Читать книгу Die Prophezeiung der Eriny - Lara Elaina Whitman - Страница 12

Fata Morgana

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Seit Stunden irrte ich nun schon durch den dichten Wald, ohne auch nur irgendjemandem oder irgendetwas begegnet zu sein. Das ich nicht irgendetwas begegnet war, darüber war ich besonders froh, konnte ich doch die mir fremden und ziemlich unheimlichen, vielstimmigen Geräusche in der Tiefe von Argo na´ata hören, wie die Eriny das undurchdringliche Waldland jenseits der Nebelmauer nannten. Mir war mittlerweile klar geworden, dass ich mitten drin war in diesem wilden Dschungel aus mir fremden Bäumen und Tieren. Es wurde bereits Nacht und ich hatte mich hoffnungslos verirrt. Des nachts kamen viele Geschöpfe heraus, die enorm gefährlich für mich waren, soviel wusste ich über dieses Land. Ich sollte mich schleunigst nach einem Unterschlupf umsehen, aber ich fand nichts. Durst quälte mich. Das Wasser, das ich gefunden hatte, hatte merkwürdig gerochen und so trank ich lieber nicht davon. Ein Rauschen ließ mich plötzlich aufhorchen. Es war ein stetiges hin- und zurückwogen und schließlich erkannte ich darin Meeresrauschen. Irgendwo dort vorne war eine Küste. Vielleicht fand ich dort Hilfe. Auch auf der Erde lebten die meisten Menschen am Meer. Mit etwas mehr Hoffnung im Herzen verdrängte ich die Furcht vor der Nacht und schleppte mich weiter vorwärts, dem regelmäßigen Rauschen entgegen, das tatsächlich immer lauter wurde. Meine Beine taten mir weh und meine Füße spürte ich in den Meerdrachenstiefeln schon lange nicht mehr. Es war erstaunlich warm in dieser Gegend. Wenigstens musste ich nicht frieren. Dafür wurde ich von ziemlich großen Stechmücken geplagt, die mich schon gemein zerstochen hatten. Ihre Stiche juckten wie verrückt. Sie hatten eine Vorliebe für meine Arme, die nackt waren, da ich den Pulli wegen der Wärme, die hier herrschte, wieder ausgezogen hatte. Wenigstens konnten sie nicht durch meine Hose stechen und so blieben meine Beine von den juckenden Quaddeln, die die Stiche verursachten, verschont, aber an den Armen sah ich schon aus wie ein Streuselkuchen. Vielleicht wurde es am Meer besser. Es war bestimmt nicht mehr weit bis dahin. Ich konnte das Wasser schon riechen, auch wenn es nicht nach Salz und Tang roch. Irgendwie hatte ich erwartet, dass es so ähnlich sein würde wie in der Bretagne, aber ich hatte mich geirrt. Und ich hatte mich auch darin geirrt, dass ich an einem Meer aus dem Waldland herauskommen würde, denn vor mir schossen die wilden Wasser eines Flusses talabwärts und ergossen sich über einen imposanten Wasserfall in einen wahrhaft riesigen See. Zumindest nahm ich an, dass das ein See war, auch wenn ich das andere Ufer nicht sehen konnte. Genaugenommen konnte ich überhaupt kein Ende ausmachen. Ich stand auf einer Steilklippe und spähte hinunter. Hier ging es ziemlich tief hinab. Das würde ich nicht schaffen, zumal der Felsen recht bröselig aussah. Ich musste einen anderen Weg suchen. Vorsichtig lief ich am Ufer entlang, immer darauf bedacht, nicht auf den glitschigen Steinen auszurutschen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich mich durch das Dickicht hindurchgeschlängelt hatte und den Rand der Kaskade erreicht hatte, über die das Wasser des Flusses hinunterstürzte. Hier ging es immer noch gut und gerne fünfzig Meter nach unten. Da wollte ich nicht hinabfallen. Vielleicht ließ ich es einfach bleiben, denn das Ufer des Sees sah, soweit ich blicken konnte, sowieso unbewohnt aus. Kein Haus weit und breit und auch keine Straße. Das half mir sowieso nichts. Mutlos bleib ich einfach stehen, wo ich gerade war. Ich war so müde und hungrig. Die letzten Brötchen meiner Mutter hatte ich mittags gegessen. Wenigstens gab es hier frisches Wasser. Ich bückte mich und probierte es vorsichtig. Es schmeckte wirklich gut. Ich trank in durstigen Zügen und füllte dann meine Flasche auf. Überrascht blickte ich hoch, da es plötzlich dunkler wurde. Die Sonne ging unter, war nur noch ein dünner rötlicher Strich über dem See und die Nacht senkte sich rasch herab. Es ging sehr schnell und urplötzlich stand ich im Dunkeln und konnte weder vor noch zurück. Panisch versuchte ich etwas zu erkennen, doch ohne den Mond war es höllisch finster. Der Mond, der sonst immer über dieser Welt geschienen hatte, war nicht da. Aufgeregt suchte ich die Taschenlampe heraus und steckte sie an meiner Jacke fest, damit ich die Hände frei hatte. Zum Glück hatte die Taschenlampe eine Klemmhalterung. Ohne Licht könnte ich keinen einzigen Schritt mehr machen. Nicht auszudenken, wenn ich in das Wildwasser stürzen würde. Das wäre mein sicheres Ende.

Der Kegel der Lampe war schwach, aber es reichte, dass ich vom Wasserfall ein Stück weggehen konnte. Aber wo sollte ich hin? Vielleicht auf einen Baum klettern? Ein tiefes Brüllen ließ mich zusammenzucken. Das war gar nicht weit von hier gewesen. Hastig stürzte ich zum nächsten Baumriesen. Es war eine Eiche. Sie sah uralt aus, ihr Stamm hatte einen Durchmesser von mehreren Metern. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Wie sollte ich da bloß hochkommen? Um mich herum begann es zu rascheln, zu schnaufen und zu quieken. Was hatte Kadmus Kentrendan gesagt? Der Wald sei nachts besonders gefährlich? Die Triskelewächter hatten Schutzzäune hochgezogen und sich in der Hütte verbarrikadiert. Ich hatte nichts dergleichen. Ich zitterte am ganzen Leib vor Furcht. Irgendwie musste ich auf diesen Baum hier hinaufkommen, aber die ersten Äste waren so hoch oben. Wenn ich es nicht schaffte, dann würde ich diese Nacht nicht überleben, da war ich mir sicher. Ich versuchte nicht in Panik auszubrechen, obwohl das Röcheln und Brüllen immer näher kam, sondern untersuchte den Baumstamm und schließlich fand ich eine Stelle, an der meine Hände und Füße Halt finden konnten, wenn ich die Stiefel auszog. Rasch setzte ich mich hin, riss mir die Stiefel herunter und stopfte sie in den Rucksack. Dann begann ich den gefährlichen Aufstieg. Die ersten Meter waren die schlimmsten. Ich kam mir vor wie ein Freeclimber in einem Felshang, auch wenn ich nur wenige Meter über dem Erdboden an einem Baumstamm klebte und verzweifelt versuchte nicht wieder herunter zu fallen. Meine Muskeln zitterten von der ungewohnten Belastung wie Espenlaub. Lange würde ich das nicht durchhalten. Unter mir kreischte etwas laut auf. Ich wäre fast vor Schreck vom Baum gestürzt. Und dann sah ich den Schatten unter mir. Etwas versuchte nach oben zu springen. Das verlieh mir Flügel. Mit letzter Kraft erreichte ich den ersten dicken Ast und zog mich schwer atmend empor. Das heisere Kreischen und Keuchen wurde vielstimmiger. Das kreischende Wesen hatte Gesellschaft bekommen. Noch mehr kreischende Wesen. Wegen der Dunkelheit konnte ich nicht sehen, was da den Baum hochklettern wollte. Ich hoffte inständig, dass sie es nicht schafften. Rasch stieg ich weiter nach oben. Jetzt war es einfacher, aber ich war nicht schwindelfrei. Wie ich morgen wieder herunterkommen sollte, stellte ich mir lieber nicht vor, aber vielleicht erlebte ich ja den Morgen gar nicht mehr. Das Kreischen unter mir wurde immer wütender, doch es war mir bis jetzt nichts nach oben gefolgt und ich beruhigte mich langsam. Schlagartig verstummte der Lärm am Fuße des Baumes. Ich hörte etwas trampeln und dann raschelte es rund um den Baum herum. Hastig schaltete ich die Taschenlampe aus. Die Lichtquelle zog bestimmt die Räuber an. Ein kurzes Quieken, dann ein Krachen und dann ein Schmatzen und Reißen. Da fraß etwas direkt unter meinem Baum! Ich wagte nicht mehr zu atmen. Wenigstens war mein Hunger verschwunden. Nach einer Weile zog das Geschöpf wieder ab. Wie es wohl ausgesehen hatte? Ich hätte nachsehen können, mit der Taschenlampe, aber das getraute ich mich nicht. Besser ich machte mich ganz klein. Leider hatte ich kein Seil dabei, um mich festzubinden. Hoffentlich fiel ich nicht im Schlaf herunter. Also suchte ich mir den breitesten Ast aus, den ich an diesem Baum finden konnte. Er hatte am Ende, dort wo er mit dem Stamm verwachsen war, eine große Kuhle, in die ich mich hinein kuschelte. Es war unbequem und ich war mir sicher, dass ich wach bleiben würde. Doch wenig später war ich eingeschlafen und bekam nichts mehr mit vom nächtlichen Überlebenskampf in diesem Wald.

Irgendetwas kitzelte mich an der Nase. Ich musste niesen, noch bevor ich die Augen aufgeschlagen hatte. Etwas sprang laut zeternd davon. Schlagartig war ich wach und sah mich verwirrt um. Vor mir hockte ein kleines, affenähnliches Wesen auf dem nächsten Ast und betrachtete mich mit schiefgelegtem Kopf. Es sah nicht gefährlich aus, deshalb streckte ich erst einmal meine Glieder aus, die völlig taub waren von der unbequemen Haltung. Das Wesen verschwand hastig in der Höhe des Baumes. Offenbar hatte es Angst vor mir.

Es dämmerte bereits. In der Ferne über dem See konnte ich einen silberhellen Streifen Licht erkennen, der die Landschaft in ein blaues Leuchten tauchte. Von dem Baum aus hatte ich einen wahnsinnigen Weitblick über die ganze Gegend. Es war wunderschön, wie mit der aufsteigenden Sonne die Farben zurückkamen. Aber noch schöner war, dass ich die Nacht überlebt hatte. Ich fühlte mich irgendwie glücklich, auch wenn meine Lage nicht viel besser war als gestern. Mit einem etwas mulmigen Gefühl warf ich einen Blick nach unten. Ich konnte kaum den Boden erkennen. Offenbar war ich gestern Nacht in meiner Panik ziemlich hoch hinaufgestiegen, denn ich war bereits über den anderen Baumkronen. Der Baum musste enorm hoch sein, wenn er alle anderen überragte. Ich kletterte vorsichtig den Ast nach vorne, auf dem ich geschlafen hatte und bog die dünneren Zweige auseinander, um besser sehen zu können. Unter mir wogte das grüne Waldmeer und bewachte das einsame Ufer eines kristallblauen Sees. Dessen Ende konnte ich auch von hier aus nicht erkennen. Das Gewässer war bestimmt so groß wie der Bodensee. Ein Süßwasserbinnenmeer, aber ohne irgendwelche Menschen darauf oder Städte an seinen Ufern. Nebel wallte am Horizont über dem Wasser. Sonnenstrahlen langten wie goldene Finger danach und schienen damit spielen zu wollen. Plötzlich hob sich der Nebel und eine Insel erschien inmitten des Sees. Auf der Insel befand sich ein imposantes Schloss, das eine Unmenge Türme besaß, wie aus einem Märchen der Gebrüder Grimm. Irgendwie kitschig, aber hübsch. Fehlte nur noch die Prinzessin, die gerettet werden musste. Wenn ich dort hinübergelangen konnte, dann könnten mir die Leute vielleicht helfen Thomy zu finden. Immerhin war ich auf der Eriny-Seite von Aremar, in den Grauen Landen. Zumindest ging ich davon aus, denn sonst wäre ich bestimmt schon jemandem begegnet, da ja der Triskelehain auf der anderen Seite der Nebelmauer auch bewacht worden war. Ich war mir da absolut sicher.

Die Sonne stieg nun vollends über den Horizont und beleuchtete die märchenhafte Szenerie. Ich hielt den Atem an, so wunderschön war es. Plötzlich begann die Luft über dem Schloss zu zittern. Mir stockte der Atem. Das Schloss begann zu verschwimmen und dann verschwand es, so als hätte es es nie gegeben. Ich rieb mir die Augen. Das gab es doch gar nicht! So ein riesen Bau konnte sich doch nicht einfach in Luft auflösen. War ich einer Fata Morgana aufgesessen? Hatte ich irgendwelche Drogen zu mir genommen? Hatte mich etwas gebissen und ich halluzinierte? Nein, ich war mir sicher, da war ein Schloss gewesen, aber jetzt war es weg. Mit dem Sonnenlicht verschwand der Dunst und ich konnte in der Ferne eine lange Kette scharfzackiger Berge erkennen, die sich bläulich aus dem Waldmeer heraushoben. Das half mir auch nicht weiter. Vielleicht sah es auf der anderen Seite besser aus, Richtung Süden. Ich kletterte über die Äste, die rund um den Baum herum aus dem Stamm wuchsen. Auf der anderen Seite war das Laub nicht so dicht und ich musste auf dem Ast nicht ganz so weit hinauskriechen. Leider gab es auch hier nichts zu sehen als Wald. Kein Zeichen von menschlichen Aktivitäten, gar nichts. Mutlos kroch ich zurück zu meinem Ast und schulterte meinen Rucksack. Es nutzte nichts, hier oben zu bleiben, ich würde nur verhungern und verdursten, also beschloss ich doch zu dem See hinunter zu steigen. Vielleicht gab es irgendwo eine Siedlung, die ich von hier oben nicht sehen konnte. Siedlungen waren doch immer am Wasser gebaut, oder nicht?

Stunden später erreichte ich endlich das Ufer. Es war anstrengend sich durch den unwegsamen Wald zu kämpfen und ich war schon wieder ziemlich müde. Wenn ich weiter so lange brauchte, um irgendwo hinzukommen, dann würde ich niemals jemanden finden. Der See war so schön, wie er von oben ausgesehen hatte. Er kam mir irgendwie bekannt vor, so als ob ich schon einmal hier an seinem Ufer gestanden hatte. Natürlich, ich hatte das geträumt! Ich war schon einmal in meinem Traum an diesem See gewesen, dessen tiefgründiges Wasser die Wolken und die Bäume widerspiegelte, die ihn umgaben. Der Wald roch feucht und war ungewöhnlich dicht. Die Blätter hatten ein sattes Grün. Ich stand an dem schmalen Streifen am Ufer, der frei war von Unterholz und Gestrüpp. Vögel sangen zu Tausenden und gaben ein unbeschreibliches Konzert. Ein leichter Wind strich durch die Wipfel der Bäume und es hörte sich an wie entferntes leises Singen und genau wie in meinem Traum, war die Oberfläche des Sees spiegelglatt, der Wind schien ihn nicht zu berühren. Trotzdem brachen sich kleine Wellen am Strand, die das Meeresrauschen verursachten. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und betrachtete den Himmel. Ein paar dicke weiße Wattewolken trieben träge dahin, die Sonne schickte ihre warmen Strahlen herunter und wärmte meine nackten Arme. War das wirklich so wie in meinem Traum? Nein, denn vermutlich sahen alle Seen so aus. Ich bildete mir das nur ein. Außerdem hatte ich in meinem Traum ein langes Kleid und eine Menge Schmuck getragen. Ich sollte diesen Träumen keine Bedeutung beimessen. Was ich jetzt dringend brauchte war Hilfe und keine Fantasien von Zauberseen und Schwarzen Kriegern in dunklen Kerkern. Aber ich musste zugeben, dass ich mich jetzt sogar darüber freuen würde, wenn dieser Krieger aus dem Dickicht auftauchen würde, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob er mich dann umbringen würde.

Durstig trank ich aus einem kleinen Bach, der sich hier in den See ergoss. Das war unvorsichtig. Irgendetwas stürzte sich auf mich und warf mich zu Boden. Mir schwanden wieder einmal die Sinne.

Die Prophezeiung der Eriny

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