Читать книгу Plastikspur - Lara Elaina Whitman - Страница 7
Traurige Nachricht
ОглавлениеBeunruhigt ging Miriam Schlohwächter ans Telefon. »Helmut?«
»Miri, du musst sofort in die Esslinger Stroke Unit kommen. Corinna hatte einen Schlaganfall.«
Wie vom Donner gerührt blieb Miriam stehen. »Was? Das ist doch unmöglich!«
Ihre Schwester Corinna war der Inbegriff von Fitness und Gesundheit. Corinna war einige Jahre älter als Miriam und genaugenommen war sie nur ihre Halbschwester. Ihr Vater hatte Miriams Mutter ein paar Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau geheiratet. Das hatte tüchtig Gerede gegeben, denn Miriams Mutter war fünfundzwanzig Jahre jünger gewesen, als sie geheiratet hatten. Da war Corinna schon fünfzehn gewesen. Deshalb war ihre Halbschwester schon immer mehr eine Freundin für ihre Mutter, als eine Tochter.
Mit Tränen in den Augen sagte Miriam, »ist es schlimm?«.
»Kommt darauf an. Sie hat keine Körperlähmung zurückbehalten und kann auch sprechen. Nur das linke Auge und die linke Gesichtshälfte sind gelähmt. Trotzdem … ich kann es nicht glauben«, Helmut hörte sich an, als würde er gleich weinen. »Sie hätte sterben können.«
»Ich fahre sofort in die Klinik. Treffen wir uns dort?«
»Ja … Ich bleibe hier«, kam es stockend aus dem Telefon.
Ihr Schwager weinte jetzt doch nicht etwa? Mit schnellen Schritten lief Miriam zu ihrem Wagen und fuhr nach Esslingen hinunter. Ein Schlaganfall? Bekamen das nicht nur alte Leute? Welche, die ungesund gelebt hatten? Sie wusste es nicht. Genaugenommen wusste sie überhaupt nicht viel über dieses Thema. Sie war ja noch jung, gerade einmal neunundzwanzig, und so etwas war ganz weit weg für sie.
Miriam hetzte über den großen Platz vor dem Haupteingang der Esslinger Klinik. Helmut stand wie ein Häuflein Elend vor der großen Glastür, daneben Erna, ihre Mutter, die ebenfalls ziemlich bleich und ängstlich aussah.
»Hallo! Wie geht es ihr?«
Miriam drückte die beiden kurz.
Helmut wischte sich die Tränen aus den Augen »Sie ist gerade im CT. Es dauert eine Stunde. … Kommt, wir gehen in die Cafeteria. Ich brauche einen Kaffee. Ich bin schon die halbe Nacht hier.«
Helmut ging voran durch den Haupteingang hinein. Die Cafeteria des Krankenhauses befand sich gleich schräg gegenüber vom Eingang. Helmut holte Kaffee für alle, während Miriam ihre Mutter zu einem der Tische dirigierte. Bei Erna brach die Selbstbeherrschung zusammen. Sie fing an zu weinen.
»Mama, bitte!«
Miriam nahm ihre Hand. Ihre Mutter hing an Corinna, genauso wie an ihrer eigenen Tochter. Es spielte keine Rolle, dass Corinna nicht ihr leibliches Kind war.
»Wir sind ziemlich geschockt. Wusstest du, dass Schlaganfälle die dritthäufigste Todesursache sind?«
»Ich weiß eigentlich nicht viel darüber«, antwortete Miriam verhalten.
»Es ist schlimm. Hoffentlich können sie ihr helfen. Ich habe gehört, dass die meisten in den ersten vier Wochen versterben.«
Erna schluchzte herzerweichend.
»Aber du hast doch gesagt, dass es ihr nicht so schlecht geht«, versuchte Miriam ihre Mutter zu beruhigen.
»Ja, du hast recht. Wir sollten uns nicht so aufregen, bevor wir nichts Näheres wissen. Die Ärzte gehen sowieso von einer Migräne aus, aber das halte ich auch für Unfug.«
Helmut schüttelte entrüstet den Kopf.
»Wieso denn Migräne?«
»Na wegen der Sehstörungen und weil sie sonst keine Lähmungen hat. Sie war eben so gesund. Das hat bestimmt geholfen, wenn du mich fragst. Kein Cholesterin, kein Bluthochdruck, trinkt nicht, raucht nicht, ist sportlich, kein Zucker und so weiter. Da fehlen dann schon mal die logischen Erklärungen, die Ärzte eben so brauchen.« Helmut zuckte mit den Schultern.
Miriam trank ihren Kaffee leer und hielt tröstend die Hand ihrer Mutter für eine Weile. Erna zitterte am ganzen Körper, obwohl es ziemlich warm war. Das nahm sie ganz schön mit. Auch Helmut ließ den Kopf hängen. Er sah so mutlos aus. Miriam war nicht bereit, so schnell aufzugeben. Sie kannte Corinna. Die würde das schon schaffen. Aufmunternd drückte Miriam die Hand ihrer Mutter.
»Die Stunde ist um. Wollen wir nach ihr sehen?«, sagte sie mit einem Blick auf ihre Uhr.
Die beiden nickten. Zusammen gingen sie in die Stroke Unit. Corinna lag im ersten Zimmer. Miriam erschrak ein wenig, denn das linke Auge ihrer Schwester bewegte sich nicht und blickte in eine ganz andere Richtung, als das rechte. Es sah irgendwie gruselig aus. Miriam beherrschte ihre Gefühle. Corinna sollte ihr den Schreck nicht anmerken.
»Hallo Corinna, wie geht es dir?« Miriam strich ihrer Schwester ein paar Strähnen roten Haares aus der Stirn.
»Besser, als denen da.«
Corinna deutete auf die anderen beiden Betten in denen Menschen lagen, ziemlich alte, wie Miriam nach einem kurzen Blick feststellen konnte. Sie bewegten sich nicht.
»Bis auf deine Augen siehst du auch so aus wie immer.« Miriam musterte ihre Schwester gründlich.
Corinna schnaubte kurz. »Wie immer? Ich schiele und sehe doppelte Bilder. Davon ist mir ständig übel und schwindelig. Außerdem komme ich gerade mal bis ins Bad gegenüber. Mehr schaffe ich nicht. Wofür bin ich eigentlich dreimal die Woche zehn Kilometer gewalkt?«
Corinna haderte mit ihrem Schicksal. So kannte Miriam sie gar nicht. Meistens war ihre Schwester der Inbegriff von Tatkraft und jammern gab es nicht.
»Wenigstens kannst du gehen«, rutschte es Miriam heraus.
»Ja, und Glück hatte ich auch noch dabei, oder was?«, antwortete Corinna genervt und nestelte an ihrer Infusion herum.
»Nein, das wollte ich so nicht sagen. Ich bin froh, dass du noch lebst.« Miriam drückte die Hand von Corinna in der keine Nadel steckte.
»Ich weiß, ich weiß. Ich kann mich nicht damit abfinden. Gerade konnte ich noch zehn Kilometer problemlos laufen, danach den Garten umpflügen und noch einen Kuchen backen und jetzt schaffe ich es kaum mir die Zähne zu putzen. Das ist so schlimm.«
Tränen traten in Corinnas Augen.
Helmut nahm sie in den Arm. Es wurde still im Zimmer. Nur das Piepen der Überwachungsgeräte störte die Ruhe. Dann schlief Corinna ein.
»Ich bleibe da. Sie schläft zwar die meiste Zeit, aber es ist gut, wenn jemand von uns bei ihr ist, wenn sie wieder aufwacht. Der Schlaganfall war sehr anstrengend für sie.«
»Ja, danke, Erna. Ich muss mich dringend hinlegen und ich sollte noch etwas arbeiten. Ich komme abends wieder.«
Helmut gab Erna einen Kuss auf die Stirn und ging.
Miriam setzte sich auf einen der Stühle.
»Irgendwie kann ich das nicht glauben. Sie war doch so gesund. Hat sie nicht letztens sogar ein Blutbild machen lassen? Da hätten die das doch sehen müssen!«
»Haben sie aber nicht. Die Ärzte sind sich nicht sicher, was sie hat. Aber Corinna meint, dass sie definitiv einen Schlaganfall hatte. Warten wir ab. Hauptsache sie wird wieder gesund.« Erna versuchte sich Zuversicht einzureden.
Miriam überlegte, ob sie das auch versuchen sollte, aber das war gar nicht so einfach. Diese ganze Umgebung hier hatte ihr schon einen ziemlichen Schock versetzt. Wenn sie die anderen Patienten ansah, wurde ihr ganz anders. Trotzdem, sie kannte ihre Schwester, die war sehr stark und zielstrebig, sie würde das schaffen. Nach einer Weile nahm ihre Unruhe zu. Im Augenblick konnte sie hier nicht viel ausrichten und sie musste ja auch noch arbeiten.
»Mama, ich komme auch abends wieder. Ich muss noch etwas erledigen«.
Miriam stand auf. Ihr war gerade eine Idee gekommen. Ihre Mutter nickte abwesend und widmete sich dann wieder Corinna. Leise verließ Miriam das Zimmer und ging zu ihrem Auto.