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Ein mysteriöser Anruf

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Auf dem Weg nach Filderstadt überlegte Miriam Schlohwächter, wie sie weiter vorgehen wollte. Für Corinna konnte sie im Augenblick nichts tun und im Krankenhaus abzuhängen brachte weder ihrer Schwester noch ihr selbst etwas. Miriam entschloss sich zu der Kläranlage Fleinsbach im Industriegebiet in Stetten zu fahren. Vielleicht konnte sie mit ein paar Leuten sprechen. Rogers Bemerkung über Schadstoffe im Trinkwasser hatte sie auf die Idee gebracht.

Nachdem Miriam ihr Auto am Straßenrand geparkt hatte, lugte sie über den Zaun. Es sah alles recht ruhig aus. Kein Mensch war zu sehen. Wie ein Einbrecher schlich sie sich durch das Tor hinein und bis nach vorne zu den Klärbecken. Der Geruch in der Luft war unangenehm. Durch das warme Wetter stank das Klärbecken mehr als sonst. Miriam warf einen angewiderten Blick auf die schlammgrüne Flüssigkeit, die träge in einem der Becken trieb. Ein Mann in Arbeitskleidung stand auf der anderen Seite am Rand des Beckens. Er kehrte ihr den Rücken zu. Miriam überlegte, ob sie sich wieder hinausschleichen sollte, entschied sich dann aber anders. Sie räusperte sich leise.

Der Mann drehte sich abrupt zu ihr um und sah sie mit abweisendem Gesichtsausdruck an. Dann kam er mit raschen Schritten zu ihr herüber. »Die Anlage ist für den Publikumsverkehr geschlossen«, sagte er bestimmt.

Miriam zückte ihren Presseausweis, so wie im Film. »Mein Name ist Miriam Schlohwächter. Ich bin Journalistin beim „Filderstädter“. Wir machen eine Recherche über wichtige Einrichtungen der Gemeinde.«

Das war zwar nicht ganz richtig, aber der Zweck heiligte bekanntlich die Mittel.

»Da müssen Sie sich an die Presseabteilung wenden. Ich kann nichts dazu sagen«.

Er schüttelte abwehrend den Kopf und deutete mit einer Handbewegung auf den Ausgang. »Sie dürfen nicht hier sein.«

»Halt, nein, bitte. Ich möchte nur verstehen, wie das Ganze hier funktioniert, in der Praxis. Broschüren habe ich schon, aber das reicht nicht um unseren Abonnenten einen richtigen Eindruck zu vermitteln.«

Miriam setzte ihr schönstes Lächeln auf, das sie hatte, doch vergebens, der Mann war immun dagegen.

»Sie können gerne am Tag der offenen Tür wiederkommen. Ich darf das nicht.«

Zögernd setzte Miriam sich Richtung Ausgang in Bewegung. Heute würde sie keine Auskünfte bekommen und das Nerven hob sie sich lieber für einen anderen Zeitpunkt auf. Wer weiß, was sich während ihrer Recherche noch ergab.

Der Angestellte des Klärwerks passte auf, dass sie auch wirklich ging.

Miriam überlegte fieberhaft, wie sie doch noch zu ein paar Antworten kommen konnte, ohne aufdringlich zu sein. Dann fiel ihr ein, was sie fragen konnte. Es war zumindest einen Versuch wert.

»Kennen Sie Volker Röhn?«

Der Mann blieb so abrupt stehen, dass Miriam befürchtete, er würde in das Becken fallen. »Warum fragen Sie?«

Miriam zögerte kurz. »Er ist heute morgen tot in seinem Haus gefunden worden.«

»Tot? … Das tut mir leid.« Der Angestellte des Klärwerkes wirkte erschüttert.

»Ja, das ist traurig. Kannten Sie ihn?«

»Ja, er war ein paarmal hier. Hatte eine Menge Fragen zur Wasserqualität. Kommen Sie wieder, wenn wir offen haben. Ich muss jetzt wieder arbeiten. Auf Wiedersehen.«

Damit war das Gespräch endgültig beendet, aber Miriam fand es interessant, dass Volker Röhn öfters hier gewesen war. Hoffentlich gab das Internet mehr Informationen preis, als sie hier bekommen hatte, sonst konnte sie den Artikel vergessen. Vielleicht gab es ja bereits Untersuchungen zu dem Thema. Eigentlich interessierte sie ja nur die Frage, ob es tatsächlich Schwermetalle und Schadstoffe im Trinkwasser gab, so wie Roger behauptet hatte. Eine Verbindung zu Volker Röhns Tod sah Miriam darin jedoch nicht. Das war auch zu abwegig, oder? Wegen so etwas brachte man doch keinen um.

Den Rest des Freitagnachmittags verbrachte Miriam damit, alles über das Umweltproblem zu lesen, was sie finden konnte. Es war mehr, als sie gedacht hatte, aber so beunruhigend fand sie das nun auch wieder nicht, eher ein wenig eklig. Wer aß schon gerne Blei, Kadmium oder gar Plastik? Sie jedenfalls nicht.

Als sie genug von der Informationsflut im Internet hatte, fuhr sie zurück in die Esslinger Stroke Unit.

Ihre Schwester war wach. Keiner war da, weder ihre Mutter noch ihr Schwager. Miriam setzte sich auf den Stuhl neben Corinnas Bett.

»Hallo Corinna! Wo ist Mama?«

»Ich habe sie nach Hause geschickt. Sie war so müde. Helmut kommt später.«

Corinna griff nach ihrer Tasse und trank in winzigen Schlucken.

»Ist das Kaffee? Du darfst Kaffee trinken?«

»Ja. Ich kann alles essen und trinken, was ich will. Ich liege nur hier herum und bin so schwach wie ein Neugeborenes, aber Schmerzen habe ich keine. Das hat nicht einmal weh getan, der Schlaganfall. Ich habe ein paar verstopfte Gefäße im Gehirn. Sie haben keine Einblutung gefunden, was wohl gut ist. Deshalb sind meine Schäden auch nicht so groß und ich habe kaum Lähmungen, bis auf mein Auge und mein halbes Gesicht.« Corinna lehnte sich zurück und schloss kurz ihre Lider, sie versuchte es zumindest.

Miriam beschloss einfach nur zuzuhören. Was sollte sie auch sagen? Sie hatte keine Ahnung von dem Thema.

»Das war gruselig. So etwas habe ich noch nie erlebt. Möchte ich auch nicht wieder erleben. Die meisten kriegen ihren Schlaganfall gar nicht so mit. Fallen einfach um. Ich habe alles gemerkt. Vom Verschließen der Gefäße bis zu der Lähmung. Wenn die Verstopfung größer gewesen wäre, dann wäre ich bestimmt gestorben. Eine Ischämie, das ist der Fachbegriff für diesen Verschluss, befindet sich im vegetativen System. Das ist da, wo das Herz und die Atmung gesteuert werden.« Corinna strich sich über die Augen.

»Mama hat gesagt, dass die denken du hättest das von der Migräne«, warf Miriam dazwischen und schob den Gedanken von Corinnas Tod weit von sich.

»Ja! Unglaublich nicht wahr! Als wenn eine Migräne diese Lähmungen verursachen würde. Nein, sie haben sich geirrt. Sie haben die Stellen gefunden. Das MRT hat es letztendlich gezeigt. Ich bin froh, dass ich der Lyse zugestimmt habe. Sie wollten das eigentlich nicht machen, weil sie sich nicht sicher waren, aber dann wäre ich bestimmt gestorben. Da wären dann noch mehr Blutpropfen hängen geblieben und das hätte ich nicht geschafft. Irgendetwas hat mein Blut dicker gemacht. Erna meint, dass es eventuell das Ibuprofen war, welches ich wegen der Kopfschmerzen ab und zu genommen habe. Das soll ja Schlaganfälle auslösen können. Aber dann müssen die Blutplättchen trotzdem an irgendetwas hängen bleiben. Ich habe saubere Adern und keine Ablagerungen im Gehirn, nichts wo sich das festhalten könnte. Ich bin kerngesund. Das ist alles recht seltsam.«

Corinna klang traurig und ein klein wenig zornig.

»Es tut mir so leid, Corinna. Wie geht das jetzt weiter?«

Miriam drückte mitfühlend die Hand ihrer Schwester.

»Tja, drei Tage hier in der Überwachung, dann noch ein paar Tage auf der Station. Danach kann ich auf Kur gehen. Ich muss meine Augen trainieren, damit das Gehirn die verlorengegangenen Funktionen ersetzt. Das dauert wohl ein paar Monate. Gut, dass ich nicht unbedingt Geld verdienen muss, weil Helmut für unseren Unterhalt sorgt. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Ich bin so müde. Jede Tätigkeit ist so anstrengend und ich vergesse ständig alles. Ich fühle mich, als hätte man meine Lebensenergie auf zehn Prozent heruntergesetzt.«

Corinna legte ihren Kopf zurück und schloss erneut ihre Augen.

»Schlaf ein bisschen. Ich komme morgen wieder.«

Miriam streichelte noch einmal über die Wange ihrer eingeschlafenen Schwester und verließ leise das Krankenzimmer.

Auf dem Weg nach Hause fragte Miriam sich ständig, wie das sein konnte, dass Corinna einen Schlaganfall hatte und nahm sich vor, mehr darüber zu lesen. Zuhause setzte sie sich sofort an ihren PC und sammelte alles zusammen, was sie darüber fand. Gleichzeitig suchte sie noch nach Informationen über Umweltprobleme durch Schwermetalle und andere Schadstoffe im Wasser. Um Mitternacht hatte sie genug. Ihre Augen brannten wie Feuer und sie war todmüde. Bevor sie ins Bett ging, hörte Miriam noch den Anrufbeantworter ab. Dazu hatte sie bisher keine Lust gehabt.

Der erste Anrufer war Karl Müller. Der Artikel war freigegeben und würde in der morgigen Ausgabe erscheinen. Dann wünschte er ihr noch ein schönes Wochenende, denn morgen war Samstag und die Redaktion geschlossen. Der „Filderstädter“ erschien nur dienstags, donnerstags und samstags, was praktisch war, da dadurch am Wochenende nicht gearbeitet werden musste. Das galt natürlich nur dann, wenn sie nicht etwas zu recherchieren hatte, so wie jetzt.

Die zweite Aufnahme auf dem Anrufbeantworter war von einer Frau. Miriam zog die Augenbrauen hoch. Die Stimme kannte sie nicht.

»Guten Tag, Frau Schlohwächter. Ich habe gehört, dass Sie sich mit dem Thema Schadstoffeintrag in den Menschen auseinandersetzen. Ich bin eine Bekannte von Volker Röhn und würde mich gerne mit Ihnen treffen. Kommen Sie am Montag Mittag gegen 12:00 Uhr an den Bärensee im Bernhäuser Forst. Seien Sie vorsichtig und stellen Sie keine Fragen mehr.«

Verwirrt starrte Miriam den Anrufbeantworter an. Ein unheimliches Gefühl befiel sie. Sie erkannte nach einer Weile, dass es Angst war. Rasch löschte sie die Aufnahme. Aus irgendeinem Grund fand Miriam das wichtig, aber sie konnte nicht sagen weshalb.

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