Читать книгу Echte Golfer weinen nicht - Kurt W. Zimmermann - Страница 10
ОглавлениеEchte Golfer weinen nicht
Golf ist die einzige gesellschaftlich akzeptierte Variante des dauernden Versagens.
Der 68-jährige Rentner Bob Siddle gewann in der englischen Lotterie 10 Millionen Pfund. Er brachte es anschließend zu lokaler Berühmtheit, weil er monatelang den Millionenscheck auf der Post nicht abholte. Von Montag bis Samstag sei er auf dem Golfplatz, erklärte Siddle, und zwar bei jedem Wetter, da sei keine Zeit für zweitrangige Nebengeschäfte.
Das wirklich Erstaunliche an Bob Siddle aber ist, dass er ein miserabler Golfer ist. In seinem Klub wären sie froh gewesen, hätte er den Scheck abgeholt und zumindest einen Tag lang das Gelände nicht umgepflügt. Dass er dennoch lieber Golf spielte, als reich zu werden, macht ihn artentypisch. Er erklärt die Phänomenologie des Golfers außerordentlich präzise.
Der Golfer zieht den Misserfolg auf dem Golfplatz dem Erfolgserlebnis außerhalb des Golfplatzes bei weitem vor.
Warum tut der Golfer dauernd Dinge, die er nachgewiesenermaßen nicht kann? Warum, so frage auch ich mich manchmal, warum nur verlasse ich am Nachmittag freiwillig meine klimatisierten Büros, verlasse meine Geschäfte, verlasse meine netten Sekretärinnen und meine Kaffeemaschine, um dann aus zehn Metern Entfernung den Ball – vor Zeugen! – peinlich-platschend in einem Entenweiher zu versenken?
Golf ist die einzige gesellschaftlich akzeptierte Spielform des permanenten Misserfolgs. Darum ist es auch so populär geworden. In einer Zeit, in der bereits die Unterschreitung des Vorjahresergebnisses um 0,25 Prozent für den Rausschmiss aus dem Unternehmen genügt, ist Golf für uns Leistungsträger ein letztes Refugium der Unschuld geworden. Hier kann man richtig entspannt versagen.
Am schönsten hat es noch immer Jack Nicklaus formuliert. Als ihn nach einem Turniersieg ein Reporter nach den Gründen seines Erfolges fragte, sagte er: »Ich scheiterte heute bloß ein bisschen weniger als die anderen.« Und in englischen Golfclubs hängen mitunter kleine Wandteppiche, auf denen die Worte eines unbekannten Golfphilosophen eingestickt sind: »Real golfers don't cry when they line up their fourth putt.«
Echte Golfer weinen nicht.
Sie weinen auch dann nicht, wenn sie sich zum vierten Putt aufstellen. Sie weinen nie. Sie wissen: Man kann auf dem Platz richtig entspannt versagen, man kann permanent versagen, und man versagt allein. Golf macht auch darum abhängig, weil es kein Pardon kennt. Es gibt keine externen Entschuldigungen für die eigene Schwäche. Es gibt keine unfairen Preisrichter wie im Paarlaufen und keine schlecht präparierten Skis wie beim Abfahrtslauf. Verantwortlich für alles, was geschieht, bin nur ich.
Man spielt nur gegen sich selbst. Alle Wunden sind Selbstverstümmelungen.
Das ist eine ebenso ungewohnte wie faszinierende Lebenssituation. Es versagt das alte christliche Grundprinzip der externen Schuldzuweisung. Die üblichen Sündenböcke taugen nichts; der Chef ist nicht schuld, die Gemahlin nicht, nicht der Teufel, nicht die Spielpartner, nicht der Wind und auch nicht der Ball.
Nun, der Ball manchmal eben doch. Der Mangel an objektiven Sündenböcken will noch lange nicht bedeuten, dass Golfer nicht von hohem Einfallsreichtum beseelt wären, wenn es darum geht, die besten Entschuldigungen für eine Fehlleistung zu finden.
Meine beste Erklärung für eine schlechte Runde ist im Klubhaus immer noch die: »Weißt du, nach meinem Hole-in-One am zweiten Loch konnte ich mich einfach nicht mehr richtig konzentrieren.«