Читать книгу Die Engel der Madame Chantal - Kurt Pachl - Страница 8
Kapitel 6
ОглавлениеDrei Wochen später wartete eine weitere Überraschung auf Chantal, als sie mit Iris und Manuela in einem noblen Restaurant saßen.
»Ich habe dich vor drei Wochen nicht wiedererkannt«, seufzte Chantal und blickte Iris vorwurfsvoll in die Augen. »Warum tust du dir diese Sauerei an?«
»Das ist eine verdammt gut bezahlte Dienstleistung. Wenn ich es nicht mache, streichen andere Ladies das schöne Geld ein.«
Die Domina-Expertin strich sichtlich belustigt mit beiden Händen über ihr mittellanges blondes Haar.
»Und du steckst diese ganze Scheiße so mir nichts dir nichts weg? Das glaub‘ ich dir nicht!« Chantal zuckte mit den Schultern, und zog ihre Augenbrauen nach oben.
Iris lehnte sich in den gemütlichen Sessel zurück. Ihr Gesichtsausdruck verwandelte sich schlagartig. Sie wirkte enttäuscht.
»Im Grunde genommen bist du die Patin dieser Sauerei, wie du meine gutbezahlte Passion zu nennen pflegst.«
»Iiich?! Entschuldige. Du bist doch nicht ganz sauber.« Chantal war kurz davor, sichtlich verärgert aufzuspringen.
»Wir sind Liebesdienerinnen. Was wir tun, müssen wir mit Leib und Seele tun. Unsere Kunden müssen nicht nur körperlich, sondern auch darüber hinaus zufriedengestellt werden.« Der Zeigefinger der Domina richtete sich anklagend auf Chantal. »Das waren vor zehn Jahren deine Worte. Unter dem Strich hast du das aus mir und Manuela gemacht, was wir heute sind. Dafür bin ich dir dankbar.«
»Blödsinn! Ich habe niemals an Peitschenhiebe oder andere ekelhafte Spielchen gedacht.«
»Du scheinst das letzte Mal, in diesem Café, du erinnerst dich, nicht richtig zugehört zu haben«, blaffte Iris. »Du selbst hast doch gehört, dass sich dieser Fettwanst bei mir bedankt hat. Er hat mich dabei angehimmelt. Ich habe ihm eine Last von seiner verdammten Seele genommen.«
»Mir zittern noch heute die Knie«, stöhnte Chantal, und blickte hilfesuchend nach oben.
Die Augen von Manuela flitzten zwischen ihren beiden Freundinnen hin und her.
»Du bist doch so stolz darauf, eine intelligente und kluge Frau zu sein.«
Iris faltete ihre Hände, und drückte sie an ihren großen Busen.
»Du hast dich doch in diese Wälzer über Psychologie vertieft. Da drin steht mit Sicherheit, dass es sich bei diesen Kerlen um halbe Irre handelt. Auf alle Fälle sind es arme Schweine. Selbst gute Seelenklempner stoßen da an ihre Grenzen. Viele dieser armen Wesen fangen irgendwann an zu saufen. Oder sie knüpfen sich einfach auf. Ist dir das lieber? Dann rücken andere Spinner nach, und die Welt dreht sich weiter.«
Iris grinste ihre zunehmend nachdenklich dreinschauende Freundin mit zugespitzten Lippen an. Hierbei rieb sie ihren Daumen und Zeigefinger aneinander.
»Es gibt Tage, da lassen diese armen reichen Schweinchen weitaus mehr springen als deine Kunden. Und das will weiß Gott was heißen. Natürlich hast du recht, dass ich mir dieses schöne Geld manchmal hart verdienen muss.« Sie lachte dunkel auf, verschränkte ihre Hände hinter dem Kopf und lehnte sich genüsslich zurück.
»Zugegeben. Ab und zu gehe ich danach in eine Disco. Dort reiße ich mir einen Burschen auf, der danach aussieht, als hätte er viel Hunger im Gepäck. Dann lasse ich mich so richtig durchvögeln, und habe das Gefühl, wieder neunzehn zu sein.«
»Zum Schluss auf dem Rücksitz von einem alten Karren«, kicherte Chantal.
Ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie sich wenig feinfühlig verhalten hatte.
»Klar. Das kommt schon mal vor. Zur Not lege ich mich auf die Motorhaube. Auf alle Fälle lasse ich die Kerle arbeiten. Sie bekommen ihren Spaß schließlich kostenlos. Danach lasse ich mich zuhause von einer Flasche Gin inspirieren und schaue mir eine alte Schnulze an. Und am anderen Tag kaufe ich mir ein tolles Kleid.«
»Wozu brauchst du ein neues Kleid? Ich habe dich in letzter Zeit nur in Jeans und gewagten Blusen gesehen?«
Ich sammle eben neue Kleider. Irgendein Hobby muss schließlich jeder haben.«
»Ach du lieber Himmel.« Chantal presste kurz ihre beiden Hände vor den Mund.
»Was hast du eigentlich mit den Männern angestellt, die ich zu dir weitergeleitet habe? Ich hoffe, dass du sie nicht so empfangen hast.« Sie musterte Iris auffällig von oben bis unten.
Diese hob blitzschnell abwehrend beide Hände.
»Siehst du. Um die zu vernaschen, habe ich mich selbstverständlich in mein neuestes Kleid gezwängt. Oder in ein Kleid, das ich aus deiner Sedcard kenne. Keine Angst. Die sind alle hochzufrieden und müde von dannen gezogen.« Sie zuckte mit den Schultern.
»Glaube ich zumindest«.
Als sie sah, dass Chantal ihren Kopf nachdenklich hin und her bewegte, fügte sie keck hinzu:
»Sei doch einmal ehrlich. Es war doch mehr als auffällig, dass du mir nur Interessenten zugeschustert hast, die eindeutig nur auf deinen Körper scharf gewesen sind. Also habe ich diesen Männern viel Körper gegeben. So gesehen kannst du ganz beruhigt sein.«
»Dann kann ich dir auch weiterhin …?«
»Mir schon«, lächelte Iris und spielte süffisant mit ihren Lippen. Dabei schielte sie fragend in Richtung der Freundin, die bislang das Schauspiel sichtlich genossen hatte.
Manuela zuckte mit treuherziger Mimik ihre Schultern.
»Ich hab‘ mir eine schwarze und langhaarige Perücke zugelegt. Außerdem bin ich bei dir quasi in die Lehre gegangen. Damit ich nicht so viel Konversation führen muss, habe ich meine anderen Werte ins Spiel gebracht. Nur einen von deinen Kunden musste ich an die frische Luft setzen. Sei heilfroh. Der Kerl hätte wunderbar in das Kabinett von Iris gepasst.«
»Oh mein Gott«, prustete Chantal entsetzt. »Warum sagst du mir das erst jetzt?!«
Manuela spitzte ihre Lippen.
»Vielleicht weil ich deine Seele nicht belasten wollte. Vergiss es einfach.«
Die drei Freundinnen blickten sich einige Sekunden schweigend an. Es schien, als würden in diesem Moment die gleichen Gedanken durch ihre Köpfe rauschen.
Früher wussten sie mehr voneinander. In den ersten Jahren hatten sie sich wie Geschwister gefühlt. Wobei: Chantal war nicht nur vier Jahre älter. Sie war immer reifer, intelligenter, weitaus kreativer und einfühlsamer gewesen. Ihr konnte man alles anvertrauen. Diese große Schwester tadelte ab und zu. Manchmal tobte sie sogar. Zumindest in den ersten Jahren. Es waren wahnsinnig arbeitsreiche Jahre. Aber es waren herrliche Jahre.
Chantal war für Iris und Manuela immer ein Vorbild gewesen. Ihr versuchten sie nachzueifern. Doch irgendwann mussten sie sich eingestehen, dass es sinnvoller war, ihren eigenen Stil zu entwickeln, und ihre eigenen Wege zu gehen.
Chantals Augen tasteten Manuela ab. Sie hatte sich in den letzten zwei Jahren optisch verändert. Früher trug sie lange und wunderschöne blonde Haare. Erstaunlicherweise passte ihre moderne Kurzhaarfrisur zu ihrem völlig neuen Auftritt. Während sie früher in ausgesucht modischen Kleidern und abenteuerlichen High Heels auftrat, war sie sukzessive, wie Iris auch, in enge Jeans geschlüpft, und trug dünne Blusen. Unter ihnen zeichneten sich dezente Muskelpakete ab. Sie joggte unermüdlich, spielte Squash und war oft in Fitness-Studios zu sehen. Während Iris‘ Busen zunehmend bedrohlichere Formen annahm, schienen Manuelas Brüste kleiner geworden zu sein. Chantal hatte zufällig gelesen, dass dies indirekt möglich war. Durch bestimmte Formen des Krafttrainings wird das Fettgewebe in
den Brüsten in Muskeln umgewandelt. Die Brüste erscheinen kleiner und vor allem fester.
Verdammt. Ihr Instinkt hatte sie verlassen. Vor wenigen Wochen führte sie ihr Weg wieder einmal in Svens Foto-Studio. Genau genommen war es auch ihr Studio. Vor Jahren hatte sie fast zweihunderttausend Euro in dieses Studio gesteckt. Sven hatte deshalb darauf bestanden, dass sie als Mitinhaberin auftrat. Das war gut für das Image. Auf alle Fälle fielen ihr damals wahnsinnig schöne Aufnahmen von Frauen auf. Sie entdeckte auch Aufnahmen von Manuela; in engen Jeans, im Kostüm, im Streifenanzug, wie diese von taffen Managerinnen getragen wurden – und Manuela mit einer modischen Brille.
»So etwas trägt man heute«, hatte Sven gesagt – und dabei vielsagend gegrinst. Selbstverständlich wusste er, dass Manuela ihre Freundin war. Höchstwahrscheinlich ging er davon aus, dass sie sich austauschten. Sven war diskret und keine Plaudertasche.
Manuela kannte ihre ältere Freundin. Inzwischen gelang es ihr, in deren unendlich vielen Mimiken lesen zu können. Zumindest glaubte sie das. Deshalb stand sie auf, um Chantal einen Kuss auf den Mund zu geben. Danach setzte sie sich wieder. Ihre beiden Freundinnen erkannten sofort, dass jetzt ein längerer Monolog auf sie wartete.
»Schon als Kind habe ich gerne mit Barbie-Puppen gespielt. Gut. Das war bei Mädchen nicht ungewöhnlich. Es war zunächst auch nicht ungewöhnlich, dass ich mit Tatjana schmuste. Aber als Fünfzehnjährige war das dann nicht mehr ganz so alltäglich. Irgendwann bekam Tatjana Hausverbot – und ich Prügel. Natürlich wusste ich damals noch nicht genau warum. Meine Eltern waren katholisch; sehr katholisch sogar. Als Valentin, ein Nachbarjunge, alles daransetzte, mit mir Hausaufgaben zu machen, oben in meiner Bude, war die Welt für sie wieder in Ordnung. Ich sah gut aus. Die Kerls schlugen sich wegen mir die Nase blutig. Das hat mir natürlich imponiert. Allerdings hielt ich mich dann doch an die etwas älteren Burschen. Von denen konnte ich noch etwas lernen. Ich lernte schnell und viel.
Als mich meine Eltern einsperren wollten, riss ich einfach aus. Ich hatte die Nase voll. Nach Frankfurt war es nicht weit. Und irgendwann haben wir uns dann kennengelernt.
Soweit so gut. Vor ungefähr einem Jahr war da dieses Urvieh. Er roch nach Geld und stank nach Schweiß. Ich will es kurz machen. Der Kerl hat mich mächtig verdroschen. Einige Wochen zuvor habe ich mir einen Notknopf installieren lassen. Das war meine Rettung.
An diesem Abend bin ich dann durch die Bars gezogen. Erst nach vielen Minuten habe ich festgestellt, wo ich da hineingeraten bin. Dort saßen Frauen; nur Frauen. Okay. An diesem Abend war ich froh gewesen, keinen Mann mehr zu sehen. Irgendwann hat sich dann eine Frau mit einschmeichelnder und sonorer Stimme, in etwa so wie deine, an meinen Tisch gesetzt. Wir haben uns unterhalten. Ich habe getrunken und geheult. Und irgendwann, dazwischen fehlt mir ein Stück Film, lag ich dann in einem Bett – zusammen mit dieser Frau. Sie hat mich gestreichelt und liebkost. Keine Ahnung, was sie an diesem Abend noch mit mir angestellt hat. Auf alle Fälle roch sie gut. Und ich glaubte zu schweben.
Ich hab‘ sie nie wieder gesehen. Aber ich wusste, dass es himmlisch war. Davon wollte ich mehr bekommen. Eine Frau, sie saß im Vorstand einer Bank, hat mich dann gefragt, was ich bislang gemacht habe. Sie war mehr als großzügig. Noch heute ist sie meine Stammkundin. Sven hat Aufnahmen von mir gemacht und ich habe diesem Mooshammer mitgeteilt, dass ich an ein anderes Ufer geschwommen bin. Er hat gelacht und meinte, dass es im Raum Frankfurt eine diesbezüglich riesige Nachfrage gibt.
Natürlich habe ich mich bereit erklärt, auch Termine in München oder Düsseldorf wahrzunehmen.«
Manuela strich sich viele Male über ihre kurzen Haare und über ihr Gesicht. Chantal blickte zu Iris hinüber. Diese starrte gedankenverloren auf ihre langen, roten Fingernägel. Fraglos kannte sie diese Geschichte bereits.
»Und warum erzählst du mir das erst heute?«, durchbrach Chantal die eingetretene Stille.
Manuela zuckte schuldbewusst mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Vielleicht habe ich mich geschämt. Mensch. Wir drei. Das war doch ein Heer von Männern. Die haben wir glücklich gemacht, würdest du jetzt sagen.«
Sie blickte an die Zimmerdecke, und blies lachend Luft durch ihre geschlossenen Lippen.
»Jetzt habe ich auf Ladies umgesattelt.« Sie richtete ihren Blick zu Iris hinüber.
»Und die da drüben vermöbelt dicke, dünne und reiche Männer.«
»Ich vermöble keine Männer. Ich mache sie glücklich. He, wie du deine Damen glücklich machst.« Sie lachte hell auf.
»In Ordnung: Ich mache sie auch etwas ärmer. Aber nur ein klitzekleines Bisschen «
Jetzt lachte auch Chantal:
»Was sind wir ein verrückter Haufen nicht mehr ganz taufrischer Weiber. Zwischen euch Beiden komme ich mir jetzt allerdings schrecklich normal vor.«
Manuela zwinkerte mit verschlagener Miene Chantal zu.
»Ich werde dich jetzt gleich an deiner verwundbaren Stelle packen.«
»Soso. Und die wäre?«
»Geld und eine gewöhnungsbedürftige Moralvorstellung. Was sonst. Das hast du verdient. Dir ist es mit Sicherheit nicht bewusst, dass du uns immer das Gefühl vermittelt hast, die Gralshüterin der Moral zu sein.«
Chantal beugte sich angriffslustig nach vorn.
»Ach Gottchen. Wo hast du diesen tollen Begriff aufgeschnappt. Den muss ich mir unbedingt aufschreiben.«
»Lass‘ diese überhebliche Scheiße. Sag‘ mir lieber, ob ich einigen zahlungskräftigen Frauen deine Nummer geben darf. Ich sag’s nur ungern. Aber für einige, aus den höheren Rängen, bin ich einfach zu doof. Die wollen auch mal hochgeistiges Zeug von sich geben – und obendrein auch noch verstanden werden.«
Stille entstand in der lauschigen Ecke des noblen Restaurants.
Iris und Manuela tauschten interessierte Blicke aus. Es schien, als hätten sie mit den Streichhölzern gespielt, und warteten nun voller Vorfreude auf den ersten Funken - oder gar auf ein herrliches Feuerchen.
»Ich werde es mir überlegen«, flüsterte Chantal leise. »Aber ihr kennt mich. In den letzten Jahren bin ich noch nie unvorbereitet in den Krieg gezogen. Das ist ein völlig neues Terrain für mich. Da kann man mit Sicherheit eine Menge falsch machen.«
Manuela schnellte aus ihrem Sessel, tänzelte zu Chantal hinüber, und gab ihr einen innigen Kuss.
»Ich persönlich werde dich in die Geheimnisse der einzig wahren Liebe einweihen.«
Mit gespieltem Lachen und einem Seufzer blickte Chantal zur Decke des Raumes.
»Ach ihr Götter da oben. Ist das jetzt eine Verlockung oder eine Warnung?«