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WIE „ROT“ IST BERLIN?

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Dass Berlin per se eine „rote Stadt“ sei, ist ein Mythos. Die Nazis hatten ihn in den 1920er-Jahren erfunden, um die ideologischen Risse und persönlichen Rivalitäten innerhalb ihrer eigenen Partei zu kaschieren. Am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums – und daran hat sich bis heute wenig geändert – zieht man ja besonders viel Energie aus der Mobilisierung gegen scheinbar übermächtige „Feinde“. Wahr ist: Es gab in der Weimarer Republik den von Ernst Busch näselnd besungenen „Roten Wedding“, in dem die KPD eine ihrer stärksten Bastionen hatte. Spandau und Neukölln waren damals SPD-Hochburgen. Aber nicht minder satte Mehrheiten holten in den 20er-Jahren die rechtskonservativen Deutschnationalen in Stadtbezirken wie Steglitz oder Zehlendorf. Sieht man von der postrevolutionären Wahl 1919 ab, bei der SPD und USPD zusammen fast zwei Drittel der Stimmen gewannen, so ging die Sozialdemokratie zwar in der Weimarer Republik aus allen Berliner Wahlen als stärkste politische Kraft hervor (1921 mit knapp 40, 1925 mit 32,6 und 1929 mit 28,4 Prozent). Aber eine echte Vormachtstellung besaß sie im Berlin der Zwischenkriegszeit nicht.

Weit eher zur sozialdemokratischen Legendenbildung taugen die Berliner Wahlergebnisse der ersten Nachkriegsjahrzehnte. Ernst Reuter holte für die SPD 1948 sagenhafte 64,5 Prozent – bis heute der größte Landtagswahlerfolg einer Partei in der Bundesrepublik. Auch bei den Abgeordnetenhauswahlen 1958, 1967 und 1971 gewann die SPD absolute Mehrheiten in Berlin, 1963 unter Willy Brandt gar mit 61,9 Prozent. Doch zwischen 1975 und 2001 war die CDU durchgängig stärkste politische Kraft in West-Berlin. Und zwischen 1991 und 2001 war im wiedervereinigten Berlin keine andere Senatsbildung als auf Basis einer Großen Koalition von CDU und SPD möglich. Die starke Linke im Ostteil kam als Koalitionspartner im Nachwendejahrzehnt nicht infrage, die starke Position der Grünen allein im Westteil wiederum reichte nicht für eine rot-grüne Koalition.

Zudem ließ die besondere Situation Berlins nach der Wende eine Zusammenarbeit der großen Volksparteien als vernünftig erscheinen. Nicht nur der Westen der ehemals geteilten Stadt musste ja binnen weniger Jahre vom bundesrepublikanischen Subventionsfläschchen entwöhnt werden. Auch der Osten Berlins hatte über Nacht all jene strukturellen, wirtschaftlichen und finanzpolitischen Privilegien verloren, die mit dem Status als „Hauptstadt der DDR“ verbunden waren. Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschland zu sein, die Infrastruktur der Stadt zu sanieren und wieder zu verbinden, das allein hielten viele Verantwortliche der Zeit für einen genügend starken Wirtschaftsmotor. Und Großbaustellen wie der Potsdamer Platz, das neue Regierungsviertel rund um Reichstag und Kanzleramt, der neue Hauptbahnhof oder die exklusiven neuen Shoppingcenter an der Friedrichstraße schienen das zu bestätigen.

Rückblickend darf man sagen: Da sind durchaus ein paar Luftblasen geplatzt. Vor allem jedoch wurde die Langwierigkeit des Umbaus der zwei ökonomischen Inseln namens Berlin zu einer Metropole stark unterschätzt. Die entscheidenden Zeichen der Zeit hat die Berliner Politik damals ebenso verkannt wie die Bundespolitik. Berlin wurde nicht aus dem Stand zur „Boomtown“ – da waren die meisten Prognosen schlicht falsch.

Für mich belegt unter anderem dies ein ewiges Dilemma von Politik: Langfristig kann sie viele Entwicklungen anstoßen. Oder blockieren. Doch die innere Logik des demokratischen Politikbetriebes begünstigt leider kurzfristigen Aktionismus. Zumal in einem föderalen Staat, in dem praktisch immer irgendwo gewählt wird. Das Dumme an der Sache: Kurzfristig ist Politik am ehesten im Bereich technokratischer Feinsteuerung erfolgreich. Das ist zweifellos sehr wichtig. Aber weder löst das in der Gesellschaft Begeisterungsstürme aus, noch stellt es Weichen in Richtung Zukunft.

Bis heute ist die politische Landschaft in Berlin speziell. Die Linkspartei ist im Osten der Stadt stark, während sie in den Westbezirken keine große Rolle spielt. Dafür haben die Grünen ihre Hochburgen in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg sowie in Teilen von Tempelhof-Schöneberg und Charlottenburg. Die CDU dominiert in den bürgerlichen Kiezen im Westteil der Stadt, ist im Osten aber nach wie vor schwach. Die SPD ist die einzige Berlin-Partei. Sprich die Partei, die im Osten wie im Westen der Stadt ähnlich starke Wahlergebnisse erzielt, und bei der seit der Wende etwa gleich viele Abgeordnete aus den beiden Teilen der Stadt im Parlament sitzen. Schließlich ist mit der AfD – wie lange, das wird sich wie bei den Piraten noch weisen müssen – seit 2016 eine Partei im Abgeordnetenhaus vertreten, über die ich an dieser Stelle nur so viel sagen will, dass sie eine rot-rot-grüne Regierungsmehrheit in Berlin zumindest nicht blockieren kann. Sozial- und Christdemokraten auch noch in der Hauptstadt unseres Landes wieder zu einem Dauerbündnis zu zwingen, das wäre vermutlich der Tropfen, der das Fass des politischen Stillstands für die Bürger zum Überlaufen brächte.

Die Großen Koalitionen nach der Wende hatten die Aufgabe, die beiden Hälften der Stadt wieder zusammenzuführen. Über vier Jahrzehnte war Berlin politisch geteilt, 28 Jahre durch die Mauer brutal zerschnitten. Die Wunden im Stadtbild zu heilen, die Verwaltungen zusammenzuführen, Berlin mit seinen vielen teilungsbedingten strukturellen Problemen wirtschaftlich langsam, aber sicher wieder auf eigene Beine zu stellen, den Menschen das Gefühl zu geben, Bürger einer Stadt zu sein – das alles ist damals weitgehend gelungen, allen Problemen und Hindernissen zum Trotz. Eberhard Diepgen hat als Regierender den Konflikt mit der Bundesregierung unter seinem Parteifreund Helmut Kohl, der die meisten Berlin-Subventionen am liebsten schon im Oktober 1990 zu Grabe getragen hätte, nicht gescheut. So hat er etwa die Angleichung der Bezüge im Öffentlichen Dienst durchgesetzt, wohl wissend, dass amtlich sanktionierte Einkommensunterschiede innerhalb einer Stadt keinem Menschen vermittelbar gewesen wären. Die übrigen neuen Bundesländer haben diesen Schritt damals nicht vollzogen. Berlin wurde sogar aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausgeschlossen. Und die Kosten für die Stadt, die sich das bei „objektiver“ Betrachtung der Haushaltslage natürlich nicht leisten konnte, waren ebenso beträchtlich wie der bundespolitische Flurschaden.

Bis heute gehört es zum Standardrepertoire des west- und vor allem süddeutschen Berlin-Bashings, dass die Stadt andere bezahlen lasse – was so längst nicht mehr stimmt. Dabei ist es ein Missverständnis, wenn man die „Kosten der Einheit“ immer nur in Form von Beton hochrechnet. Was, bitte schön, soll „die Politik“ machen, wenn die meisten Dinge des Lebens für die Menschen in Aachen und Zwickau, erst recht in Spandau und Hellersdorf dasselbe kosten?

Sexy, aber nicht mehr so arm: mein Berlin

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