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Das Bindungsverhalten verstehen

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Es ist in unserem Wesen als Menschen angelegt, dass wir ein Leben lang auf der Suche nach Geborgenheit, Zuwendung, Liebe und Sicherheit sind. Und nur ein Mensch vermag unser Verlangen nach diesen Gefühlen zu stillen. Dabei kann es zwar sein, dass dieses Verlangen, solche Gefühle zu erleben, individuell unterschiedlich stark ausgeprägt ist und jeder ein unterschiedliches Maß an Geborgenheit und Sicherheit braucht. Aber dennoch sind wir grundsätzlich alle in einem bestimmten Ausmaß von diesem Gefühl abhängig.

Das Beziehungsverhältnis, das ein Mensch zu einer anderen Person eingeht, ist sehr individuell. Manchen genügt es völlig, überwiegend oberflächliche Kontakte zu anderen Menschen zu haben. Andere hingegen haben das Verlangen, immer sehr tiefe Bindungen zu anderen Personen einzugehen, und sind an oberflächlichen Beziehungen nicht interessiert.

So schreibt etwa der bekannte Schweizer Kinderarzt und Pädagoge Remo Largo: «Wie auch immer die Beziehungen gestaltet sind, ein Grundmuster findet sich immer wieder: Menschen binden sich an andere Menschen in der Erwartung, von ihnen angenommen, umsorgt und beschützt zu werden. Menschen umsorgen und beherrschen andere Menschen, weil ihnen deren Abhängigkeit ein Gefühl von Sicherheit vermittelt.»2

Der Mensch hat ein ständig wechselndes Bindungsbedürfnis. Ein Baby braucht zum Beispiel eine ganz andere Beziehung zu seiner Mutter und hat auch ein anderes Bedürfnis, Geborgenheit, Liebe, Zuwendung und Sicherheit zu erfahren, als etwa ein Kleinkind. In jeder Entwicklungsphase macht sich beim Kind also ein anderes Bedürfnis nach Bindung bemerkbar, und es zeigt, damit einhergehend, auch immer bestimmte Verhaltensweisen, beispielsweise das sogenannte Fremdeln gegen Ende des ersten Lebensjahres. Die Eltern sind darum aufgerufen, in ihrem Bindungsverhalten gegenüber ihrem Kind stets beweglich zu bleiben und mit ihm so umzugehen, dass es sich weiterentwickeln kann. Denn das Kind soll Geborgenheit, Sicherheit und Zuwendung von den Eltern bekommen, ohne dass es daran gehindert wird, sich zu einem selbstständigen und individuellen Menschen zu entwickeln.3

Wieso aber hat die Natur es so eingerichtet, dass der Mensch ein solches Bindungsverhalten hat? Wenn man Kinder in verschiedenen Kulturkreisen betrachtet, kann man sagen, dass sie alle in den ersten zwölf Lebensjahren auf ihre Eltern oder zumindest auf Bezugspersonen angewiesen sind. Ohne die Fürsorge und den Schutz von Mutter und Vater oder anderer Bezugspersonen würden die Kinder nicht überleben. Sie müssen von ihren Eltern ernährt und beschützt werden.

Das Bindungsverhalten hilft dem Kind aber nicht nur zu überleben, sondern ist auch entscheidend dafür, dass es sich das komplexe Sozialverhalten der jeweiligen Gesellschaften zu eigen machen kann. Und um dies zu erreichen, braucht es Vorbilder, also eine Bezugsperson, an der es sich orientieren kann.

Dazu noch einmal Remo Largo: «Eine starke gegenseitige Bindung zwischen dem Kind und seinen Eltern, aber auch zu anderen Kindern und Erwachsenen ist notwendig, damit dieser jahrelange Sozialisierungs- und Bildungsprozess gelingen kann.»4

Lange Zeit ging man davon aus, dass in jedem Fall die Beziehung zur Mutter von entscheidender Bedeutung für das psychische Wohlbefinden von Babys und Kleinkindern ist. Diese Auffassung hat sich aber in den letzten Jahrzehnten etwas gewandelt. Die Forscher Lamb (1977), Field (1978) und Parke (1987) kamen in ihren Studien zu dem Schluss, dass nicht primär die Mutter-Kind-Beziehung über das psychische Wohlbefinden des Kindes entscheidet, sondern das Kind auch zu anderen Personen, beispielsweise dem Vater oder einer anderen Bezugsperson, eine ebenso starke Bindung aufbauen kann, die bei ihm ein psychisches Wohlbefinden erzeugt. Um neben der starken Bindung an die Mutter zu einer anderen Bezugsperson ebenfalls eine Beziehung eingehen zu können, muss das Baby allerdings einen genauso intensiven Kontakt zu dieser anderen Bezugsperson haben und eine Vielzahl an Interaktionserfahrungen über eine längere Zeit hinweg sammeln.5

Der Mensch, das Kind, ist also darauf angewiesen, sich an eine Bezugsperson zu binden, um sich frei entwickeln zu können und ein psychisches Wohlbefinden zu erleben. Georg von Arnim drückt es so aus: «Der Mensch ist ein soziales Wesen, und sein innerer Entwicklungsimpuls hängt von dem Aufgenommensein in einen sozialen Organismus ab.»6

Gerade im ersten Jahrsiebt, in dem das Kind von Natur aus ein nachahmendes Wesen ist, ist es besonders wichtig, dass es sich an eine feste Bezugsperson binden kann, die ihm auch als Vorbild dient, um die Welt ergreifen und mit ihr in eine Beziehung treten zu können. Denn der Mensch lernt das Menschsein nur am Menschen. Und ein Kind kann sich auch nur wirklich individuell und selbstständig entwickeln, wenn es in seiner Umgebung Sicherheit, Zuwendung, Geborgenheit, Ruhe und Geduld erlebt.

Wie bindet sich aber ein Kind an seine Eltern? Was sind die Bedingungen für ein solches Bindungsverhalten?

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