Читать книгу Heathens Ink: Mein Heiler - K.M. Neuhold - Страница 6

Kapitel 1

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Gage

Es heißt, die Zeit heilt alle Wunden. Was für ein absoluter Schwachsinn.

Einige Wunden eitern und nässen. Andere werden mit jedem weiteren Tag schlimmer, bis man sich nicht mehr daran erinnern kann, wie es sich anfühlte, nicht mit diesem dauerhaften Schmerz zu leben.

Neun verfickte Jahre sind vergangen, seit sich die Liebe meines Lebens umgebracht hat. Neun unerträgliche Jahre und ich sehe immer noch jedes Mal sein Gesicht, wenn ich die Augen schließe. Ich strecke im Schlaf noch immer die Hand nach ihm aus.

Gage Vaus ist am selben Tag gestorben wie Johnny Trumann. Seitdem bin ich nicht mehr als ein wandelnder Zombie.

»Deine Witze sind echt die schlechtesten«, höre ich, wie sich Nox am anderen Ende des Flurs im Heathens Ink beschwert.

Vor acht Jahren hat mein bester Freund Adam dieses Gebäude gekauft, um es in sein eigenes Tattoostudio zu verwandeln. Adam war auch Johnnys älterer Bruder und vor Johnnys Tod hatten Adam und ich vor, den Laden gemeinsam zu eröffnen. Aber als diese Gelegenheit nur ein Jahr nach Johnnys Verlust aufkam, war ich nicht in der Verfassung, Miteigentümer zu sein. Ich habe es kaum geschafft, jeden einzelnen Tag zu überstehen, geschweige denn, die Verantwortung für ein eigenes Geschäft zu übernehmen. Aber ich war so gut ich konnte für Adam da und im Laufe der Zeit stellte ich fest, dass hier zu arbeiten und ihm dabei zu helfen, das Geschäft aufzubauen, mich tröstete und mir einen Grund gab, jeden Tag aufzustehen. Ich habe zusammen mit ihm mein ganzes Herzblut hineingesteckt und obwohl er technisch gesehen der alleinige Besitzer ist, wissen wir, dass wir das Heathens mit unserem Blut, Schweiß und unseren Tränen aufgebaut haben.

»Halt die Klappe, du liebst meine dämlichen Witze«, widerspricht Adam liebevoll.

Es fühlt sich an, als würde mir ein Messer in den Bauch gerammt. Letzte Nacht wurde meine Welt auf den Kopf gestellt, als ich meinen besten Freund dabei erwischt habe, wie er nackt unseren Mitbewohner Nox geküsst hat. Nicht, dass ich Adam nicht glücklich sehen will und ich bin der Letzte, der es komisch findet, wenn ein Typ einen Freund hat. Die Sache ist, dass er in den dreißig Jahren, die ich ihn jetzt schon kenne, nicht einmal daran gedacht hat, mir gegenüber zu erwähnen, dass er auf Kerle steht.

Mein Herz schmerzt wegen des Verrats und dem Wissen, dass mich die Person, der ich mein ganzes Leben lang am nächsten stand, angelogen hat.

Und unter dem Schmerz und dem Verrat wogt eine neue Welle aus Einsamkeit direkt unter der Oberfläche.

Ich würde ihm nie jemanden missgönnen, der ihn so wie Nox zum Lächeln bringt. Aber in letzter Zeit fühlt es sich an, als wäre ich im Laden nur noch von glücklichen Paaren umgeben. Zuerst hat Madden in einem umwerfenden und fürsorglichen Feuerwehrmann, der ihm das Leben gerettet hat, seinen Ritter in strahlender Rüstung gefunden. Dann hat Royal den Jackpot geknackt. Nicht nur, dass er mit Nash, dem Mann, nach dem er sich jahrelang gesehnt hatte, den Übergang vom Status bester Freund zu festem Freund vollzogen hat. Sie haben es auch noch geschafft, einen dritten Mann zu integrieren, der absolut perfekt für die beiden ist. Dann ist Nox aufgetaucht und hat Adams Welt auf den Kopf gestellt.

Und hier sitze ich, allein wie immer, und kein Ende in Sicht. Zumindest sind Dani und Owen noch Single, sodass ich nicht der zu bedauernde Typ im Heathens bin, der noch übrig ist.

Die Glocke über der Tür ertönt. Ich vermute, dass mein Nachmittagstermin etwas früher da ist, also lege ich meinen Skizzenblock zur Seite und hieve mich von meinem Stuhl.

Ein Mann steht am Tresen. Er hat mir den Rücken zugewandt und mir fallen sein schlanker Körperbau und sein runder, fester Hintern auf. Aber mein Herz ist nicht bei der Sache.

Als er sich umdreht, stockt mir jedoch der Atem. Er ist absolut umwerfend, jeder seiner aufsehenerregenden Züge wird durch perfekt aufgetragenes Make-up betont. Seine hohen Wangenknochen schimmern leicht bronzefarben, seine vollen Lippen ziert ein verlockender, dunkler Rotton und seine stahlgrauen Augen mit den endlos langen Wimpern sind auf eine Art geschminkt, die Dani wohl als Smoky Cat Eye beschreiben würde. Wenn ich noch immer einen Typ hätte, würde dieser Mann ihm exakt entsprechen.

Er lächelt und ich reiße mich aus meinen Träumereien los. Es ist mir egal, wie gut das Make-up dieses Kerls ist oder wie lang seine Wimpern sind. Er ist nicht Johnny.

»Kann ich dir helfen?«

Interessiert mustert er mich von Kopf bis Fuß, ehe sich ein träges Lächeln auf seinen Lippen ausbreitet.

»Da bin ich mir sicher.«

Seine Stimme ist etwas tiefer, als ich es bei seinem femininen Aussehen erwartet hätte. Irgendwie weich und kräftig, wie ein teurer Scotch.

»Bist du wegen des Pfauen-Tattoos hier?«, frage ich nach und hoffe, dass er nur ein Laufkunde ist, damit ich ihn an Dani weiterreichen und vergessen kann.

»Ja.«

Ich nicke, gehe hinter den Tresen und hole die Skizze, die ich anhand unserer E-Mail-Unterhaltung angefertigt habe. Als er mich über die Website kontaktiert und sich wegen eines Tattoos von einem farbenfrohen Pfau erkundigt hat, war ich sofort interessiert. Ich mochte Farbarbeiten schon immer, und wenn ich ihn mir jetzt so ansehe, würden die Farben, die ich ausgewählt habe, dank seines dunkleren Hauttons umwerfend aussehen.

»Wie gefällt dir das?«, frage ich und reiche ihm die Zeichnung.

Sein Gesichtsausdruck hellt sich weiter auf und in meinem Magen flattert es. Vielleicht brüte ich etwas aus. Wahrscheinlich eine Lebensmittelvergiftung.

»Es ist perfekt«, seufzt er und streckt die Hand aus, um die Zeichnung zu berühren.

»Freut mich, dass es dir gefällt. Gehen wir zu meinem Arbeitsbereich, dann können wir anfangen.« Ich deute in den hinteren Teil des Studios. »Ich hab gar nicht nach deinem Namen gefragt, als wir geschrieben haben.«

»Beck. Nicht die Abkürzung für Beckham. Kurz für Becket.«

»Schön, dich kennenzulernen, Nicht-Beckham. Ich bin Gage.«

»Gage.« Er tippt sich mit dem Zeigefinger ans Kinn und mustert mich erneut. »Gefällt mir, passt zu dir.«

»Schön, dass du einverstanden bist«, sage ich lachend und überrasche mich selbst.

Ich bedeute ihm, auf dem Tattoo-Stuhl Platz zu nehmen, sobald wir in meinem Bereich sind, und kann unmöglich übersehen, wie geschmeidig sich sein Körper bewegt.

Unaufgefordert schießt mir das Bild in den Kopf, wie er sich windet und bewegt, wenn er meinen Schwanz reitet.

Der Gedanke lässt meine Haut vor Hitze prickeln.

»Wohin willst du es haben?«

»Auf meinen linken Arm«, sagt er und rollt den Ärmel nach oben.

»Also, hat der Pfau eine Bedeutung?«, frage ich, als ich Becks Haut vorbereite.

Die Freude in seinen Augen verblasst und er zieht die Mundwinkel leicht nach unten. Sofort bereue ich die Frage. Ich würde alles bereuen, was das Lächeln aus seinem Gesicht vertreibt. Beck hat ein Gesicht, das für Freude geschaffen ist, nicht für Kummer.

»Es soll mich an meine Schwester erinnern«, sagt er ein paar Sekunden später. Sein Tonfall lädt nicht zu weiteren Fragen zu diesem Thema ein, also lasse ich es fallen.

»Hast du schon Tattoos?« Ich weiß immer gern vorher, ob ich einen Neuling unter mir habe, der durchdreht, sobald die Nadel seine Haut berührt.

»Nein. Wird es wehtun?«, fragt er. Meine Aufmerksamkeit richtet sich auf seine volle Unterlippe, an der er nervös nagt.

»Die Umrisse werden am schlimmsten sein, wenn du dich danach also ausruhen willst, können wir die Farbe ein anderes Mal machen«, schlage ich vor.

Beck nickt und auf seinem Gesicht breitet sich Entschlossenheit aus.

»Tätowierst du gern?«, fragt er, als ich meine Latexhandschuhe anziehe und mit dem Stuhl nach vorn rolle.

»Ja. Aber ich hasse es, wenn Teenager-Mädchen und Jungs aus den Studentenverbindungen herkommen und irgendwelchen Mist wollen, der in dieser Woche gerade der letzte Schrei ist. Jedes Mal, wenn ich ein chinesisches Schriftzeichen oder ein Zitat aus einem bekannten Film tätowieren muss, sterbe ich innerlich ein wenig mehr.«

Beck lacht und ein warmes Gefühl breitet sich in meiner Brust aus. Er hat ein wirklich schönes Lachen.

»Was machst du?«, frage ich ihn.

»Ich bin Tänzer.«

Die Vorstellung, wie er sich nur in einem Spitzen-Jock um eine Stripper-Stange windet und mit dem Hintern wackelt, drängt sich in meine Gedanken und erhitzt meine Haut, bevor ich sie abschütteln kann.

»Ähm, das ist cool«, murmle ich, richte meinen Blick auf meine Arbeit und zwinge mich, mich zu konzentrieren.

Unangenehme Stille breitet sich zwischen uns aus.

Ich achte während der Arbeit auf Becks körperliche Reaktionen. Anfangs scheint es ihm gut zu gehen, aber je länger ich arbeite, desto häufiger fällt mir auf, wie er sich anspannt oder einige Sekunden lang die Luft anhält.

»Ich bin gleich mit den Umrissen fertig. Macht es dir was aus, wenn wir die Farbe in ein paar Wochen fertigstellen?«, biete ich an und formuliere es so, als würde es eher mir als ihm zugutekommen.

»Ich hab nicht erwartet, dass es so sehr wehtut und ich hab Angst, dass ich kneife und nicht wiederkomme, wenn wir es jetzt nicht durchziehen.«

»Okay, dann machen wir weiter.«

Ich lege etwas Musik auf, um mein fehlendes Verlangen nach Small Talk weniger auffällig zu machen, und arbeite weiter an seinem Tattoo.

Als wir fertig sind, sieht Beck ein wenig blass aus. Aber sobald er sich den bunten Pfau ansieht, erhellt ein Lächeln sein Gesicht.

»Er ist perfekt. Oh mein Gott, vielen Dank. Ich kann dir gar nicht sagen, was mir das bedeutet«, schwärmt er, während ich die überschüssige Tinte und die kleinen Blutstropfen abwische.

»Gern geschehen.«

Nachdem ich seinen Arm bandagiert habe, führe ich Beck wieder nach vorn, um abzukassieren und ihm einen Ausdruck mit Hinweisen für die Versorgung zu Hause zu geben. Es gibt nichts Schlimmeres, als eine wunderschöne Farbarbeit zu schaffen und dann zu sehen, wie sie verblasst und rissig wird, weil sie während der Heilung nicht gut versorgt wird.

»Also, hast du eine Freundin… oder einen Freund?«, fragt er, als wir den Tresen erreichen.

Ich bleibe abrupt stehen und jedes warme, flatterige Gefühl, das ich vorhin gespürt habe, wird plötzlich hinter einer undurchdringlichen Stahlwand verschlossen.

Grummelnd gebe ich ihm eine unverbindliche Antwort und sage ihm, wie viel er zahlen muss.

»Entschuldige, ich bin sicher, dass das nur mein Wunschdenken war. Ich bin sicher, dass ein Typ wie du hetero oder schon vergeben ist. Oder beides.«

Wieder antwortete ich nicht und achte darauf, mir nichts anmerken zu lassen. Das Letzte, was ich brauche, ist, dass ein sexy, liebenswerter Mann Interesse an mir hat. Ich bin rettungslos verloren. Ich bin in tausend Scherben zerbrochen und kann nicht wieder zusammengesetzt werden.

»Hoffentlich sehen wir uns wieder«, sagt Beck und bleibt noch eine Sekunde, als würde er hoffen, dass ich plötzlich auftaue und sein süßes Lächeln erwidere.

»Ähm, sicher, wenn du noch ein Tattoo willst, weißt du, wo du mich finden kannst.«

Er macht ein langes Gesicht, aber mir fällt unwillkürlich auf, wie er mit den Hüften wackelt, als er geht.

Glücklicherweise kann ich nicht allzu lange darüber nachdenken, was für einen tollen Arsch er hat, denn Nox hängt in der Nähe des Tresens herum.

»Hey, können wir reden?«

Ich weiß, dass es darum geht, wie ich mich letzte Nacht verhalten habe, als ich ihn und Adam zusammen erwischt habe. Zu meiner Verteidigung, ich war überrascht. Ich hätte die Dinge, die ich zu ihm gesagt habe, nicht sagen sollen. Ich weiß, dass er sich wegen Johnnys Tod schuldig fühlt. Es gibt nichts, was Adam für seinen Bruder nicht getan hätte und ich bin sicher, dass er sich wegen derselben Anschuldigungen fertigmacht, die ich ihm letzte Nacht entgegengeschleudert habe. Ob Adam geoutet war oder nicht, hätte Johnnys Entscheidung, sich selbst das Leben zu nehmen, nicht beeinflusst. Wenn jemandem die Schuld zu geben war, dann mir. Wenn jemand Johnnys Tod hätte verhindern können, wäre ich es gewesen. Ich konnte ihn nicht retten.

In dem Moment wird mir klar, dass Nox noch immer auf eine Antwort wartet.

»Sicher«, stimme ich zu.

»Wie wäre es, wenn wir nach der Arbeit was trinken gehen und reden? Treffen wir uns im O'Malley's?«

Ich nicke, ehe ich mich umdrehe und durch den Flur zurück in meinen Arbeitsbereich gehe.

***

Egal, wie ich es drehe und wende, ich kriege es nicht in meinen Kopf, dass Adam auf Kerle steht. Ich dachte, wir würden alles miteinander teilen.

Wie viele Stunden habe ich damit verbracht, mich ihm völlig zu offenbaren, als ich um Johnny getrauert habe? Wie oft haben wir als Teenager über die Leute in der Schule gesprochen, die wir heiß fanden? Er hätte es mir sagen können. Es wäre eine ganz einfache Aussage gewesen.

Ich hab mich mit sechzehn vor ihm geoutet, um Himmels willen. Hätte er es mir da nicht sagen können? Oder buchstäblich an jedem anderen Tag während der letzten dreizehn Jahre?

Und dann herauszufinden, dass er seit Monaten heimlich mit unserem Mitbewohner zusammen ist? Was zur Hölle soll das?

Ich kann mich nicht entscheiden, welcher Schmerz schlimmer an mir nagt: Der Verrat oder die lähmende Einsamkeit, die mit der Erkenntnis einhergeht, dass mein bester Freund in jemanden verliebt ist und ich ihn verlieren werde.

Dann kommen noch Schuldgefühle dazu. Es gibt keinen Grund, warum Adam niemanden finden sollte, der ihn glücklich macht, nur weil ich zu kaputt bin, um jemals wieder zu lieben.

Ich weiß nicht, warum ich zugestimmt habe, mit Nox zu reden, bevor ich die Dinge mit Adam bereinigt habe. Vermutlich will ein Teil von mir ihn auf Herz und Nieren prüfen, wie es ein bester Freund tun sollte. Ist er gut genug für Adam? Das ist jetzt eine überflüssige Frage, da sie bereits verliebt sind. Aber es fühlt sich in dieser Situation richtig an.

Ich gehe die Straße zur Bar runter und versuche zu entscheiden, was ich Nox sagen soll. Vielleicht sollte ich Adam anrufen und ihm sagen, dass er dazustoßen soll.

Ich muss mich bei ihm entschuldigen. Ich muss den Kopf aus dem Arsch ziehen. Ich muss meinem besten Freund gratulieren.

Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, war Adam in letzter Zeit merklich glücklicher. Ich bin nicht auf die Idee gekommen, dass er mit jemandem zusammen ist, weil er das nie war. Zumindest nicht ernsthaft. Er hatte seinen Spaß mit Mädels wie Kira, zeigte aber nie wirkliches Interesse.

Als ich mich der Bar nähere, liegt etwas Unheilvolles in der Luft. Ich halte inne und sehe mich um, während ich versuche, dieses Gefühl zuzuordnen, das dafür sorgt, dass sich die Haare auf meinen Armen aufstellen.

Aus der Gasse neben der Bar dringt ein schlurfendes Geräusch, also schleiche ich mich näher, um zu sehen, ob sich dort nur ein Pärchen vergnügt oder etwas Schlimmeres vonstattengeht.

Was ich sehe, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren und mein Herz rasen.

Nox hängt schlaff in den Armen eines Mannes, der ihm die Kehle zudrückt. Nox' Gesicht ist lila angelaufen, weil ihm der Mann die Luft abschnürt.

Ich habe keine Zeit, mir einen Plan zurechtzulegen. Ich erinnere mich nicht, wie lange die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn unterbrochen sein kann, ehe Schäden auftreten, aber ich glaube nicht, dass es lange ist.

Ohne nachzudenken schnappe ich mir einen großen Stein vom Boden und stürze mich auf den Mann.

Er ist zu abgelenkt, um mich zu bemerken, sodass ihn mein Schlag hart und präzise am Hinterkopf trifft.

Der erste Schlag reicht aus, damit er Nox loslässt, der auf den Boden sackt.

Heathens Ink: Mein Heiler

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