Читать книгу Willenbrecher - K.P. Hand - Страница 4
1
Оглавление8 Jahre später...
Mona Lorenz schüttelte verärgert ihren Kopf.
Eigentlich wollte sie das hier gar nicht, aber ihr Vater hatte sich mal wieder gegen ihren Willen durchgesetzten. Mit erhobener Stimme hatte er ihre Einwände abgetan und sie zum zittern gebracht. Schon als kleines Mädchen hatte sie Angst bekommen, wenn er schrie, obwohl er sie nie ernsthaft geschlagen hatte, aber die dunkle Stimme ihres Vaters konnte sehr einschüchternd sein. Sogar der Familiehund zuckte dabei zusammen. Deshalb hatte sie auch letzten Endes keine andere Wahl gehabt, als bei dieser Rechtsanwaltsfirma anzurufen, um sich für die angebotene Ausbildungsstelle zu bewerben. Es war eine echte Chance, keine Frage, denn diese Firma stellte auch Personen mit mittelmäßigem Schulabschluss - wie Mona einen hatte - ein. Das Problem war nur, das sie nie Bürofachangestellte hatte werden wollen.
Sie war eher eine kreative Person. Zeichnen konnte sie gut. Menschliche Gesichter waren ihre Spezialität. Daraus kreierte sie meistens außergewöhnliche Bilder. Fantasiewesen oder Science-Fiction Kreaturen. Es waren menschliche Gesichter, die aussahen, als wären sie von Computerviren befallen. Ihre Website war sehr beliebt, nur verdiente sie damit kein Geld.
Und da lag das Problem.
Lern was Richtiges, schimpfte ihr Vater.
Und deshalb saß sie nun in dieser großen Rechtsanwaltsfirma, die Arme vor der Brust verschränkt und ärgerlich den Kopf schüttelnd.
Mona seufzte leise.
Sie wollte das hier nicht, dennoch würde sie sich bei ihrem Vorstellungsgespräch von ihrer besten Seite zeigen. So war sie einfach.
Mittlerweile müsste sie es gewohnt sein, zu Vorstellungsgesprächen gehen zu müssen, zu denen sie nicht wollte. Ihre Familie drückte sie ständig irgendwo rein.
Ist das Sinn der Sache? Funktionierte das System wirklich so? Jeder Mensch sollte einfach irgendetwas arbeiten, völlig egal, ob es ihn glücklich machte oder nicht?
Man brauchte sich nicht über ältliche psychische Erkrankungen zu wundern. Und man musste sich auch nicht fragen, warum sich fast wöchentlich jemand vor einem Zug schmiss. Wer ging denn schon gerne sieben Tage die Wochen zu einem verhassten Job?
Mona wollte das nicht, doch wie so oft hatte sie keine andere Wahl. Genau genommen, hatte sie noch nie eine Wahl gehabt. Dieses Gefühl war schrecklich! Es engte sie ungemein ein. Manchmal, so wie im Moment, hatte sie das Gefühl, deshalb keine Luft mehr zu bekommen.
»Du musst, Mona! Du musst!« – »Ich bin nicht ewig da!«
Jedes Mal wenn ihr Vater oder ihre Mutter so etwas sagten, spürte sie ein eigenartiges Gefühl tief in der Brust. Wie eine Hand die langsam ihre Lunge zuquetschte.
Es war Angst, das wusste sie. Die Angst, irgendwann - so, wie es ihre Mutter immer prophezeite - allein zu sein. Und niemand war gerne völlig alleine und auf sich gestellt, oder?
Was würde sie nur tun, wenn ihre Eltern irgendwann nicht mehr wären? Nicht nur in finanzieller Hinsicht war sie dann aufgeschmissen. Bei wem sollte sie sich einen Rat holen? Wem konnte sie sich dann noch anvertrauen? Wer war da, wenn es ihr nicht gut ging?
Mona war trotz der ständigen Zwänge ein Familienmensch, der ohne den Rückhalt der Familie nicht leben konnte.
»Frau... Hochhausen?«
Mona fuhr hoch, als eine junge Frau mit blondem Haar im Bürooutfit um die Ecke kam. Sie hielt ein Klemmbrett in der Hand, auf dem zweifelsohne die Namen der Bewerber aufgelistet waren, doch Mona war im Moment alleine in dem grauen Warteraum.
Verwundert hob die blonde Frau den Kopf und sah sich suchend um.
Ihr Blick fiel auf Mona und sie wollte wissen: »Sie sind nicht Frau Hochhausen?«
Mona lächelte, schüttelte aber den Kopf. »Nein, mein Name ist Lorenz.«
Die blonde Frau seufzte und sah auf die Liste. »Nun, wie es scheint, hat sich diese Frau Hochhausen anders entschieden oder verspätet sich wohlmöglich.«
Mona wusste nicht, ob und was sie darauf erwidern sollte, deshalb rang sie sich lediglich ein halbherziges Grinsen ab, das sowieso nicht gesehen wurde.
»Also dann«, erhob die blonde Frau wieder das Wort und sah Mona freundlich an. »Dann ziehen wir Sie eben vor. Wie war Ihr Name noch gleich?«
»Lorenz«, wiederholte Mona und erhob sich, »Mona Lorenz.«
Die Frau runzelte die Stirn und begutachtete ihre Liste.
»Hm«, machte sie nachdenklich, »Sie stehen gar nicht auf der Bewerberliste.«
»Ich weiß«, erklärte Mona, »ich habe gestern Abend angerufen und mich beworben, Ihr Kollege sagte, ich solle heute einfach vorbei kommen und meine Bewerbungsunterlagen mitbringen, man würde mich dann drannehmen, wenn die anderen Bewerber durch sind.«
Die Blonde lächelte erneut charmant. »Verstehe. Okay, dann kommen Sie doch einfach schon mal mit, so wie es aussieht, wird Ihre Vorgängerin heute nicht mehr auftauchen.«
Mona folgte der blonden Frau - die sie ohne Neid als Schönheit bezeichnen würde - durch einen langen Flur zu einem Raum voller Schriebtische und Computer.
Mona war kurz verwundert, denn sie hatte einen Konferenzraum mit mehreren Frauen und Männern erwartet, die sie verhören würden. Stattdessen wurde sie zu einem Mann an einem Schreibtisch geführt, der geschäftig auf seiner Tastatur herumklimperte.
Er war klein, bummelig und hatte sein mittelbraunes Haar zu einer schmierigen Frisur gestylt. Sein Anzug war schmutzig, sein Hemd wies Senfflecken auf und seine runde Brille saß schief auf seiner dicken Knollennase.
»Einen Moment«, sagte er abweisend ohne aufzusehen, als Mona neben ihm stehen blieb.
Die blonde Sekretärin drückte aufmunternd Monas Arm und flüsterte ihr freundlich zu: »Viel Glück.«
»Danke«, hauchte Mona zurück und strich sich schüchtern eine ihrer hasselnussbraunen Haarsträhnen, die sich aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst hatte, hinter ihr Ohr.
»Setzten Sie sich«, brummte der Mann am Computer.
Mona kam dem geknurrten Befehl nach und fühlte sich reichlich unwohl, als sie sich auf dem Stuhl niederließ, der an der kurzen Seite des überfüllten Schreibtischs stand.
Sie warf einen unauffälligen Blick auf den Bildschirm des Mannes, konnte aber mit der aufgerufenen Website nichts anfangen. Sie erkannte Fotos von jungen Menschen. Frauen und Männer Anfang zwanzig, vielleicht auch jünger, dahinter las sie Namen ohne Nachnamen und Zahlen mit einem Eurozeichen.
Der Mann, der sich ihr nicht vorstellte, ließ von der Tastatur ab und sah sie an.
Erwischt!, dachte Mona und wurde rot.
Nun lachte der Mann auf. »Keine Sorge, ich mache kein großes Geheimnis daraus, das ich für Sex zahlen muss.«
Mona wünschte, er hätte eines daraus gemacht.
»Interessant, was man mittlerweile alles im Internet erwerben kann«, murmelte sie.
Er lachte erneut auf. »Sie ahnen ja gar nicht, was man noch so alles kaufen kann.«
Nun wandte er sich ab und ließ das Thema fallen. Er schnappte sich ein Blattpapier von einem unordentlichen Stapel und beugte sich mit einem Kugelschreiber darüber.
»So, Frau ... Hochhausen. Sie haben also bereits mehrere Ausbildungen angefangen aber wieder abgebrochen-«
»Ich bin nicht Frau Hochhausen«, unterbrach Mona schnell. »Ich ... Mein Name ist Mona Lorenz, ich wurde vorgezogen, weil Frau Hochhausen wohl nicht erscheint.«
Er brummte etwas Unverständliches und strich etwas auf dem Blatt aus. Dann legte er es auf einen anderen Stapel.
»Haben Sie das Formular ausgefüllt?«, fragte er genervt.
»Nein«, antwortete Mona. »Ich habe gestern Abend angerufen und wurde für heute eingeladen. Ich habe meine Bewerbungsmappe-«
»Lebenslauf?«
Mona stockte kurz, weil sie unterbrochen wurde, antwortete dann aber: »Ja. Natürlich!«
Er streckte den Arm aus und machte mit seinen Fingern eine auffordernde Geste.
Diese herablassende Art die er hier anstrebte, machte Mona langsam wirklich wütend. Am liebsten wäre sie gegangen, doch das würde ihren Vater nur wieder zornig machen, deshalb kramte sie aus ihren Unterlagen den Lebenslauf hervor und gab sie kommentarlos dem Mann.
Er sah sich das Blatt nicht einmal an, er legte es zur Seite und reichte ihr ein Formular.
»Ausfüllen«, befahl er im schroffen Ton und knallte einen Kugelschreiber auf das Formular.
Mona blinzelte ihn verwundert an, doch er würdigte sie keines Blickes.
Ausatmend nahm sie den Kugelschreiber an sich und beugte sich über das Formular. Die ersten Dinge waren leicht auszufüllen und standen bereits in ihrem Lebenslauf: ihr Name, ihr Geburtsdatum, Familienstand. Hatte sie Eltern? - Wenn ja: Name der Eltern, Tätigkeit der Eltern.
Aber dann wurde es kurios.
Sie wurde gefragt, ob sie Medikamente nahm, ob sie ansteckende Krankheiten hätte, ob sie schwanger sei, ob sie rauchte und ob sie schon einmal eine Suchterkrankung aufzuweisen hätte. Zudem wurde gefragt, ob sie zu einem Therapeuten ging.
Mona wusste, worauf das hinauslief.
Diese Firma nahm vielleicht mittelmäßige Schüler an, doch diese mussten voll und ganz gesund sein. Körperlich und psychisch.
Kurz war sie versucht, einzutragen, dass sie eine ehemalige Alkoholikerin wäre und abhängig von schwere Psychopharmaka war. Doch stattdessen kritzelte sie einfach irgendwelche Zeichen in die Spalten, damit es so aussah, als hätte sie etwas eingetragen. Säße sie nicht direkt neben diesem Typ, hätte sie sich die Mühe erspart.
Wie nicht anders erwartet, nahm er das Formular ohne einen Blick darauf geworfen zu haben an sich und legte es zu ihrem Lebenslauf.
»Danke. Warten Sie bitte draußen, wir geben Ihnen gleich bescheid.«
Mona hätte gerne abfällig geschnauft, doch sie verbiss es sich. Kommentarlos erhob sie sich und wandte sich ab.
Ekelhafter Lustmolch!, schimpfte sie in Gedanken. Da schaut er sich im Internet Prostituierte an, anstatt anständig seinen Job zu machen!
Aber ihr konnte es recht sein. Nun, da sie das Formular nicht richtig ausgefüllt hatte, waren ihre Chancen hier sowieso auf Null zurückgeschnellt.
Mona kam wieder im Wartebereich an, nun saß die blonde Frau hinter dem Anmeldetresen. Sie lächelten sich zu, als Mona sich setzte.
Kurz darauf klingelte ein Telefon. Die Sekretärin nahm den Hörer ab und ging ran. Sie horchte, legte auf und verließ den Raum.
Mona seufzte tief und lehnte sich gegen die Stuhllehne. Sie wollte hier raus und endlich nach Hause. Hier in dieser Firma würde sie nicht einmal arbeiten wollen, wenn man sie darum anbetteln würde. Ihr Vater sähe das bestimmt anders, aber Mona hatte ein schlechtes Gefühl. Und im Zweifelsfall verließ sie sich stets auf ihre Gefühle.
Mona musste noch eine volle Stunde warten, eher die blonde Frau wieder auftauchte und mit einem bedauerlichen Blick auf sie zukam. »Entschuldigen Sie, dass Sie warten mussten, aber manche Bewerber werden sofort überprüft, das erspart uns viele Telefonate.«
Mona erhob sich und zog den Riemen ihre Tasche über die Schulter. Sie wusste, was nun kam.
»Tut mir sehr Leid, Frau Lorenz, aber ... Sie sind nicht das, was wir suchen.«
»Schon gut. Verstehe schon.«
Die Sekretärin sah sie mitleidvoll an: »Tut mir wirklich leid.«
»Muss es nicht.« Mona lächelte und dachte bei sich, das sie noch einmal davon gekommen war.
Sie verabschiedete sich von der Frau und verließ den großen Bürokomplex.
Eisige Luft wehte ihr auf dem Parkplatz entgegen, weshalb sie ihren schwarzen Mantel enger zusammen zog. Es war Januar und tiefster Winter, deshalb war der Himmel der Stadt bereits stockdunkel, obwohl noch nicht einmal achtzehn Uhr sein konnte.
Mona hasste es, alleine bei Dunkelheit durch die Straßen zu laufen, egal wie früh am Abend es war. Aber sie hatte kein Auto, nicht einmal eine Fahrerlaubnis, und ihre Mutter hatte keine Zeit, sie abzuholen. Vielleicht wäre ihr Bruder zuhause, aber zu diesem hatte Mona kein gutes Verhältnis.
Sie holte ihr Handy hervor und sah auf die Uhr. - Es war gerade erst 17:48Uhr.
Zwar lag die nächste Bushaltestelle nur fünf Minuten entfernt ... trotzdem beschloss Mona, den langen Weg zum Fitnessstudio zu laufen, in dem ihr fester Freund arbeitete.
Dafür musste sie aber in die andere Richtung. Zum Glück wusste sie, das es hinter dem Gebäude einen weiteren Ausgang gab, von dort aus sie auf die Straße gelangte, die sie nehmen musste. - Eine willkommene Abkürzung!
Nachdem Mona sich in Bewegung gesetzt hatte, bereute sie ihre Entscheidung bereits nach drei Metern, denn hinter dem Bürokomplex war es noch düsterer. Hier gab es keine Autos, keine umliegenden Hauswände mit Fenstern. Nur Müllcontainer, dunkle Ecken und die große Garagentore in der Fassade des Betongebäudes.
Mona ging schneller, als sie glaubte, hinter sich ein Geräusch gehört zu haben. Schlurfende Schritte, wenn sie sich nicht täuschte.
Sie beruhigte sich damit, dass ihr Verstand ihr Streiche spielte. Wer sollte hinter ihr sein? Obwohl ... plötzlich erinnerte sie sich daran, das es zwei Städte weiter vermehrt zu Vergewaltigungen gekommen war. Außerdem waren in letzter Zeit in der Gegend mehrere Menschen verschwunden. Einige hat man tot wieder aus dem Fluss gefischt.
Mona ging nun schneller, sie rannte fast, während ihre Schuhe laut auf dem Betonboden klackerten.
Als sie endlich das geöffnete Tor erreichte, bog ein großer Lieferwagen in die Einfahrt.
Mona war gezwungen, auszuweichen. Sie ging einige Schritte zurück, damit der Fahrer die Tordurchfahrt durchqueren konnte, dabei sah sie, dass niemand hinter ihr her gewesen war.
Alles nur Einbildung, beruhigte sie sich und atmete erleichtert auf.
Der Wagen fuhr auf das Gelände und umrundete das Gebäude, bestimmt hatte er ebenfalls nur eine Abkürzung nehmen wollen.
Mona verließ die Tordurchfahrt und schüttelte über sich selbst den Kopf.
Sie war stets so ängstlich!
Über sich selbst schimpfend lief sie die dunkle Straße entlang und bemerkte dabei nicht, dass sie von einem Schatten verfolgt wurde, der sich seit dem Verlassen der Firma an ihre Fersen geheftet hatte.
***
Norman rieb sich über sein müdes Gesicht.
In den Innenflächen seiner Hände spürte er die Stoppel seines Dreitagebarts, den er sich hatte wachsen lassen, um seiner falschen Identität den letzten Schliff zu verleihen.
Als Norman Koch, der Mann, der er wirklich war, trug er stets ein glatt rasiertes Gesicht und sportlichelegante Kleidung. Aber so durfte seine Rolle nicht auftreten.
Der Name seiner Rolle lautete Alexander Neumann. Ein fiktiver Mann, der auf der Straße aufgewachsen und sich als Kleinkrimineller durchgeschlagen hatte. Solche Kerle trugen selten Sportsakkos und glatt rasierte Gesichter.
Norman hatte sich gehen lassen. Wochenlang! Eher er in seine Rolle geschlüpft war.
Und es hatte sich gelohnt. Die Kerle haben es ihm abgekauft. Nun durfte er sich als integriertes Mitglied einer organisierten Verbrecherbande sehen; über die seine Vorgesetzten dringend mehr Informationen benötigten. Denn diese Kerle waren neu in der Stadt und seitdem sie da waren, fischte man mehrmals im Monat Leichen aus dem Fluss. Es verschwanden Menschen; überwiegend Leute mit recht wenig Angehörigen. Bis ihr Verschwinden bemerkt wurde, konnten die Behörden nicht mehr viel zutun.
Keiner, der bisslang Entführten, konnte bisher lebend gefunden werden.
Und genau deshalb wurde aus Norman Koch - einer der besten Sonderermittler der Umgebung - Alexander Neumann, einem widerlichen kleinkriminellen, der gerne der Handlanger des Kopfes dieser neuen Organisation wäre.
Nun, soweit war er noch nicht, aber er durfte sich mittlerweile wenigstens zum unteren Fußvolk zählen.
Das Schlimme an der Sache war nicht einmal, vorzugeben, jemand zu sein, den man eigentlich verabscheuen würde, schlimmer war es, keinerlei Kontakt zu Kollegen haben zu können, solange er noch keinen richtigen Fuß in der Tür hatte.
Er durfte nicht riskieren, aufzufliegen. Also war Norman schon seit Wochen ganz allein. Lebte in einer Wohnung, die nicht seine war. Fuhr einen Wagen, der nicht seiner war. Trug abgetragene Sachen, die eindeutig nicht seine waren.
Ab und an ging er joggen und lief soweit, bis er mitten in der Wildnis stand. Erst wenn er sich sicher war, das ihn niemand beobachtete, holte er ein Handy hervor und benutzte eine sichere Leitung um mit seinem Chef über Codewörter per Kurznachrichten kommunizieren zu können.
Von seiner Partnerin Fatima und ihrem Neuzugang, dem jungen Tom, hatte er seit Wochen nichts gehört. Solange Norman diesen Undercovereinsatz hatte, war er quasi auf sich alleine gestellt.
Aber ihm war es lieber so. Er erledigte das alleine, statt seine Kollegin in Gefahr zu bringen.
Fatima hatte Familie. Eine Mutter und einen Vater. Kleine Geschwister und einen großen Bruder, der Norman in den Boden stampfen würde, wenn Fatima etwas zustieße.
Und Norman hatte nur sich selbst.
Keine Verwandten, da er Waise war. Kinder hatte er noch nie haben wollen, ebenso wenig hatte er das Bedürfnis, zu heiraten; oder eine anderweitig ernsthafte Beziehung einzugehen.
Es wäre nicht fair einer anderen Person gegenüber, denn er lebte ausschließlich für seine Arbeit. Wenn dieser Einsatz schief lief, würden also nicht viele um Norman trauern.
Das war auch gut so. Genauso hatte Norman es gewollt. Dennoch hoffte er, dass alles weiter nach Plan verlief. Nicht für sich, sondern für all jene, die entführt wurden.
Normans Auftrag lautete, an so viele Informationen wie möglich zu kommen. Aber natürlich war Vorrang, herauszufinden, wer der Kopf der neuen Bande war und was mit den Entführten gemacht wurde. Wohin verschwanden sie? Lebten sie noch? Was geschieht mit ihnen? Was hatte man mit ihnen vor?
Fragen, die nur jemand beantwortet bekommen würde, der einer von ihnen war.
Norman rieb sich den Nacken und klappte mit der freien Hand sein Notebook zu. Er hatte stundenlang gelangweilt auf illegalen Websites herumgeschaut, weil er wusste, dass seine Geräte überwacht wurden. Er musste also so tun, als interessierte er sich für den Handel von Drogen. Denn seine Rolle war ein kleiner Drogendealer.
Überraschenderweise waren die Kerle aber gar nicht so stark daran interessiert. Sie wollten lediglich ab und zu nicht zugelassene Beruhigungsmittel. Aber Norman hatte nie gesehen, dass auch nur einer von ihnen das Zeug nahm, das er ihnen besorgte. Ab und an sollte er etwas Speed auftreiben, aber auch das hatte bisher keiner in seiner Gegenwart konsumiert.
Zähneknirschend überlegte er, ob sie das vielleicht auf internen Partys machten, zu denen er noch nicht eingeladen war.
Es frustrierte ihn, das es solange dauerte und er wusste nicht, wie lange er noch illegale Substanzen auftreiben konnte. Zumal es nicht genehmigt worden war. Norman nahm einfach an, dass seine Vorgesetzten, falls sie davon erfuhren, ein Auge zudrücken würden. Immerhin nahm er es nicht selbst.
Ja ... Norman nahm viel auf sich für diesen Einsatz. Aber er würde noch viel mehr tun, wenn auch nur die geringste Chance bestand, auch nur ein Opfer zu retten.
Die Frage lautete, ob überhaupt noch jemand am leben war.