Читать книгу Zwischen den Zeilen - Kora Kutschbach - Страница 9

Оглавление

-5-

Als ich aufwachte, kam es mir vor, als würde ich schweben. Meine Augen waren aus irgendeinem Grund heiß wie Lava und geschwollen, mein Hals brannte wie Feuer und mit meiner rechten Hand umklammerte ich schraubstockartig den Unterarm meines Bruders Finn.

Es dauerte vielleicht eine halbe Minute bis ich durch die kleinen Schlitze meiner Augenlider die Orientierung gewonnen hatte. Ich lag in einem großen weichen Bett, steckte von der Hüfte abwärts unter einer gelb-weiß gestreiften Daunendecke und konnte durch die Fenster, die mithilfe eines marine-blauen Vorhangs halb verdeckt waren, die Abenddämmerung erkennen. Oder war es das Morgengrauen, das den neuen Tag ankündigte? Ich kann auch jetzt noch nicht sicher sagen, um welche Tageszeit es sich nun tatsächlich handelte. Ich weiß nur, das es mir absolut gleichgültig war, denn das am meisten gefürchtete Grauen meiner noch jungen Existenz begann in jenem Moment!

Langsam lockerte ich den Griff um Finns Arm, was ihn wiederum aus seinem Halbschlaf gerissen haben muss. Denn unwillkürlich zuckte er zusammen, riss die Augen auf und sah mich mit diesem unwahrscheinlich traurigen und leeren Blick an, der noch Jahre darauf in meinen Alpträumen erscheinen sollte. Ich mache ihm wahrlich keinerlei Vorwurf daraus. Es ist nur eine bestehende Tatsache.

Es muss diese Sekunde gewesen sein, in der für mich eine bisher heile, von Glück und Liebe erfüllte, unantastbar scheinende Seifenblase einer Welt unwiederbringlich zerplatzte!

Plötzlich spürte ich, wie mein Herz in Millionen von Scherben zu zerspringen schien, die sich mit blanker Gewalt in meine Lunge bohren mussten. Denn ich fühlte diesen unbeschreiblich stechenden Schmerz in meiner Brust, der mich nahezu ohnmächtig werden ließ. Ich glaubte, ich würde jeden Augenblick ersticken, was wiederum eventuell einer Erlösung entsprochen hätte.

Ich umklammerte sofort wieder Finns Arm, rammte ihm meine Fingernägel ins Fleisch. Ich merkte, dass mir kochend heiße Tränen in die Augen schossen und sich, während sie über mein Gesicht liefen, in meine Haut einbrannten. Doch jeden physischen Schmerz, jede Qual hätte ich auf mich genommen, hätte ich nur jenen Schmerzensschrei im Inneren meines nicht mehr vorhandenen Herzens ausblenden können. Ich wollte diesen furchtbaren Schmerz nur noch hinausschreien! Doch meine Stimmbänder versagten mir ihren Dienst. Ich bekam keinen einzigen Ton heraus. Nicht einmal ein winziges Schluchzen wollte meiner trockenen Kehle entfliehen.

Sämtliche Körperfunktionen schienen auf ein Minimum beschränkt zu sein, sodass ich, auch wenn jeder einzelne Atemzug mich riesige Überwindung kostete, noch fähig war, meinem Organismus den überlebenswichtigen Sauerstoff zuzuführen. Nur gut, dass das Atmen ein angeborener Automatismus ist! Wobei ich mir in jenem Moment so sehr wünschte, ich würde einfach zurück in die Kissen sinken, der Rhythmus des Ein- und Ausatmens würde allmählich langsamer werden und schließlich versiegen. Denn dies war die einzige Möglichkeit auch diesem grausamen Schmerz zu entkommen.

Der freie, unaufhaltsame Fall begann! Und ich wollte gar nicht aufgefangen werden!

Im Nachhinein tut mir mein lieber Finn unglaublich Leid, denn wer widmete sich seinem Schmerz, der ebenso unermesslich war wie der meine, mit gleicher Hingabe, mit welcher sich jeder um mich bemühte? Ich wünschte, ich wäre ähnlich stark und tapfer gewesen wie du es warst!

Ich weiß, du sagst immer, wir hätten nur als Team diesen schrecklichen Tiefpunkt überstanden. Doch in Wirklichkeit warst du es, der meine Last, ohne jemals auch nur ein einziges Wort der Klage zu äußern, mit sich trug, um mir den steinigen Marsch zu erleichtern! Ich bin mir dessen mehr als bewusst und weiß, dass du das auch weißt!

Zwischen den Zeilen

Подняться наверх