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ОглавлениеJetzt.
Jetzt hallten die Worte im Geist wider, fluteten die Bilder den Verstand. Und ließen nicht ab von der schutzlosen Seele.
Warum hatte sie das getan?
Einen elenden Loser hatte sie ihn genannt. Und vor allen Gästen des Empfangs gedemütigt. Dabei sei »Loser« noch ein Kompliment gewesen - so wie er sich im Bett anstelle.
»Kein Stehvermögen«.
Dann küsste sie einen anderen. Aurelius hätte ihr gerne etwas ins Gesicht gekippt, hätte ihr gerne eine runtergehauen.
Hätte, hätte, hätte ...
Doch sein Arm kam nicht an gegen die Mauer aus Lachen, die sich aus der Menge heraus formte.
Wortlos hatte er das Weite gesucht, war durch die Vorhalle getaumelt, an der Garderobe vorüber und hinaus ins Freie. Die Honoratioren des Gesundheitsdezernats mochten ihm vergeben, doch nach der Szene mit Amelia schien ihm ein Fraternisieren mit den Standeskollegen unmöglich. Nur noch atmen wollte er. Frische Luft.
Als er unter einer Laterne vor dem Kongresszentrum zu Stehen kam, füllte das Gelächter seinen Rücken. Er würgte einen Beta Blocker hinunter und starrte ins Leere. Es war spät, doch noch immer rauschte der Strom der Fahrzeuge auf der Transitstraße, wand sich um das Tagungsgebäude. Nur einen einzigen Schritt weiter und der Strom würde ihn verschlingen. Wäre das nicht eine Befreiung gewesen? ... Für alle?
Nahe des Bordsteins sank er nieder. Der Boden war warm. Jenseits der Transitstraße lag das Schloss, eingehüllt in warmes Licht aus unsichtbaren Strahlern. Am anderen Ende des schmalen Vorplatzes Archiv und Museum. Und über seinem Kopf die Sterne. Ein ganzer Haufen Sterne. Zukunftskünder für die Leichtgläubigen.
Er musste an ihre erste Begegnung denken. Unter welchem Stern hatte sie stattgefunden?
Anmutig saß Amelia auf einer Bank im Park der Klinik und ließ sich zärtlich von der Sommersonne berühren. Der in ein knappes Kleid gehüllte Körper hatte ihn glatt umgehauen. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und setzte sich neben sie. Sie wechselten einige schüchterne Worte. Sieben Tage später waren sie ein Paar. Das war vor sieben Jahren gewesen. Und von jenem Tag an schleppten sie sich gemeinsam über die Bühne des Lebens - von Szene zu Szene - und taten sich auf Millionen erdenkliche Weisen weh. Doch so oft er sich auch von ihr getrennt hatte, bei keiner anderen fand er zu sich selbst.
Teufel auch!
Irgendwann kam er nach Hause, schloss den Windfang und schlurfte über den Marmor der Galerie in den Salon. Niemand nahm von ihm Notiz im großen, stillen Haus. »Zauberschloss« hatten sie es getauft. Prinz und Prinzessin im Märchenland wollten sie sein. Diese Rolle verlangte ihm manches ab. Mal wollte er sie beschützen, mal verdammen. Dann wieder wollte er sie brennen sehen - vor Leidenschaft oder auf dem Scheiterhaufen. Am schlimmsten aber war, dass Amelia häufig so zerissen war, dass es ihn zeriss. Er trottete in die Küche und trank Wein, um die widersprüchlichen Gefühle zu betäuben.
Dann vergrub er sich in sein Kissen. Amelia trampelte auf seinen Gefühlen herum, und doch fehlte sie ihm. Wohin führte das, dachte er.
Wohin führte das alles nur?