Читать книгу Sexy, aber nicht mehr so arm: mein Berlin - Klaus Wowereit - Страница 12
RÜCKBLENDE: EINE ERSCHÖPFTE GROKO IMPLODIERT
ОглавлениеAm 2. Dezember 1990 hatte die erste Wahl zu einem Gesamtberliner Abgeordnetenhaus seit 1946 stattgefunden. Bei dieser wurde der vorherige rot-grüne Senat unter Walter Momper, für den es bei der letzten West-Berliner Wahl im Januar 1989 eine deutliche Mehrheit gegeben hatte (SPD: 37,3 Prozent, Grüne/AL: 11,8 Prozent), vom Wähler geradezu abgestraft. Die SPD musste vor allem im Westen der Stadt herbe Verluste von fast 8 Prozentpunkten hinnehmen, während die CDU dort 49 Prozent der Stimmen holte. Im Osten lag meine Partei dafür mit 32,1 Prozent vor der CDU (25 Prozent) und der damaligen PDS (23,6 Prozent). Am 2. Dezember 1990 wurde zwar gemeinsam (und parallel zur Bundestagswahl) gewählt, die Fünf-Prozent-Hürde jedoch galt, wie im Bund, für West und Ost getrennt. Die Alternative Liste erzielte im Westen der Stadt trotz Verlusten 8,2 Prozent, Bündnis 90/Die Grünen im Osten 11,4 Prozent. Beide zogen daher ins Abgeordnetenhaus ein und bildeten dort eine gemeinsame Fraktion. Die F.D.P. (damals noch in Versalien mit drei Punkten) gewann Stimmen hinzu, die zuvor für eine Legislaturperiode im West-Berliner Parlament vertretenen Republikaner scheiterten wieder deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde.
Im neuen Abgeordnetenhaus hatten SPD und Grüne/AL nur noch 99 Sitze, CDU und F.D.P. zusammen 119. Als Nachfolgepartei der SED kam die PDS mit ihren 23 Abgeordneten damals unter keinen Umständen für eine Koalition mit Regierungsbeteiligung, ebenso wenig für die Duldung eines rot-grünen Minderheitssenates infrage. Somit gab es zur Bildung einer Großen Koalition (unter Eberhard Diepgen) schon rein rechnerisch keine echte Alternative.
Daran änderten die abermaligen Verluste der SPD bei den Wahlen 1995 (23,6 Prozent) und 1999 (22,4 Prozent) im Prinzip nichts. Stets gab es gefühlte „linke“ Mehrheiten in der Stadt. Aber ohne PDS beziehungsweise Linkspartei erwuchs aus ihnen in den 1990er-Jahren keine vertretbare, geschweige denn eine vernünftige politische Option.
Über das Thema „Berliner Bankenskandal“ könnte man ein eigenes Buch schreiben. Dieses böte sicher nicht das kürzeste Lehrstück zum Thema der Verquickung öffentlicher und privater Finanzinteressen. Im Zentrum standen die landeseigene Bankgesellschaft Berlin und ihre Tochter Berlin Hyp. Anfang 1994 hatte die Große Koalition unter dem Dach der Bankgesellschaft Berlin die öffentlich-rechtliche Landesbank Berlin, die bis dato private, aber mehrheitlich in Landesbesitz befindliche Berliner Bank und die Hypothekenbank Berlin Hyp zusammengefasst. Hintergrund: In den 1990er-Jahren drehten alle deutschen Landesbanken national wie international das ganz große Rad. Und zwar vor allem im Immobiliengeschäft und bei der Finanzierung politisch opportun erscheinender Unternehmensfusionen. So mag es aus damaliger Sicht verständlich gewesen sein, dass Berlin als boomende Hauptstadt ebenfalls eine schlagkräftige Landesbank mit überregionalen bis internationalen Ambitionen schaffen wollte. Zumal es auch noch die Gelegenheit bot, die verschnarchten bis verkrusteten alten West-Berliner Strukturen aufzubrechen und neue „Player“ in die Stadt zu locken.
Der heiße Kern dieser Versuchung war wohl folgender: Eine öffentlich-rechtliche Landesbank konnte – dank Staatshaftung – auf einmal ihre vergleichsweise günstigen Kreditkonditionen an die juristisch privaten Institute Berliner Bank und Berlin Hyp durchreichen. Und die konnten dadurch – wohlgemerkt: völlig legal! – weit höhere Risiken bei großen Immobilienprojekten eingehen, als es privaten Geldgebern möglich gewesen wäre. Etwa indem man geschlossene Immobilienfonds auflegte und mit Rendite- und Risikogarantien über 25 oder 30 Jahre versah.
Der erste Warnschuss im November 1996 verhallte. Damals förderte die interne Revision einen Wertberichtigungsbedarf von über einer Milliarde Euro zu Tage. Schon da erschwerte politischer Filz die Kontrolle. Nun gibt es ja Bereiche, in denen das wirtschaftliche Handeln von Staat, Politik und Verwaltung nicht nur sinnvoll, sondern sogar alternativlos ist. Etwa bei der Verkehrsinfrastruktur. Oder, wie wir nicht nur in Berlin unter Schmerzen gelernt haben, in der Energie- und Wasserversorgung. Ob der Büro- oder Wohnungsbau, ob erst recht das Bankwesen selbst auch solche Fälle sind, darf man bezweifeln.
In Berlin jedenfalls war der Fraktionsvorsitzende der CDU, Klaus Landowsky, Vorstand einer Hypothekenbank in öffentlich-rechtlicher Hand. Eine durchaus heftige Verquickung von großem politischem Einfluss mit großen finanzwirtschaftlichen Entscheidungsspielräumen. Besagter Fraktionsvorsitzender hat seine Rolle auch immer so verstanden. Konsequenz: Nicht zuletzt Berlins öffentliche Bauprojekte durften sich des Wohlwollens der Berlin Hyp stets gewiss sein. Wenn aber die rechte öffentliche Hand einen Bau plant und bezahlt und sich gleichzeitig bei der linken öffentlichen Hand das Geld dafür pumpen kann, dann wirkt das zwar zunächst sehr komfortabel. Doch früher oder später trägt eine landeseigene Bank, die von einem Spitzenpolitiker eben dieses Bundeslandes geleitet wird, allzu große Spendierhosen. Im Falle der Berlin Hyp häuften sich daher die Projekte, die nicht – wie üblich – zu 50 oder 60 Prozent kreditfinanziert waren, sondern zu beinahe 100 Prozent. Ballen sich solche Risiken, muss die Bank immer größere Räder drehen. Sie muss ihre Finanzierungen immer komplexer verschachteln. Sie muss ihren eigenen Kreditgebern immer heißere Zinsen versprechen. Und sie muss, so denken die Verantwortlichen dann zumindest, ebenfalls all jene Lücken des Finanz- und Steuerwesens ausnutzen dürfen, die den privaten Geldverleihern auch zur Verfügung stehen. Eh man sich versieht, hat dann auch die Hypothekenbank des Landes Berlin Briefkästen in Steueroasen.
So lange sich das internationale Spekulationskarussell lustig dreht, ist alles in Butter. Und Berlins Landesbanker waren eben auch nicht die einzigen, die dachten, dass ihr Institut direkt an der Wall Street läge. Obwohl die in Wahrheit nur weit genug weg war, um das dortige Hohngelächter über die Unsummen von „stupid German money“ zu überhören.
Es war eine unheimliche Allianz, die sich da widerspiegelte. Den Aufsichtsgremien fehlte vielleicht nicht die Möglichkeit, in jedem Fall aber die Kraft, das Hochrisiko-Karussell zu stoppen. Wo die Öffentlichkeit persönliche Vorteilnahme oder gar kriminelle Machenschaften wittert, etabliert sich mit der Zeit „nur“ so eine Art Weckguck-Kartell: Hier will man es sich mit jemand Einflussreichem nicht verscherzen, dort gibt es persönliche Rücksichten, da braucht dieser vielleicht noch jemandes Unterstützung bei einem anderen Vorhaben. Zumal nicht nur einflussreiche Politiker in diesen Gremien saßen, sondern auch hoch geachtete Wirtschaftsvertreter wie Manfred Bodin, Chef der Norddeutschen Landesbank (NordLB), von 1994 bis 2010 Minderheitsgesellschafter der Berlin Hyp, Ex-Bahnchef Heinz Dürr oder honorige Manager von Deutscher Bank, Siemens und Thyssen-Krupp. Nicht zu vergessen die Vertreter der Gewerkschaftsseite, die, Ämterhäufung sei Dank, auch viele Insider-Informationen hatten. Fazit: Da ist sehr viel schiefgelaufen, und man hat die Schieflagen nicht erkannt. Als sie sich gegen Ende des Jahres 2000 nicht mehr verbergen ließen, ging der Streit los, wer schuld war. Und wer für die 2 Milliarden Euro große Deckungslücke in den Bilanzen sowie für – damals so noch gar nicht absehbare – Immobilienrisiken von rund 20 Milliarden würde geradestehen müssen.
Anfang 2001 tauchten in der Presse erste Berichte über Scheingeschäfte und nebulöse Bilanzkosmetik bei der Berlin Hyp auf. Dann kam auch noch heraus, dass Klaus Landowsky für die CDU Spenden von zwei Parteifreunden angenommen hatte, die zugleich Manager einer Immobilienfirma waren, der für ihre Projekte von der Berlin Hyp ein Großkredit in Höhe von 500 Millionen Mark eingeräumt worden war.
Dem Fraktionsvorsitzendem der SPD im Abgeordnetenhaus möge man es bitte nachsehen, dass er damals ziemlich laut geworden ist. Ich habe nicht nur Eberhard Diepgen prophezeit, dass sein Festhalten an Landowsky der letzte Sargnagel für die Große Koalition sein werde. Ich habe auch sehr dezidiert eine juristische Aufarbeitung der ganzen Verstrickungen gefordert.
Ende Dezember 2014 wurde übrigens das letzte Verfahren wegen Untreue, das gegen Klaus Landowsky und vier weitere Angeklagte noch anhängig war, eingestellt. Die ebenso zahlreichen wie langwierigen Verfahren im Gefolge des Bankenskandals als „Verfolgung durch die Justiz“ aufgrund „an den Haaren herbeigezogener Verdächtigungen“ darzustellen, so wie es die Anwälte bis zum Schluss getan haben, finde ich nach wie vor an den Haaren herbeigezogen. Der Vorwurf, dass Justitias Mühlen furchtbar langsam mahlen, ist gerade bei solch hochkomplexen Materien allzu billig. Aber dass alle Beteiligten juristisch rehabilitiert, sämtliche Verdachtsmomente auf persönliche Vorteilnahme ausgeräumt sind, ist Fakt. Was bleibt, ist ein fader Beigeschmack. Wahr ist allerdings auch: Der Bankenskandal war letztlich nur der Anlass, nicht die Ursache des Endes der damaligen Großen Koalition.
Dass Diepgen Landowsky fast bis zum Schluss nicht fallen ließ, obwohl ihn dieser Schnitt vermutlich bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt gehalten hätte, kann ich menschlich sogar nachvollziehen, ja ich finde es beinahe ehrenwert: zwei Weggefährten seit Studienzeiten. Politisch war es dennoch vollkommen falsch.
Für mich als SPD-Fraktionschef war das eine ungemütliche Situation. Als kleinerer Regierungspartner saßen wir nicht bloß räumlich in der Mitte des Abgeordnetenhauses, sondern auch politisch wie emotional zwischen allen Stühlen. Ich habe das geradezu körperlich gespürt. Landowsky und seine durchweg stramm konservativen Kumpels hatten es sich in der Wagenburg ihrer „Rote Socken“-Kampagnen gemütlich gemacht und droschen schon auf die PDS ein, wenn sie die Verlängerung einer Tramlinie in Lichtenberg ins Gespräch brachte. Und die PDS, die fand das im Grunde ganz wunderbar. Denn während sie in den Ostbezirken der Stadt Bezirksbürgermeister stellte, trug sie in Gesamtberlin keine Mitverantwortung – und drosch daher ebenso fröhlich wie folgenlos „gegen rechts“ zurück.
Derweil blockierten sich im Senat CDU und SPD in beinahe allen wichtigen Fragen gegenseitig. Über den grauen Verwaltungsalltag hinaus wurden kaum noch Entscheidungen getroffen. So hing die Große Koalition wie eine Käseglocke über der Stadt.
Für den 6. Juni 2001, einen Mittwoch, war eine Senatsklausur anberaumt. Inzwischen hatte sich herauskristallisiert, dass die drohenden Verluste der Berlin Hyp zu größeren Teilen im Haushalt ihres Eigners würden verklappt werden müssen. Wir hatten deshalb gefordert, dass im laufenden Haushalt mindestens 200 Millionen D-Mark eingespart werden müssten, was die CDU hartnäckig verweigerte. Spätestens seit der Mittagspause drehte sich die Debatte derart im Kreise, dass sich das Krachen im Koalitionsgebälk nicht mehr überhören ließ. Aber ich war nicht sicher, ob jemand den finalen Axthieb wagen würde. Aufseiten der CDU wohl nicht, weil man glaubte, den Schutt des Bankenskandals, wenn überhaupt, nur im Koalitionsalltag halbwegs geräuschlos entsorgen zu können. Zudem waren die Christdemokraten felsenfest davon überzeugt, dass wir Sozialdemokraten keine Alternative hätten. Aufseiten der SPD beließ man es lange beim Zähneknirschen, weil führende Köpfe, etwa Stadtentwicklungssenator und SPD-Landeschef Peter Strieder oder Bildungssenator Klaus Böger, zwar einiges zu verlieren, bei einem Koalitionsbruch aber absehbar kaum etwas zu gewinnen hatten.
Und wenn es zum Knall kommen würde? Erstens wusste ich damals schlicht nicht, ob es vielleicht schon irgendwelche Absprachen hinter den Kulissen gab. Zweitens zeichnete sich bereits seit dem Frühjahr ab, dass ich es sein würde, der im Fall der Fälle die Scherben würde aufkehren müssen. Drittens war es wiederum alles andere als klar, dass Partei und Fraktion einen solchen Schritt mehrheitlich absegnen würden.
Mir war längst klar, dass eine Fortsetzung der Großen Koalition keinen Sinn mehr hatte. Zugleich ging aber auch ich noch davon aus, dass es angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Parlament keine Alternative zu ihr gäbe. Es sei denn, man bräche das seinerzeit in Berlin noch in Stahl gegossene Tabu einer wie auch immer gearteten Einbeziehung der PDS in eine Senatsneubildung.
Seit 1998 war die damalige PDS als zweitstärkste Partei in Mecklenburg-Vorpommern zwar Regierungspartner der SPD unter Ministerpräsident Harald Ringstorff. Aber das war „im Osten“, wo ihr der Status als Volkspartei allein schon von den Stimmenanteilen her nicht abzusprechen war. Mit den in ihrer DNA westgeprägten Parteien Berlins – einschließlich der SPD – schien so etwas damals nicht zu machen.
Irgendwann gegen Abend des 6. Juni, alle Teilnehmer der Senatsklausur hatten sich mehr oder weniger nur noch in demonstrativem Stirnrunzeln geübt, beantragten wir eine Auszeit. In einer separaten Besprechung wurden wir uns dann relativ schnell einig, dass die GroKo aus unserer Sicht am Ende war.
In solchen Situationen ist Politik dann natürlich auch ein bisschen Theater. Das Ende der GroKo verkündete Peter Strieder schließlich am späten Abend vor der versammelten Presse. Uns war klar, dass dies für die Stadt wie für die SPD in eine echte Zerreißprobe münden könnte. Denn plötzlich lag das bis dato Undenkbare als einzige verbleibende Option auf dem Tisch.