Читать книгу Der andere könnte auch recht haben - Klaus Pinkas - Страница 10
Оглавление6. Wissenschaft und Technik
Die Frage nach dem „warum“, die für die Wissenschaft wichtig ist, und die Frage nach dem „wie“, die für die Technik die Basis herstellt, sind leider wichtiger geworden als die Frage nach dem „wozu“, die die Grundfrage der Selbstorganisation des Menschen und des Zusammenlebens der Menschen wäre. Der Glaube an die Problemlösungsfähigkeit der Technik beeinflusst unser Verhalten weit stärker als die Sicht auf die Optimierung des Lebens und die möglichen Gefahren des Fortschritts.
Seit hundert Jahren erzeugen die Menschen Plastik – nun stellt sich heraus, dass Fische massenweise daran verhungern und ersticken. Als eines der nächsten Fortschrittsziele gilt die Einführung der 5GTechnik des Internets; deren vielfältigere Nutzung einen enormen Energiemehrverbrauch auslösen würde. Das aktuelle Internet braucht schon so viel Energie wie der Flugverkehr. Dabei ist die Deckung mit Alternativenergie, also von CO2neutraler Herstellung erst am Anfang – in Deutschland etwa erst bei 13 Prozent. Sind wir der Utopie des autonomen Verkehrs oder der Utopie eines verantwortungsbewussten Umgangs mit der Welt näher? Wie steht es mit der geistigen Ausstattung des Menschen?
Jede konkrete Entwicklung braucht ihre geistige Reaktion, um sie vor allfälligen schädlichen Nebenwirkungen zu entlasten. Ein Kutscher konnte sich im letzten Wirtshaus seiner Fahrt betrinken, denn der Ochse brachte ihn einigermaßen sicher nach Hause; der Autofahrer muss bis zum letzten Meter seiner Fahrt reaktionssicher bleiben. Dafür gibt es gesellschaftlichen Konsens und nur noch individuelle Umsetzungsschwierigkeiten. Für eine notwendig gewordene Reaktion auf die technische Entwicklung gibt es noch nicht einmal einen gesellschaftlichen Konsens, geschweige denn praktische Umsetzungen. Dass die aktuell lebenden Menschen aus dem gleichen Geist heraus leben wie die früheren, taugt weder als Rechtfertigung noch als Entschuldigung; es stellt ein aktuelles Problem dar.
Die jeweils dominante Überlebenstechnik, also die Politik, lässt sich nach den Wörtern „kämpfen, denken und fühlen“ darstellen. Nach der Reichsidee überlebt der am besten, der gut zu kämpfen weiß, also der Stärkste. Auf der Zwischenstufe, auf der wir uns heute befinden, ist als ein Ergebnis der Aufklärung das Denken angesagt und der Schlaueste lebt materiell am besten. Auf der dritten Stufe, nämlich der demokratischen, die auch von der Aufklärung initialisiert, aber nicht vollzogen worden ist, hat nur eine Menschheit Platz, die sensibel genug ist, miteinander und mit der Natur gut auszukommen.
Auf meiner Suche, eine Therapie für die Heilung des notleidenden Ökosystems zu finden, frage ich öfters Gesprächspartner, ob wohl die Aufklärung schuld an diesen Verhältnissen wäre. Das stößt auf wenig Zustimmung. Die Aufklärung ist eine für die Neuzeit wichtige Kulturtechnik; sie ist ein Prozess, der das Denken im Zentrum hat – und wer wäre schon gegen das Denken. Manche verweisen auf den Satz „machet euch die Erde untertan“ aus der jüdisch-christlichen Tradition. Aber das ist eine unfaire Schuldzuweisung, denn eine Bewegung, die den ganzen mythischen, der Sensibilität zuzuordnenden Bereich, aus der eine Religion besteht, negiert, braucht nicht einen Satz aus dieser Sphäre für die eigene Rechtfertigung herzunehmen. Die „Aufklärung“ hat bisher keine ihrer gemäße Ethik entwickelt; die christliche ist ihr nicht gewachsen.
Es muss eine Ursache geben, dass im christlichen Abendland eine naturwissenschaftlich-technische Zivilisation entstanden ist, die keinesfalls den gesellschaftlichen Ansprüchen genügt. Weder die Übernahme dieser Zivilisation durch andere Gesellschaften kann eigentlich gewünscht sein und sie taugt auch nicht für die Weiterführung durch die eigenen Nachfolge-Generationen. Diese Zivilisation ist wie ein Auto, das ohne Bremseinrichtung auf den Markt gekommen ist; es fehlt ihr die Sensibilität für gesellschaftliche Einsichten und Notwendigkeiten.
Der Mensch ist als Gemeinschaftswesen (Zoon politicon) angelegt. Das Bedürfnis, Gemeinschaft zu leben, befindet sich demnach im Unbewussten; das Wesen der Religion ist, aus dem Unbewussten zu schöpfen und darauf zu reflektieren. Die Auseinandersetzung mit den Religionen scheint mir wichtig zu sein, um aus dem gegenwärtigen Schlamassel herauszukommen. Vielleicht hilft es auch, durch Förderung des abstrakten Denkens die Wertediskussion voranzubringen. Wollen wir wirklich so leben, wie wir leben?