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DER „PARTYMEISTER“

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Für das Etikett „Partymeister“ kann ich überhaupt nichts. Zu Beginn meiner Amtszeit wurde es von Teilen der konservativen Berliner Presse in die Welt gesetzt, um mich zu desavouieren. Da ich aus dem vermeintlich heißen Enthüllungsballon Homosexualität selbst die Luft rausgelassen hatte, musste man sich wohl an irgendwas anderem sein Mütchen kühlen. Dabei bin ich ja das absolute Gegenteil eines schrägen Vogels. Schon vom äußeren Auftritt her bin ich, glaube ich, ein ganz normaler, eher bürgerlicher Typ. Da spielen Jungs wie meine Londoner Ex-Kollegen Ken Livingston oder Boris Johnson in einer ganz anderen Liga. Ich trete nicht als Kabarettist auf, wie mein geschätzter Münchner Ex-Kollege Christian Ude. Mit dem Glanz eines Börsenmilliardärs wie dem des New Yorker Ex Michael Bloomberg kann ich mich erst recht nicht messen. Eigentlich tauge ich nicht für Celebrity-News, Glamour und Skandal. So blieb am Ende nur dieses berüchtigte Foto, auf dem ich in der einen Hand einen roten Damenschuh und in der anderen eine Flasche Champagner halte.

Die Fama vom „Party-Bürgermeister“ beruht auf einer Reihe von – teils auch bewusst geschürten – Missverständnissen. Die meisten von ihnen würde ich gar nicht geraderücken, da ich sie ziemlich unerheblich finde. Ansonsten tue ich es nur, weil das größte dieser Missverständnisse auf einer im Kern politischen Fehleinschätzung beruht.

Fangen wir mit dem Schampus-Schuh an. Das war im November 2001 bei der Bambi-Verleihung, da war ich gerade mal fünf Monate im Amt. Es ging auf zwei Uhr zu (bei Preisverleihungen wie dem Bambi zieht sich der offizielle Teil ordentlich hin). Eine mir unbekannte Dame, die bereits etwas in Laune war, reichte mir einen ihrer roten Pumps und schlug vor, ich solle besagter osteuropäischer Trinksitte frönen. Leider hielt ich – mea culpa! – gerade tatsächlich eine Flasche Champagner in der Hand – von dem allerdings kein einziges Tröpfchen floss. Weder in den Schuh noch in meine Kehle. Es entstand jenes launige Foto für die B.Z. und Die Welt, das man bis heute mit als erstes findet, wenn man im Internet nach „Bambi 2001“ sucht.

Natürlich gefällt Boulevard-Fotografen so etwas. Aber es kristallisierte sich damals auch gerade heraus, dass wir wohl demnächst zusammen mit der PDS regieren würden. Da kam Teilen der Berliner Presse ein kleines Wowi-Skandälchen gerade recht. Leser bunter Blätter denken bei „Promis“ ja gleich an Champagner, Kaviar und Austern. Und wer ein Sektglas in der Hand hält, macht automatisch Party. Sollten Sie zu den Menschen gehören, die jeden Sektempfang für eine Orgie halten, lade ich Sie herzlich ein, wöchentlich mindestens einmal an so einem Begängnis teilzunehmen. Dann wissen Sie, dass ein Glas Sekt Pflicht und Mineralwasser die wahre Kür ist. Und dass die drei bis sieben Ansprachen meist auch nicht der Kracher sind.

Nach dieser Erfahrung würde ich heute ähnliche Angebote für lustige Schnappschüsse ausschlagen. Mit besagtem Foto werden sie wahrscheinlich noch meinen Nachruf in der B.Z. dekorieren. Das Klischee des „Partymeisters“ jedenfalls war geboren – und das werde ich wohl auch nie mehr los. Es gibt Schlimmeres. Und sollte meine winzige Fußnote in den Geschichtsbüchern nicht ohne das Wort „Party“ auskommen, dann ist das eben so.

Das zweite Missverständnis bei der ganzen Chose ist: Ich habe in meiner Amtszeit als Regierender Bürgermeister zu über 90 Prozent die gleichen Veranstaltungen besucht wie mein Amtsvorgänger Eberhard Diepgen. Bei ihm jedoch waren heitere Fotografien aus zwei Gründen nur schwer zu bekommen. Erstens ging er sehr oft nach zehn Minuten Pflichtpräsenz beim „geselligen Beisammensein“ wieder. Und wenn er mal länger blieb, kam man nicht zwingend auf die Idee, dass ihm Smalltalk plus obligatorisches Gläschen Sekt große Freude bereiteten. Da gibt es in der Tat einen gewissen Kontrast zwischen uns. Ich rede einfach gerne mit Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft und aus allen Gewerken. Ich rede nicht nur gerne über Politik, sondern über alles Mögliche. Und ich habe nichts gegen Klatsch, heiteres Geplauder, Ironie, Witzeleien und Spöttereien, so lange sie nicht grob verletzend sind.

Im Übrigen sind Smalltalk und Händeschütteln simpel Teile der Dienstleistung namens Bürgermeister. In der Tat auch wegen der Fotos. Nein, nicht, weil der Bürgermeister das heißeste Motiv für die Bunte wäre. Sondern weil die anderen Menschen auf diesen Fotos oft großen Wert darauf legen, in der Berliner Wirtschaft (oder im Blatt ihres jeweiligen Verbandes) abgebildet zu sein. Wem vor allem wichtig ist, jeden Abend zeitig nach Hause zu kommen, der ist für den Beruf des Politikers darum nur bedingt geeignet.

Das allermeiste, was ein Regierender den ganzen Tag (und so manchen langen Abend) treibt, ist ja vollkommen unfotogen. Akten bearbeiten zum Beispiel. Telefonate. Konferenzen. Mehrtägige Klausurtagungen. Genau darum gibt es fast gar keine Fotos von Politikern am Arbeitsplatz. Drei Viertel unserer öffentlichen Auftritte haben zudem einen begrenzten Unterhaltungswert. Veranstaltungseröffnungen aller Art, Messerundgänge, Jahrestagungen von Verbänden und Vereinen zum Beispiel. Wohlgemerkt: Ich kritisiere das nicht. Auch der Wert von Familienfeiern bemisst sich ja nicht nur nach dem Spaßfaktor. Aber wenn ich mich amüsieren will, dann denke ich nicht als Erstes an offizielle Empfänge.

Kommen wir zum eigentlich ärgerlichen Missverständnis: der Kritik an Politikern auf Roten Teppichen. Wie schnell wird gemeckert, wenn auch Politiker mal in ein Blitzlichtgewitter, etwa bei der Berlinale, geraten. Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis.

Berlin hat zum Glück sehr viele Events mit hohem Glamour-Faktor. Sie sind Ausdruck des großen künstlerischen und kulturellen Potenzials, das sich in dieser Stadt und um diese Stadt entfaltet. All das macht nicht nur die Reichen und Schönen, sondern hauptsächlich unser aller Leben reicher und schöner. Kunst bringt uns zum Lachen und zum Weinen. Und sie bringt uns zum Nachdenken über die Welt und das Leben. Ich maße mir kein Urteil an, ob das besser mit dem Fliegenden Holländer oder mit Fack ju Göhte gelingt. Ich habe es nur immer als Teil meiner Aufgabe gesehen, Künstlern, die nach Berlin kommen, um ihre Arbeiten zu präsentieren (und auch zu feiern), meine Reverenz zu erweisen.

Der erste Repräsentant dieser Stadt muss den Kreativen, muss Künstlern, Theaterschaffenden, Filmleuten, Architekten oder Popstars das Gefühl geben, dass sie in dieser Stadt willkommen sind. Dass die Politik ihnen jederzeit – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne – den Roten Teppich ausrollt. Das aber dokumentiere ich nicht mit Abwesenheit, sondern indem ich da überall hingehe. Und ich winke dann auch nicht in die Kamera, damit alle den Wowi toll finden, sondern um Berlin als Kulturmetropole zu verkaufen. Heißt: „Party“ ist da schlicht und einfach Politik. Ganz von alleine kommt das „sexy“ nämlich nicht.

In Großstädten wie New York, London, Paris oder Berlin leben sehr viele unterschiedliche Menschen, zum Teil auch wirklich schräge Typen. Das macht ja gerade den Reiz solcher Metropolen aus. Dass in solchen Städten ein Bloomberg, ein Johnson und meinetwegen ein Wowereit, dass also Leute, die habituell oder verbal auch mal aus der Reihe tanzen, eine größere Chance in der Politik haben, als das in Kleinstädten der Fall wäre, das mag wohl sein. Doch niemand kann behaupten, dass ich während meiner Amtszeit überwiegend durch Extravaganzen aufgefallen wäre. Wenn ich mit dem einen oder anderen flapsigen Spruch, mit diesem oder jenem Bildmotiv jenseits des staatstragenden Handschlags vorm Brandenburger Tor für Berlin Reklame gemacht habe, dann war auch das gut so.

All das ändert nichts daran, dass das meiste, was ich für Berlin getan und erreicht habe, Arbeit war, die neun von zehn Menschen todlangweilig fänden. Denn eine Kernkompetenz guter Politiker ist: Sie finden es nicht langweilig, ganze Tage und halbe Nächte lang enorm dicke Akten zu lesen und zu bearbeiten. Ich bin sogar pedantisch. Ich kannte in den Sitzungen immer die wesentlichen Fakten und Zahlen, war mit den wichtigsten Argumenten pro und contra vertraut und hatte mir eine wenigstens für mich stichhaltige Begründung meiner Position zurechtgelegt. Ich habe auch nie im Leben eine Rede gehalten, ohne sie vorher gegenzulesen und gegebenenfalls heftig zu redigieren. Ich habe nie Politiker empfangen ohne zu wissen, wo das Land liegt, in dem sie regieren. Und wenn ich auf einer Filmpremiere war, dann habe ich mir – so ich Werk und Wirken der Beteiligten nicht kannte – vorher einen oder zwei ihrer früheren Filme angesehen. Wenigstens habe ich mir von meinem Partner Jörn erklären lassen, was von der Sache zu halten sei.

Bei all dem bin ich ganz der dröge Jurist. Ein Blick ins Gesetz fördert die Rechtskenntnis. Und alles Wichtige zum Fall sollte in den Akten zu finden sein. Außerdem war ich lange im Bereich der Haushaltspolitik tätig. Daher sind auch Zahlen für mich keine Zumutung. Seit ich Stadtrat in Tempelhof war, waren sie für mich Grundlage jeder politischen Professionalität. Aus einem ganz einfachen Grund: Die Leute, die einem sagen wollen, was alles nicht geht, haben immer einen Wust von Zahlen parat. Nur wenn ich die mindestens genauso gut kenne, sehe ich, ob die Zahlen überhaupt Belege für ihre Einwände sind. Wenn ich die Fakten zu einem Fall nicht kenne, dann habe ich keinen Blick für mögliche Optionen. Und wenn ich etwas nicht weiß, dann muss ich mich halt schlaumachen. Kurz: Man kann nur Entscheidungen treffen, wenn man Ahnung von der Sache hat, sonst ist das willkürlich.

Dass der Arbeitstag eines Politikers zur gleichen Uhrzeit beginnt wie der eines normalen Arbeitnehmers und deutlich später als dieser endet, störte mich nicht. Denn ich bin das Gegenteil eines Morgenmuffels. Wenn der Wecker klingelt, bin ich sofort munter. Umgekehrt bin ich ein „Nettoschläfer“. Heißt: Ich kann abends sofort einschlafen, dazu brauche ich kein Buch, keine Glotze und kein Glas Rotwein. Und nach sechs oder sieben Stunden bin ich ausgeschlafen. Während meiner Amtszeit folgten dann an sechs von sieben Tagen – abzüglich drei bis vier Wochen Urlaub mit Alarmbereitschaft – Termine, Termine, Termine. Bisweilen auch gerne im Stundentakt. Fast immer sechs bis zehn pro Tag. Und zwischendrin muss man ja auch noch das eine oder andere Papier lesen, um sich auf den nächsten Termin vorzubereiten.

In Hessen müssen sie für den Ministerpräsidenten ein bis zwei Stunden Fahrzeit pro Termin einplanen. In Berlin ist, wenn man nicht in die Außenbezirke muss, fast alles in 15 Minuten erreichbar. Weshalb die Termine eben auch viel enger geplant werden. Die Zahl der Wünsche nach Präsenz des Regierenden ist nur durch eins begrenzt: den Umstand, dass der Tag 24 Stunden hat. Und die Aufgabe des Terminreferenten ist es, den Chef immer in Bewegung zu halten. Seine Arbeit ist erledigt, wenn die letzte Lücke im Kalender gefüllt ist.

Sie mögen lachen, aber ab und an muss man seinen Mitarbeitern schon klarmachen, dass auch ein Politiker einmal am Tag was zu essen braucht und auch mal einen Abstecher zum Stillen Örtchen machen muss. Ansonsten wirst du durchgetaktet ohne Ende. Alle regelmäßigen Termine bis zum 31. Dezember stehen bereits am 1. Januar im Kalender. Die verbliebenen Lücken füllen sich unheimlich schnell. Und bei allen Anfragen, die man aus Zeitgründen absagen muss, hat man ein schlechtes Gewissen. Am Ende fühlt sich vielleicht jemand versetzt. Oder man hat etwas nicht erreicht, was man gerade dadurch hätte erreichen können, dass man diese Hand schüttelt, jenem sein Ohr leiht oder einem Dritten eins abkaut. Aber irgendwann müssen halt auch Politiker mal Büroschluss im Kopf machen.

Wie oft haben mich Freunde und Bekannte gefragt, wann wir uns denn mal wieder treffen könnten – zum Frühstück, zum Mittagessen oder zum Dinner. Da musste ich dann immer sagen: „Ist mir völlig egal, ich kann weder morgens, mittags noch abends.“ Kurz: Privatleben und Politik – schwierig. Solange man ein so zeitraubendes Amt bekleidet, versucht man so gut wie möglich, alte Freundschaften zu pflegen. Bei Geburtstagen oder ähnlichen Anlässen bin ich dann meist später dazugestoßen und früher wieder weg gewesen. Und auch sein Familienleben muss ein Politiker leider zu großen Teilen via Terminkalender organisieren bzw. organisieren lassen. Da haben wir, was für unsere Beliebtheit wahrscheinlich auch nicht gerade förderlich ist, mehr Ähnlichkeit mit Topmanagern als mit normalen Arbeitnehmern.

Sexy, aber nicht mehr so arm: mein Berlin

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