Читать книгу Die Krankenschwester ‒ der spektakuläre Kriminalfall aus Dänemark - Kristian Corfixen - Страница 8

Kapitel 4

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Katja gehörte zu den Kolleginnen, mit denen sich Pernille am häufigsten umgab.

Sie hatten sich in der Notaufnahme kennengelernt, als Pernille noch Studentin war und Katja gerade ihre Ausbildung abgeschlossen und ihre Stelle angetreten hatte. Seitdem war es eine beinahe tägliche Tradition geworden, dass Katja in Pernilles Einfahrt parkte, eine Hundeleine am Halsband ihres Labradors befestigte und dann, ohne zu klopfen, das Haus betrat, um zu fragen, ob die Freundin Lust auf einen Spaziergang mit den Hunden hatte.

Bei einem dieser Spaziergänge sprach Pernille ihren Verdacht zum ersten Mal laut aus.

Pernille lag Carinas Gesichtsausdruck immer noch schwer im Magen, als sie das Haus verließen. Sie hatte die Herzstillstände vom Wochenende noch nicht verdaut und fand, sie müsse ihrer besten Freundin von ihrer wahrscheinlich völlig absurden Idee erzählen.

Sie kamen zu den Maribo-Seen, an denen sie immer spazieren gingen. Meist traf man hier kaum andere Menschen, sie konnten hier sicher unter vier Augen sprechen. Und dann sprach Pernille es aus:

„Ich glaube, Christina ist schuld.“

Katja selbst hatte das Gespräch auf ihre Kollegin gelenkt. Wie unglaublich es sei, dass Christina immer Geschichten über dramatische Dienste zu erzählen hatte. Katja, die eigentlich nie zur gleichen Zeit arbeitete wie die dunkelhaarige Krankenschwester, hatte in ihren Diensten nie etwas Vergleichbares erlebt.

Pernille hatte sich zunächst mit vorsichtigen Fragen vorgewagt: „Ist es nicht ungewöhnlich, dass sich immer in Christinas Schichten der Zustand der Patienten so verschlechtert?“ Doch Katja hatte nicht angebissen. Während sie dem Pfad folgten, hatte sie stattdessen Christinas merkwürdiges Verhalten angesprochen, das sie an den Tag legte, wenn sie den Patienten zu Hilfe kam. Es war ein Gespräch, wie es wahrscheinlich auch andere Personen auf der Station führten und das normalerweise mit einem nachsichtigen Lächeln endete. Aber jetzt wurde Pernille ernst.

„Ich glaube, Christina tötet die Patienten absichtlich. Ich glaube, das tut sie, verdammt noch mal.“

Ihrer Freundin war dieser Gedanke bisher noch nicht gekommen, sie hatte Christina noch nie so direkt mit den Herzstillständen in Verbindung gebracht. Doch plötzlich schien es auf der Hand zu liegen. Zuerst hatte sie Pernilles Verdacht überrascht. Doch dann war sie mindestens genauso verblüfft darüber, dass sie den Gedanken nicht völlig abwegig fand und das Gehörte nicht direkt verworfen hatte. Sie fröstelte unter den vielen Kleidungsschichten, und das lag nicht nur an dem Winterfebruar, der seinen Namen verdiente. Es könnte etwas dran sein. Und obwohl es doch unmöglich stimmen konnte, hörte sie sich sagen:

„Es passt zusammen.“

Sie kamen auf ihrer üblichen Strecke an eine Stelle, wo die Landschaft sich wieder öffnete und man sehr weit sehen konnte. Katja war noch nicht völlig überzeugt. Aber das war Pernille ja auch nicht. Sie versprachen sich, ihren Verdacht geheim zu halten. So ein Gerücht konnte ein Leben zerstören, wenn es erst im Krankenhaus die Runde machte. Dem wollten sie wieder Christina noch eine andere Person aussetzen. Darüber waren sie sich einig.

Trotzdem vereinbarten sie dort am See, dass sie von jetzt an ihre Kollegin im Auge behalten würden.

*

Katja war gerade erst aufgebrochen. Die Kälte stieg noch dampfend aus dem Fell des dänisch-schwedischen Farmhundes, als Pernille sich ihrem Freund gegenüber aufs Sofa setzte und erneut über Christina reden wollte.

Eigentlich hatten die Freundinnen vereinbart, niemanden in ihren Verdacht einzuweihen, bis es ihnen gelungen war, einen Beweis für Christinas Verbrechen zu finden oder das Ganze mit eigenen Augen zu sehen. Doch Niels sollte es wissen, fand Pernille jetzt. Der Arzt konnte ihr vielleicht dabei helfen, einen Beweis zu finden.

Zunächst hielt er es für einen Scherz. „Jaja, der ist gut“, sagte er, doch das Lächeln erreichte seine Augen nicht. Pernille blieb standhaft. Und Niels ließ sie sprechen. Hörte zu. Und dann wurde er wirklich wütend.

„So etwas sagt man nicht über eine Kollegin. Man behält das für sich“, schrie Niels beinahe und klang jetzt nicht mehr wie Pernilles Freund, sondern wie ein Oberarzt, der eine Krankenschwester belehren wollte. Verstand sie das? Verstand sie das? Niels fragte das so oft, dass Pernille schließlich von Scham überwältigt wurde.

Doch sie gab nicht nach. Sie berichtete von den Patienten des Wochenendes. Erzählte von der älteren Dame auf Zimmer 21, der es immer besser gegangen war, die dann aber auf die Intensivstation gebracht worden war, als Pernille zwölf Stunden später wieder ihren Dienst angetreten hatte. Von dem Mann mit der Infektion im Bein und dem unerwarteten Atemstillstand. Und von dem Patienten mit der Harnretention, der im Krankenhausbett gestorben war.

Auch Niels hatte am Wochenende gearbeitet. Er selbst hatte die Frau auf Zimmer 21 gesehen und ihren Zustand für stabil gehalten. Doch bei der Morgenbesprechung mit den anderen Ärzten hatte man auch über den Patienten auf Zimmer 20 gesprochen, den mit der Harnretention.

Die Schicht davor hatte erklärt, bezüglich der eigentlichen Todesursache nicht sicher zu sein. Niels hatte nachgehakt. An einer Harnretention starb man nicht. Jedenfalls nicht in einem Krankenhaus. Doch nichts deutete darauf hin, dass ein Fehler passiert war. Es waren sofort alle notwendigen Maßnahmen ergriffen worden, gemäß den in so einem Fall üblichen Routinen. Man hatte auch Blutproben entnommen.

Trotzdem wunderte Niels sich. Er hatte den Impuls verspürt, gegenüber den anderen Ärzten laut werden zu müssen, weil er die Situation absurd fand: ein Patient, der wegen Problemen mit dem Wasserlassen aufgenommen worden war und dann unerwartet in die Todesfallstatistik der Station einging. Doch dann hatte er die jüngeren, weniger erfahrenen Ärzte angesehen, die zuständig gewesen waren und jetzt mit am Tisch saßen. Dann die beiden erfahreneren Kollegen, die vorschriftsmäßig hinzugezogen worden waren und ihre Meinung geäußert hatten. Also hatte er wie alle anderen auch genickt, nachdem die offensichtlichen Fragen gestellt, abgewogen und beantwortet worden waren. Sie waren zum nächsten Punkt übergegangen.

Dem Arzt, mit dem Niels ein Büro teilte, blieb Niels’ bis dahin unterdrückter Ausbruch jedoch nicht erspart. Niels fluchte. „Was zur Hölle ist das für eine Geschichte mit diesem Patienten? Das ergibt doch keinen Sinn!“

Doch dann sah er selbst in der Patientenakte nach. Und darin entdeckte er schließlich etwas, was ihn beruhigte: Im Körper des Patienten war es zu einer Freisetzung von Herzenzymen gekommen – ein Zeichen für ein Stressmoment im Herzmuskel. Der Mann musste also auch an Herzproblemen gelitten haben, die höchstwahrscheinlich sein Leben beendet hatten. Eine „unerwartete Herzarrhythmie“, dachte Niels. Das konnte jeden treffen. Es war, als würde jemand einen Schalter umlegen. Dann fielen die Betroffenen im Garten, im Wohnzimmer oder im Bus einfach um, ohne dass es in den Minuten davor Anzeichen dafür gegeben hatte, dass etwas nicht stimmte. Diesen Patienten hatte es also getroffen, als er in einem Krankenhausbett lag. Ungewöhnlich, aber nicht unmöglich, befand Niels. Es ergab Sinn.

Und das erklärte er Pernille. In der Patientenakte hatte Niels nichts Verdächtiges finden können. Aus diesem Grund hatte er auch keine Obduktion beauftragt. „Plötzliche Herzarrhythmie“, wiederholte er seiner Freundin gegenüber.

Niels versprach, in den Krankenhaussystemen zu prüfen, ob er bei den anderen Fällen etwas Verdächtiges erkennen konnte, denn Krankenschwestern dürfen die Patientenakten nicht mehr einsehen, wenn die Patienten nicht mehr auf der Station liegen. Doch als Niels das in den Tagen darauf tat, fiel ihm auch hier nichts Verdächtiges auf. Nichts deutete auf ein Verbrechen hin.

Schließlich konnte er Pernille davon überzeugen, das besagte Wochenende hinter sich zu lassen. Im Gegenzug vereinbarten sie: Ohne jemandem davon zu erzählen, wollten sie versuchen, Christina in einer Situation zu erwischen, die sich nicht wegdiskutieren ließ. Pernille sollte versuchen, ihre Kollegin gut im Auge zu behalten, wenn die beiden Krankenschwestern das nächste Mal zusammen Nachtschicht hatten. Und erst danach wollten Niels und Pernille entscheiden, ob sie die Polizei rufen sollten. So war es sicher das Beste, nicht zuletzt für das Paar. Denn es konnte sich auf ihre Zukunft im Krankenhaus auswirken, wenn sie einer Kollegin so etwas Ernstes wie eine vorsätzliche Tötung von Patienten unterstellten und sich dies als falsch herausstellte.

Zusammen mit Niels sah Pernille in ihren Schichtplan. In weniger als anderthalb Wochen würden Christina und sie ihre nächste gemeinsame Nachtschicht haben. Pernille bekam einen Kloß im Hals. Trotzdem schickte sie ein paar Tage später eine SMS an Christina. Sie hängte ein Foto an, das sie von dem Schichtplan im Personalraum gemacht hatte und auf dem man sehen konnte, dass die beiden Krankenschwestern von jemandem mit einer akkuraten Handschrift in die Felder direkt übereinander eingetragen worden waren. Bis dahin war es noch gut eine Woche.

„Ich traue mich nicht“, schrieb Pernille an Christina und fügte das Icon eines Affen hinzu, der seine Augen bedeckt. Es fühlte sich wie eine Grenzüberschreitung an, diese SMS zu verschicken. Doch sie wollte, dass Christina sich sicher fühlte. Das alles wie immer schien und sie immer noch in ihrem gewohnten Jargon sprachen und über den „Fluch“ scherzten, der über der Notaufnahme lag, wenn die beiden Krankenschwestern Nachtschichten hatten.

Christina reagierte eine gute halbe Stunde später. Ihre Antwort enthielt fünf Smileys – vier, die ängstlich aussahen, und einen, der lächelte.

Und darunter die Nachricht:

„Das wird aufregend.“

Die Krankenschwester ‒ der spektakuläre Kriminalfall aus Dänemark

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