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Die Abtrünnigen

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Wieder einmal träumte ich. Vor mir lag eine grasgrüne Wiese und blauer Himmel spannte sich über der weiten Ebene, die von steilen Berghängen begrenzt war. Ein Hochtal, das mir irgendwie bekannt vorkam. Rauch stieg aus dem Schornstein eines schlossartigen Gebäudes auf. Die Steine des Bauwerks waren grau und verwittert und erinnerten mich an diese schottischen Herrenhäuser, die es zuhauf in den Highlands gab. Ein großer Garten, über und über mit Rosen bewachsen, umgab das Haus mit einem Meer aus Blüten. Zwei Kinder spielten mit einem riesigen grauen Hund auf einem großen runden Kiesplatz, der inmitten der Rosenbeete lag. Der Hund breitete plötzlich seine Flügel aus und erhob sich in die Luft. Erschrocken schrie ich auf, denn das Tier kam ganz plötzlich auf mich zu und noch bevor ich mich in Sicherheit bringen konnte, saß es auf mir und leckte mir mit seiner blauen, rauen und ziemlich feuchten Zunge über das ganze Gesicht. Erschrocken riss ich die Augen auf und blickte direkt auf die Schnauze eines Schafsbocks. Seine geschlitzten Pupillen erschienen mir wie die Augen eines Dämons. Ich war wach, zurück in der Realität und es hatte funktioniert. Ich konnte den Stein benutzen ohne getötet zu werden.

»Mähhhhä«, blökte der Schafsbock und wollte erneut mein Gesicht ablecken.

Angewidert wehrte ich ihn ab und rollte mich zur Seite. Schafsspucke wollte ich nicht auf meinem Mund haben. Ich stöhnte leise, denn jeder meiner Knochen tat mir weh und mein Kopf war ein einziges brummendes Karussell. Irgendetwas drückte gemein in meinem Rücken. Natürlich, ich hatte ja noch den Rucksack mit meinen Sachen an. Nach einer Weile konnte ich mich aufrichten. Es war Nacht. Über mir leuchteten ein paar Sterne und es roch nach Wiese und Spätsommer. Am Ende der Wiese standen Häuser. Ihre Fenster waren erleuchtet, bis auf eines. Mit Schrecken erkannte ich, dass ich neben dem Obelisken in der Schafwiese hinter unserem Haus lag. Ich musste ziemlich lange bewusstlos gewesen sein, da es jetzt tief in der Nacht war. Warum kam ich nur immer wieder hier heraus, wenn ich in den dunklen Tunnel ging? Irgendwie hatte mich wohl der Stromschlag mit dem Obelisken hier verlinkt. Das war wenig hilfreich. Ich warf einen prüfenden Blick zum Haus meiner Eltern hinüber. Erstaunlich, dass mich die Druiden hier nicht gefunden hatten. Ob sie wohl noch da waren? Ich musste unbedingt nachsehen. Die Sorge um meine Eltern und meine Großmutter übermannte mich. Vorsichtig stand ich auf, nachdem ich den Schafsbock erneut weggeschoben hatte, da er an meiner Kleidung knabbern wollte. Ein Hund, dieses Mal ein echter, schoss auf mich zu. Verdammt, das war der Hirtenhund. Er kläffte mich wild an und ich versuchte ihn zum Schweigen zu bringen, aber es nützte nichts. So würde ich alle Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Nicht zu hastig lief ich von den Schafen fort. Der Hund umsprang mich dabei kläffend, blieb aber nach einer Weile zurück. Rasch versteckte ich mich bei der Scheune am Rande des Feldes und wartete mit klopfendem Herzen erst einmal ab. Am Haus tat sich nichts. Es war irgendwie totenstill und unheimlich. Die Furcht umfing mein Herz und drückte es zusammen. Irgendetwas ging dort vor. Ich wusste nicht, ob ich noch näher herangehen konnte, aber ich musste wissen, was mit meiner Familie passiert war. Noch bevor ich wieder aufstehen konnte, um mich näher heranzuschleichen, keckerte es leise hinter mir. Ich schoss herum, bereit mich zu verteidigen. Hinter mir, einige Meter entfernt, stand der Tektek-Dämon und starrte mich mit seinen vier glühenden Kohleaugen an. Das war mir letztes Mal schon aufgefallen. Manchmal hatte der Dämon vier Augen und manchmal nur zwei, die dann aber dunkel waren. Sehr seltsam.

Er musterte mich eine Weile, dann sagte er, »du solltest da nicht hingehen. Sie sind nicht mehr da. Sie haben sie mitgenommen, aber sie haben etwas dagelassen.«

»Den Fetan!«, sagte ich atemlos.

Der Tektek-Dämon nickte bestätigend und ging.

»Warte! Du kannst doch nicht einfach abhauen!«, rief ich ihm empört hinterher, aber er hörte nicht auf mich, sondern verschwand einfach in der Dunkelheit. »Na, das ist ja hilfreich«, dachte ich genervt. Was sollte ich jetzt tun? Meine Tante Claire war ein Skoff, meine Eltern und meine Großmutter verschwunden, Kadmus Kentrendan vermutlich auch. Ich hatte keine anderen Verwandten, außerdem musste ich herausfinden, wo sie sie hingebracht hatten. Mutlos ließ ich mich auf den Boden sinken. Wenigstens hatte mir meine Mutter noch ein paar Sachen eingepackt. Ich zog den Rucksack herunter und inspizierte sein Innenleben. Außer Wäsche zum Wechseln war da noch ein Pulli, ein paar Kekse, Brote mit Käse, eine Flasche Wasser, eine Taschenlampe und ein Kuvert mit ein paar hundert Euro, mein Reisepass und … Schmerzmittel. Das hatte ich ja noch nie bekommen. Womit rechnete sie denn? Tränen begannen meine Wangen hinunter zu laufen. Ich unterdrückte ein Schluchzen. Der Fetan hörte zwar nicht gut, aber ich wollte ihn trotzdem nicht auf mich aufmerksam machen. Rasch stopfte ich die Sachen wieder in den Rucksack zurück und hängte ihn um.

Ein letzter Blick auf das Haus ließ mich erstarren. Oben auf dem Dach erschien ein ziemlich großer Schatten, der seine Flügel streckte. Der Fetan schlug ein paarmal mit ihnen, das Rauschen konnte ich bis zu mir herüber hören. Dann stieß er sein schauriges Jaulen aus und hob ab. Was die Nachbarn davon hielten, wollte ich gar nicht wissen. Gebückt schlich ich in die andere Richtung davon. Doch das Rauschen folgte mir und ich stellte mit Entsetzen fest, dass der Fetan genau in meine Richtung flog. Mon Dieu! Hatte der mich etwa gesehen. Mir fiel nichts Besseres ein, als mich unter einem kleinen Busch flach auf den Boden zu werfen. Über mir rauschte es. Ich wagte nicht einmal mehr zu atmen. Dann hörte ich den Hund des Schäfers wild kläffen, dem sich unruhiges blöken anschloss. Hufe trappelten panisch über die Wiese. Der Hund gebärdete sich wie verrückt und dann hörte ich ein Schaf schreien. So etwas hatte ich noch nie gehört. Ich hielt mir die Ohren zu. Es war einfach nur furchtbar. Nach ein paar Minuten war es vorbei, das Schaf war wohl tot. Ich nahm die Hände herunter und linste wie hypnotisiert auf die Wiese hinüber. Ich musste wissen wo das Untier war. Die Schafe waren in alle Richtungen davongestoben, aber nur wenige Meter von mir entfernt saß der Fetan und riss Stücke aus dem toten Schaf heraus. Der Fetan fraß genüsslich, aber mir gefror das Blut in den Adern. Zum ersten Mal sah ich diese Kreatur in ihrer vollen Größe und aus nächster Nähe. Sie war so groß wie ein Lastwagen, aber vermutlich nicht so schwer, denn sonst wäre wohl unser Haus eingestürzt als er auf dem Dach saß. Er hatte vier Beine, die in scharfe Vogelkrallen übergingen. Die Beine waren nicht behaart und ganz rot und schuppig. Die Flügel bestanden aus einer Art Lederhaut, mit ein paar wenigen Federn an den Kanten. Nur der Körper war über und über von dieser langen braunen Wolle bedeckt, die mich an ein Lama erinnerte. Der Fressvorgang war ekelerregend. Ich wollte nicht mehr hinsehen. Es dauerte eine geschlagene halbe Stunde, bis der Vogeldrachen fertig war. Zum Starten musste er eine gute Strecke über das Feld laufen, bis er schnell genug war, dass er abheben konnte. Wie Tölpel, die auch eine lange Anlaufstrecke hatten. Dann kehrte er in einem weiten Bogen zum Haus meiner Eltern zurück und setzte sich wieder auf das Dach. Die armen Schafe. Viel würde von dieser Herde wohl nicht übrigbleiben, wenn das Ungeheuer noch lange hierblieb. Ich hatte keine Zeit die Schafe zu retten, sondern hoffte, dass der Schäfer sie wegbringen würde, wenn er merkte was mit seinem Schaf geschehen war. Jetzt wollte ich nur noch weg, so schnell wie möglich. Tief gebückt lief ich den Feldweg entlang, auf den Wald zu. Die Bäume würden mich schützen. Ich musste es unbedingt bis dahin schaffen, denn dort konnte mich der Fetan bestimmt nicht mehr sehen. Zum Glück kam der Wind von hinten. So konnte er mich hoffentlich auch nicht riechen.

Der Wald umschloss mich mit seiner Dunkelheit und ich tauchte in ihm unter. Ich lief Richtung Stetten. Die zwei Kilometer hatte ich noch nie so schnell hinter mich gebracht. Keuchend blieb ich im Dunkeln unter ein paar Bäumen stehen und lauschte. Es war nichts zu hören, außer den üblichen Geräuschen des nächtlichen Waldes. Der Fetan hatte offenbar nicht bemerkt, dass ich ihm gerade entkommen war. Aber wo sollte ich hin? Vielleicht sollte ich nach Carnac fahren. Aber was dann? Dort waren die Druiden und Claire war ein Skoff. Meine Freunde würden mir bestimmt helfen, aber dann würde ich sie in Gefahr bringen. Nein, das konnte ich nicht tun. Sollte ich nach Irland fahren? Vielleicht gingen meine Eltern doch dorthin. Wenn Kadmus Kentrendan Wort hielt, dann würde er dafür sorgen, dass sie ihnen nichts taten. Aber dazu musste ich ein öffentliches Verkehrsmittel benutzen und das überwachten sie bestimmt. Die Erkenntnis, dass ich auf der Erde nirgendwo hinkonnte, kam langsam und mit der Erkenntnis wuchs meine Verzweiflung. Es gab nichts und niemanden, der mir helfen konnte … außer … Thomy. Thomy würde mir helfen. Er gehörte zu den Abtrünnigen, die die Regierung bekämpfte. Da war ich mir ziemlich sicher. Er führte Krieg gegen diese Leute, für die ich nun ein Feind war. Die Dämonen waren mir etwas schuldig. Dieser Wrehs sah stark aus. Mein Herz machte einen kleinen aufgeregten Hüpfer bei dem Gedanken an Thomys Halbbruder. Ich stopfte das Gefühl wieder dahin zurück, wo es hergekommen war. Der Kerl konnte mich doch gar nicht leiden, wieso sollte ich ihn dann mögen. Egal, auch er verdankte mir seine Freiheit und womöglich sein Leben. Sie konnten mir helfen und meine Eltern befreien. Ich musste zurück nach Aremar und ich wusste auch, wie ich das bewerkstelligen konnte. Entschlossen setzte ich mich in Bewegung und stand ein paar Minuten später vor dem Haus von Maria Mahler, Thomys Mutter.

Die Prophezeiung der Eriny

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