Читать книгу Im Paradies des Teufels - Klaus-Peter Enghardt - Страница 7
MUTHANA, ABU GHRAIB UND BAGDAD
ОглавлениеUm fünf Uhr dreißig versammelten wir uns vor dem Haus und warteten auf die Baustellenbusse aus Bagdad City, die uns zur Baustelle „Muthana“ brachten. Im Bus spielten immer die neuesten Musikkassetten, die sich die Fahrer vom sogenannten „deutschen Kassettenshopper“ in Bagdad besorgten. Das war jedoch nicht etwa ein ausgewanderter Deutscher, wie man vermuten könnte, sondern einfach nur ein irakischer Musikkassettenhändler, der als einziger in Bagdad neben englischer auch deutsche Musik anbot.
Er flog ein paar Mal im Jahr nach Deutschland und brachte von dort die neuesten Platten mit, die dann in seinem Shop in Bagdad von ihm raubkopiert wurden. Das war in diesem Land gängige Praxis und völlig legal.
Beliebt unter den Monteuren waren Mischkassetten, die unter der Rubrik „Tophits“ nummeriert angeboten wurden. Die aktuelle Kassette, die zu jener Zeit in den Bussen auf und ab lief, hieß „Tophits 32“ und dudelte morgens und abends.
Wencke Myhre gab darauf die Warnung ihrer Mutter weiter, sich von bösen Buben fernzuhalten, Nickebocker und Biene verrieten uns, dass sie ihr ganz großes Glück in einem Zug nach Osnabrück gefunden hatten, James Last ließ uns von der „Biskaya“ träumen und Al Bano und Romina Power besangen mit „Sharazano Sharazan“ ihr heimliches Paradies.
Der Laden des Kassettenshoppers befand sich an der Karrada, schräg gegenüber der BRD-Botschaft.
Wenn die deutschen Monteure den Shop okkupierten, nahmen die darin befindlichen Iraker bald Reißaus, denn dann wurde es meist laut. Vor allem, wenn ich meine Wünsche äußerte und der Händler mit Begeisterung und voller Lautstärke Titel von Black Sabbath, Deep Purple, Metallica oder Iron Maiden spielte.
Ganz hoch in der Gunst der Monteure standen aber auch zwei Stimmungskassetten, die der Händler mit „Das grobe“ und „Das Super“ beschriftet hatte. Später bekam ich einmal die Plattencover in die Hände und konnte die richtigen Titel lesen. Sie hießen: „Das große Stimmungsalbum“ und „Das Super-Stimmungsalbum“. Offensichtlich waren dem Händler jedoch die Namen zu lang. Beliebt war auch eine sehr deftige Stimmungskassette, auf der sich Titel wie „Schnell, schnell, schnell, wir fahren ins Bordell“ oder „Ja, ja in Hollywood, da ist der Puff kaputt“ oder gar noch deftigeres Liedgut deutscher Schlüpfrigkeit befand. Diese Kassette wurde meist von den älteren Kollegen gekauft, die damit wohl heimliche Sehnsüchte stillten oder bei denen eher der Wunsch der Vater des Gedanken war.
Nun aber trat ich zum ersten Mal die Fahrt zu meiner neuen Arbeitsstelle an. Dazu fuhren wir auf der Fernstraße zehn, die von Bagdad nach Falludscha führte. Für diese Stadt gab es, wie für die meisten Städte im Irak, mehrere Schreibweisen. Die Iraker bezeichneten sie „Al-Fallujah“ oder
„Al-Anbar“. Ich gehe später noch ein wenig näher auf diese Stadt ein und auch auf das Schicksal, das diese Stadt noch über drei Jahrzehnte nach meinem Aufenthalt erlitt.
Die Fernstraße führte von Falludscha über Hit und Rutbah, weiter bis Jordanien oder Syrien.
In Abu Ghraib unterfuhren wir eine Fußgängerbrücke. Ohne sie hätte das Überqueren der Straße für die Fußgänger einen täglichen Überlebenskampf bedeutet. Es wäre schlicht selbstmörderisch gewesen, diese Straße an anderer Stelle zu passieren.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich die Zufahrt zu einem riesigen Parkplatz, auf dem mehrere hundert Trucks und Lkw standen. Dieser Platz war ein Zollparkplatz von unübersehbarer Größe. Den Fahrern blieb es nicht erspart geduldig zu warten, bis ihre Fahrzeuge endlich kontrolliert, abgefertigt und für die Weiterfahrt freigegeben wurden.
Bei manchen dauerte das Wochen, es sei denn, die Fahrer konnten das nötige „Schmiermittel“ einsetzen, um die Zöllner in Bewegung zu bringen. Bestechung war bei den meisten Behörden im Irak nämlich das A und O und deshalb auch völlige legitime Praxis.
Wir bekamen das später manchmal auf den Baustellen zu spüren, wenn unsere dringend erwarteten Materialtrailer auf den jeweiligen Parkplätzen standen und erst ein saftiges Handgeld die sofortige Freigabe ermöglichte.
Mancher hohe Zollbeamte fuhr einen von unserer Firma „gesponserten“ Toyota Corolla, wenn zum Beispiel in Basra ein Schiff mit unseren Materialcollies auf Reede lag und die dringend benötigte Ladung sonst nicht kurzfristig gelöscht wurde.
Einige hundert Meter hinter dem Parkplatz standen auf einem riesigen Arial riesenhafte rot-weiße Sendemasten, die mit armdicken Stahlseilen mehrfach abgespannt und an allen vier Seiten durch Flakstellungen gesichert wurden.
Nach ein paar Kilometern verlief die Straße dann nach links, zu unserer Flughafenbaustelle. Dort standen einige Bauwagen und Baucontainer für die Arbeitskräfte, versehen mit Klimaanlagen und Kühlschränken.
Ein deutscher Monteur sorgte dafür, dass immer ausreichend Kaltgetränke für die Kollegen zur Verfügung standen, obendrein betreute er das Materiallager.
Die Getränke brachten die Busse aus Bagdad mit, zahlreiche Kästen Cola, Wasser und Seven Up aber auch einen süßen Fruchtsaft, der wegen seiner gelbroten Farbe von uns „Möhre“ genannt wurde.
Außerdem gab es noch einige Thermokübel mit kaltem Tee.
Zum Betreiben unserer Geräte und zur Versorgung der Baustelle mit Strom liefen den ganzen Tag über Notstromaggregate. Bei den Aggregaten handelte es sich um leistungsstarke, mit Wasser gekühlte Dieselmotoren, die den gesamten Arbeitstag mit voller Leistung liefen. Kraftstoff sparen brauchte man nicht, den gab es in diesem Land im Überfluss und zu geringsten Preisen. Eine Limo oder Cola an der Straßenecke kostete das Fünffache eines Liters Benzin oder Diesel.
Von Zeit zu Zeit kam ein Tankwagen unserer Firma auf die Baustelle, der unsere Tankfässer vor Ort befüllte. Der Fahrer betreute alle Baustellen im Irak und hatte gut zu tun.
Wir montierten auf der Baustelle Leichtbauhallen und ich wurde der Dachkolonne zugeteilt. Wie ich später erfuhr, war das die unbeliebteste Arbeit unter den Monteuren. Bereits wenige Tage später konnte ich das nachvollziehen.
Ich bekam die Hitze aus erster Hand, und die war so gewaltig, dass man selbst die kleinste Schraube nur mit Arbeitshandschuhen anfassen konnte. Die Monteure am Boden stöhnten bereits bei dieser Hitze, aber auf dem Dach war sie noch wesentlich gnadenloser, denn die Dachplatten reflektierte die Sonneneinstrahlung und verstärkte sie ungemein.
Um die Temperatur zu testen, schlugen wir auf einer Dachplatte einmal ein Ei auf und siehe da, es wurde tatsächlich ein Spiegelei daraus.
Der Sonnenbrand war mein täglicher Begleiter und ich war froh, dass ich mich so reichlich mit Sonnenschutzmitteln und heilendem Panthenolspray versorgt hatte. Nur langsam gewöhnte ich mich an die sengende Hitze und an das gleißende Sonnenlicht.
Vernünftiger wäre es natürlich gewesen, in langer Arbeitskleidung zu arbeiten, aber das war mir lästig und unangenehm. Ich musste mir deshalb im Verlauf meiner Montagetätigkeit im Irak von unserem Tropenarzt so manche Standpauke gefallen lassen.
Für die Hilfsarbeiten hatte unsere Firma Ägypter, Bengalen oder Chinesen angemietet. Die kamen mit der Hitze besser zurecht als die deutschen Monteure, trugen lange Arbeitskleidung und darüber oft noch eine Weste oder eine zusätzliche Jacke.
Um den Flüssigkeitshaushalt stabil zu halten, trank ich an einem Arbeitstag bis zu acht Liter Wasser, Saft oder Cola. Doch je mehr man trank, umso größer wurde der Durst. Eine Alternative war der gekühlte Tee, der nicht so süß war, wie die von den Arabern überaus beliebte Cola.
Mittags wurde unsere Baustelle mit warmem Essen versorgt, welches etwa vierzig Kilometer von der Baustelle entfernt im Zentrallager gekocht und in Thermokübeln auf die Baustelle geliefert wurde.
Mein erstes Essen auf der Baustelle „Muthana“ waren weiße Bohnen mit Samunen, kleine, aus Weißbrotteig gebackene Brote, die wie deutsche Brötchen schmeckten. Kartoffeln waren zu dieser Jahreszeit ein Engpass und wenn es mal welche gab, dann waren sie sehr teuer. Da wir für das Essen pro Tag nur dreihundert Fils bezahlten, war es für den Koch gar nicht so einfach, kostendeckend und für alle zufriedenstellend zu kochen.
Das Rindfleisch war ebenfalls sehr teuer und kostete pro Kilogramm auf dem Basar drei Dinare und achthundert Fils, also mehr als ein Drittel des monatlichen Beitrages eines Kollegen. Es war deshalb nötig, dass die Monteure aus Deutschland Fleisch mitbrachten, um die Küche zu unterstützen. Und so gab es eine betriebliche Anweisung, dass erstens die Teilnahme am Mittagessen Pflicht war und zweitens jeder Kollege drei Kilogramm Fleisch mitzubringen hatte.
Obwohl ich bei der Hitze nicht den größten Hunger verspürte, war es doch gut, ein warmes Essen zu bekommen, da man abends oft keine Lust hatte, sich selbst etwas zu kochen, und außerdem war das Mittagessen ein täglicher Meilenstein. Man wusste, wenn das Essen auf die Baustelle kam, erwartete uns eine Stunde Pause und bis zum Feierabend war es dann nicht mehr sehr lang.
Das Essen lieferte ein Kollege, ein Oberlausitzer, der mir vom ersten Augenblick an sympathisch war. Er war stets gut gelaunt und machte täglich seine Späßchen.
Dass er Klaus hieß, erfuhr ich erst sehr viel später, denn jeder Kollege sprach ihn nur mit seinem Spitznamen „Finger“ an.
Das kam daher, dass der Mann zwei Lieblingsaussprüche hatte.
Der Erste war: „Nu zieh’ock amol ään Finger“.
Das war lupenreiner Oberlausitzer Dialekt und bedeutete „Beeile dich mal“, oder er sagte: „Dir fehlt wohl an Finger“, was bedeuten sollte „Du spinnst wohl“.
Der Finger war ein prima Typ, freundlich und bei allen beliebt. Seine Haare waren immer zerzaust, als könnte kein Kamm sie bewältigen, und er hatte einen Schnauzbart, der ihm an den Mundwinkeln weit herunter hing und an einen verschmitzten Bauern aus der ungarischen Puszta erinnerte.
Wenn das Essen einmal nicht so toll war und die Kollegen maulten, dann hatte er stets ein paar lustige Sprüche zur Hand, mit denen er die erhitzten Gemüter besänftigte. Sein Vorrat an Witzen schien unerschöpflich zu sein und sein Erscheinen auf der Baustelle löste bei den Kollegen stets gute Laune aus. Klaus gehörte zu den Glücklichen, die im Zentrallager wohnten und einen besonderen Status genossen.
Außer unsere Baustelle versorgte er mit seinem kleinen Lkw Toyota „Dyna“ noch zwei weitere Baustellen und so war er immer in Eile.
Nach der Mittagspause ging es dann wieder auf das Dach und man war froh, wenn man es ab und zu verlassen konnte, um etwas zu trinken oder um Material zu holen und sich dabei ein wenig zu akklimatisieren.
So ein Arbeitstag war hart und man sehnte nach acht Stunden den Feierabend herbei.
Zu Hause angekommen, erfrischten wir uns unter einer Gartendusche. Unser zweites Haus, das sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand, besaß sogar einen Swimmingpool, der allerdings immer überfüllt war und mich deshalb nicht sehr reizte.
Gegen Abend gingen mein Zimmerkollege Richard und ich oft zur Bushaltestelle, in unmittelbarer Nähe unserer Siedlung, und fuhren mit dem Bus nach Bagdad City.
Die Busse gefielen mir auf Anhieb. Es waren rote Doppelstockbusse vom Typ „Vanhool“, wie man sie ähnlich auch durch Londons Straßen fahren sieht. Die Eingangs- und Ausgangstüren fehlten allerdings.
Über eine Wendeltreppe gelangte man auf das Oberdeck, von dem aus man natürlich den besten Überblick hatte und ein wenig Fahrtwind abbekam, und ich genoss jede Fahrt.
Kurz vor dem Ortsausgang von Abu Ghraib bogen wir nach rechts ab und fuhren an einer hunderte Meter langen, braunen, etwa sechs Meter hohen Mauer entlang und obwohl ich bei der ersten Fahrt noch nicht wusste, was sich hinter dieser Mauer verbarg, hatte ich ein eigenartiges, beklemmendes Gefühl.
Von Richard erfuhr ich dann, dass sich hinter dieser Mauer die größte Strafanstalt des Landes befand, das Kasr Al Nihaya Gefängnis. Dieses Gefängnis spielte in der Geschichte des Landes eine überaus unrühmliche Rolle. Das galt für die Vergangenheit, änderte sich in der Gegenwart nicht und sollte Jahre nach meinem Aufenthalt im Irak den schmählichen Höhepunkt erfahren.
Von meinem ersten irakischen Geld kaufte ich mir in Bagdad am nächsten Stand natürlich erst einmal eine Sonnenbrille. Anschließend gingen wir auf dem Rashid entlang, der geschichtsträchtigsten Straße von Bagdad und der zugleich ältesten Handelsstraße der Welt, und ich spürte sehr stark das orientalische Flair, das mich an jeder Stelle umgab.
Der Rashid ist über drei Kilometer lang und entlang dieser Straße spendeten Säulengänge Schatten und etwas Kühle. Die entstand, indem die Gehwege von den Händlern immer wieder mit Wasser benetzt wurden. Durch den anschließenden Verdunstungsvorgang wurde eine angenehme Temperatur erzeugt.
Ein Geschäft reihte sich an das andere und auf dem Rashid war der Orient noch so, wie man ihn sich aus Reiseberichten und Büchern vorstellte – farbig, laut, nach tausend Gerüchen duftend und voller Autos und Menschen, die sich durch dieses Chaos drängelten.
Bei meinem ersten Besuch, als alles noch neu für mich war, nahm ich alle Eindrücke mit Verwunderung und Erstaunen wahr.
Nachdem ich diesen Ort öfter besucht hatte, ließ ich mich einfach von dem Geschehen treiben, tauchte in das bunte Gedränge der vielen Menschen ein und genoss das unbeschreibliche Gefühl, auf historischem Boden zu schlendern, die verschiedenen Schaufenster zu bestaunen oder einfach nur planlos umher zu bummeln und bei einem der zahlreichen Limonadenhändler eine gekühlte Limonade oder einen eiskalten Fruchtsaft zu trinken. An jenem Tag hatten wir mit Richard jedoch ein bestimmtes Ziel.
Ich wollte mir eine schöne Armbanduhr kaufen, hatte allerdings noch keine rechte Vorstellung, wie sie aussehen sollte. Schließlich blieben wir an einem Uhrengeschäft stehen und bewunderten die übergroße Auswahl.
Ich hatte bis zu jenem Zeitpunkt noch nie ein Uhrengeschäft mit einem so überwältigenden Angebot an Armbanduhren gesehen. Der Händler saß in seinem Geschäft hinter der Ladentheke, bei weit geöffneter Ladentür.
Richard und ich standen davor und unterhielten uns über die verschiedenen Uhrenmodelle. Währenddessen war uns nicht aufgefallen, dass uns der Händler die ganze Zeit beobachtet und uns offenbar bei unserem Gespräch zugehört hatte, obwohl es in deutscher Sprache geführt wurde.
Mir gefiel eine Uhr mit Countdownfunktion und ich beschloss, sie zu kaufen, wenn ich mich mit dem Händler über den Preis einigen könnte.
Als wir schließlich das Geschäft betraten, stand der Händler auf und empfing uns mit dem Gruß, welcher zu einer Zeit gehörte, in der Deutschland ganz Europa in das größte Unglück der Weltgeschichte gestürzt hatte. Er stand mit ausgestrecktem rechten Arm, entbot uns in deutscher Sprache diesen Gruß, hielt erstaunlicherweise in der linken Hand die Uhr, über die wir uns vor dem Geschäft unterhalten hatten und bot sie mir lächelnd an.
Ich vermutete, dass der Mann sich der Bedeutung dieses Grußes nicht bewusst war und übersah dessen Geste ein wenig peinlich berührt, denn ich hatte von meinen Kollegen bereits erfahren, dass diese Begrüßung kein Einzelfall bleiben würde, außerdem ging es mir ja in erster Linie ohnehin nur um die Armbanduhr.
In der Auslage kostete sie fünfundzwanzig Dinare und obwohl ich gar nicht feilschte, bot sie mir der Mann für einundzwanzig Dinare an.
Der Händler bemerkte meine Verwunderung und sagte lächelnd auf Englisch, dass er sehr große Sympathien für Deutschland und seine Menschen empfinde, aber es gab noch einen zweiten Grund, der ihn großzügig stimmte. Wir erfuhren, dass der Bruder des Händlers in Deutschland lebt, er selbst auch ein wenig Deutsch sprach und uns zum Beweis gleich einige Bundesligafußballspieler aufzählte. Er bot uns ein Gläschen Tee an, der es in sich hatte, und im Gegenzug gab ich eine Runde Zigaretten aus. Der Tee war außergewöhnlich und ich ahnte zu jenem Zeitpunkt nicht, dass gerade dieser Tee in den kommenden Monaten für mich zu einem Suchtmittel werden sollte. Ein Teelöffel arabischer Schwarztee, ein Teelöffel Zucker und ein kleiner Schluck Wasser in kleinen Teegläsern serviert, ließen dieses Gebräu gallebitter, aber zugleich auch zuckersüß schmecken. Er war eine der vielen Wonnen Arabiens, die ich kennenlernen durfte.
Auf dem Weg zurück sahen wir einen Iraker am Fahrbahnrand hocken. Er war mit einer Dschellaba bekleidet. Vor sich hatte er ein Hühnchen sitzen, mit dem er spielte. Ich blieb mit Richard abseits stehen und beobachtete belustigt diese Szene. Ich fragte Richard: „Was treibt der denn da, ist der nicht ganz richtig im Kopf?“
„Warte mal ab“, grinste mein Kollege, „gleich wirst du sehen, was das für einen Sinn hat, das Hühnchen ist nämlich nur Tarnung.“
Kurz darauf verstand ich den Grund des Spieles, denn als der Mann aufstand und sein Hühnchen auf den Arm nahm, lag im Rinnstein ein Haufen und der war definitiv nicht vom Hühnchen.
Wir gingen dann zum Al Tahir Square mit seinem großen Betonrelief, welches dem irakischen Volk vor der Revolution am vierzehnten Juli 1958 gewidmet war und eine beeindruckende Länge von zirka fünfzig Metern und eine Höhe von etwa acht Metern aufwies. Es zeigte den Ankömmlingen vom Saadun oder von der Jumhuriya Brigde schon von weitem den Busbahnhof an.
Der befand sich nämlich unmittelbar vor diesem Monument in einem riesigen Kreisverkehr, so dass wir diesen Platz als Buskreisel bezeichneten. Der Kreisel war für alle Monteure ein leicht zu findender Treffpunkt. Unter dem Buskreisel reihte sich Geschäft an Geschäft und es war angenehm, dort einzukaufen, da es erfrischend kühl in den Katakomben war.
In der unmittelbaren Nähe des Buskreisels befand sich ein großes Lokal in englischem Kolonialstil mit großen Säulen im Innenraum. Dieses Lokal gehörte vor vielen Jahren zu einer Karawanserei und war besonders am Donnerstagabend oder am Freitag, dem Sabbat, immer voll besetzt. Aber auch an jenem Tag, einem Mittwoch, gab es fast keinen freien Stuhl. Schließlich fanden wir dann aber doch noch zwei freie Plätze und ich stellte fest, dass Richard in diesem Lokal bereits gut bekannt war, die überschwängliche Begrüßung ließ darauf schließen. Wir bestellten zwei Flaschen Bier und bekamen jeder ein Schälchen Pistazien dazu gereicht. Ebenfalls zu unserem Bier wurde uns die typische arabische Musik serviert, mit der wir die ganze Zeit über beschallt wurden, doch gerade diese Musik machte das arabische Flair komplett und passte in diese Atmosphäre.
Nach ein paar weiteren Besuchen in diesem Lokal wurde ich ebenso freundlich begrüßt wie Richard und ich war sicher der erste ausländische Gast, von dem eine komplette Kassettenseite der britischen Hardrockband „Black Sabbath“ über die Lautsprecher der Gaststätte gespielt wurde, die ich kurz zuvor bei einem Musikhändler gekauft hatte.
Erst als die erste Seite vollständig abgelaufen war wurde ich gefragt, ob es möglich wäre, auf Wunsch der anderen Gäste wieder arabische Musik zu spielen. Mir war das unerhört peinlich und ich nahm mir vor, dass mir so eine Entgleisung nicht noch einmal passieren sollte.
Als ich wenig später ebenfalls zu den Stammgästen gehörte, die das Lokal etwa ein bis zweimal pro Woche besuchten, hatte man mir meinen kleinen Fehltritt längst verziehen. Platzprobleme kannte ich inzwischen ebenfalls nicht mehr.
Einmal wurden sogar Gäste umplatziert, damit Richard und ich einen freien Tisch bekamen. Zwei Männer mussten sich dabei gar einen Stuhl teilen und taten das lächelnd. Auch das war mir peinlich, doch die beiden Männer gaben uns zu verstehen, dass sie uns ihre Plätze gern überlassen hatten.
Eine Gastfreundschaft, die von uns Deutschen schwer zu verstehen war.
Nach dem Restaurantbesuch waren es dann nur wenige Schritte bis zu unserer Bushaltestelle.
Von dort überquerten wir den Tigris über die Jumhuriya Bridge und fuhren über die Yaffa Street, die 14. Juli Street und die Gailani Street zurück nach Abu Ghraib.
Wir kamen an riesigen Saddam-Hussein-Monumenten und Wandgemälden vorüber, auf denen er, mit einer Dschellaba bekleidet, eine Maschinenpistole in der Hand hielt, als entschlossener Freiheitskämpfer mit erhobenem Karabiner dargestellt wurde, als Bauer hinter dem Pflug, oder in kurdischer Kleidung mit Säbel.
Das war allerdings umso verlogener, da Saddam Hussein Zeit seiner Regierung einen ständigen Kampf mit der kurdischen Bevölkerung ausgefochten hatte. Selbst in Bussen, Taxis, ja sogar in Privat-Pkws konnte man die Bildnisse von Saddam Hussein sehen. Sie waren ähnlich einem heiligen Schrein, bunt geschmückt.
Der Saddam-Kult war übergroß und ich nahm zum Beginn meines Aufenthaltes im Irak an, dass dies große Achtung, Ehrfurcht und Liebe ausdrücken sollte. Später stellte ich fest, dass es oft nur dem Selbsterhaltungstrieb diente, um vor dem System nicht aufzufallen, abgesehen von einigen verblendeten Regimeanhängern, die dem Kult aus Überzeugung frönten.
Mir selbst war dieser Mann zum Beginn meines Aufenthalts ebenfalls sehr sympathisch, allerdings war das eine rein visuelle Wahrnehmung, sein wahres Wesen eröffnete sich mir erst Monate später.
Wenige Jahre vor meinem Einsatz erstarkte im Süden des Landes die Schiitenbewegung, eine fundamentale Glaubensrichtung, die Saddam Hussein bis auf den Tod hasste, denn er war Sunnid.
Der bedeutendste Schiitenführer mit großem Einfluss war der damals in Nadjef lebende Ajatollah Khomeini. Dieser wurde 1964 vom Schah Reza Pahlevi aus dem Iran ausgewiesen und lebte seitdem in dieser Stadt, einer der heiligen Städte im Irak und scharte dort unzählige Anhänger um sich.
Saddam Hussein hatte im Jahr 1978 mit dem Schah einen Vertrag über die Nutzung des Schatt Al Arab abgeschlossen und im Gegenzug unbequeme Gegner des iranischen Regimes im Irak aufgenommen. Als der Vertrag ratifiziert war, wies Saddam Hussein allerdings im gleichen Jahr alle Iraner aus dem Land aus, darunter auch den Ajatollah Khomeini.
Khomeini ging in das Exil nach Paris und arbeitete dort am Sturz des Schahs.
Inzwischen wütete der irakische Geheimdienst unter den Schiiten des Landes und nahm reihenweise Exekutionen vor.
Über 20.000 Schiiten flohen daraufhin in den Iran und ließen ihre Häuser und ihr Hab und Gut zurück. 1979 kehrte auch der Ajatollah Khomeini in den Iran zurück und stürzte mit seinen Anhängern den Schah. Gleichzeitig versetzte er damit das Land hunderte Jahre zurück in eine islamische religiöse Diktatur. Heute würde man sagen, dass er ein Kalifat gegründet hatte. Saddam Hussein warnte daraufhin auf den arabischen Konferenzen die anderen arabischen Nationen vor dem Regime Khomeinis und hatte damit Erfolg. Er gewann zunehmend Einfluss bei den übrigen arabischen Staaten und erhielt von ihnen Unterstützung. Hussein machte den arabischen Staaten klar, dass nur ein Krieg das Regime Khomeinis im Iran zerstören konnte.
Am zweiundzwanzigsten September 1980 fielen seine Armeen mit 100.000 Soldaten auf einer Breite von 600 Kilometern in den Iran ein, um die Erdölprovinz Chuzestan zu erobern und begannen damit einen beispiellosen Krieg, der alles bisher an Brutalität, Grauenhaftigkeit und Vorstellbarem übertraf und Unvorstellbares zu Tage treten ließ.
Zwar wurde im Herbst 1980 nach blutigen Kämpfen die Stadt Choramschahr am Persischen Golf eingenommen, aber es wurden keine nennenswerten Geländegewinne erzielt. Von einem von Saddam Hussein geplanten Blitzkrieg konnte nun keine Rede mehr sein, die Kampfhandlungen entwickelten sich zu einem verbissenen Stellungs- und Grabenkrieg, bei dem auf beiden Seiten unzählige Opfer zu beklagen waren.
Sollte dieser Krieg zunächst einmal die Vorherrschaft am Persischen Golf regeln, dehnten sich die Kämpfe zunehmend entlang der irakisch-iranischen Grenze aus. Doch sie blieben nicht nur eine militärische Auseinandersetzung zwischen den Armeen beider Länder, sondern bezogen auch zunehmend die schiitische Bevölkerung im Süden des Landes, die noch verblieben war, sowie die Kurden im Norden in die Kriegsgeschehnisse ein.
Es entwickelte sich im Irak selbst schließlich ein Widerstand, der sich gegen die irakische Armee richtete und mit der Taktik der kleinen Nadelstiche durchgeführt wurde.
Kein Militärkonvoi, der durch die unwegsamen kurdischen Bergschluchten fuhr, konnte sicher sein, nicht auch einem Anschlag der gefürchteten Freiheitskämpfer, den „Peschmergas“, zum Opfer zu fallen.
Der Vorsatz, einen autonomen kurdischen Staat zu gründen, ließ diese Kämpfer alle erdenklichen Strapazen und Repressalien auf sich nehmen. Der Hass auf den Diktator Saddam Hussein war bei der unterdrückten kurdischen Bevölkerung ohnehin riesengroß.
Wenn der Präsident in den Norden des Landes reiste, hatten seine Geheimpolizisten schon Tage vorher alle Orte, die durchfahren wurden, genauestens inspiziert, um Anschläge ausschließen zu können. Wenn es nötig war, wurden sogar Häuser abgerissen, die eine uneingeschränkte Sichtachse versperrten. Geheimpolizei und Soldaten sicherten, bis an die Zähne bewaffnet, die Durchfahrt des Konvois ab. Auf den Dächern verteilt lagen Scharfschützen.
So ein Konvoi bestand aus etwa dreißig gepanzerten schwarzen Luxuslimousinen mit schwarz getönten Scheiben. Einen der Wagen fuhr Saddam Hussein immer selbst.
In mehreren Fahrzeugen saßen seine Doppelgänger, sogenannte „Fidais“, von denen er, wie sein Vorbild Josef Stalin, eine unbekannte Anzahl besaß.
Bei manchen öffentlichen Veranstaltungen ließ Hussein sogar seine „Fidais“ auftreten, die für die Zeit, während sie ihm „dienten“, von ihren Familien getrennt wurden und in seinem engsten Umfeld lebten.
Während der Fahrt wurde auf Kommando über Funk ständig die Position gewechselt, um das Risiko eines Anschlages so gering wie möglich zu halten.
Am Zielort angekommen, mischten sich zahlreiche Geheimpolizisten unter die Bevölkerung.
Husseins Geheimpolizei wurde übrigens von Spezialisten der Staatssicherheit der DDR ausgebildet.
Saddams gespielte Volksnähe und seine geliebte Selbstdarstellung waren einzig auf dem Fundament der Macht und der Gefährlichkeit der Geheimpolizei gegründet.
Als im Verlauf des irakisch-iranischen Krieges die Kriegskassen immer leerer wurden, rief der Präsident das Volk zur finanziellen Unterstützung auf. Die Liebe zum Staat und zur Regierung und die Möglichkeit für die Bevölkerung, ihrem Präsidenten helfen zu können, nutzen viele Menschen. Sie kamen zu Tausenden aus allen Teilen des Landes und spendeten Geld, goldenen Brautschmuck und andere Wertsachen. Keine der angesehenen Familien wollte und vor allem konnte sich hierbei ausschließen, weil diese riesige Spendenaktion tagelang im Fernsehen übertragen wurde und jedermann sah, wer sich an dieser Aktion beteiligte.
Für die einfache Bevölkerung aber war es die einzigartige Gelegenheit, selbst einmal die Pracht in Saddams Palast zu erleben, denn dieses Privileg hatten sonst nur wenige Auserwählte.
Jedem der Spender, so gering die Spende auch sein mochte, drückte Saddam Hussein persönlich die Hand, denn der täglichen stundenlangen Zeremonie wohnte er ununterbrochen bei.
Dieses Erlebnis war natürlich besonders für die Kinder prägend und reihte sie in die Schar der glühendsten Saddam-Anhänger ein.
Später musste ich erkennen, dass gerade diese Kinder im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren eine gefährliche Unbekannte darstellten, denn sie gingen mit der Gefahr und mit den Waffen, die sie mitunter trugen, völlig leichtfertig um. Es war in Ausnahmesituationen gerade für uns Ausländer gar nicht ungefährlich, diesen Kindern, auf der Straße zu begegnen, wenn sie Waffen trugen.
Für sie war es eine Genugtuung, dass wir bei dem Anblick ihrer Waffen doch recht zurückhaltend reagierten, denn wir konnten nicht einschätzen, wie weit sich die Kinder selbst unter Kontrolle hatten. Der Versuch, mit ihnen ein Gespräch zu führen, scheiterte besonders zu Beginn meiner Montagetätigkeit daran, dass ziemliche Verständigungsprobleme zwischen uns bestanden. Später, als ich die arabische Sprache in ihren Grundzügen beherrschte, änderte sich das.
Glücklicherweise waren Kinder mit Waffen nicht die Regel. Meist traf man sie nur dann, wenn entweder eine Schlacht gewonnen wurde, um Freudenschüsse abzufeuern, oder an Festtagen, um dann fröhlich herum zu knallen, mit scharfer Munition wohlgemerkt.
Wer jemals selbst so eine Waffe abgefeuert hat, der weiß, wie stark der Rückschlag einer Maschinenpistole bei kurzen Feuerstößen ist. Die Halbwüchsigen waren selbst nicht in der Lage einzuschätzen, wie groß die Gefahr war, die sie selbst darstellten.
Saddams Besuche in Kurdistan waren jedoch nicht etwa ausschließlich Propagandazwecken geschuldet. Er besuchte gleichzeitig einige seiner Paläste, die in den Bergen, meist an exponierten Stellen, errichtet wurden.
Einer dieser Paläste wurde gerade hoch oben in den Bergen, unmittelbar neben dem berühmten Kloster Deir Mar Matta gebaut und ich hatte das Glück, diesen Palast besuchen zu können.
Der Präsident besaß im gesamten Land verteilt über zwanzig Paläste, die sich ausnahmslos an attraktiven Plätzen, wie in der Nähe von kulturhistorischen Sehenswürdigkeiten oder in landschaftlich besonders reizvollen Lagen befanden.
Ein paar Tage nach unserem letzten Besuch in Bagdad, fuhren wir wieder in die Stadt und da es Donnerstag war und wir uns viel Zeit nehmen konnten, weil ein freier Tag folgte, wollten wir natürlich den Basar durchstreifen. Ein Basar, den es schon seit hunderten Jahren gab und der selbst in den Märchen aus 1001 Nacht Erwähnung findet.
Einige der Räuber, mit denen sich bereits Ali Baba herumgeschlagen hatte, schienen auf diesem Basar allerdings die Jahrhunderte unbeschadet überdauert zu haben. Man erkannte es an den oft unverschämten Preisen.
Hier und da war auch noch der „Dieb von Bagdad“ existent, denn es war nicht selten, dass Ausländer zwar mit einer Brieftasche in den Basar hineingegangen waren, aber den Souq leider ohne Brieftasche verließen. Habhaft wurde man keinem der Strolche, das Gewirr der Gassen erleichterte den Dieben die Flucht.
Eigentlich bestand der große Basar aus vielen Einzelbasaren, die jedoch alle miteinander durch schmale Gassen und Irrwege verknüpft waren.
Die einzelnen Basare wurden im Süden vom Tigris begrenzt und der Rashid bildete die nördliche Grenze. Die Waren wurden den jeweiligen Basaren zugeordnet. So gab es linker Hand des Rashid, zwischen der Ahrar- und der Sabataschbrigde, den Kupfer- und Messing-Souq, den Gold-Souq, den Textil-Souq, danach den Möbel-, Werkzeug-, Hausrat- und den Fahrzeugteile-Souq. Ihnen schlossen sich die Basare für Schuhe, Teppiche, Ziergegenstände, Lederwaren und Kosmetik an, alles unter Arkaden in hunderte Meter langen, verzweigten Gängen.
Bevor man vom Rashid aus in den Basar gelangte, kam man an der Kalifenmoschee in der Khulafa Street vorüber, von deren Minarett der Sage nach der Kalif Harun Al Rashid gemeinsam mit seinem Wesir als Kraniche verwandelt durch das Land flogen, um heimlich vom Volk zu erfahren, was die einfachen Menschen über den Kalif sprachen.
Diese Moschee unterschied sich erheblich von den anderen Moscheen in Bagdad, sie war aus sandfarbenen Steinen gemauert und wies nicht die sonst gebräuchlichen üppigen Farben auf. Die Bauweise dieser Moschee ist im Land einzigartig. Das Minarett wurde 1289 n. Chr. auf die Fundamente der Moschee von 908 n. Chr. gebaut, die Moschee selbst wurde jedoch erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts im maurischen Stil errichtet.
Wir gingen stets zuerst in den Kupfer-Souq, weil man von dort aus alle anderen Basare erreichen konnte. Das Angebot war überwältigend und erstreckte sich von traditionellen bis hin zu individuellen Arbeiten, die auf Wunsch der Kundschaft angefertigt wurden.
Wir suchten in diesem Labyrinth nach jenem Kupferschmied, der auf vielen Ansichtspostkarten Iraks zu sehen war und fanden ihn schließlich tatsächlich durch puren Zufall unter geschätzten zweitausend Kupferschmieden. Er war allerdings inzwischen etwa achtzig Jahre alt, saß auf einem Hocker vor seiner kleinen Werkstatt und diente nur noch als Aushängeschild und Werbefigur für seinen eigenen Laden, den längst sein Sohn führte.
Der einstige Ruhm schien ihn aber nicht reich gemacht zu haben, denn sein Laden war recht armselig, im Gegensatz zu den früheren Fotos.
Nach angemessenem Aufenthalt bei jenem Kupferschmied ließ ich mir bei einem anderen Meister einen großen Wandteller anfertigen, auf den alle von mir gewünschten Motive eingemeißelt wurden.
Es waren Motive des Landes, wie der Löwe von Babylon, der Palast von Ktesiphon, das Spiralminarett von Samarra und der Nimrud von Ninive.
Uns war dieses Geschäft aufgefallen, weil es größer und prächtiger ausgestattet war, als die meisten Läden im Basar. Außerdem lag dieses Geschäft direkt an einem Knick der Gasse und war somit von zwei Seiten einzusehen.
Auch dort bot ich dem Kupferschmied eine Zigarette an und wir bekamen im Gegenzug den obligatorischen Tee, der dieses Mal jedoch nicht vom Händler selbst zubereitet wurde, sondern er bestellte ihn bei einem vorbeilaufenden Jungen, der uns den gesamten Vorgang, vom Zubereiten des Getränks bis zum Einschenken, kunstvoll und mit unglaublichem Geschick zelebrierte. Er spülte die Gläser mit heißem Wasser aus einem umgehängten Thermokanister aus, gab Tee und Zucker in die Gläser und füllte sie mit heißem Wasser auf, das er dann aus einer Kanne aus einer Höhe von etwa vierzig Zentimetern in die Gläser goss, ohne einen Tropfen Wasser zu vergeuden.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass eben jener Kupferschmied einer der berühmtesten Meister seines Faches auf diesem Basar war und dass ich ihn noch oft besuchen und auch so manchen Kollegen zu ihm hinführen würde.
An diesem Tag feilschte ich erfolgreich um den Preis und ich freute mich, dass ich statt der vierzehn Dinare nur elf bezahlen musste.
Ich stellte jedoch bald fest, dass mit der englischen Sprache allein auf diesem Basar nicht überall auszukommen war, also beschloss ich, so schnell wie möglich Arabisch zu lernen.
Wir besuchten natürlich auch einige andere Basare und vor allem der Textil-Souq und der Gold-Souq machten mich sprachlos. Unzählige aneinandergereihte kleine Läden boten eine riesige Vielfalt an Waren, deren Pracht sich gegenseitig übertraf. Allein der Gold-Souq, in denen der schönste arabische Brautschmuck zu Hunderten in den Schaufenstern hing, suchte seinesgleichen.
Einige Stunden später beendeten wir mit durstigen Kehlen und müden Füßen unseren Basarbesuch und schlossen diesen schönen Tag bei einem Bier in dem schon genannten Lokal ab.
Der nächste Tag begann stürmisch und ständig wehten Windhosen über die Baustelle, die für eine Weile den Himmel verdunkelten und eine Menge Sand über uns hinweg fegten. Die Zeit der Sandstürme war inzwischen in vollem Gange.
Der Wüstensturm hatte die Kraft und die Eigenschaft, Landschaften zu verändern und neu zu formen. Bekanntes verlosch und ließ Unbekanntes auferstehen. Landkarten schufen zwar wichtige Rahmenbedingungen, konnten verwehte Straßen allerdings nicht sichtbar machen.
Auch die Menschen blieben von den Sandstürmen nicht verschont und wir bekamen auf unseren Baustellen Akkupunkturen von feinen Sandkörnchen, wie von tausenden kleiner Nadeln.
Mal kam so eine Windhose völlig unvermittelt und streute ihren graugelben Sand über uns, ein anderes Mal konnte man schon am Horizont die dunkle Wand nahen sehen, die dann unsere Baustelle mit unvorstellbaren Massen Sandes überzog, so dass man die Hand vor Augen nicht mehr sah.
Der feine Sand drang in alle Poren der Haut, in Mund, Augen, Nase und Ohren, kroch in die Öffnungen des Hemdes, in den Hosenbund und sogar in die Schuhe und unter die Sockenränder, so dass man das Gefühl hatte, der Körper wäre in Sandpapier gebettet. Unsere Fahrzeuge waren mit jenem Sand überzogen, die Frontscheiben waren nicht mehr zu durchblicken und gaben die Sicht erst wieder frei, wenn die Scheibenwischer ihre kraftvolle Bahn gezogen hatten, selbst in den Fahrzeugen hatte der Sand eine feine Schicht auf Sitze und Armaturenbrett gelegt.
Während der Zeit der Sandstürme war es besonders wichtig die Dachplatten auf unseren Hallen so schnell wie möglich zu verlegen und auch zu befestigen. Am First blieb allerdings immer ein Spalt offen, der mit sogenannten Firstblechen geschlossen werden musste.
Diese Bleche waren etwa einen Quadratmeter groß.
Damit wir an jenem Morgen das Dach unserer Halle so schnell wie möglich zugedeckt bekamen, hatten wir entlang des Dachfirstes bereits diese Blechplatten in langer Reihe ausgelegt, ein schwerwiegender Fehler, wie sich bald herausstellte.
Zwei Kollegen waren bereits damit beschäftigt diese Bleche zu bohren, damit sie befestigt werden konnten, als unvermittelt wieder so eine Windhose mit großer Kraft und hoher Geschwindigkeit über die Baustelle fegte. Plötzlich wurden die Bleche mit Urgewalt durch die Luft geschleudert und flogen wie Geschosse über das Dach. Ich warf mich instinktiv flach auf den Bauch und die anderen Kollegen taten das Gleiche, alle in der Hoffnung, dass wir ungeschoren davon kommen würden, denn so ein Blechgeschoss konnte einem, ähnlich einem Scharfrichterschwert, mit dieser ungemeinen Wucht leicht den Kopf abtrennen. Zum Glück war uns, abgesehen von einigen Prellungen und Schnittverletzungen, nichts Ernsthaftes geschehen, aber der Schreck saß uns allen in den Knochen.
Die Baustelle glich einem Schlachtfeld. Wandplatten von sechs bis neun Metern Länge waren auf einer Riesenfläche verstreut. Abfallmaterial, Verpackungen und Bretter hatte die Windhose ebenfalls mitgenommen.
Wir selbst sahen auch ziemlich desolat aus: zerzaust, mit feinem, orangefarbenem Sand überzogen und trotz der Sonnenbräune recht blass, aber glücklicherweise gesund!
An ein sofortiges Weiterarbeiten war jedoch im Moment nicht zu denken. Wir stiegen erst einmal vom Dach, um uns den Staub aus dem Mund zu spülen.
Für mehrere Wochen wurden wir fast täglich von diesen Stürmen heimgesucht.
Als die Zeit der Sandstürme abebbte, rauschte ein anderer Sturm über uns hinweg. Es waren arabische Frauen, in ihren schwarzen Gewändern. Sie kamen in Gruppen von zehn bis fünfzehn Frauen und Mädchen von etwa vierzehn bis vierzig Jahren. Die Anführerinnen hatten stets Brecheisen dabei.
Eines Tages kam so eine Gruppe direkt auf uns zu und die Frauen erweckten irgendwie keinen besonders friedlichen Eindruck, mit ihren Brecheisen, Knüppeln und Hanfseilen in den Händen.
Etwa fünfzig Meter vor unserer Baustelle schwenkten sie jedoch nach links ein und schritten zielgerichtet auf unsere Abfallberge zu.
Dort hatten wir die Bretter und die übrige Verpackung unserer Materialcollies auf einen Haufen geworfen, der dann von Zeit zu Zeit abgebrannt wurde – wir praktizierten Müllbeseitigung auf Arabisch.
Wir machten uns keine Gedanken darüber, dass die Bewohner der umliegenden Dörfer diese Abfälle als Baumaterial für ihre Schafställe oder ähnliches brauchen könnten, denn Palmen, die vereinzelt wuchsen, ließen sich nicht zu Brettern verarbeiten, da sie faserig waren, und andere Bäume gab es im weiten Umkreis nicht.
Die Kräftigste der Frauen lud sich eine Kistenrückwand auf den Kopf und ließ sich Bretter und Kanthölzer darauf stapeln und mit den Stricken festzurren, ebenso machten das anschließend ein paar andere Frauen, bis sie so stattliche Haufen auf den Köpfen hatten, dass sie endlich wankend davonzogen.
Da das nächste Dorf ein paar Kilometer weit entfernt war, musste das für sie ein unerhörter Kraftakt gewesen sein.
Hans-Joachim, von allen Kollegen nur „Hajo“ genannt, rief ihnen aus Spaß zu, dass sie uns Bakschisch da lassen sollten, aber die Frauen reagierten natürlich nicht darauf und zogen unbeirrt weiter.
Einige Tage später waren die Frauen erneut im Anmarsch und unser Abfallberg war bereits wieder beträchtlich angewachsen. Wir riefen Hajo zu, dass wir wieder einmal Besuch von den „Fledermäusen“ bekämen, da stieg er vom Träger herunter, auf dem er gehockt und Dachriegel montiert hatte, und ging in unseren Brennstoffcontainer. Dort entnahm er einen Benzinkanister, goss den Inhalt über den Holzhaufen, ließ die Frauen noch ein Stück heran kommen und zündete dann das Holz an.
Mit einem Schlag stand der Haufen in hellen Flammen und brannte lichterloh.
Seit diesem Tag habe ich nie wieder einen Menschen so pfeilschnell durch die Wüste jagen sehen, wie unseren Hajo, von fünfzehn laut schreienden arabischen Frauen verfolgt, die dabei wütend ihre Knüppel und Brecheisen schwangen.
Haken schlagend, gelang es Hajo endlich, einen unserer Container zu erreichen und die Tür zu verschließen. Wir mussten die Frauen sogar von der Baustelle vertreiben, sonst hätten sie Hajo verprügelt, wenn sie ihn habhaft geworden wären.
Es hatte sich bei den Bewohnern der umliegenden Dörfer nach diesem Ereignis schnell herumgesprochen, dass am Rande des Flughafens eine Firma arbeitet, die brauchbares Holz verbrannte und wenige Tage später fuhr ein Kleintransporter vor, dessen Fahrer uns das Holz für einen geringen Obolus abkaufte und sich auch das Vorverkaufsrecht sicherte. Wir sortierten dann für ihn sogar das brauchbare Holz aus und für das empfangene Trinkgeld organisierten wir eine Feier für alle Kollegen.
Für den folgenden Donnerstag wurden Richard und ich von ein paar Kollegen zu einer Party zu ihnen nach Bagdad eingeladen.
Wie jeden Tag duschten wir gleich nach dem Feierabend und fuhren mit unserem Einkäufer Edgar, der in Bagdad die Post für die Kollegen abholte, in die City. Edgar nahm dabei allerdings eine andere Route als der Linienbus und fuhr mit uns einige Kilometer über die kürzlich fertiggestellte Stadtautobahn, von dort über die Omar Bin Yasir Street in Richtung Karrada. Dabei kamen wir am Gebäude der Baath Partei vorüber.
Das war ein riesiges, prunkvolles Gebäude, auf dessen vier Ecken des Daches ich MG-Stellungen entdeckte. Edgar erklärte mir, dass diese Maßnahme bei öffentlichen Gebäuden völlig normal wäre und dass es strengstens verboten war, etwa vor der Baath Partei mit dem Auto zu wenden oder dieses Gebäude, wie übrigens auch alle anderen öffentlichen Einrichtungen, Brücken oder militärischen Objekte, zu fotografieren. Bei Zuwiderhandlung wurde sofort geschossen, im günstigsten Fall wurde man jedoch zumindest in das Gefängnis geworfen.
Die Fahrt verlief anschließend über die vierspurige Karrada auf den Saadun und von dort in ein Wohngebiet, in dem sich die Unterkünfte für die Kollegen in Bagdad befanden. Es waren gepflegte, angemietete Häuser mit Gärten, an deren Mauern Hibiskussträucher und andere wohlriechende Pflanzen wuchsen. In den Gärten gediehen neben den verschiedensten Blumen und Pflanzen auch Kakteen und Sukkulenten. Besonders häufig war jedoch der Jasmin zu bewundern, der mit seinem betörenden Duft und seiner Pracht in kaum einem Garten fehlte.
Da alle unsere Häuser in Bagdad von der Oberbauleitung intern nummeriert worden waren, entfiel auf das Haus, in dem wir zu Gast waren, die Nummer acht, das Haus der Oberbauleitung hatte die Nummer eins bekommen, die Häuser in Abu Ghraib die Nummern vier und fünf.
Als wir ankamen, war bereits alles vorbereitet und wir wurden mit Gejohle empfangen. Der Koch, der die Mitarbeiter der Geschäftsleitung in Bagdad versorgte, ließ es sich nicht nehmen, für alle Kollegen zu grillen, denn er wohnte ebenfalls im Haus acht.
Die Bratwürste und die Schweinesteaks hatten wir aus Deutschland mitgebracht, da Schweinefleisch im Irak, bis auf Ausnahmen, tabu war. Alles andere wurde in Bagdad besorgt. Neben Bier gehörten zu unserer Feier auch ein paar Flaschen Rotwein.
Der Wein wurde von uns, entgegen den üblichen Gepflogenheiten, eisgekühlt getrunken und war auch bald alle.
Ein Kollege fragte mich, ob ich ihn zu einem Händler begleiten würde, dessen Shop sich nur eine Straße weiter befand, um bei ihm noch ein paar Flaschen Wein zu besorgen. Ich erklärte mich dazu gern bereit.
Der überaus freundliche Mann empfahl uns wortreich einen Beaujolais aus einer sonnigen Südhanglage Frankreichs, den er kürzlich geliefert bekommen hätte und der ausgezeichnet munden würde.
Im Sechser-Karton könne er uns sogar einen Sonderpreis machen. Sein relativ preiswertes Angebot für diesen edlen Wein nahmen wir natürlich gerne an. Als wir dann zurückkamen, legten wir den Wein sofort in die Kühltruhe, entgegen den Empfehlungen, den Rotwein auf sechzehn bis achtzehn Grad Celsius zu temperieren, damit sich der Geschmack entwickeln kann. Wir bevorzugten jedoch gekühlten Wein. Nach einer halben Stunde war er kalt und konnte von uns genossen werden.
Nun allerdings folgte die Überraschung. Als ich die Eiskristalle von der ersten Flasche wischen wollte, löste sich das Etikett vom „edlen“ Beaujolais und es kam ein Etikett eines irakischen Rotweins zum Vorschein.
Der musste allerdings an einem sehr schattigen Nordhang gewachsen sein, denn er war so sauer, dass er nur unter Beimischung von zwei gehäuften Teelöffeln Zucker pro Glas genossen werden konnte. Leider war es inzwischen schon so spät, dass wir den Wein nicht mehr umtauschen konnten, da der Händler sein Geschäft längst geschlossen hatte.
Trotz dieser kleinen Panne gab es an jenem Abend viel Spaß und die Party zog sich bis tief in die Nacht hinein.
Richard hatte wohl zum Wein etwas zu viel Arrak getrunken, eine überaus tiefschlaffördernde Wirkung, wie sich herausstellte, denn er schlief im Gartensessel ein und war nicht mehr wach zu bekommen. Ein Spaßvogel stellte hinter Richard die Gartendusche an, aber als auch das keinen Erfolg brachte ihn munter zu bekommen, ließen wir ihn in seinem Sessel weiter schlafen und gingen zu Bett.
Am nächsten Morgen ereilte uns dann eine Überraschung. Der Sessel war leer, von Richard weit und breit keine Spur, aber auf der Wäscheleine hing fein säuberlich, mit Wäscheklammern befestigt, Richards Geld.
Ein-Dinar-Scheine, Fünf-Dinar-Scheine, Zehn-Dinar-Scheine und sogar ein Fünfundzwanzig-Dinar-Schein, in Euro gerechnet zum damaligen Kurs immerhin etwa der fünffache Wert, hingen neben einem Teil von Richards Wäsche. Er selbst aber war weder im Haus noch im Garten zu finden und so musste ich schließlich nach der Stärkung in einem kleinen Straßenlokal nahe der Bushaltestelle allein nach Hause fahren.
Als Richard dann am Abend noch immer nicht aufgetaucht war, meldete ich sein Ausbleiben dem Bauleiter Kurt.
Der Mann war schwer in Ordnung, hatte allerdings eine ganz spezielle Gedächtnisschwäche, er konnte (oder wollte) sich von den meisten Kollegen nicht die Namen merken. Deshalb sagte er der Einfachheit halber zu jedem Kollegen „Jauchenfisch“.
Auf diese Weise hatte er selbst seinen Spitznamen bekommen. Wenn bei den Kollegen von Kurt die Rede war, dann nannten wir ihn ebenfalls „Jauchenfisch“, was keinesfalls despektierlich gemeint war. Er wusste das natürlich.
Als ich ihm allerdings sagte, dass Richard fehle, da wusste er sofort, um wen es sich handelte, diesen Namen kannte er. Ich erfuhr, dass dies nicht Richards erste Kapriole war und er deshalb schon auf der „Abschussliste“ der Oberbauleitung stand. Bei seinem letzten Vorfall fuhr er unter Alkoholeinfluss einen Toyota Pickup zu Schrott.
Als Richard am nächsten Morgen noch immer nicht aufgetaucht war, machte ich mir ernsthaft Sorgen.
Auf der Baustelle angekommen, ging ich meiner Arbeit nach, doch meine Gedanken kreisten ständig um meinen Stubenkameraden. Was war da passiert und wo könnte er stecken, ohne Geld und fast ohne Kleidung.
Gegen Mittag fuhr dann ein jordanischer Truck auf unsere Baustelle, drehte eine Runde und hielt schließlich an. Plötzlich wurde die Beifahrertür geöffnet und aus dem Fahrerhaus kletterte Richard heraus, nur mit Shorts und Sportschuhen bekleidet. Über die letzten Stunden konnte er allerdings keine Auskunft geben, angeblich hatte er einen Blackout. Er meldete sich beim Bauleiter und wurde von ihm postwendend nach Abu Ghraib in unser Haus gefahren.
Als ich nach der Arbeit nach Hause kam, packte Richard bereits seine Koffer. Schon mit der nächsten Maschine, der Fluggesellschaft Iraqi Airways, musste er nach Deutschland zurückfliegen.
Richard war für mich ein guter Kamerad gewesen und ohne ihn hätte ich Bagdad und seine Basare nicht so rasch kennengelernt. Natürlich musste man auch die Bauleitung verstehen, die irgendwann ein Exempel statuieren musste, denn die Vorfälle, die sich unter Alkoholgenuss mehrten, wurden allmählich zu einem sehr ernst zu nehmenden Problem in unserer Firma, auf allen Baustellen des Irak.