Читать книгу Mit dir oder ohne dich - Kristin Ullmann - Страница 4

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Frittierte Pommes. Ihr Geruch übertüncht den aller außergewöhnlichen Speisen, die in der prallen Sonne angeboten werden.

Mein Bauch grummelt bösartig, weil ich ihm das Gold in Stäbchenform verweigere. Wackelnd stelle ich mich auf die Zehenspitzen, um die krakelige Schrift der Speisetafel an dem VW-Truck im Retrostyle besser entziffern zu können. Das Kleingeschriebene über dreißig hungrige Leute hinweg zu lesen, gestaltet sich schwierig.

Pizzawaffeln. Das ist es. Die könnte ich leicht abwandeln.

Ich hole mein altes Handy aus der Jeanstasche und tippe gegen die Sonnenstrahlen Stichpunkte ein, die mir sofort zu der herzhaften Waffelvariante einfallen. Als ich gerade Maismehl notiere, wird mir die Sicht auf mein Handy versperrt. Eine riesige Papiertüte mit fettigem Inhalt befindet sich gefährlich nahe an meinem weißen Oberteil. Ein gelbes Getränk gesellt sich dazu und ich spüre die Haut knapp über meiner Brust warm werden.

»Oh, nein. Nein. Das tut mir leid. Wirklich«, stottert eine tiefe Stimme.

Ich mustere ungläubig den gelb leuchtenden Fleck auf meinem Oberteil. »Mist!« Schnell stecke ich mein Handy in die Hosentasche und reibe hektisch über die nasse Stelle. »Nicht Emilias Bluse.«

»Ich … Ich mache das wieder gut. Versprochen.«

Erst da schaue ich langsam auf, um zu sehen, wer sein quietschgelbes Getränk rücksichtslos über mich gekippt hat.

Mein Blick bleibt kurz an einer glitzernden Jeansjacke hängen. Weiter oben funkeln mich mit dunklem Eyeliner umrandete, smaragdgrüne Augen an. Schwarze Haare sind an den Seiten etwas kürzer geschnitten, der Rest steht in wilden Wellen vom Kopf ab. Ein Tunnelpiercing blitzt im Sonnenlicht auf und ein gepflegter Anchor-Bart lenkt meine Aufmerksamkeit auf den geöffneten Mund, aus dem weitere Entschuldigungen strömen.

Von dem Anblick meines Gegenübers beeindruckt schüttele ich mich. »Kein … ähm Problem.«

»Kein Problem? Ich habe gerade dein Shirt versaut. Kurkumaflecken bekommt man nur schwer wieder raus.«

Erneut schiele ich zu der jetzt durchsichtigen Stelle über meinem BH, der mit seinen rosa Pünktchen förmlich Hallo schreit. Mit einer Hand verdecke ich intuitiv das Unglück und spüre, wie meine Wangen rot werden. »Wirklich … kein Problem.«

»Ich wohne hier um die Ecke und wir haben zu Hause ein Mittelchen, mit dem der Fleck sicher rausgeht.«

Einem verdammt attraktiven fremden Mann in seine Wohnung folgen. Alleine. Ganz sicher nicht. Auch wenn ich für Emilias Lieblingsbluse eine Beerdigung mit anschließender Trauerfeier organisieren müsste. Die Bluse würde allerdings nicht einsam begraben werden, denn Em würde mich kaltherzig zu ihr in das Loch stoßen. Aber selbst das könnte mich nicht dazu bringen, ihm in seine Wohnung zu folgen. Ich atme tief ein. »Das ist nett gemeint, allerdings –«

»Du gehst nicht mit einem wildfremden Typen mit«, meint er sachlich. »Das ist vernünftig. Hol dein Handy raus und öffne den Chat mit deiner besten Freundin.«

Perplex mustere ich ihn. Ist das sein Ernst?

Sein Blick wirkt aufrichtig und das Lächeln ehrlich.

Da mich sein Charme ordentlich um den Finger gewickelt hat, ergebe ich mich und reiche ihm einfach so mein Telefon.

»Und jetzt«, in einer geschmeidigen Bewegung legt er seinen Arm um meine Schultern und hält das Handy vor uns in die Höhe, »lächeln!«

»Hey, was –«

Er betrachtet das Display. »Das ist echt gut geworden. Lass mich nur kurz noch …« Wild tippt er auf dem Handy herum und händigt es mir dann mit einem lässigen Zwinkern wieder aus. »Deine beste Freundin weiß jetzt, wer bei dir ist und wo du die nächste Stunde sein wirst. Wenn du dich nach dieser Zeit nicht meldest, hat sie die Erlaubnis, die Polizei zu mir nach Hause zu schicken. Als Fahndungsfoto hat sie das Selfie.«

Ich kann nicht glauben, was gerade passiert. Innerlich kopfschüttelnd schaue ich zu allen Seiten, ob sich nicht irgendwo ein Kamerateam versteckt hält.

»Was ist? Kommst du?«, fragt er und geht voraus.

Ein wenig beeindruckt von seiner Kühnheit hebe ich die Augenbrauen, während meine Füße ihm hörig hinterhertrotten.

»Darf ich dir was von meiner goldenen Milch oder der Waffel anbieten?« Mit einem schüchternen Lächeln hält er mir beides vor die Nase.

Ich mustere den Becher, den er in seinen Finger hält, deren Nägel schwarz lackiert sind. »Willst du mir das gleich noch einmal drüber kippen?«, scherze ich.

Abschätzend schaut er mich an und lässt dann seine Hände sinken. »Richtig. Blöde Idee.«

Ich schenke ihm ein zustimmendes Lächeln und wir entfernen uns von der Menschenmenge, die vor dem Foodtruck immer weiter anwächst.

»Jetzt hast du ganz umsonst angestanden.« Er nimmt im Gehen einen Schluck von der Milch.

»Pass auf, dass du nicht auch noch etwas davon abbekommst«, warne ich ihn mit tadelndem Finger. »Ich wollte wirklich nichts essen. Geht leider nicht.«

»Dann stehst du also nur gerne zwischen vielen Menschen? Ist das ein Fetisch von dir?«

Ich stolpere über meine eigenen Füße und hätte mich beinahe reflexartig an seinem Arm festgehalten.

Glücklicherweise geht er einen schnellen Schritt zur Seite.

Dadurch hat er zwar das Essen gerettet und eine weitere Sauerei verhindert, ich aber lande auf dem aufgeheizten Teer. Überrascht von meiner eigenen Schusseligkeit sitze ich auf dem Boden und schiele peinlich berührt zu ihm hinauf.

»Warte. Bleib genau so«, sagt er und läuft wieder Richtung Truck.

Verwundert über seinen Befehlston sehe ich ihm nach.

Er trinkt den Becher auf ex leer, schmeißt ihn mit einem Schnauben in den Abfalleimer und kommt zurück. Dann reicht er mir eine Hand und hilft mir hoch.

Ich klopfe mir den Straßenstaub von der Hose. »Du hättest die Milch nicht in einem Schluck austrinken müssen.«

»Oh doch. Ich habe gerade das Zeug vor einem Fall gerettet anstatt dich. Das ist nicht in Ordnung. Und jetzt, da die Gefahr gebannt ist … ein bisschen Waffel als Wiedergutmachung?«

Ich winke ab. »Immer noch nicht.«

Seine Stirn legt sich in Falten. »Du bist hoffentlich nicht eine von denen, die unnötigerweise auf ihre Figur achten.«

Mein Herz schlägt aufgeregt Purzelbäume. Vielleicht ist das aber auch nur Pennsylvanias unerträglicher Mittagshitze zuzuschreiben. Durchatmen. »Das ist wirklich keine gute Idee. Ich bin nicht ganz flexibel, was Essen angeht.«

Wir biegen in eine kleine Seitengasse ein und unsere Schuhe knirschen auf dem Schotter, der den schwarzen Teer ersetzt.

»Erklär mir das.« Beherzt beißt er in die Waffel.

Normalerweise habe ich kein Problem, darüber zu reden. Vielen, denen es so wie mir geht, ist es hingegen oft unangenehm und in diesem Moment kann ich das gut nachvollziehen. »Ich habe eine Lebensmittelunverträglichkeit«, sage ich deshalb nur knapp.

Er nickt verständnisvoll. »Dann ist es fies, wenn ich das hier weiteresse.« Abrupt bleibt er stehen und sieht sich um.

»Solltest du gerade einen Mülleimer suchen, hau ich dich«, rutscht es mir heraus. »Sorry, aber ich hasse es, wenn Leute deswegen Rücksicht auf mich nehmen. Also lass es dir schmecken.«

»Aye, aye, Ma’am!« Er steht stramm und salutiert.

Ich schnaube belustigt.

Er grinst ebenfalls. »Dann schlemme ich eben für dich mit.«

»Das klingt nach einem guten Deal.«

Zwischen uns wird es genauso ruhig wie auf den Straßen, in die wir einbiegen. Kein einziges Auto kommt uns entgegen.

»Schönes Sommerwetter«, brabbele ich.

Fast zeitgleich zeigt er auf ein hellblau angestrichenes Haus. »Wir sind da.« Er hält und starrt mich mit hocherhobenen Augenbrauen an. »Hast du gerade ein banales Thema angesprochen, um die Stille zu brechen?«

Ja? Nein? Doch, definitiv.

»Ähm …«

»Stille kann auch schön sein. Für mich war sie alles andere als unangenehm.« Er zwinkert mir schelmisch zu und steuert ein großes Schiebefenster in etwa drei Metern Höhe an.

Darunter steht eine kleine Trittleiter. Er wird doch wohl nicht …

Ich beäuge unsere Umgebung. Bis gerade habe ich das hier noch für ein sicheres Viertel gehalten. »Du willst da jetzt aber nicht einbrechen, oder?«

Ein kurzes Auflachen folgt. »Es ist kein Einbruch, wenn es sich um die eigene Wohnung handelt. Denke ich zumindest.«

»Hallo, Adam«, grüßt ein älterer Mann mit gezwirbeltem Schnauzer plötzlich neben mir, was mich ertappt zusammenschrecken lässt. »Mal wieder die Tür kaputt?«

»Hi, Peter. Ach, mittlerweile haben wir uns an das Fenster gewöhnt.«

Peter winkt mir freundlich im Vorbeigehen zu, öffnet die Tür des Nebenhauses und verschwindet hindurch.

»Kommst du?« Während ich dem Nachbarn hinterhergeschaut habe, ist Adam durch das Fenster gestiegen. Nun mustert er mich erwartungsvoll.

Ich klettere auf die Leiter. Zwar habe ich lange Beine, aber ich bin ziemlich ungelenk und der Abstand zum Fensterbrett ist riesig.

»Nimm meine Hand«, bietet Adam mir an.

Ich lasse mich von ihm nach oben ziehen, falle alles andere als elegant in die Wohnung und lande auf ihm.

»Uff«, macht es unter mir.

»Sorry«, murmele ich und rolle mich schnell von ihm hinunter.

Wir bleiben auf dem Rücken liegen und starren nach oben.

Ich beiße nervös auf der Innenseite meiner Lippe herum. »Schöne Decke.«

Unerwartet fängt er lauthals an zu lachen.

Und ich stimme ein.

Sein Lachen ist schön. Es klingt voll und herzhaft.

Wir prusten und Tränen strömen wie Wasserfälle aus meinen Augen. Ich wische sie mir aus dem Gesicht und muss dabei noch mehr lachen.

Gerade als ich denke, dass ich mich unter Kontrolle habe, drehe ich meinen Kopf zu ihm und lache wieder los.

Auch Adam macht munter weiter.

»Schluss jetzt!«, befehle ich und richte mich nach Luft ringend auf. Ich spüre, wie meine Beach Waves zu allen Seiten abstehen, und versuche Ordnung in meine Haare zu bringen. Meine Beine im Schneidersitz verschränkt warte ich darauf, dass auch er wieder zu Atem kommt.

Er fährt sich mit den Fingern über die Augen. »Puh!«, stößt er aus, setzt sich auf und reicht mir die Hand. »Übrigens, ich bin Adam.«

»Schön, dich kennenzulernen, Adam. Ich bin Cara.«

»Cara«, testet er flüsternd meinen Namen und zieht mich mit sich nach oben.

Erst nach einem kleinen Augenblick lösen wir unsere Hände, und ich lenke meine Aufmerksamkeit auf den Raum, in dem wir gelandet sind.

Es ist eine große, helle Wohnküche. Saftig grüne Pflanzen schlängeln sich um hellbraune Deckenbalken.

»Hobbygärtner?«, frage ich und deute auf den Efeu, der sich kunstvoll um die Vorhangstange rankt.

Diese ist nicht weniger spektakulär, denn statt klassischem Metall ist es ein provisorisch angebrachter Ast, der sauber entrindet wurde.

»Die«, er zeigt mit dem Finger auf die zahlreichen Pflanzen um uns herum, »befinden sich alle in Eds Obhut. Ich darf keine einzige davon auch nur schief ansehen. Berühren ist ein absolutes No-Go.« Er kramt in dem Schränkchen unter der Spüle und stellt ein Glas mit milchiger Flüssigkeit auf die Arbeitsplatte. »Deine Bluse bitte.«

Verlegen versuche ich die Hände in die Hosentaschen meiner Shorts zu zwängen, was eine blöde Idee ist, da diese nur Fake sind.

»Oh, warte.« Er verschwindet in einem Zimmer, woraus er mit einem fuchsroten, wild gemusterten Shirt zurückkommt. »Denk ja nicht, ich hätte dich unter einem Vorwand in meine Wohnung gelockt.« Er deutet in den Flur hinter seinem Rücken. »Du kannst dich im Badezimmer umziehen.«

Gut, dass dort nur vier Türen zur Auswahl stehen.

Er hantiert konzentriert über der Spüle mit dem Glas, also mache ich mich, ohne nachzufragen, unsicher auf den Weg ins Bad, wo auch immer das sein mag.

Die erste Tür rechts schließe ich aus, da Adam dort das Shirt geholt hat. Außerdem hat er sie einen kleinen Spalt offen gelassen und ich kann dahinter ein Bett und schwarze Wände erkennen.

Als ich die Klinke des Raumes daneben nach unten drücke, zieht Adam laut die Luft ein. Ich lasse sie sofort los, wende mich ihm mit dem Gefühl, ertappt worden zu sein, zu und lächele schief.

»Geh da nicht rein«, sagt er scharf. Dann schüttelt er den Kopf und räuspert sich. »Bitte.«

»Ich wollte nicht … Sorry, ich wusste nicht, welche Tür du gemeint hast.«

Wieder schleicht sich ein angedeutetes Lächeln in sein Gesicht und er zeigt einladend auf eine Holztür, die geradeaus am Ende des Flures liegt.

»Danke«, stottere ich und verziehe mich schnell.

Im Badezimmerspiegel erkenne ich das volle Ausmaß der Katastrophe. Ich bin immer noch knallrot. Meine schulterlangen Haare stehen wie explodiert ab. Der rote Lippenstift ist kaum noch sichtbar und meine Wimperntusche durch den Lachanfall verwischt.

Super, Cara.

Vorsichtig schlüpfe ich aus der Bluse und bemerke traurig, dass auch mein BH einen gelben Fleck abbekommen hat. Den werde ich Adam aber sicher nicht zum Reinigen geben.

Mit seinem kurzärmeligen Oversizeshirt ähnele ich meinem viel zu bequemen Kater. Dabei wünsche ich mir, mehr wie eine verführerische Raubkatze auszusehen als das Elend, das gerade verzweifelt versucht, den größten Schaden einzudämmen.

Für einen Moment erlaube ich meinem Gedankenkarussell durchzudrehen. Fremde Wohnung. Fremder Typ. Fremdes Shirt. Das ist nichts für die Nerven einer Introvertierten.

Aber der Geruch, der mir in die Nase steigt, ist definitiv etwas für mich. Ich halte das Shirt näher an mein Gesicht.

Es riecht leicht nach verbranntem Holz.

Ich studiere die Deodorants, die unter dem Badspiegel aufgereiht stehen, auch eins von Old Spice ist dabei. Das drehe ich auf und schnüffle wie ein Spanner daran.

Neben den Deos stapeln sich Bartpflegeprodukte.

Neugierig schraube ich das oberste Döschen auf.

Das duftet eins zu eins wie Lagerfeuer. Das Shirt riecht nach der Mischung aus diesem Mittel und dem Deo.

Es klopft an der Tür und mir fällt vor Schreck beinahe die Dose auf den kleinen Teppich.

»Alles okay dadrin?«, fragt Adam mit dumpfer Stimme.

»Ja, klar, Moment.« Ich gehe sicher, dass ich alles wieder an seinen Platz gestellt habe, atme tief durch und traue mich vor die Tür. »Hier.«

Adam nimmt die Bluse entgegen, schlendert damit zur Küchenfläche und breitet sie dort aus. Dann tröpfelt er sachte die Flüssigkeit aus dem Glas darauf und massiert sie mit den Handballen kräftig ein. »Kannst du mir das Tuch dort geben?«

Ich folge seinem Fingerzeig und reiche ihm das weiße Geschirrtuch.

Damit tupft er die eingeriebene Stelle ab.

Im Kopf höre ich schon die Schimpftirade, die auf mich wartet, sollte Em gelbe Überbleibsel auf ihrem heiß geliebten Oberteil finden.

Nur selten kann ich mir Klamotten von ihr leihen, da meine beste Freundin eine weitaus zierlichere Figur hat. Aber diese teure Bluse hat auf magische Weise uns beiden gepasst. Nach viel Betteln darf ich sie heute tragen, weil wir am Morgen Bilder für die Homepage des C-Up geschossen haben. Ich hätte sie gleich danach wieder ausziehen sollen.

Immer noch Stoßgebete gen Himmel sendend luge ich über Adams Schulter.

Er riecht tatsächlich wie eine Fackel.

»Bitte sag, dass es funktioniert.«

»Ich denke, wir können den Patienten retten.« Noch einmal wiederholt er die Prozedur aus Reiben und Tupfen. Siegessicher hält er sein Meisterwerk in die Höhe.

»Super! Du hast mir soeben das Leben gerettet.«

»Nachdem ich es in Gefahr gebracht habe«, sagt er und seufzt laut. Dann stutzt er. »Warum habe ich es eigentlich gefährdet? Ganz klar ist das eine schöne Bluse, aber dass es deshalb um Leben und Tod geht …«

»Sie gehört nicht mir, sondern meiner besten Freundin Schrägstrich Kollegin.« Dankbar nehme ich das Oberteil entgegen und hänge es mir so über den Arm, dass die feuchte Stelle trocknen kann. »Frag mich bitte nicht, wie oft sie mir bereits gedroht hat, zu kündigen. Sie ist manchmal sehr temperamentvoll.«

»Ich hatte ja schon ein schlechtes Gewissen, aber jetzt …« Mit einem schiefen Lächeln reibt er sich den Hinterkopf.

»Mach dir keine Gedanken.« Ich lehne mich an die Marmorplatte der Küchenzeile und richte meinen Blick in den hellen Raum, an dessen anderem Ende eine riesige Couch steht. »Außerdem ist es Berufsrisiko. Ich war ein bisschen leichtsinnig, was die Kleiderwahl angeht.«

»Berufsrisiko? Nein, verrate es mir nicht.« Adam verstaut das Einmachglas mit der rettenden Flüssigkeit wieder unter der Spüle und schaut mich mit schief gelegtem Kopf an. »Du bist Street-Artist und wolltest den Truck ausspionieren, um in der Nacht mit einer Spraydose zurückzukommen.«

»So was von daneben.«

Er tippt mit dem Finger an seine perfekt geschwungene Lippe. »Du bist eine Superheldin, die auf diejenigen aufpasst, die kurz davor sind, in ein Fresskoma zu fallen.«

Belustigt schüttle ich den Kopf. »Wie kommst du bitte von einem Street-Artist zu einem Superhelden?«

»Indem ich ausgeschlossen habe, dass du eine Geheimagentin oder Diebin sein könntest.«

»Das ergibt doch alles keinen Sinn.« Ich schnaube amüsiert über seine konfusen Gedankengänge, die irgendwie zu seinem Paradiesvogel-Look passen.

Seine Wangen heben sich über den Grübchen und bilden Fältchen um die Augen. Dieses Lächeln … »Da muss ich dir recht geben.«

»Ich erzähle es dir lieber, bevor du mich noch für einen Terroristen oder Zoowärter hältst.«

Mit gespannter Miene lehnt er sich über einen Küchenstuhl.

»Mir gehört ein Bistro. Ich habe tatsächlich den Truck ausspioniert, weil ich immer auf der Suche nach neuen Gerichten bin, die ich abwandeln kann. Also hast du mit Geheimagentin gar nicht so falschgelegen.«

»Quasi doch eine Diebin.« Gespielt enttäuscht lässt er die Schultern hängen und schluchzt übertrieben.

»Eher eine Superheldin oder gute Fee.«

Jetzt habe ich wieder seine volle Aufmerksamkeit.

»In meinem Bistro verkaufe ich nämlich Speisen für Leute, die wie ich an einer Lebensmittelunverträglichkeit leiden. Und damit ich meine Kunden mit etwas Neuem überraschen kann, muss ich mir Ideen holen.«

Adam blinzelt ein paarmal langsam. »Wow. Die müssen dir echt dankbar sein. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich wohne mit einem Veganer zusammen, der oft frustriert ist.«

»Es ist für Leute wie uns schwer, etwas Essbares in einem Lokal zu finden, wonach der Körper nicht rebelliert. Also erleichtere ich einigen Leuten in Silver Heights das Auswärtsessen.«

»Und damit kannst du dich über Wasser halten?« Er lässt nicht den Blick von mir ab.

»Es geht. Meine Eltern haben mir mit dem Startkapital geholfen. Und meine beste Freundin, deren Bluse du fast ruiniert hättest, ist in Teilzeit bei mir eingestellt, nimmt allerdings nicht so viel Geld, wie ihr eigentlich zusteht. Viele Leute sind mir dankbar und zu treuen Stammkunden geworden. Dadurch kann ich knapp verhindern, in die roten Zahlen zu rutschen. Mein vorheriger Bürojob war sicherer, aber seitdem ich selbst mit der Intoleranz kämpfe, wollte ich etwas gegen die Marktlücke unternehmen.«

»Cara. Du haust mich gerade echt um.«

Ich kann mit Komplimenten nicht umgehen und weiche deshalb seinem neugierigen Blick aus. »Es ist auch nur eine Art, sein Leben zu finanzieren. Nichts Besonderes.«

»Nichts Besonderes? Du rockst ein eigenes Lokal, mit dem du das Leben für den ein oder anderen etwas leichter machst. Und du bist gerade einmal …«

»Zweiundzwanzig«, ergänze ich schulterzuckend.

»Glaub mir, ich weiß, wie schwer es ist, selbstständig zu sein. Ich –« Seine Worte gehen in einem lauten Klappern unter.

Das große Schiebefenster öffnet sich und ein schlaksiger Kerl kriecht in die Wohnung. »Liebling, ich bin zu Hause!«, ruft er, während er uns noch den Rücken zugewandt hat.

Liebling? Heißt das, Adam und der rothaarige Neuankömmling sind … Da habe ich seine nette Art gewaltig fehlinterpretiert. Warum muss ich auch immer gleich Gefallen an einem Mann finden, der mich nur nett anschaut? Mental ohrfeige ich mich.

Hat Adam eventuell bemerkt, dass ich mit ihm geflirtet habe? Habe ich wirklich mit ihm geflirtet? Nein, oder? Nein. Definitiv nein. Aber was, wenn etwas falsch rübergekommen ist?

Nervöse Hitze steigt in mir auf und ich beschließe, die Flucht zu ergreifen, ehe sich mein Gesicht knallrot färben kann. »Ich muss sowieso los. Emilia wartet. Die Stunde ist bald um, nicht dass sie wirklich die Polizei hierherschickt.« Ich will an dem fremden Typ vorbeirauschen, als dieser extra zur Seite geht.

Nur leider ist es die gleiche, die ich mir als Fluchtweg ausgesucht habe.

Gleichzeitig machen wir einen Schritt in die andere Richtung.

»Moment, ich geh dort lang«, sagt Adams Freund und deutet auf meine linke Seite, »und du –«

»Da«, ergänze ich und dränge mich rechts an ihm vorbei. Dann bin ich mit einem Fuß durch das Fenster. »Danke noch mal.«

»Warte! Cara!«, ruft Adam, während ich über die kleine Leiter flüchte.

Mit dir oder ohne dich

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