Читать книгу Heathens Ink: Mein Heiler - K.M. Neuhold - Страница 8
Kapitel 3
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Während ich mit Officer Cas Bratton im Krankenhausflur stehe, werde ich das Bild von Nox' Gesicht, das durch den Sauerstoffmangel ganz blau war, nicht los. Oder wie sein Körper schlaff zu Boden gefallen ist.
Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat, bis der Krankenwagen da war, aber es hat sich wie eine Ewigkeit angefühlt. Ich konnte nur an den qualvollen Schmerz denken, den Menschen zu verlieren, den man am meisten liebt. Das durfte Adam nicht passieren. Niemand sollte das jemals fühlen müssen.
Es ist schon schwer genug, die Tage nur mit Bruchstücken eines Herzens zu überstehen. Aber jetzt fühle ich mich entblößt und ungeschützt.
Der Schorf wurde abgerissen, um eine Wunde freizulegen, die noch nicht verheilt ist, egal, wie viele Jahre vergangen sind.
Ich bin wieder dort. Ich bin mit Johnnys Familie im Krankenhaus, mit Adam, und warte auf Nachrichten, obwohl ich es bereits weiß.
Niemand erzählt dir das über den Tod eines geliebten Menschen. Irgendwie weißt du es einfach. Als Adam mich in dieser Nacht angerufen und gesagt hat, dass Johnny ins Krankenhaus gebracht worden war, hat sich ein flaues Gefühl in meinem Magen ausgebreitet und eine Stimme in meinem Hinterkopf hat mir gesagt, dass er tot war, bevor ich überhaupt wusste, was los war. Es war, als könnte ich sein Fehlen in dem Moment spüren, als es passierte.
Adam kommt aus Nox' Zimmer, ein Gefühl erschöpfter Erleichterung dringt ihm aus jeder Pore. Ohne Vorwarnung kommt er auf mich zu und zieht mich in eine stürmische Umarmung.
»Du hast ihm das Leben gerettet. Ich werde dir nie genug danken können. Ich weiß nicht, was ich getan hätte…«
»Natürlich hab ich ihm geholfen. Du musst dich nicht bedanken.«
»Es tut mir leid, dass ich dich angelogen habe. Ich habe die Schuldgefühle so viele Jahre mit mir herumgetragen. Es war ein Teufelskreis. Mit jedem Tag, an dem ich dir nicht die Wahrheit gesagt habe, wurde es schwerer. Ich wollte dich nie verletzen.« Adams Stimme bricht am Ende und ich umarme ihn fester.
Ja, ich war wütend und ja, ich war verletzt. Aber all das war jetzt nicht wichtig.
»Ich weiß und ich hätte nicht sagen sollen, was ich gesagt habe. Es war unangebracht und ich habe es nicht einen Augenblick lang geglaubt. Ich war verletzt und hab um mich geschlagen. Nicht eine Sekunde habe ich je gedacht, dass du irgendeine Schuld an Johnnys Tod trägst.« Weil ich für Johnnys Tod verantwortlich bin. Wenn ich ein besserer Freund gewesen wäre, aufmerksamer, wenn ich nur gewusst hätte… Ich tätschele seinen Rücken. »Vergessen wir das. Ich liebe dich, Mann. Ich will, dass du glücklich bist und ich bin froh, dass du den richtigen Mann gefunden hast.«
»Danke.«
»Ich schätze, dass ich mir wohl besser eine andere Wohnung suche, hm?«, sage ich nachdenklich, während ich mich aus der Umarmung zurückziehe.
Eine weitere Welle der Einsamkeit bricht über mich herein. Das hatte irgendwann passieren müssen. Natürlich würde Adam nicht für immer Single bleiben. Unterbewusst war mir immer klar gewesen, dass ich eines Tages den Trost seiner Anwesenheit aufgeben musste, die Abhängigkeit davon, dass er mich unterstützt und mich erdet.
Der Gedanke an eine Wohnung, in der ich ganz allein lebe, reicht aus, um mir den Atem zu rauben und mir das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Die Wohnung, von der ich mir immer vorgestellt habe, sie mit Johnny zu teilen, wird nun leer sein. Niemand, zu dem man am Ende des Tages nach Hause kommen kann. Niemand, der sich mit mir hinsetzt, wenn ich nicht schlafen kann.
Aber ich kann mich nicht für immer an Adam klammern. Er verdient sein Glück, egal, was es mich kosten wird.
»Was? Warum?«, fragt Adam.
»Du und Nox seid jetzt ein Paar. Da braucht ihr mich nicht, um die Stimmung zu verderben. Es ist sowieso längst überfällig. Ich habe mich viel zu lange auf dich gestützt. Du verdienst ein Leben, das sich nicht um deinen trübsinnigen besten Freund dreht.«
»Mein Leben wird sich immer um meinen trübsinnigen besten Freund drehen«, scherzt Adam.
Ich zwinge mich zu einem Lächeln, das mit Sicherheit nicht überzeugend ist.
»Nee, du hast jetzt deinen Mann. Geh und sei glücklich. Ich werde immer noch da sein, ich werde nur versuchen, mich zur Abwechslung mal selbst zu stützen.«
»Ich bin für dich da, egal, was passiert. Das wird sich nie ändern.«
»Danke, Mann.«
»Hey, stört es dich, wenn ich mir heute Abend dein Auto leihe?«, frage ich.
»Natürlich nicht. Ich bleibe hier bei Nox, also gehört es ganz dir. Du wirst dir nur ein Uber nach Hause nehmen müssen, um es zu holen, weil ich mit Cas hergekommen bin.«
»Vermutlich werde ich auch ein Auto brauchen, wenn ich meine eigene Bude habe«, sinniere ich.
»Könnte schön sein, dein eigenes Auto zu haben«, sagt Adam und ich nicke zustimmend.
Ich umarme Adam ein letztes Mal, ehe ich mir ein Uber bestelle und draußen warte.
Es fühlt sich an, als wäre meine Haut zu eng und mein Inneres zu scharfkantig. Ich löse mich an den Nähten auf.
***
Sobald ich die vertraute Stelle an dem verborgenen Aussichtspunkt erreicht habe, prasseln so viele Erinnerungen auf mich ein, dass ich kaum atmen kann.
Bilder tauchen vor meinen Augen auf, wie Momentaufnahmen aus einem bekannten Film. Johnny, der mich mit so viel schüchterner Hoffnung anlächelt, dass ich ihm in diesem Moment mein Herz zu Füßen gelegt habe. Sein schlanker Körper in meinen Armen, als wir atemlos und ineinander verschlungen auf der Decke liegen, während der Schweiß auf unserer Haut abkühlt und wir den Sternenhimmel betrachten und von unserer Zukunft träumen. Tränen und Streitereien, weil er es nicht ertragen konnte, unsere Liebe geheim zu halten, während ich zum millionsten Mal versucht habe, ihm erklären, warum es nicht der richtige Zeitpunkt war, um es Adam zu sagen. Wie Johnny immer distanzierter wurde, während ich ihn wortwörtlich auf Händen und Knien angefleht habe, mir zu sagen, was mit ihm los sei, weil ich verzweifelt wissen wollte, warum er nicht mehr der Mann war, in den ich mich verliebt hatte. Wo war mein Johnny und wer war diese Hülle eines Jungen, der an seiner Stelle hier war?
Ich hätte damals die Zeichen sehen müssen. Ich hätte wissen müssen, dass er mehr Hilfe brauchte, als ihm die schiere Stärke meiner Liebe geben konnte.
Und dann die Nacht nach Johnnys Beerdigung, als Adam und ich hier hochgefahren sind und unseren Kummer in einer Flasche Jack Daniels ertränkt haben.
Die Kraft der Erinnerungen zwingt mich beinahe auf die Knie. Seit dieser Nacht mit Adam war ich nicht mehr hier oben. Ich konnte es nicht ertragen. Es ist zu viel von Johnny und gleichzeitig nicht genug.
Ich bin nur noch die Hülle eines Menschen. Ich bin ein Mann ohne Herz oder Seele. Als Johnny starb, hat er diese Dinge mit sich genommen und einen stechenden Schmerz zurückgelassen, wo sie einst gewesen waren.
Ich sinke neben Adams Auto zu Boden und sehe zum Nachthimmel hinauf. Er sieht so aus wie damals, als Johnny in meinen Armen lag. Wie kann das Universum vom Verlust einer so wunderschönen Seele so unbeeindruckt sein? Wie kann das Leben Tag für Tag ohne ihn weitergehen?
»Wie konntest du mir das antun, Jay? Du hast mir die Ewigkeit versprochen. Ich weiß, wir waren jung, aber ich habe dir geglaubt. Alle sagen, dass es mit der Zeit besser wird, warum tut es dann immer noch so weh? Warum wache ich immer noch auf und denke eine Sekunde lang, dass du noch da bist? Warum kann ich nicht weitermachen? Es sind neun Jahre, Jay. Warum komme ich verdammt noch mal nicht darüber hinweg? Und warum musstest du mich verlassen? Warum?« Meine Stimme bricht und Tränen strömen über meine Wangen. »Ich kann so nicht weiterleben, Jay. Als ich versprochen habe, dass es für mich immer nur dich geben wird, meinte ich das aus tiefstem Herzen. Aber du bist nicht mehr da und ich bin so einsam, dass ich nicht atmen kann. Ich kann das nicht mehr. Ich kann nicht.«
Ein gebrochenes Schluchzen dringt aus meiner Kehle und ich vergrabe das Gesicht in den Händen.
Immerhin ist niemand hier oben, um zu sehen, wie ich so zusammenbreche.
Ich weiß, was sie alle über mich denken würden. Sie können nicht verstehen, wie ich noch immer den Verlust von jemandem betrauern kann, der vor fast zehn Jahren gestorben ist. Aber Johnny war nicht jemand, er war alles. Er war meine erste und einzige Liebe.
Ich kann mich noch immer an die Nacht erinnern, in der wir zusammengekommen sind, als wäre es gestern gewesen. Noch immer träume ich davon.
Ich kannte Johnny sein ganzes Leben lang und er war immer der alberne kleine Bruder meines besten Freundes. Irgendwie niedlich und so affektiert, dass man glauben musste, er würde versuchen, jedes schwule Klischee zu erfüllen. Aber das war einfach Johnny. Es war ihm egal, was die Leute dachten. Zumindest war ich der Meinung, dass es ihm egal war. Vielleicht wäre er immer noch hier, wenn mir klar gewesen wäre, wie wichtig es ihm tatsächlich war.
Er war sechzehn und ich zwanzig und ich fühlte mich wie ein Perverser, weil mir auffiel, wie heiß er war. Aber es war nicht nur eine körperliche Anziehung. Es war, als könnte ich von seiner Gesellschaft nicht genug bekommen. Ich fand ständig Ausreden, um mit ihm rumzuhängen, damit ich einen Teil seines glücklichen Strahlens in mich aufnehmen konnte.
Er hatte einen schweren Tag in der Schule gehabt und war sichtlich aufgewühlt und kurz davor zu weinen, nach Hause gekommen. Niemand war da, also tat ich etwas, das ich noch nie zuvor getan hatte, etwas, nach dem ich mich gesehnt hatte. Ich legte meine Arme um ihn und drückte ihn fest an meine Brust.
„Was kann ich tun, damit es besser wird, Jay? Sag es mir, ich werde alles tun“, hatte ich ihm gesagt und seinen Kopf angehoben, um mit dem Daumen die Tränen auf seinen Wangen wegzuwischen.
Er sah mich unter seinen Wimpern heraus an, mit dem ernsthaftesten Gesichtsausdruck, den ich je auf seinem sonst lächelnden Gesicht gesehen hatte.
„Du kannst aufhören, so zu tun, als wäre da nichts zwischen uns, und mich endlich küssen.“
Seine deutliche Aussage ließ mich nach Luft schnappen.
„Jay… Ich…“
Er wartete nicht, bis mir eine Million Gründe einfielen, warum ein Kuss falsch wäre. Stattdessen stellte er sich auf die Zehenspitzen und drückte seine weichen Lippen auf meine.
In dem Moment war meine gesamte Welt zerbrochen und hatte sich mit Johnny im Zentrum neu geformt. Für mich gab es nie eine andere Wahl, als Johnny zu lieben.
»Du musst mich gehen lassen, Jay. Bitte, lass mich gehen.«
Eine warme Brise legt sich um mich und ich könnte beinahe schwören, dass ich für eine Millisekunde Johnnys Lieblingsparfüm riechen kann. Und zum ersten Mal in so vielen Jahren legt sich ein klein wenig Frieden über mein Herz. Es ist beinahe, als hätte Johnny mein Flehen gehört und versuchte nun, mir zu sagen, dass es in Ordnung sei, weiterzumachen.
»Ich werde dich immer lieben, Jay. Egal, was auch in meinem Leben passiert, dir wird immer der größte Teil meines Herzens gehören.«