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Geheimer Auftrag

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Die dunkelhaarige Frau hatte zusammen mit den anderen Passagieren das Flugzeug verlassen und suchte sich, nachdem sie sich ihren Rucksack vom Gepäckband geholt hatte, draußen vor dem Flughafengebäude des internationalen Flughafens Zvartnots, eines der zahlreichen zweisitzigen Elektrotaxis, die eher einer motorisierten Rikscha glichen, als einem richtigen Auto. Sie wollte zur National Gallery am Rande des Hanrapetutyan Platzes im Zentrum von Jerewan. Wie immer war der innenliegende Garten des Museums ihr Ziel, in dem schon seit Jahrzehnten die kopflose Statue Lenins ausgestellt wurde. Fünfmal war sie nun schon hier gewesen und hatte ihre Order in Empfang genommen. Üblicherweise lag die Nachricht zu Füßen der kopflosen Statue Lenins, aber nur zu einer bestimmten Uhrzeit. Sie musste sich beeilen, um rechtzeitig dort zu sein.

Jerewan war eine quirlige, lebendige Stadt. Seit einigen Jahren waren wieder unzählige kleine Cafés am Ufer des Hrasdan eröffnet worden, einem Zufluss des Aras, der das armenische Hochland in einem weiten Bogen umfloss. Das Taxi setzte sie am Rande der Altstadt ab. In der Innenstadt war kein Autoverkehr zugelassen. Sie folgte der Tigran Mets Poghota, vorbei an lebhaften kleinen Läden, Straßenständen und Hotels. Sie mochte Jerewan. Die Stadt hatte sich in den letzten Jahren ziemlich entwickelt, seit das Wetter in der Region wieder besser wurde. Ihr Weg führte sie an kleinen Parkanlagen vorbei, die so aussahen, als wären sie schon seit Jahrhunderten mit dem Stadtbild verwachsen. Weinreben, die gerade dabei waren ihre Herbstblätter abzuwerfen, überdachten malerisch einige Straßencafés. Sie fand es immer wieder erstaunlich, dass die empfindlichen Gewächse die harten Winter überstanden. Dieses Mal würde sie hoffentlich ein wenig Zeit haben sich alles anzusehen. Hastig lief sie weiter, sorgsam darauf bedacht ihr Gesicht unten zu halten. Die Überwachungskameras der armenischen Polizei waren überall. Normalbürger fielen diese kleinen, allgegenwärtigen Spione nicht auf, aber ihrem geübten Auge waren sie nicht entgangen.

Im Museum war es ziemlich leer zu dieser frühen Stunde. Es öffnete um zehn Uhr morgens und sie war eine der ersten Besucherinnen. Nachdem sie am Automaten einen Eintrittscode gekauft hatte, trat sie durch die Sperre. Die Eingangshalle hatte einen wunderschönen, glatt polierten Boden aus dunkelgrau glänzendem Basaltgestein, der mit einer Nanoschicht überzogen worden war, um ihn vor Verschmutzung durch die zahlreichen Füße zu schützen, die jeden Tag darüber liefen. Sie kannte den Weg in den hinteren Innenhof des Gebäudes in und auswendig, in dem die Statue auf einem langgestreckten Sockel lag. Im Schlendergang spazierte sie an den Ausstellungsstücken des Museums vorbei und tat so, als wäre sie eine normale Touristin. Verstohlen sah sie sich immer wieder um, nutzte dabei die Spiegelungen in Türen und Glasvitrinen, doch sie konnte wie jedes Mal niemanden entdecken, der sie möglicherweise verfolgte, obwohl sie schon wieder das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Zehn Minuten später stand sie vor der Statue und suchte rundherum, Zentimeter für Zentimeter, den Boden nach einem unscheinbaren graufarbigem Papierschnipsel ab, der aussah, als hätte ihn jemand achtlos weggeworfen und der ihre nächste Order enthielt.

Da war er, direkt neben dem abgebrochenen Hals von Lenins Statue. Sorgsam blickte sie sich um, ob sich noch jemand außer ihr in dem kleinen Garten befand. Nachdem sie sicher war, dass sie alleine war, stellte sie ihre Tasche direkt neben dem Schnipsel auf dem Boden ab. Sie wühlte eine Weile darin herum und zog dann ein weißes Taschentuch heraus, mit dem sie sich die Nase putzte. Geschickt ließ sie das Tuch fallen, genau auf die Stelle, wo das Stück Papier lag, das für sie bestimmt war. Rasch bückte sie sich danach und hob es zusammen mit dem Taschentuch auf.

Am Eingang erschien einer der Bediensteten des Museums in seiner blauen Uniform. Sie hatte ihn nicht kommen sehen. Streng sah er sie an. »Das dürfen Sie nicht betreten!»

Die Frau nickte nur entschuldigend und zeigte ihm mit einer bedauernden Miene ihr Taschentuch, das sie an die Nase hielt, damit die Kameras ihr Gesicht nicht so gut erkennen konnten, die sich sofort surrend auf sie richteten. Der Museumsangestellte ließ es Gott sei Dank dabei bewenden. Hastig stopfte sie ihr Taschentuch zurück in die Handtasche, zusammen mit ihrer Order. Mit gesenktem Kopf und wild klopfendem Herzen verließ sie Lenins Garten. Das hätte sie bald vermasselt. Sie hatte keine Ahnung, ob ihre Ungeschicklichkeit doch noch Konsequenzen für sie haben würde, irgendwann in den nächsten Wochen. Immerhin hatten die Kameras einen Teil ihres Gesichtes gesehen und sie war sich in letzter Zeit nicht sicher, ob sie nicht doch von jemandem beobachtet wurde. Sie schüttelte den beängstigenden Gedanken ab und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe.

Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte und ihr Blutdruck sich wieder normalisiert hatte, holte sie einen Block und einen Zeichenstift aus der Tasche und begann eines der Exponate zu zeichnen. Sie war eine gute Zeichnerin. Das Bild war nach einer halben Stunde fertig. Nach einem Blick auf ihre Uhr packte sie alles wieder ein und ging rasch zurück zum Ausgang. Ohne weiter aufzufallen verließ sie das Museum durch den Haupteingang.

Erleichtert lief sie die Byuzand Poghots hinunter, die sie über die Mesrop Mashtots Poghota zur großen Cascade brachte, einer riesigen Treppenanlage, die hinaufführte zu einem Monument aus der Sowjetzeit und zu den höher gelegenen Stadteilen von Jerewan. Von oben hatte man eine phantastische Aussicht auf den kleinen und den großen Ararat, aber sie ließ die Treppe rechts liegen und wandte sich zur Marshall Baghramian Poghota. Sie brauchte einen ruhigen Ort, an dem sie unbeobachtet ihre Nachricht öffnen konnte. In der Nähe der National Academy of Science gab es ein nettes Café, das erstaunlicherweise Überwachungskamerafrei war. Sie hatte das bei ihrem letzten Besuch vor einem Jahr bemerkt, als sie Schutz vor dem plötzlich einsetzenden Regen gesucht hatte und ganz zufällig in dieses Café hinein gestolpert war. Die Wissenschaftler wollten wohl nicht abgehört werden und hatten offenbar Wege gefunden, der allgegenwärtigen Allmacht des Staates zu entrinnen.

Das Café war jetzt um die Mittagszeit ziemlich voll, aber sie fand noch einen Platz ganz hinten am Ende der Bar. Nachdem sie sich einen Mocca und ein Glas Wasser bestellt hatte, zog sie die Zeichnung heraus und legte sie auf die Theke. Dann begann sie in der Tasche nach etwas zu suchen, zumindest tat sie so, denn sie wollte ihre Botschaft nicht für alle sichtbar auseinanderfalten. In der Tasche war das zwar ziemlich umständlich, aber es ging. Mit zitternden Fingern zupfte sie die Botschaft aus ihrer Papierhülle. Warum mussten sie die immer so umständlich verpacken? Endlich hatte sie es geschafft und hielt das daumennagelgroße Stückchen Spezialfolie in der Hand. Vorsichtig faltete sie es auseinander und rubbelte den Film ab, der in einer dünnen Schicht auf der Oberseite des Folienstückes haftete. Warum ihr Auftraggeber immer noch diese umständliche Form benutzte um ihr Aufträge zukommen zu lassen, war ihr schleierhaft. Einerseits war sie gespannt darauf, was sie dieses Mal machen musste, andererseits wäre sie froh gewesen, wenn sie nicht mehr hätte hierher kommen müssen und endlich frei wäre. Es war nicht einfach für sie, ständig ihren Wohnort zu wechseln, nirgendwo zuhause zu sein, jedenfalls nicht unter den jetzigen Bedingungen. Sachte entfernte sie die letzten Reste des dünnen Films und nach und nach erschienen Buchstaben unter der Einwirkung des Sauerstoffs aus der Luft und ein Foto. Wie immer war der Text recht knapp bemessen.

"Beschatten Sie diesen Mann und folgen Sie ihm, wohin er auch geht.

Er kommt heute am Busbahnhof an. Um 17:00 Uhr mit dem Bus aus Tatew.

Vernichten Sie das Foto und die Botschaft."

Sie betrachtete das Foto eingehend. Der Typ darauf sah irgendwie fremdartig aus. Er trug einen langen schwarzen Ledermantel, der ziemlich martialisch wirkte und ein wenig altmodisch. Trotzdem konnte sie sehen, dass er mit Muskeln bepackt war wie ein Bodybuilder. Seine Haare waren kurz und ein wenig verwuschelt, und sein Gesicht hatte ein markantes Kinn und erstaunlich wenige Falten für den erfahrenen Ausdruck in den Augen. Der Kerl war wirklich riesig, soweit sie das auf dem Foto beurteilen konnte. Dem wollte sie nicht zu nahe kommen, aber das musste sie auch nicht. Sie prägte sich sein Gesicht ein, dann knüllte sie die Botschaft zusammen und steckte sie gottergeben in den Mund. Das Material schmeckte leicht süß und zerging einfach auf der Zunge, war aber bestimmt voller Bakterien, vor denen ihr graute. Hastig zog sie einen Bleistift aus der Tasche und legte ihn auf den Zeichenblock. Das ganze hatte nicht einmal eine halbe Minute gedauert, trotzdem war sie vor Nervosität schweißgebadet. Unauffällig sah sie sich in dem Lokal um. Niemand hatte sie beachtet. Beruhigt trank sie ihren Kaffee, spülte ihren Mund mit Wasser aus und arbeitete an ihrer Zeichnung. Sie hatte noch jede Menge Zeit bis der Mann eintraf. Nachher würde sie ein wenig in der Altstadt herumlaufen. Endlich mal Sightseeing bei schönem, einigermaßen warmem Wetter. Dieses Mal hatte sie wirklich Glück, der Wintereinbruch in den Bergen hatte noch keine Spuren in der Stadt hinterlassen.

Ullisten Getrillum

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