griff, schlossen die Bilgendeckel wieder ordnungsgemäß, fegten alle verräterischen Spuren beiseite und kamen wieder aus dem Laderaumraum an Deck. Nicht mal die Steuerleute, besonders der 1. Stüermann, die sonst immer einen 6. Sinn für alles hatten, was die Jan Maaten ausheckten, kamen auf die Idee, dass die achteren Bilgen voll mit Buntmetallschrott waren. So etwas nennt man auch schwerwiegenden Ladungsdiebstahl. Und das war verdammt strafbar, darauf stand sogar Gefängnis!

Das Kümo war am nächsten Tag beladen, der Waterclark brachte die Konnossemente an Bord, die Behörden klarierten das Schiff aus, der Lotse kam mit dem Hafenschlepper und dann hieß es auch schon wieder: „Klar vörn un achtern...schmiet los all Liins un mog den Vörschlepper an Backbord fast“ und „off we go“! Wieder ging es durch die Hafenbecken, hinein in die Schleusenkammer, der Hafenlotse übergab dem Scheldelotsen das Schiff. Als das äußere Hafenschleusentor endlich auf war, zog uns der kleine Hafenschlepper heraus, „let go Schlepper“, und ab ging es nach Lotsenanweisung in Richtung Nordsee die Westerschelde abwärts. Querab Vlissingen war wieder Lotsenwechsel, der Seelotse brachte uns bis zur Schelde-Mündung, verabschiedete sich, und schon ging es mit „Voll Voraus“ in Richtung Elbe nach Brunsbüttel und zur anschließenden Passage des Nord-Ostsee-Kanals.

In Kiel Holtenau in der Schleuse wurde der Garantieingenieur von Klöckner-Deutz mit Ehefrau entlassen und der ganze Kombüsenjob lag jetzt ganz allein auf meinen Schultern und in meinen unqualifizierten Händen. Ich betete inbrünstig: „Oh HERR, lass ein Wunder geschehen!“ Es passierte aber kein Wunder!

Von Kiel-Holtenau aus ging es weiter nach Rostock, in das Arbeiter- und Bauernparadies. War es vielleicht auch ein Seeleuteparadies? Mal schauen. Nach ca. fünf Tagen See- und Kanalreise erreichten wir Rostock, in der DDR. Welch ein herzlicher Empfang! Schon am Kai begrüßte uns nach dem Festmachen eine Abordnung von Zoll- und Immigrationsbeamten mit zackig preußischem Befehlston. Na ja, erst einmal Gesichtskontrolle. Einer nach dem anderen wurde gründlich in Augenschein genommen, als wenn wir Staatsfeinde wären. Dann machten die Herrn vom Zoll Kammerkontrolle: Schubladen auf, jede Zigarette wurde registriert, Bierflaschen auch. Schnaps? Hatten wir nicht. Was, ihr habt keinen Schnaps? Die Herren waren offenbar sehr enttäuscht. Spindkontrolle, von wegen, es könnte ja feindliches, antisozialistisches Propagandamaterial hereingeschmuggelt werden. Ich glaube, das war es, wonach sie besonders suchten. Dieser Aufmarsch wirkte ganz schön beängstigend. Kontrolle im Kabelgatt, Kontrolle im Farbenspind, Kontrolle im Proviantraum, Kontrolle im Maschinenraum. Au Backe, hoffentlich keine Kontrolle in den Bilgen! Bevor die Hafenarbeiter endlich an Bord durften, mussten wir die Luken öffnen, Bäume toppen, wie in Antwerpen! Und dann kam ein großer Kran an den Kai entlang gefahren. Irgendwann erschien am Kai die Nachtschicht-Brigade „Rote Rübe“, die Männer mussten sich einzeln bei einem Posten an der Gangway ausweisen. Weitere Posten mit Kalaschnikows bewaffnet, standen am Kai vorn am Steven und hinten am Heck. Vielleicht hatten sie ja auch den Auftrag, die Stücke Klopapier zu kontrollieren, die achtern beim Spülen der Toiletten in das Hafenbecken flossen. Wenn der 2. Steuermann an Land wollte, um den Tiefgang abzulesen, dann musste er seinen Hafenpass, den die Grenzpolizei uns ausgestellt hatte, am Fallrepp beim Posten abgeben. Weiterhin wurde er von einem zweiten Posten begleitet, der genau hinsah, was er aufschrieb, obwohl er nichts davon verstand. Also, die Herren der Hafengrenztruppe waren sehr, sehr zugeknüpft. Nicht mal grüßen konnten sie einen kleinen Moses. Das war echt bewegende Weltgeschichte. Die Realität im Jahre 1951.

Der größte Witz: Sogar oben im Brückenhaus und vorn, vor unserem Niedergang in die Logis stand ein Uniformierter in Knobelbechern zum Beobachten. Wer wollte wen vor was beschützen? Okay, es wurde gelöscht, sogar nachts wurde durchgearbeitet, mit anderen Worten, wir wurden ruckzuck entladen. Eine Spezialgang fegte jedes Fitzelchen Schrott im Laderaum zusammen, denn es durfte ja nichts verloren gehen. Aber unser Schutzengel hatte uns nicht im Stich gelassen. Keiner von den Apparatschicks kam auf die Idee, einen Bilgendeckel hochzunehmen und nachzuschauen. Was für ein Glück, das wäre voll in die Hosen gegangen!

Unsere Finkenwerder Haudi-Gang wurde während der Hafenliegezeit immer blasser und grüner im Gesicht, so, als wären sie alle magenkrank. Ihnen schmeckte kein Frühstück mehr, kein noch so gut gekochter Kaffee, den ich ihnen gemacht hatte, sie zitterten sogar am ganzen Körper, kotzten vor Angst, sie waren fast seekrank. Erst als der Laderaum leer und von den Hafenarbeitern verlassen war und unsere Leute die Luken seeklar machen durften, ging es ihnen langsam besser. Die Steuerleute konnten sich auf das Unwohlsein unserer Spezies auch keinen Reim machen. Vielleicht hatte der Moses was Falsches gekocht? War aber nicht der Fall. Und dann, als wir wieder ausklariert wurden, erneute Gesichtskontrolle - usw. Als die Grenzer das Schiff verlassen mussten, weil der Hafenlotse an Bord gekommen war, wir anschließend ablegten und in Richtung Hafenausfahrt dampften, und zum Schluss, als auch der Hafenlotse von Bord ging, erst in diesem Moment muss ein riesiger Stein bei unseren Jan Maaten von der Brust gefallen sein. Das war eine Reise!!! Unsere Leute waren fast wieder religiös geworden, glaubten an irgendwelche Heiligen oder sonst etwas Höheres auf dieser Welt. Echtes Ganovenglück hatten die Jungs gehabt!

Unsere zweite Ballastreise führte nach Stettin. Dort hatte der Makler Johannes Thode für die ACHILLES eine Ladung Briketts nach Gävle gebucht. Das Wetter war für die Jahreszeit gut, und für die Reise um die Ecke hatten wir nur wenige Stunden benötigt. Bei Ankunft in Stettin spielten sich wieder die gleichen Einklarierungsrituale ab wie vorher in Rostock.

Am Kai wurden bereits bei unserer Ankunft nach dem Festmachen die ersten Brikettwagons heranrangiert. Ein riesiger Kran wurde in die richtige Position manövriert. Der zweite Steuermann, Herr Richters, hatte den Tiefgang vorn und achtern abgelesen und die Daten dem Kapitän mitgeteilt. Unsere Crew einschließlich Moses musste die Persennings von den Luken aufrollen und achtern auf der Vermessungsluke verstauen, die Holzlukendeckel an Deck an den Lukensülls aufstapeln, die Scherstöcke herausnehmen und anschließend die beiden Ladebäume toppen und nach außenbords klappen. Es konnte losgehen.

Briketts und Kohlen laden ist ein böser Schweinkram, es staubt wie Hund! Alle Fenster und Bullaugen, sowie Kombüsentüren und Maschinenskylights müssen verschlossen, die Windhuzen vorn und achtern und vor dem Schornstein mit Persenningbezügen abgedichtet werden, denn dieser Staub dringt unbarmherzig durch alle Tür- und Fensterritzen und -spalten.

Der Kapitän hatte mit dem Verlademeister im Beisein des Maklers das Gewicht der Ladung ausgerechnet, woraufhin die Lademenge an Briketts geordert wurde.

Die Arbeitsschicht lief an. Der Krach ging los. Anfangs musste ich in der Kombüse das Frühstück für den Kapitän, die Steuerleute und die Mannschaft anrichten, jeder machte es sich so bequem wie möglich bei diesem Chaos. Anschließend kurz Backschaft machen und das Mittagessen vorbereiten. Unsere Steuerleute und der Kapitän beobachteten die Ladearbeiten von der Brücke aus, denn an Deck konnte sich keiner für längere Zeit aufhalten, so sehr staubte es an Deck über den Luken durch die Greiferschüttungen. Das Beladen vollzog sich dabei sehr schnell. Nach einem vorgezogenen Mittagessen warteten wir, bis die polnischen Hafenarbeiter zu ihrer Mittagspause an Land gingen. In diesen Moment hieß es für uns: Rein in die Laderäume und die Briketts in die Seiten trimmen. Da der Kran während des Schüttens zwischen der vorderen und der achteren Ladeluke verholte, damit die Ladung gleichmäßig verteilt wurde, entstanden im Laufe der Zeit Schütthügel, die sich langsam der Lukenöffnung näherten. Wir, die Jan Maaten einschließlich des Moses, mussten durch die Einstiegsluken jetzt in die Laderäume einsteigen und jeweils mit Sonnenbrennern und Schaufeln ausgerüstet an der Backbord- und der Steuerbordseite der Schiffsaußenhaut entlang die verbliebenen Freiräume mit der nachrutschenden Schüttladung auffüllen. Der Trick dabei bestand darin, sich rückwärts zu den Einstiegsluken zurück zu arbeiten. Gut gedacht, es verlief ja auch alles anfangs gut. Doch als die Mittagszeit der Polen zu Ende war, ging die Schütterei wieder los. Ein Greifer nach dem anderen ließ seinen Inhalt in die Laderäume rauschen. Und die Briketts rutschten gemäß dem Gravitationsgesetz schnell wieder nach, so dass, jedenfalls ich im Bereich meines Trimmplatz zum Schluss kaum noch Bewegungsfreiheit hatte. Und so kam es, dass ich plötzlich von der nachrutschenden Schüttladung von der achteren Einstiegsluke abgeschnitten war. Ich geriet in echte Panik, schrie aus Leibeskräften und schlug mit der Schaufel gegen das Schott. Der 2. Steuermann hatte meine Signale wahrgenommen und den Kran gestoppt. In der Tat war ich der letzte Briketttrimmer, der aus der achteren Einstiegsluke heraus gekrochen kam. Alle wollten sich über den schwarzen Moses totlachen. Nur ich fand das überhaupt nicht zum Lachen, denn am Ende hatte ich schon gar nicht mehr damit gerechnet, noch lebendig aus dem Laderaum heraus zu kommen.

Die beiden Laderäume waren bis oben hin voll geschüttet und glatt getrimmt. Mit Ach und Krach wurden die Scherstöcke mittels Greifer in ihre Positionen eingesetzt, anschließend wurden die Holzlukendeckel zwischen die Scherstöcke eingelegt und auf jeder Luke jeweils drei Perseninnge ausgerollt und an den Seiten durch hölzerne Lukenkeile verschalkt. Zum Schluss wurden lange Holzplanken auf die Perseninnge in Längsrichtung gelegt, damit beim Löschen der Decklast in Gävle dieselben nicht zerrissen würden. Wir arbeiteten im Akkord, denn jetzt sollte die Decklast geschüttet werden. Auf beiden Seiten wurden an Deck an der Verschanzung Stützpfosten gesetzt, die miteinander mit runnerstarken Drähten verbunden und vorn und achtern mit Spannschrauben und Drahtfröschen tight gespannt wurden. Zum Schluss wurde eine Art Maschendraht an diesem Gerüst vom vorderen bis zum achtern Stützpfosten befestigt. Eine Art Drahtnetz, damit die Deckladung nicht bei schlechtem Wetter über Bord gehen konnte.

Als wir mit diesen Arbeiten fertig waren, wurden die Schüttarbeiten auf den Luken und in den Seitengängen an Deck fortgesetzt. Herr Richters kontrollierte jetzt in kürzeren Abständen den Tiefgang und als wir bis auf die Sommer-Freibord-Marke abgeladen waren, wurde der Ladebetrieb eingestellt. Wir hatten trotzdem noch eine ansehnliche Decklast Briketts mitbekommen.

„Moses, seh tou, dat du dii duuscht, un dann ab in de Kombüs tum Eeten kookn, wii hevt Hunga! Un mog de Dörn von de Kombüs dicht, wii wüllt Deck woschn! Is dat kloar?!“ ordnete der 1. Steuermann Wilhelm Bohning an. Also ab nach vorn unter die Back ins Logis und unter die Dusche, frische Klamotten angezogen und zurück in die Kombüse, wo der 1. Steuermann schon wartete. Dort bekam ich meine Kochanweisung, doch auch dieses Mal bestand das „Eeten kookn“ nur aus Kaffeekochen, Brotscheiben absäbeln, mit Wurst- und Käseaufschnitt belegen und auf diverse Teller verteilen. Dazu gab es je Person zwei Spiegeleier. Es musste jetzt alles schnell über die Bühne gehen.

Unsere Leute hatten in der Zwischenzeit vorn auf der Back die Kettenklüsen zum Kettenkasten mit Putzlappen und Gips verkleistert, den Deckwaschschlauch angeschlossen und in der Maschine die Feuerlöschpumpe in Betrieb genommen. Der ganze Dreck und Brikettstaub wurde vorn auf der Back aufs Hauptdeck runter gewaschen.

Zwischenzeitlich wurde das Deckwaschen unterbrochen, da die Ausklarierungsbehörden und der Schiffsmakler an Bord gekommen waren. Wieder die gleiche Prozedur wie in Rostock: Gesichtskontrolle, was bei den schwarzen Gesichtern etwas grotesk aussah. Danach kamen die Kammerkontrollen. Es wurden keine Flüchtlinge gefunden, keine polnischen Tallymädchen, die in den Westen verschwinden wollten.

Der Schiffsmakler händigte Kapitän von Busch die Manifeste aus, weiterhin die Rechnung des Schiffshändlers, denn der war zwischendurch während des Ladens an Bord gewesen und hatte dem Alten mehrere Kartons guten polnischen Wodkas verkauft. Wodka war damals billig in den polnischen Häfen und Wodka wird in den skandinavischen Ländern, besonders in Finnland, gerne getrunken.

Normalerweise darf man in jedem schwedischen, norwegischen, dänischen und finnischen Hafen nur über eine Flasche Alkohol pro Besatzungsmitglied frei verfügen. Aber was ist schon normal? Die Geldgier verführte schon immer Generationen dieser in der Ostsee fahrenden Kümokapitäne und alle weiteren Seeleute zum russischen Roulett mit den Zollbehörden. Und in den 1950er Jahren waren der Erlös von 20 schwedischen Kronen oder Finnmark ein profitables Nebengeschäft für jeden Ostseefahrer. Jedoch, erlaubt war nur eine Flasche Feuerwasser. Aber profitabel wurde das Geschäft erst ab einem Karton mit in der Regel sechs Flaschen. Doch diese unerlaubte Überzahl musste man an Bord vor dem Zoll verstecken, allerdings so, dass die Herren der „Swaten Gang“ diesen Schatz nicht fanden. Das Problem war nur: Die Zollbehörden in den skandinavischen Ländern waren auch nicht auf den Kopf gefallen. Die Beamten der Swaten Gang (Schwarze Gang = Zollbeamte, die ein Schiff nach verbotenen Schmuggelwaren durchsuchen) waren meistens ehemalige zur See gefahrenen Schiffsmaschineningenieure, die jeden Maschinenraum aus dem „FF“ kannten, desgleichen die Unterkünfte der Besatzung sowie den gesamten Schiffskörper von vorn bis achtern. Diese Herren kannten also die „schwarzen Schwäne“ der Ostsee. Und Fritz von Busch stand wie viele andere Kümokapitäne ganz oben auf der schwarzen Liste der skandinavischen Zollbehörden.

Auch dieses Mal bekam der Schiffsmakler für den schwedischen Kollegen in Gävle das obligatorische ETA ausgehändigt. ETA hat nichts mit der baskischen Terrororganisation zu tun. Es bedeutet schlicht und einfach „Estimated Time of Arrival“ in Gävle, zu Deutsch „geschätzte Ankunftszeit“.

Da die Distanz von Stettin bis Gävle genau 506 Seemeilen beträgt, würde die Reise bei einer optimalen Fahrt von 10 Knoten pro Stunde bei gutem Wetter 51 Stunden oder 2 Tage und 3 Stunden dauern. Der Gävleer Schiffsmakler hatte jetzt genügend Zeit, den Liegeplatz des Schiffes zu organisieren, die Stauerei, den Empfänger, den Zoll und die Einklarierungsbehörde auf die Ankunftszeit des Schiffes vorzubereiten.

Doch noch waren wir in Stettin. Nachdem die Ausklarierung abgeschlossen und der Lotse an Bord gekommen war, wurde nur noch das Brückendeck, Backbord und Steuerbordseite, das Peildeck und vorkante Steuerhaus die Front und die Fenster abgewaschen. Als wir damit endlich fertig waren, hieß es: „Klar vorn und achtern!“ Die Hauptmaschine wurde angeschmissen, ein Hafenschlepper machte vorn an Stb-Seite fest, und dann kam der Befehl „Alle Leinen los!“ Schon törnte der Hafenschlepper vorsichtig ein, zog uns vom Kai ab und drehte uns im Hafenbecken. Und nachdem er uns auf Auslaufkurs gewendet hatte, hieß es: „Schlepperleine los!“, und wir fuhren unter Lotsenberatung langsam in Richtung Stettiner Haff, auf der Swina und durch Swinemünde bis zur Mündung in die Ostsee. In der Zwischenzeit waren von unseren Jan Maaten die restlichen achteren Aufbauten und das Hauptdeck gewaschen worden. Die ACHILLES sah wieder einiger Maßen sauber aus.

Unser Kurs und Ziel war die südöstliche Küste Schwedens, dann zwischen Öland und dem Festland hindurch bis zu den Stockholmer Schären. Vor uns lag die Nacht.

Während ich in der Kombüse noch Backschaft machte, kam der 1. Steuermann vorbei und erklärte mir, was am nächsten Tag auf dem Speiseplan stand. Irgendetwas, das ich sogar kapierte und sogar schon erledigen konnte. Es sollte frische Suppe mit viel Gemüse und Kartoffeln und ein großes Stück Bauchfleisch geben. Am nächsten Morgen sollte ich mir dann noch die Zutaten bei ihm abholen, denn er war der „Speckschneider“, der Herrscher über den Proviantraum. Vor dem Zur-Koje-gehen musste ich aber erst noch Kleinholz und Papier zum Feuermachen bereit legen.

In der Nacht war Nebel aufgekommen. Die ACHILLES fuhr mit der den Sichtverhältnissen entsprechenden Geschwindigkeit, also langsam. Und da es 1951 in Deutschland noch keine Radargeräte für Küstenmotorschiffe dieser Größe gab, musste ein Mann als Ausguck vorn auf der Back stehen und nach Typhongeräuschen von entgegenkommenden Schiffen „aushorchen“ bzw. nach entgegenkommenden Lichtern Ausschau halten. Von achtern brüllte alle drei Minuten das blöde Typhon der ACHILLES. Ein Heidenkrach, bei dem man ganz bestimmt nicht vorn unter der Back schlafen konnte. Also brauchte man mich am nächsten Morgen erst gar nicht zu wecken, da ich ab Mitternacht kein Auge zugemacht hatte. Morgens um 5 Uhr war ich bereits in der Kombüse, hatte kurz darauf das Feuer im Herd angezündet und den Wasserkessel aufgesetzt. Das Frühstück musste für den Alten, der die ganze Nacht auf der Brücke war, sowie für den von der 00-06 Uhr Wache gehenden 2. Steuermann, den Rudergänger und den Ausguck und für die nächste Wache vorbereitet werden. Ab 4 Uhr war es auch schon hell, also die Sonne längst aufgegangen. Je weiter man im Sommer nördlich fährt, desto kürzer wird die Nacht

Wir hatten die ganze Nacht spiegelglatte See und, nachdem der Nebel sich gelichtet hatte, wurde auf Anweisung des Kapitäns der Ausguck von der Back abgezogen. Der 1. Steuermann musste selbst ans Paddel, denn der Alte hatte an diesem Morgen viel auf dem Zettel stehen. Seine Order lautete: Vermessungsluke auf, also abdecken. Das heißt, beide Persenninge und die Holzlukendeckel entfernen und an der Seite der Vermessungsluke stapeln. Anschließend wurde eine Art Rutsche in den Raum gebaut, die bis auf das Deck der Zwischendeckluke reichte. Der Matrose, die Maaten von der 06-12 Wache, alle drei mussten jetzt von der Deckladung Briketts in Säcke füllen, die Säcke auf der Rutsche in die Vermessungsluke runterrutschen lassen und auf dem Zwischendeck von der inneren Bordwand aus die Briketts aufstapeln. Und damit hatten sie den ganzen Tag zu tun. So eine günstige Gelegenheit kam für Fritz von Busch während meiner Zeit an Bord nie wieder. Ein Schlitzohr war er schon immer gewesen. Es war „vom Kapitän angeordneter Ladungsdiebstahl“.

Während die Jan Maaten in der Vermessungsluke eine Lage Briketts nach der anderen aufstapelten, musste der Steuermann oben auf der Brücke sowohl das Kümo steuern als auch noch den Standort der Achilles bestimmen. Auf Dauer war das nervig, denn der Alte hatte sich ein paar Stunden in sein Kabuff zurückgezogen. Wie konnte man diesen nervigen Job erleichtern? Man krallt sich den Moses und stellt ihn vorübergehend an das Steuerrad! Doch am Vormittag konnte man das nur zwischendurch für kurze Zeit machen, da der Moses ja auch noch das Mittagessen kochen musste. Also lief es dann so ab: „Mooses, komm gliigs up de Brüch und bring n’ Muck Kaffä mit no bobn.“ Die Kaffeezeit war immer von 10:00 bis 10:30 Uhr. Und da ich für die Werktätigen der Christlichen Seefahrt den Kaffee schon gekocht und in der Kombüse auf dem Kombüsentisch Brot, Butter, Wurst und Käse angerichtet hatte, konnte ich mit einem Tablett mit einer Muck Kaffee, Milchkännchen und Zuckerdose auf die Brücke entfleuchen. Dort angekommen, stellte ich das Tablett auf dem Klapptisch ab und wollte sofort wieder umkehren. Doch der alte Bohning ließ mich nicht laufen. Stattdessen stellte er mich ans Ruder, und ich musste steuern lernen. Er unterwies mich nun in der Kunst des Steuern, weil er mich dringend brauchte.

Zuerst erklärte mir der Steuermann den Magnetsteuerkompass: Die Kompassrose bildet einen Kreis und ist in 360 Bogengrad unterteilt, beziehungsweise auch in 32 Striche. Ein Strich hat 11,25 Bogengrad. Dann wies er auf die „Vorausanzeige des Schiffes“, ein schwarzer Strich, der an der weißen Innenseite des Kompasskessels angebracht ist. Weiter erklärte er mir, dass die schwimmende Kompassrose mit Magneten ausgestattet ist und sich aus diesem Grund immer zum magnetischen Nordpol ausrichtet und dass man, um ein Schiff auf Kurs zu halten, immer versuchen muss, den schwarzen Steuerstrich am Kompasskessel mit dem angegebenen Kompasskurs auf der Rose in Deckung zu bringen. Manche lernen es schnell, und manche lernen es nie. Und wie gut man als Rudersmann steuert, kann man durch einen Blick achteraus auf das Schraubenwasser des Schiffes kontrollieren. Steuert man gut, ist das Schraubenwasser achteraus eine ganz leicht geschlängelte Linie. Steuert man miserabel, dann sieht es aus, als ob man seinen Namen schreibt.

Und bei gutem Wetter, also bei Windstille und schwach bewegter See, kann man ein Schiff mit ganz wenig „Ruder geben“, also Drehungen mit dem Ruderrad, auf Kurs halten. Eigenartiger Weise hatte ich das schnell kapiert. Ich hielt den befohlenen Kompasskurs auf der Rose mit der Vorausanzeige des Schiffes fast immer in Deckung, hatte also ganz geringe Abweichungen vom Kurs und kassierte mein erstes Lob.


Nachdem der 1. Steuermann mich mehrere Male mit einem Blick auf das achteraus aufwirbelnde Schraubenwasser kontrolliert hatte, konnte er sich kurzfristig der Ortsbestimmung widmen, in diesem Fall der Funkpeilung. Wir fuhren quasi auf einem Funkstrahl, den ein Richtfunkfeuer von Kalmar pausenlos aussendete. Wichen wir von unserem Kurs nach Backbord-Seite ab, dann sendete das Funkfeuer den Morsebuchstaben A, also Punkt Strich, kam ich dagegen nach Steuerbord vom Kurs ab, dann sendete das Funkfeuer den Morsebuchstaben N, also Strich Punkt. Der Steuermann stand praktisch hinter mir im Kartenraum, hatte den Kopfhörer auf korrigierte somit den Ansteuerungskurs zum Funkfeuer von Kalmar. Je näher die ACHILLES sich Kalmar näherte, desto diesiger wurde es. Die Sicht betrug drei bis vier Seemeilen. Man konnte jetzt schwarze Fahrwasserpricken erkennen, die ich alle an der Steuerbordseite lassen musste. Wir hatten aber auch entgegenkommenden Schiffsverkehr, also andere Kümos, die mit Schnittholz an Deck aus Nordschweden Richtung Kiel-Holtenau wollten.

Als der Alte auf der Brücke erschien, war er erstaunt und natürlich ärgerlich Aber der Steuermann beruhigte ihn sofort. „He mokt dat ganz good, he is gor nich so dusselig, as ick dacht. He stüert as son Profi“. Offenbar war auch er von meinen Steuerkünsten überzeugt. „De dusselige Moses kann stüern as’n Profi, kaum to gleubn. Villicht ward he joa doch noch n Seemann.“ Trotzdem war er gar nicht so einverstanden, dass der Steuermann so eigenmächtig gehandelt hatte. Ein Moses gehört in erster Linie in die Kombüse und wenn Not am Mann ist an Deck. Doch in diesen Fall brauchte der Steuermann bei der engen Ansteuerung von Kalmar Unterstützung, denn die anderen Jan Maaten wühlten in der Vermessungsluke und an Deck rum. Also wurde ich kurzfristig von einem der Brikettsverlegergang abgelöst und tauchte wieder in die Kombüse ab. Genug gab es für mich ja zu tun. Da die engste Stelle bei Kolmar ungefähr so breit ist wie der Kielkanal, musste mein Ablöser, der Jungmann, bei diesen Sichtverhältnissen höllisch auf den entgegenkommenden Schiffsverkehr aufpassen.

Nach dem Passieren von Kolmar ging es weiter auf einem durch Pricken eingerichteten Zwangsweg durch den Kolmarsund in Richtung Südansteuerung der Stockholmer Schären. Aber außerhalb des nördlichen Kalmar Sunds passierte plötzlich etwas Unfassbares: Der neue Deutz-Hauptdiesel blieb plötzlich stehen. Er gab seinen Geist auf. Herr Richters wurde von Fritz von Busch in den Keller geschickt und sollte ihn wieder zum Laufen bringen. Herr Richters ging nach einer Checkliste vor, die ihm der Garantieingenieur von Deutz, Herr Allerding, übergeben hatte. Nichts wurde übersehen oder ausgelassen. Der Tagestank war voll Marine-Diesel, die Kompressionsluftflaschen waren auch voll aufgepumpt, trotzdem wollte er nicht anspringen. Fritz von Busch wurde ungeduldig und ließ den Matrosen zusammen mit der restlichen Deckgang ein so genanntes Großsegel, welches er aus der abgesoffenen BERTA VON BUSCH geborgen und reparieren lassen hatte, aus dem Kabelgatt an Deck holen und am Vormast auf der Back anbringen. Eine Knochenarbeit. Doch am Ende stand das Segel im vollen Wind, und man konnte die ACHILLES sogar auf Kurs halten. Nach dem Segelsetzen tauchte Herr Richters noch einmal in den Maschinenraum ab, kam auf den Gedanken, noch einmal die Kompression durchzutörnen, den Motor auf Betrieb zu stellen, blies ihm noch einmal eine Ladung Pressluft vor’n Arsch - und tatsächlich!, der alte Bock startete wieder. Und hielt auch durch. Der Alte ließ das Großsegel wieder bergen, änderte aber den Kurs zurück nach Kalmar, wo wir einliefen und er eine Maschinengang kommen ließ, die die Deutz-Hauptmaschine unter die Lupe nahm und erstaunlicherweise einen Nockenwellenschaden feststellte. Dieser konnte nach einem Tag behoben werden. Danach ging es weiter in Richtung Stockholmer Schären, um die Route nach Gävle abzukürzen.


Vor dem Mast – ein Nautiker erzählt vom Beginn seiner Seefahrt 1951-56

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