Читать книгу Im Staub sollst du kriechen - Kristin Adler - Страница 11
6.
ОглавлениеRalph Volkers zog die feuchte Wäsche aus der Trommel. Mist, er hätte sie schon viel früher aufhängen sollen. Jetzt würde er nie diese Knitter rauskriegen, aufs Bügeln hatte er keine Lust.
Das war der Vorteil von der „Pension Mama“: Bevor er nach Frankfurt gezogen war, hatte die Alte selbstverständlich für ihn gewaschen und gebügelt. Und jeden Tag für ihn das Frühstück gemacht und abends gekocht. Wobei er das viel weniger vermisste, schon gar nicht ihre Grüne Soße. Essen konnte man sich auch vom Pizzaservice kommen lassen oder mikrowellenfertig einkaufen, aber die Hemden erinnerten ihn jedes Mal daran. Dass er ziemlich arm war. Und dass er reich werden wollte. Zumindest reich genug, um seine Wäsche in die Putzerei bringen zu können. Vielleicht würde er eines Tages auch eine eigene Haushälterin haben, die so etwas für ihn machte.
Nadja war leider zu doof dazu. Sie übernahm manchmal den Abwasch, putzte Bad und Klo und saugte Staub, aber bügeln konnte sie nicht.
Der Wäschekorb war voll, eines der Hemden sah rosa verfärbt aus, aber vielleicht legte sich der Eindruck, wenn der Stoff erst mal trocken war. Ralph schloss die Trommel mit einem lauten Knall und erhob sich unwillig, um den Wäschekorb nach oben zu schleppen. Hier im Keller konnte man nichts aufhängen, ohne dass es irgendein Nachbar klaute. Zumindest war kurz nach seinem Einzug sein bestes Hemd spurlos verschwunden. „Hängen Sie Ihre Wäsche eben in der Wohnung auf!“, hatte der Hausmeister gleichgültig gesagt.
Ralph hasste es, dass sein Bad so klein war und er den Wäscheständer im Wohnzimmer aufstellen musste. Weil der Schleudergang nicht funktionierte und er keinen Trockner besaß, tropfte die Wäsche meistens noch.
Anfangs war er froh gewesen, diese Wohnung zu bekommen. Sie war luxuriöser als alles, was er bisher kannte – obwohl das natürlich nicht sehr viel war, eigentlich nur sein Zimmer in der Wohnung seiner Mutter, ein kleines Loch, völlig veraltet eingerichtet. Und die Alte schnüffelte beim Putzen.
„Der Ralph wird mal ein ganz großer Banker“, prahlte sie vor ihrer Freundin Inge. Sie hatte keine Ahnung, dass das heutzutage ein Schimpfwort war. Inge auch nicht. Sie kaute an einem Mohnbrötchen, bis die Zähne schwarz vor Krümeln waren.
„Und dann schenkt er mir ein Auto, stimmt's?“, sagte die Alte.
Ralph lehnte sich lässig ans Sofa, ließ sich von ihr in die Wange kneifen.
„Aber klar doch, 'nen roten Opel Astra.“ Seine doofe Mutter lächelte und Inge, diese dumme Pute, auch.
Als Ralph das nächste Mal irgendwo einen roten Opel Astra parken sah, nahm er seinen Wohnungsschüssel und überlegte, einen langen Kratzer zu ziehen. So blöd, die Beherrschung zu verlieren, war er natürlich nicht, er steckte den Schlüssel bald wieder ein. Aber ertrag gegen eines der Autoräder. Scheißkarre. So reich konnte er gar nicht werden, dass er der Alten 'nen roten Opel Astra kaufen würde. Die hatte lange genug von den Alimenten seines Vaters gelebt. Und ihm fiel was Besseres ein, für das man Geld ausgeben konnte - ein Penthouse am Westhafen zum Beispiel. Er würde die Alte nie dorthin einladen,d as fehlte ihm noch, dass sie alles vollbröselte.
Im grellen Licht des Aufzugs, wirkte das Hemd noch röter. Die Alte hätte das besser hinbekommen.
Er erreichte das Dachgeschoss, wo sich seine Wohnung befand, und öffnete die Aufzugstüre mit seinem Rücken, weil er mit seinen Händen den Wäschekorb trug.
Als er seine Wohnung erreichte, stutzte er. Die Türe war nicht verschlossen, sondern nur angelehnt. Verwirrt runzelte er die Stirne, er konnte sich nicht erinnern, dass er die Türe offen gelassen hatte, als er in den Keller gegangen war. Er stupste sie mit seinem linken Fuß auf und stellte im Vorzimmer den Wäschekorb ab. Er hatte keine echte Angst, aber er warf einen prüfenden Blick in Richtung Küche und Badezimmer. Niemand war zu sehen, auch im Wohnschlafzimmer war alles unverändert.
Ralph Volkers schloss die Wohnungstür hinter sich. So schlampig durfte er künftig nicht mehr sein – womöglich klaute man ihm sonst was aus der Wohnung. Jetzt, da er auch etwas besaß, was man klauen konnte. Mit einem zufriedenen Grinsen dachte er an die Geldscheine, die er erhalten hatte. Er sollte die Moneten schleunigst auf die Bank bringen – nicht, dass ihm noch Zinsen verloren gingen. Aber zuvor musste er noch prüfen, welche Anlagemöglichkeit am vielversprechendsten war. Das würde er schön selber tun. Die Bankbeamten, diese Idioten, waren entweder Versager, die es nicht wussten, oder Betrüger, die ihn absichtlich aufs falsche Pferd lockten.
Ralph Volkers schob den vollen Wäschekorb mit dem Fuß ins Wohnzimmer, ging dann ins Bad, um den aufklappbaren Wäscheständer zu holen.
Als er das Wohnzimmer betrat war irgendetwas ... anders. Er konnte es nicht genau sagen, aber er fühlte, wie sich eine Gänsehaut über seine Arme ausbreitete, die Schultern erreichte, über den Rücken rieselte. Sein Körper reagierte auf eine Bedrohung noch ehe sein Hirn überhaupt erfasste, dass es eine gab.
Blödsinn!, schimpfte er und sah zum Fenster.
Das Licht hatte sich verändert, als sich eine Wolke vor die Sonne schob, das war alles.
Kopfschüttelnd stellte er den Wäscheständer auf, bückte sich, um das erste zerknitterte Hemd hochzuheben, zu glätten, aufzuhängen – und blieb in dieser Stellung verharren.
Unter seinem Bett, das nicht weit von ihm stand, sah er einen schwarzen Schatten. Der Schatten bewegte sich, rollte in seine Richtung, stand leichtfüßig auf.
Ein Schrei wollte sich aus seiner Kehle lösen, als er in den Lauf einer Pistole starrte, doch er brachte keinen Laut hervor.
„Was wollen Sie hier?“, flüsterte er stattdessen; es klang nicht kräftiger als das Fiepsen einer Maus.
Er zerknüllte das nasse Hemd in seinen Händen, während er auf eine Antwort wartete. Er bekam sie nicht.
Seelenruhig stellte sein Gegenüber eine Ledertasche auf den gläsernen Schreibtisch, öffnete sie, zog einen Gegenstand hervor.
Ralph erkannte nicht gleich, was es war ... oder vielmehr: erkannte es durchaus, konnte sich aber nicht vorstellen, was das hier zu suchen hatte, wollte es auch gar nicht.
Metall blitzte auf.
„Was ... was wollen Sie denn damit?“, entfuhr es ihm entsetzt.
Während seine Stimme aufgebracht und panisch klang, sprach sein ungebetener Gast ganz ruhig mit ihm, hatte sogar ein freundliches Lächeln aufgesetzt. Die Worte lähmten Ralph, ließen sämtliche Luft aus den Lungen entweichen, als er heftig ausatmete.
„Ich fürchte, du wirst nicht lange genug leben, um das zu erfahren.“