Читать книгу Der andere könnte auch recht haben - Klaus Pinkas - Страница 6
Оглавление2. Die historische Dimension
Heute stehen wir vor einem Problem, vor dem Kaiser Karl der Große (747 bis 814) auch schon stand; es war die menschliche Expansionstendenz. Zu seiner Zeit waren 400 Jahre lang Völker aus dem Osten nach dem Westen gewandert und standen am Atlantik an. Diese Völker brannten Wälder nieder, um ihr Getreide anzubauen. Sie betrieben Monokultur, sodass die benutzten Felder bald übernutzt waren und sie weiterziehen mussten. Und der Atlantik verhinderte die Weiterreise.
Karl kannte die römische Kultur und für die Landwirtschaft führte er deren Drei-Felder-Wirtschaft ein – eine auf Dauer ausgerichtete Feldnutzung, die bis auf weiteres die Wanderkultur unnötig machte. Damit überwand er die Lemming-Taktik: wegen „Überbevölkerung“ begeben sich die Lemminge massenweise auf Wanderschaft und stürzen sich erfolgreich in Bäche und schmale Flüsse, um sie überwinden und weiterwandern zu können; wegen ihrer Kurzsichtigkeit machen sie das gleiche bei breiten Flüssen und ertrinken in ihnen.
Ohne die Umstellung der Landwirtschaft, die eine Zeit lang problemlösend wirkte, hätten sich wohl auch die Völker Europas in genozidaler Absicht und suizidaler Wirkung in permanente Kriege stürzen müssen. Erst etwas später kam es dann zu den Kreuzzügen und zum Hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England, um als Nebeneffekt überzählige junge Männer zu entsorgen. Wenn junge Männer keine Aufnahme in die Gesellschaft finden, droht die Entstehung von Aggression, die sich vorerst gegen die Gesellschaft richtet; deren Verwalter sind dann oft geneigt, die Aggression zu bündeln und über die Grenzen zu schicken. Mit der Neuzeit lösten insbesondere einige Küstenvölker durch den Kolonialismus ihre Probleme; für den deutschsprachigen Raum stand dieser Weg kaum zur Verfügung. Da musste der Dreißigjährige Krieg mit seiner hohen Todesquote als „Aderlass“ dienen.
Zurück zu Kaiser Karl dem Großen: Zu seiner Hilfe verwendete er die christlichen Funktionsträger als Verwaltungsorgane, die mit ihrer Himmelslehre einen mentalen Ersatz für die Wanderschaft anboten, indem er damit den Himmel als Ziel der Reise imaginierte. Auf der Reise durch das römische Reich hat sich die christliche Religionsgemeinschaft in Volk und Hierarchie gespalten und die Oberkirche, die die Standesführung für das Reich ausübte, nahm Teil an der Herrschaft, indem sie die Ansprüche des Volkes niederhielt und so den Luxus der Oberschicht ermöglichte, ohne die Natur allzu stark auszubeuten.
Nur in den steingewordenen Kirchen konnten die Untertanen den Luxus und die Pracht der Feudalherren mitgenießen. Die Petrifizierung der ursprünglichen FanGemeinde stellte sich übrigens materiell als Problem dar; der Bau des Petersdoms in Rom löste die Abspaltung der Protestanten unter Martin Luther aus. Der Wortzusammenhang von „Petrus = Stein“ entbehrt wahrscheinlich einer logischen Begründung, drückt aber doch einen Zusammenhang in der Entwicklung aus. Die überteuerten Luxusbauten der französischen Könige bilden auch ein Beispiel für dieses Phänomen; sie waren eine Mitursache für die große französische Revolution des Jahres 1789.