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2.5 Zwischen Glauben und Ablehnung

Die Wundertexte verweisen auf ein historisches Geschehen (faktualer Charakter → 1.7.10). Selbst Gegner und Skeptiker Jesu und der Apostel konzedieren das wunderhafte Geschehen. Umstritten ist die Frage der Kraftquelle, der Vollmacht. In ihr sehen die Evangelien den Grund für die Ablehnung und Tötung Jesu.

2.5.1 Die polarisierende Wirkung der Wunder

Die in den Wundertexten geschilderten Reaktionen sind gegensätzlich: Die einen wundern sich, kommen zum Staunen, preisen Gott und folgen Jesus nach1, die anderen sind erschrocken oder entsetzt2, sprechen Jesus die Vollmacht ab und beschließen seinen Tod. Einige Erzählungen enden ohne erkennbare Reaktion.3

Beispiele: Augenzeugen wollen nach dem Speisungswunder Jesus zum König küren (Joh 6,15). Die Sturmstillung löst bei den Jüngern (Gottes-)Furcht aus (Mk 4,35–42parr.). Beim Seewandel halten sie Jesus für ein Gespenst und verstehen nichts (Mk 6,45–52). Aus Furcht vor der Präsenz des Göttlichen bitten die Gerasener Jesus, ihr Land zu verlassen (Mk 5,16f.; vgl. Petrus in Lk 5,8). Bartimäus folgt Jesus nach (Mk 10,46–52). Die Heilung der verdorrten Hand (Mk 3,1–6parr.) führt zum Tötungsbeschluss gegen Jesus.

Mitunter prallen positive und negative Reaktionen auf die Wunder Jesu auch direkt aufeinander. Hier wird die polarisierende Wirkung besonders deutlich.

Beispiele: Der geheilte Blindgeborene kommt zum Glauben, die Pharisäer lehnen Jesus ab (Joh 9). Die Erweckung des Lazarus weckt Glauben und provoziert zugleich den Tötungsbeschluss gegen Jesus (Joh 11f.). Ein Exorzismus führt zur Christuserkenntnis und zur Vollmachtsfrage (Mt 12,22–30parr.)

Wunder führen die einen zum Glauben, für andere ist Jesu Vollmacht suspekt (Mt 9,34; Mk 3,22.30); Die Pharisäer unterdrücken offene Bekenntnisse des Volkes.4 Wunder provozieren, sich für oder gegen Jesus zu positionieren. Die Evangelien geben regelmäßig niedrige Beweggründe als Grund der Ablehnung Jesu an.

2.5.2 Vollmachtsfrage und Zeichenforderungen

Paradigmatisch wird die Vollmachtsfrage im Anschluss an den Exorzismus eines Taubstummen gestellt (Mt 12,22–30parr.). Den aufkeimenden Glauben der Augenzeugen torpedieren die Pharisäer mit der Behauptung, Jesus treibe Dämonen „durch Beelzebul, den Obersten der Dämonen“ aus (V. 24). Im anschließenden Streitgespräch widerlegt Jesus die Pharisäer mit einem Weisheitsgleichnis, entlarvt ihren Selbstwiderspruch (V. 25–29) und nennt den Geist Gottes als seine Kraftquelle. Jesu göttliche Vollmacht zeigt sich im Exorzismus und in seiner autoritativen Argumentation. – Die Gegner fordern daraufhin ein legitimierendes Zeichen (gr. semeíon, Mt 12,38), sprich: die sichtbare Legitimierung seiner Vollmacht. Jesus lehnt dies ab.1 Einzig das ‚Zeichen des Jona‘, das heißt seine Auferstehung nach drei Tagen, gesteht er zu (Mt 12,39–41). – Die Perikope unterstreicht: Bei den Wundern Jesu geht es nicht um Beweiskraft, sondern um Glauben.

Schon in der Begegnung mit Satan in der Wüste (Mt 4,1–11parr.) entscheidet sich Jesus gegen Allmachtsdemonstrationen. Damit wird von vornherein deutlich gemacht: Jesus geht den Weg des Machtverzichts; er folgt nicht der Strategie des Bösen, sondern dem Ersten Gebot. Wer ihn von diesem Weg abzubringen versucht wie Petrus, wird als Satan gegeißelt (Mk 8,32f.). Jesus verzichtet, so die Texte, bis zum Schluss auf Machtdemonstrationen (Mk 15,30–32parr.). Das bringt den röm. Soldaten unter dem Kreuz zum Christusbekenntnis (Mk 15,39parr.).

Mit den Zeichenforderungen verarbeiten die Evangelien das Problem der Verwechselbarkeit Jesu und seiner Wundertaten. Ihre Lösung lautet: Wunder sind Provokationen zum Glauben und Wegmarken, an denen sich die Spreu vom Weizen trennt. Die Wunder haben eine eschatologisch-kritische Funktion. Allgemein sichtbar wird ihre Wahrheit erst bei der Parusie Christi, so die Überzeugung.2

2.5.3 Das Problem der Schweigegebote

Die Schweigegebote vornehmlich am Ende mk. Wundertexte1 dienen ebenfalls dem Zweck eschatologischer Scheidung zwischen glaubenden Insidern und nicht-glaubenden Outsidern. Vergleichbar der ‚Parabeltheorie‘ Mk 4,10–13parr., bleibt die Erkenntnis über Jesus und die basileía Gottes so lange wie möglich den Jüngern (vgl. Mk 8,27–30parr.!) und Geheilten vorbehalten.2 Das deutet auf einen esoterischen Grundzug der mk. Christologie hin.3 Auch das erklärt die Ablehnung Jesu und ist zugleich ein Appell an die Leserschaft, sich auf die Seite der Insider zu schlagen, um Zugang zu Gottes Heil zu bekommen (symbuleutische Funktion). Die Gegner Jesu fungieren in den Wundertexten als Negativvorbilder.

Exkurs: Die mk. Schweigegebote werden, davon abweichend, traditionell dem sogenannten Messiasgeheimnis zugeordnet. Diesem Konzept zufolge sollen sie einem Missverständnis der Wundertaten als Beweisen der Messianität Jesu vorbeugen und den Blick auf das Ostergeschehen als Schlüssel zum Wunderverständnis lenken (Mk 9,9). Implizit kritisierten sie einen oberflächlichen Mirakelglauben.4 Die Schweigegebote und deren sporadische Durchbrechung5 erklären auch das Schicksal Jesu bis ans Kreuz, so das Konzept (→ 4.4.1).

Hintergrund der Überlegungen ist eine Zweistufenchristologie: Jesus wirkte auf Erden weithin unerkannt und wird bei seiner Parusie von allen erkannt werden. Das erklärt historisch Jesu Schicksal und passt theologisch zur Beobachtung, dass sein Wirken (wie überhaupt das Wirken Gottes in der Welt) Glauben provozieren sollte. Jesu Unverwechselbarkeit bei der Parusie markiert das Ende der Möglichkeit, sich glaubend oder nicht-glaubend zu positionieren.6

2.5.4 Kult- und sozialkritischer Sprengstoff

Die Heilung nicht kultfähiger, ‚unreiner‘ Menschen, die Zuwendung zu Sündern und Zöllnern und erst recht die Reintegration jener Personen in Kult und Gemeinschaft rührte an die sozialen und religiösen Grundlagen der Zeit und provozierte energischen Widerstand seitens der jüdischen Führungsschicht.1

Beispiele: Dem geheilten Aussätzigen befiehlt Jesus zu schweigen und schickt ihn zu den Priestern, um seine Kultfähigkeit zu zeigen (Mk 1,40–44; vgl. Lk 17,14). Die Durchbrechung des Schweigegebots zwingt Jesus zum Rückzug an einsame Orte (Mk 1,45). – Die Sabbatheilung des Blindgeborenen provoziert eine heftige Debatte, die mit dem Rauswurf des Geheilten aus der Synagoge endet (Joh 9,34; vgl. Mk 3,1–6). – Jesu Zuspruch der Sündenvergebung gilt als gotteslästerliche Kompetenzüberschreitung (Mk 2,5f.).2

Jesus transportiert mit seinem Wirken auch ein provokantes Bild von Gott, der sich den ‚Verlorenen‘ in Israel und Nichtjuden zuwendet. Ansagen Johannes des Täufers und Jesu, wonach am Ende möglicherweise andere in den Genuss der Verheißungen kommen als die angestammten Verheißungsträger, sind ein Affront.3 Auch passt das (un-)politische Verhalten Jesu nicht zur Erwartung eines politischen Messias.4 Die Ablehnung Jesu entzündet sich demnach am Konflikt um politische, religiöse und gesellschaftliche Macht und Deutungshoheit.

2.5.5 Fazit: Eschatologisch-kritische Funktion

Die Evangelien arbeiten die polarisierende Wirkung der Wunder Jesu heraus. Die Wunder an sich stehen demnach außer Frage; Streitpunkt ist die Wundervollmacht. Die Wunder sind, was ihre Wirkursache angeht, uneindeutig und verwechselbar. Wer Jesus Glauben schenkt, sieht in den Wundern Gott am Werk, wer ihn ablehnt, stuft sie als satanisch gewirkte Magie ein. Wunder zielen auf glaubende Zustimmung und auf Lobpreis des Schöpfergottes. Die Geheilten und Augenzeugen, die zum Glauben finden, fungieren in den Wundertexten als Vorbilder.

Die Wunder Jesu befördern den Trennungsprozess zwischen glaubenden Insidern und nicht-glaubenden Outsidern. Schweigegebote sollen diese Trennlinie zementieren. Zeichenforderungen lehnt Jesus ab; das unterstreicht die Funktion der Wunder. Die polarisierende Wirkung erklärt, weshalb Jesus trotz seines göttlichen Charismas abgelehnt und hingerichtet wurde; niedrige Beweggründe wie kultisch-politischer Machterhalt und religiöse Deutungshoheit spielen dabei eine zentrale Rolle. Die Wundertexte appellieren mit dieser Darstellung an die Leserschaft, zu Insidern zu werden bzw. in die Nachfolge zu treten.

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