Читать книгу Gegenkulturelle Tendenzen im postdramatischen Theater - Koku G. Nonoa - Страница 30
2.1.2.2. Elemente und Organisation des Sechstagespiels
ОглавлениеDamit die Durchführung des Sechstagespiels gelingt, wird eine sorgfältige Struktur und Organisation festgelegt. In diesem Zusammenhang ist Folgendes anzumerken: Obgleich sich Nitsch von den Regeln des konventionellen Theaters distanziert, hält er an konventionellen Organisationskriterien fest, welche die erfolgreiche und reibungslose Aufführung seiner ersten vollständigen Verwirklichung des Orgien-Mysterien-Theaters garantieren sollen.
Das Sechstagespiel ist eine theatrale Ästhetisierung des täglichen Lebens, die gesellschaftliche Alltagshandlungen in allen Erscheinungsformen präsentiert: essen, trinken, feiern, Sexualität, Leben sowie die Polarität der Daseinsfrage mit extremen Glücks-, Verzückungs- und Erregungszuständen, religiösen Praxen, opferrituellen Vorgängen, mit Hang zur Tötung und Destruktion, Verdrängungsmechanismen. Dafür stehen die Schlossanlagen in Prinzendorf als geeigneter Schauplatz. Die Aktionen des Sechstagespiels wurden mit vorbereiteten Geschmacks- und Geruchswerten möglichst synchron in Verbindung gebracht und so übermittelt, dass sie von den Zuschauer_innen registriert wurden. Wie noch gezeigt wird, ist das Orgien-Mysterien-Theater voller Anspielungen auf Elemente bzw. Vorgänge der christlichen Religion.
Die Realisation des Sechstagespiels geschah sechs Tage lang wie im realen Alltagszeitablauf – nicht im Sinne der aristotelischen Zeit. Es ereignete sich in realer gelebter Zeit – in Tag- sowie Nachtstunden – und fand bei jedem Wetter statt. Alle Alltagsaktivitäten begannen etwa um 04:45 Uhr oder 05:00 Uhr vor dem Sonnenaufgang oder währenddessen und gingen mit Sonnenuntergang oder nachts gegen 02:00 Uhr oder 03:00 Uhr zu Ende. Außerdem sollte diese Zeitdimension an die Schöpfungsgeschichte erinnern, in der erzählt wird, Gott habe sechs Tage lang ohne Ruhe die Welt geschaffen, bevor er das Wort Fleisch – sprich Realität – werden ließ. Das Sechstagespiel, das zum ersten Mal im Sommer 1998 vom 3. bis zum 9. August vollständig aufgeführt wurde, sammelte alle seit Beginn der 1960er-Jahre im Rahmen des Wiener Aktionismus duchrgeführten Aktionen des Orgien-Mysterien-Theaters. Alle früheren Aktivitäten stehen für Teilverwirklichungen des gesamten Sechstagespiels.
Dass das Schauspiel keine Rolle im Orgien-Mysterien-Theater spielt, ist an der Gestaltungsform erkennbar. Irritierend ist, dass Nitsch keine künstlerische Repräsentation, sondern eine radikale ästhetische Präsentation von Vorgängen schafft. Dabei bedient er sich der klassischen Gattungen der Malerei, der Musik und des Theaters – von denen er ausgeht –, bevor er sie nicht nur gattungsüberschreitend vermischt sowie transformiert, sondern den Wirkungsintentionen seines Theateransatzes entsprechend auf eine institutionskritische Art und Weise neu schöpft.