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Bezugspersonen. Wie viel Mutter braucht das Kind?

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Viele Menschen sind der Auffassung, dass die Mutter für das Kind die einzige und wichtigste Bezugsperson ist. Sicherlich ist sie vor allem im ersten Lebensjahr für den Säugling von sehr großer Bedeutung, da sie ihn im Normalfall stillt und schon während der Schwangerschaft eine Beziehung zum Säugling aufgebaut hat. Dennoch kann, wie erwähnt, auch eine andere Person, zum Beispiel der Vater oder eine ganz andere Person, für das Kind eine Bezugsperson sein und sogar zur primären Bezugsperson werden. Darauf weist Remo Largo unter Bezugnahme von Bindungsstudien hin: «… die leibliche Mutter ist nicht die einzig mögliche Bezugsperson für ein Kind (Lamb 1977, Field 1978, Parke 1978, Scarr 1990). Untersuchungen, die in Kinderheimen und bei Adoptivfamilien durchgeführt wurden, belegen: Aus der Sicht des Kindes kann jede Person, die sich ausreichend um es kümmert, zu einer Bezugsperson, ja selbst zur Hauptbezugsperson für das Kind werden (Tizard 1977, 1978). Nicht die biologische Herkunft bindet, sondern die Vertrautheit, die durch Fürsorge, Nähe und Zuwendung entsteht.»18

Es gibt Bedürfnisse in drei wichtigen Bereichen bzw. auf drei wichtigen Ebenen, die eine Person beim Kind befriedigen muss, damit sie zu einer Bezugsperson für den heranwachsenden Menschen wird. Der erste Bereich ist das körperliche Wohlbefinden. Die Bezugsperson muss die körperlichen Bedürfnisse des Kindes, also Essen, Trinken, Wickeln usw., stillen. Der zweite Bereich ist das psychische Wohlbefinden. In ihn gehört vor allem das Erleben von Liebe, Sicherheit, Geborgenheit, Zuverlässigkeit und Zuwendung. Der dritte Bereich, die dritte Ebene, ist die Entwicklung. Die Bezugsperson muss die Umgebung des Kindes so gestalten, dass es sich frei entwickeln und Erfahrungen und Wissen sammeln kann.19

Eine der wesentlichsten Voraussetzungen dafür, dass eine Person zu einer Bezugsperson für das Kind werden kann, ist sicherlich die Möglichkeit des gegenseitigen Kennenlernens. Es ist ausgesprochen wichtig, dass das Kind genügend Zeit bekommt, um mit der Person vertraut zu werden, und diese Zeitdauer ist von Kind zu Kind auch sehr unterschiedlich. Das gilt natürlich auch umgekehrt, denn der Erwachsene braucht ebenfalls Zeit, um das Kind, seine Bedürfnisse und seine Eigenheiten kennenzulernen; auch hier werden individuelle Unterschiede bei der jeweiligen Person eine große Rolle spielen.

Ein Baby ist in den ersten Lebensjahren in der Lage, mehrere Bindungsbeziehungen zu verschiedenen Bezugspersonen einzugehen und aufzubauen. Dabei entwickelt es allerdings, wenn wir es schematisch ausdrücken, eine bestimmte Anordnung der Bezugspersonen, ähnlich dem Aufbau einer Pyramide. Es gibt eine sogenannte Hauptbezugsperson, die an der Spitze der Pyramide steht und zu der das Baby das größte Vertrauen hat, da sie ihn nach seinen Erfahrungen am nachhaltigsten beruhigen und ihm den größten Schutz bieten kann. Unterhalb der Hauptbezugsperson stehen die nachgeordneten Bindungspersonen, zum Beispiel der Vater, nahe Verwandte oder auch die Krippenerzieherin. Erlebt das Kind nun Stress, Angst oder Kummer, wird es immer die Nähe zu seiner Hauptbezugsperson suchen. Ist diese nicht verfügbar, wird es sich auch von einer der nachgeordneten Bezugspersonen trösten oder seine Bedürfnisse stillen lassen. Allerdings dauert die Beruhigung durch eine der nachgeordneten Bezugspersonen länger als durch die Hauptbezugsperson. Dennoch lässt das Baby auch den Körperkontakt und die Nähe einer nachgeordneten Bezugsperson zur Beruhigung seines aktivierten Bindungsbedürfnisses zu. Hat es die Wahl, wird es sich aber immer primär an seine Hauptbezugsperson wenden.20

Grundsätzlich kann man festhalten, dass es keine festgelegte Anzahl von Bezugspersonen pro Kind gibt. Hier können wir große individuelle Unterschiede ausmachen, die vom Alter des Kindes und von seiner Persönlichkeit abhängen. Es spielt auch eine Rolle, ob die Eltern ihr Kind anderen Personen anvertrauen können. Generell lässt sich aber sagen, dass mehrere Bezugspersonen für ein Kind durchaus positiv und wichtig sein können, da es von verschiedenen Vorbildern lernt und mehr Erfahrungsmöglichkeiten hat und dadurch vor allem seine Beziehungsfähigkeit vergrößert und stärkt. Dennoch braucht es stets einen festen Kern, sogenannte Hauptbezugspersonen; das sind in der Regel die Eltern, denn nur mit ihnen ist das Kind umfassend vertraut.

Man kann sich das so vorstellen, dass die Hauptbezugspersonen das «Haus» bilden, von dem das Kind umgeben ist. Sie ermöglichen ihm, sich wirklich sicher und geborgen zu fühlen. Und in der Regel hat das Kind auch nur zu ihnen vollstes Vertrauen, hier fühlt es sich zu Hause. Alle weiteren Bezugspersonen sollten eine Art Kreis um das «Haus» bilden, sie sind gewissermaßen die «Nachbarhäuser», in die das Kind ab und an zu Besuch hineingeht, in denen es eine gewisse Zeit verbringt und in denen seine Bedürfnisse auch nur begrenzt befriedigt werden können. Der wesentliche Fokus des Kindes ist also auf das «Haus», die Hauptbezugspersonen, gerichtet, und hier sollte sich auch im Wesentlichen sein Leben abspielen.

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