Читать книгу Mit dir oder ohne dich - Kristin Ullmann - Страница 6
ОглавлениеImmer wieder schaue ich auf sein verspieltes Lächeln.
»Schmachtest du immer noch das Bild an?«, fragt Emilia, die mit zwei voll geschichteten Tellern aus der Küche schwankt.
Verlegen gucke ich wieder zwischen dem Selfie und seinem Shirt hin und her, das ich direkt neben mein Handy gelegt habe. »Es war so peinlich. Er denkt bestimmt, dass ich mit ihm geflirtet habe.«
Sie stellt die Teller neben dem roten Kleidungsstück ab und schlingt einen Arm um meine Schultern. »Selbst wenn. Man darf auch mit vergebenen Leuten flirten, solange …«
»… man nicht weiß, dass sie in festen Händen sind«, beende ich ihren Satz.
»Und du hast es nicht geahnt, bis sein Freund nach Hause kam. Entweder ist ihm gar nicht aufgefallen, dass du ihm schöne Augen gemacht hast, oder er hat sich geschmeichelt gefühlt.«
»Trotzdem ist es mir peinlich. Gott, ich bin ihm wortwörtlich in die Arme gefallen.« Themenwechsel. Schnell. Ich drücke Em die Teller wieder in die Hand. »Tisch zwei wartet übrigens auf seine Bestellung.«
Sie wirft mir einen gespielt vernichtenden Blick zu und bedient dann mit einem zuckersüßen Lächeln auf den roten Lippen die wartenden Gäste.
Emilia ist der Grund, weshalb sich so viele Männer ins C-Up verirren. Sie zieht mit ihren langen Beinen und den strahlend blonden Haaren jede Menge Aufmerksamkeit auf sich.
Ich versuche wirklich nicht auf meine beste Freundin neidisch zu sein, aber manchmal wünsche ich mir mehr von ihrer Ausstrahlung und dafür etwas weniger Rundungen. Allerdings war es Adams Glück, dass ich nicht so dünn wie Em bin. Bestünde ich nur aus Haut und Knochen, hätte ich ihm vermutlich mehr wehgetan, als ich ihn unter mir begraben habe.
»Ich habe deine Grübelei bis zu den Gästen gespürt, echt unangenehm. Du musst mit dem Denken aufhören.« Em schlendert zu mir hinter die Theke und grinst unser Selfie an. »Ich wäre mit dem Typen überallhin verschwunden. Die Aktion mit der Nachricht gestern fand ich super. Versteh mich nicht falsch, ich wollte dich töten, als ich den Fleck auf meiner Bluse gesehen habe. Aber dann habe ich mich für dich gefreut.«
»Wenn du nur das kleinste Überbleibsel auf ihr findest, kaufe ich dir eine –«
»Sie hat es überlebt, also lenk nicht vom Thema ab. Ich hätte ihn dir gegönnt.«
Seufzend schüttele ich den Kopf und schalte das Display aus.
»Lass dich doch endlich mal auf jemanden ein. Dieses ganze Rumgehocke vorm Fernseher kann nicht so spannend sein, du brauchst Action.«
Daraufhin verdrehe ich die Augen. Ich gehe in die Küche und schnappe mir ein glutenfreies Baguette. Wütend schneide ich es auf, klatsche Butter, Feldsalat und laktosefreien Käse darauf.
Warum muss sie immer wieder erwähnen, dass ich noch nie eine richtige Beziehung hatte? Durch das C-Up habe ich kaum Zeit für mich selbst. Ich freue mich deshalb umso mehr, den Feierabend nur mit Sam und Dean Winchester oder den Salvatore-Brüdern zu verbringen und so abzuschalten. Nach einer Stunde auf der Couch schlafe ich sowieso ein.
Um vier Uhr früh schmeißt mich der Wecker aus dem Bett und ich schließe das Bistro um Punkt halb sechs auf, damit die ersten Gäste sich vor der Arbeit ihr Frühstück holen können. Wo soll ich da bitte eine Beziehung unterbringen? Und selbst wenn ich Zeit frei machen könnte, wäre da noch meine monströse Unsicherheit.
Genervt schüttele ich den Kopf. Ich habe es satt, mich vor mir selbst zu rechtfertigen, warum ich mich auf niemanden einlassen kann oder will. Adam wäre sowieso kein Kandidat. Er war nett zu mir, das ist alles. Wieso bekomme ich also jedes Mal weiche Knie, wenn ich an ihn denke? Ich werde ihm heute Abend sein Shirt vorbeibringen und ihn dann aus meinen Gedanken verbannen.
Nachdem ich frustriert noch ein paar Gurkenscheiben auf das Brot gelegt habe, klappe ich es zusammen. Mit dem Essen in der Hand öffne ich die Schwingtür zum Gastraum und trete sofort wieder den Rückzug an.
Das ist doch jetzt wohl ein schlechter Witz.
Er ist da. Adam ist in meinem Bistro. Und er unterhält sich mit Emilia, die hinter der Theke steht.
Verdammt.
Ich schnappe mir schnell einen Edelstahltopf und überprüfe, dass ich nicht aus jeder einzelnen Gruppe der Ernährungspyramide etwas im Gesicht kleben habe, was mir zugegebenermaßen leider oft passiert. Dann löse ich meinen Pferdeschwanz und greife mir in die Haare, damit sie nicht so platt aussehen.
Meine Mundwinkel zwinge ich zu einem leichten Lächeln, als ich erneut die Tür nach vorne aufschwinge. »Adam, was machst du denn hier?«, frage ich, da meine Stimme drei Oktaven höher als sonst ist, bleibt es allerdings nur bei dem Versuch, es bemüht gelassen zu klingen.
Er unterbricht die Unterhaltung mit Emilia und kommt wie selbstverständlich zu mir hinter die Theke.
Oh, nein. Was soll ich tun? Ihn umarmen? Die Hand geben? Winken?
»Du denkst wieder zu viel«, flüstert mir Em ins Ohr und schleicht sich dann davon.
Ich schnappe mir das Shirt und halte es Adam entgegen, was ihm die Chance nimmt, näher an mich heranzukommen. »Du bist bestimmt deswegen hier.«
»Ähm, ja klar. Und wegen dir.« Er nimmt es und drückt mich kurz. Mit verdutzter Miene tritt er einen Schritt zurück. »Alles okay mit dir?«
Ich bin völlig überrumpelt und erstarre. Nur ein kleines Quieken kommt aus meinem Mund und ich hoffe, dass er es nicht gehört hat.
Durchatmen, Cara. Er hat einen Freund und ist somit kein potenzieller Beziehungskandidat. Bekomm das endlich in deinen Schädel.
Wild nicke ich. »Ja, natürlich. Ich habe nur nicht mit dir gerechnet. Das da wollte ich dir heute Abend vorbeibringen.« Ich deute auf das Shirt, das ich gestern Nacht gewaschen und gebügelt habe. Danach habe ich enttäuscht festgestellt, dass ich damit auch seinen Geruch weggespült habe. Nicht, dass ich noch einmal intensiv daran gerochen hätte. Nein. So was machen nur verknallte Teenies.
Er grinst. »Ich dachte, ich erspare dir das Fenster«, einen kurzen Moment schaut er verlegen auf seine Schuhe, »durch das du erstaunlich schnell geklettert bist. Respekt.«
»Ich … Ich musste zu Em zurück«, verteidige ich mich hastig.
»Verstehe. Themenwechsel. Was hältst du hiervon?« Er befördert ein gefaltetes Papier aus seiner Hosentasche und gibt es mir.
Ich klappe die Broschüre auf. »Ein Foodtruck-Festival? In Johnstown?«
»Es ist nicht direkt in der Stadt. Wir würden also eher einen Ausflug aufs Land machen. Also ja, um deine stumme Frage zu beantworten, da fahren du und ich jetzt hin.«
Hilfesuchend schaue ich zu Emilia, die einem Gast Kaffee nachschenkt.
Sie dreht sich mir zu und formt mit ihren Lippen tonlos das Wort geh.
Meine Hände werden schwitzig und ich spüre meinen Herzschlag auf der Zunge.
Adam wedelt mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum. »Erde an Cara.«
»Mmh. Ja, okay«, sage ich zwar, hoffe aber immer noch auf etwas, das mich schnell aus der Situation befreit. »Erst muss ich das mit Em absprechen. Ich kann sie nachmittags nicht allein lassen. Und ich muss für abends vorkochen. Und –«
»Ich habe vorhin mit ihr geredet. Sie meinte, sie würde das heute locker schaffen.«
»Ach, hat sie das?« Emilia, du bist tot. Laut rufe ich in zuckersüßem Ton: »Em, kommst du für ein Sekündchen? Wir müssen noch etwas besprechen.« Kurz wende ich mich an Adam. »Bitte entschuldige mich, ich bin gleich wieder da.« Dann schiebe ich Em auch schon in die Küche.
»Sag mal, spinnst du?«, fahre ich sie an, als ich sicher bin, dass die Tür sich hinter uns ausgependelt hat.
»Hey, beruhige dich. Es ist doch nur ein kleiner Abstecher.«
»Mit einem Typen, vor dem ich mich blamiert habe.« Mir platzt gleich der Kragen.
Sie legt die Hände auf meine Schultern. »Durchatmen. Du kannst einen freien Nachmittag dringend gebrauchen. Komm aus deiner Komfortzone heraus und unternimm was mit neuen Leuten.«
Irgendwo muss ich ihr recht geben, ich verlasse mich viel zu sehr auf meine Wohlfühlorte. Ich lasse die Schultern noch tiefer hängen und stapfe ins Büro, wo ich widerwillig die Schürze ablege.
Em wartet mit wippendem Fuß in der Küche auf mich.
Ich drehe mich zu ihr um. »Geht das so?«
»Zumindest keine Vollkatastrophe«, meint sie und erntet einen vernichtenden Blick. »Das war ein Witz. Du siehst gut aus. Vielleicht solltest du eine leichte Jacke mitnehmen, für den Fall, dass ihr bis in die Nacht unterwegs seid.« Ihre Augenbrauen machen eine anfeuernde La Ola.
Ich beachte sie nicht mehr und mache mich auf den Weg nach vorne, wo Adam an die Theke gelehnt steht.
»Kann’s losgehen?«, fragt er und hält mir die gläserne Ladentür auf.
»Danke. Wo hast du geparkt?«
Er zeigt auf ein kleines weißes Auto. »Ihre Kutsche, Madame.«
»Ein Renault?« Ungläubig sehe ich zwischen ihm und dem nagelneuen Fahrzeug hin und her. »Ich dachte eher, du bist ein Oldtimer-Typ. Chevy, Benz oder so.«
Adam geht zur Beifahrertüre und öffnet sie mir. »Glaub mir, ich habe mich auch nicht unbedingt in einem E-Auto fahren sehen.«
»Das ist ein E-Auto?«, frage ich überrascht und steige ein. Ich höre den Unterschied, als er den Motor anlässt und wir fast lautlos davonrollen.
»Ed hat es bei so einem Öko-Preisausschreiben gewonnen. Und wer beklagt sich schon über ein geschenktes Auto inklusive lebenslanger Übernahme der Stromkosten?«
»Das Einzige, was ich je gewonnen habe, war ein Eis-Coupon, den ich selbst nicht einlösen konnte. Emilia hat sich an meiner Stelle gefreut.«
Per Sprachassistent schaltet Adam leise Musik ein und die Beatles singen darüber, dass die Sonne zurückkehrt. »Das ist ja mal richtig mies. Verkaufst du dafür jetzt dein eigenes Eis?«
»Ja, im Sommer haben wir ein paar laktose- und fructosefreie Sorten.«
Wir halten an der Ampel am Ortsausgang.
»Ich bin übrigens richtig beeindruckt von deinem kleinen Lokal.«
»Wirklich?« Schüchtern richte ich meinen Blick auf die Ampel. »Grün.«
Aus dem Augenwinkel beobachte ich, dass er mich noch eine Sekunde anschaut, ehe er wieder aufs Gas tritt.
Im Seitenspiegel sehe ich das elegant gestaltete Holzschild, das Leute in Silver Heights willkommen heißt. Aktuelle Einwohnerzahl 41.702. Minus einer Bistroinhaberin, die gerade quasi gekidnappt wird. Bye bye, sicherer Rückzugsort.
»Das C-Up würde auch Ed gefallen. Er kennt es leider nur vom Hörensagen. Ihr habt da nette Pflanzen als Deko und du hast ja in unserer Wohnung gesehen, dass er ein großer Fan ist. Mir gefällt besonders, dass es klein ist. Deine Theke hat die perfekte Größe und es wirkt durch die hellen Farben sehr einladend.«
Ich fummle an den Fransen meines Oberteils herum. »Danke. Da steckt unglaublich viel Arbeit drin.«
Ein paar Typen, die offenbar denken, sie wären furchtbar cool, fahren in einem VW Polo neben uns und rufen aus den heruntergekurbelten Fenstern. Demonstrativ drücken sie aufs Gas und lassen den Motor aufheulen. Eine dunkle Wolke steigt aus ihrem Auspuff, als sie an uns vorbeiziehen. Solche …
»Vollidioten«, murmelt Adam. »Ignoriere sie. Hat dir Emilia bei der Renovierung geholfen?«
»Ohne sie wäre ich aufgeschmissen gewesen. Wir konnten zwar viel vom Vormieter übernehmen, aber den Feinschliff habe ich Em zu verdanken. Sie ist eine richtige Künstlerin.«
»Du willst damit jetzt nicht sagen, dass sie alleine die Muster in die Balken geschnitzt hat, oder?«
»Das ist dir aufgefallen? Sie hat Tage dafür gebraucht. Es war zu hundert Prozent ihre Idee und sie hat sich nicht davon abbringen lassen.«
Er hebt anerkennend die Augenbrauen und lacht. Durch die tiefe Stimme klingt es verführerisch sexy.
Stopp! Ruhig, ihr blöden Gedanken!
Ich lenke mich ab, indem ich die vorbeirasenden Bäume an den Seiten des Highways betrachte.
Die Sonnenstrahlen kämpfen sich durch die Baumkronen und werden von dem grünen Blattwerk zerteilt, sodass tanzende Schatten auf den Boden treffen.
Adam bremst ab und fährt von dem Highway. Er räuspert sich. »Ed würden die Details auch sofort auffallen.«
»Du solltest ihn mal mitbringen. Ich koche was Schönes für euch.« Und fühle mich dabei wie das fünfte Rad am Wagen, ergänze ich im Stillen.
»Mache ich. Das wird ihn freuen, ich habe ihn nämlich kurz vor deinem Laden aus dem Wagen geworfen.«
Ich mustere ihn mit heruntergeklappter Kinnlade. »Du hast was?«
»Schau mich nicht so vorwurfsvoll an.« Adam lenkt den Renault durch ein kleines Waldstück und biegt auf einen Feldweg ab. »Es ist alles okay. Er wusste, wo das C-Up ist, und hat mich nur hin navigiert.«
»Und du hast ihn aus dem Auto geschmissen, weil …«
»Weil ich dich nicht gleich zusammen mit ihm überfallen und dadurch verschrecken wollte.«
»Aha«, sage ich ein klein wenig eingeschnappt. Ich weiß, dass ich introvertiert bin und auch nach außen hin so wirke … Aber muss er das laut aussprechen?
»Introvertiert zu sein, ist doch keine schlechte Eigenschaft. Du bist eben vorsichtig, was andere Menschen angeht.«
Wenn er wüsste … Andere Menschen schüchtern mich ein. Jeder musternde Blick, den mir jemand zuwirft, ist wie eine schwere Last auf meinen Schultern.
Anders ist es bei den Gästen im C-Up. Aus irgendeinem Grund ist das sicheres Terrain. Emilia und meine Eltern waren anfangs besorgt, ob ich es schaffe, mit so vielen neuen Gesichtern klarzukommen, aber ich habe sie eines Besseren belehrt.
»Wir sind da«, sagt Adam und holt mich damit aus meinen Gedanken. Er hat auf einem Stoppelfeld geparkt, worauf schon unzählige andere Autos stehen. Grinsend bedeutet er mir sitzen zu bleiben, steigt selbst aus, läuft um den Wagen herum und öffnet mir die Tür. Ein wahrer Gentleman.
Ich verlasse das Auto und wir schlendern stumm über die sandigen Wege.
Tröpfchenweise kommen uns Besucher entgegen, die sich begeistert wild durcheinander unterhalten.
Wir laufen an wunderschönen Hochbeeten mit kunterbunten Pflanzen vorbei. Der Duft blühender Blumen, erwärmt von Sonnenstrahlen, vermischt mit dem Geruch der Süßspeisen ist unbeschreiblich.
Links und rechts des Weges sind Strohballen aufeinandergetürmt. Zwischen ihnen kündigt ein überdimensionales Banner in luftiger Höhe Johnstowns erstes Foodtruck-Festival an.
»Nachdem ich deiner Spionageaktion gestern ein jähes Ende bereitet habe, schenke ich dir heute tausend Inspirationen.«
»Tausend ist vielleicht ein wenig übertrieben, meinst du nicht?«
Wir gehen unter dem Banner hindurch. Als wir auf dem großen Platz halten, bereue ich meinen Satz sofort. Wir sind von mindestens fünfzig Trucks und hunderten Menschen umzingelt.
»Wow«, hauche ich überrumpelt von dem regen Treiben.
»Sag bloß, du warst noch nie auf einem Foodtruck-Festival.«
Baff nicke ich. »Ich habe nur die einzelnen Trucks und Imbisse bei uns in Silver Heights beschattet. Und wenn ich mir das so ansehe, weiß ich auch, wieso.«
Adam dreht sich um die eigene Achse. »Menschenmassen?«
»Menschenmassen.«