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Kapitel 4

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Während ich in der Hocke kauere, hält der Tross der Hellhounds natürlich genau an unserer Tankstelle. Ich erkenne die Stimme des tätowierten Glatzkopfes, der ihr Anführer ist, und beginne zu zittern.

Dreimal sind wir dieser Bande schon begegnet.

Und jedes Mal stand unser Leben auf Messers Schneide.

Marc legt seine Arme um mich. Das tut so unglaublich gut!

Ich weiß, dass er mich bis zu seinem letzten Atemzug verteidigen würde – obwohl er gegen so eine Übermacht keine Chance hätte. So ist Marc eben und dafür liebe ich ihn umso mehr.

»Hey, da war vor Kurzem jemand dran! Ich seh noch eine kleine Pfütze«, ruft eines der Gangmitglieder draußen. »Womöglich der Typ mit seiner Schlampe.«

»Wenn ich die in die Finger kriege, wird sie sich wünschen, sie wäre in der Kapelle verbrannt!«, ruft der Anführer zornig.

Genau der hatte mir wortwörtlich gedroht, mich zu ficken, bis ich krepiere. Wenn sie jetzt anfangen, uns hier zu suchen!

»Ich würde das Miststück am liebsten aufschlitzen für die Brandwunde, die ich wegen ihres Molotowcocktails habe!«, schreit ein anderer.

»Lasst uns verdammt noch mal Leitern beschaffen! Dann stürmen wir dieses Dorf und verbrennen die zwei, wie früher auf dem Scheiterhaufen!«, grölt der Nächste.

»Halt’s Maul und pump gefälligst!«, schreit der Boss so laut, dass mir fast die Ohren klingeln. »Falls wir noch hier sind, wenn die Jailhounds auftauchen, dann werden wir massakriert!«

»Lass uns doch abstimmen, Boss. Ich wäre nämlich dafür, uns in dem Dorf zu verbarrikadieren, wie die zwei.«

»Hast du sie noch alle? Die Jailhounds sind eine regelrechte Armee! Die walzen alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellt. Eine dämliche Mauer ist für die nicht mehr als eine Bodenwelle! Den Nächsten, der über diesen bescheuerten Vorschlag abstimmen will, knall ich höchstpersönlich ab!«

Es wird eine ganze Weile dauern, bis die Hellhounds die Tanks ihrer Motorräder gefüllt haben. Ohne Marc, der mich im Arm hält, würde ich wohl vor Angst sterben.

Die Zeit dehnt sich für mich zu einer gefühlten Ewigkeit.

Als ich schon glauben möchte, dass wir davonkommen, nähern sich schwere Stiefelschritte der Waschanlage.

»Ich fick dich, bist du krepierst!«, hallt in meinem Kopf die Drohung des tätowierten Glatzkopfes wider.

Mein Herz pocht so heftig, dass ich schon fürchte, es wäre tatsächlich zu hören. Starr vor Angst, traue ich mich kaum zu atmen. In mir steigen die bösen Bilder aus meiner Vergangenheit auf. Und zusätzlich die der versuchten Vergewaltigung, als ich nachts überfallen wurde und erst aufgewacht bin, als ein Hellhound schon auf mir lag. In meinem Kopf vermischen sich alle Szenen.

Als wäre mein Körper fremdgesteuert, beginnen meine Arme regelrecht zu schlottern. Ich bin froh, dass Marc mich fester an sich presst, sonst würde ich das Gleichgewicht verlieren. Ich selbst kann rein gar nichts dagegen tun und merke, dass mein Körper anfängt, sich taub anzufühlen.

Doch ich spüre noch Marcs Lippen direkt an meinem Ohr.

Fast nicht zu hören, flüstert er: »Jessy, bleib bei mir.«

Er hat recht, ich darf nicht wieder in so einen apathischen Zustand geraten wie beim Angriff auf unser Dorf! Gut möglich, dass ich gleich um mein Leben rennen muss! Und wenn ich dann völlig steif bin und neben mir stehe, ist es aus mit mir.

Um mich abzulenken, suche ich krampfhaft nach Ideen, wie man einen Mann überwältigen kann, ohne dass er noch Zeit zum Schreien hat.

Dieser Mann ist jetzt in der Waschanlage. Und seine Schritte nähern sich unserem Versteck. Natürlich macht eine Plane neugierig auf das, was darunter verborgen ist!

Als ich, verzweifelt und gespannt wie eine Bogensehne, drauf und dran bin, mich auf den Typ zu stürzen, höre ich ein weiteres Stiefelpaar in die Waschanlage treten. Jetzt sind es auch noch zwei!

Die zu überwältigen, wäre schon schwer, aber ohne dass ein verdächtiges Geräusch entsteht? Unmöglich.

»Hey! Was machst du da drin?«, brüllt der Anführer, der anscheinend als Zweiter hereinkam.

»Sehen, ob ich was Brauchbares finde.«

»In einer Waschanlage voller Altreifen? Du bist echt ein Trottel! Los, raus mit dir! Und sieh gefälligst im Shop nach, aber mach Dampf! Ich will nicht von den Jailhounds überrascht werden!«

Augenblicke später sind wir wieder allein in der Waschanlage und vorläufig gerettet. Den Geräuschen nach zu urteilen, bricht die Bande allmählich auf.

Mein Herz hört aber nicht auf zu pochen, es dröhnt mir förmlich in den Ohren. Und die Angst, die mein Leben immer mehr in den Griff nimmt, lässt kein bisschen locker. Im Gegenteil, sie schnürt mir wortwörtlich die Kehle zu.

Ich ringe nach Luft. Es wird mit jedem Atemzug schlimmer, womöglich wird man es jeden Moment von draußen hören!

Ablenken! Ich muss mich ablenken und an etwas anderes denken! Marcs Gesicht ist direkt neben meinem. Ich nehme seinen Kopf in beide Hände, drehe ihn zu mir und küsse ich ihn aus reiner Verzweiflung. Er ist überrascht, seine Lippen sind zuerst fest und verschlossen, aber nach einem Augenblick lässt er mich ein. Er ist wieder mal unglaublich und schafft es, mich so zu nehmen, wie ich gerade bin. Zunächst erwidert er meinen Kuss ebenso stürmisch, dann bringt er mich langsam durch zunehmende Sanftheit runter, streichelt beruhigend über meine Haare und meinen Rücken.

Als der Lärm der abziehenden Motorräder leiser wird, verharren wir noch eine kleine Weile in der sanften Berührung unserer Lippen und Hände.

Dann rücke ich ein kleines Stück von ihm ab.

»Danke«, hauche ich. »Und tut mir leid. Ich weiß, das war nicht angebracht in dieser lebensgefährlichen Situation.«

»Wir haben das Beste daraus gemacht, findest du nicht?«, flüstert Marc und zwinkert.

»Danke«, wiederhole ich, weil er meinen Ausbruch so humorvoll nimmt und mich nicht beschämt.

Ich will schon aufstehen, da legt er eine Hand auf meine Schulter.

»Bleib hier. Ich schaue erst nach, ob die Luft auch wirklich rein ist. Vielleicht gibt es ja einen Nachzügler.«

Marc ist wieder mal ganz der Beschützer. Und das liebe ich an ihm. In dieser gefährlichen Zeit ist das für mich kein nerviges Machogehabe mehr, weil es mir tatsächlich mal die Haut retten kann. Aber gleichzeitig habe ich Angst um Marc und halte ihn mit einer Hand am Arm auf.

»Bitte, nimm wenigstens meinen Baseballschläger mit«, flüstere ich.

Auch wenn wir uns erst ein paar Tage kennen, möchte ich diesen Überlebenskampf nicht mehr ohne ihn durchstehen müssen.

Leise greift er nach meinem Schläger auf dem Anhänger, hebt die Plane und schleicht sich raus. Ich lausche angestrengt, bereit, jederzeit aufzuspringen.

»Alles okay hier draußen! Sie sind weg und ich kann ihre Bikes noch nicht einmal mehr hören«, kommt kurz darauf die Entwarnung.

Erleichtert schiebe ich die Plane weg, gehe dennoch zögernd und mit wackligen Beinen raus. Die Furcht verschwindet nicht einfach mit der Gefahr – so ist das bei mir eben. Tief in mir drin hat sich die Tatsache festzementiert, dass ich in dieser Zeit an keinem Ort, zu keiner Zeit mehr wirklich sicher bin. Früher lebte man in Mitteleuropa in relativer Sicherheit, wir wussten sie jedoch nie zu schätzen.

Marc hebt die Metallplatte und schraubt die Füllstutzen zu, die die Kerle gerade eben natürlich offen gelassen haben. Denen ist das egal, sie sind wie Wanderheuschrecken, aber wir wollen hier in Zukunft leben. Deshalb werden wir auch keinen Tropfen Sprit verdunsten lassen, den wir eines Tages noch bitter nötig haben.

Als das erledigt ist, brechen wir auf. Ich weise Marc den Weg zum Waffengeschäft, denn ich kenne mich hier ja aus. Schließlich wohnte ich früher in dem kleinen Kaff Espoir und das ist der nächste Ort, der den Namen Stadt zumindest ansatzweise verdient.

Als wir die Bonnie vor dem Laden abgestellt haben, schnappe ich mir meine Brechstange und lege sie mir über die Schulter. Wir schauen uns das mit schweren Gittern gesicherten Geschäft an.

»Gib mal her«, fordert Marc mich auf und greift nach der Stange aus solidem, schweren Stahl.

»Das hat keinen Sinn, glaub mir!«, protestiere ich aus Erfahrung, gebe sie ihm aber dennoch.

Meine Karriere als Einbrecher hat mich gelehrt, was man mit meinem Lieblingswerkzeug vollbringen kann und was nicht. Und wenn echter Hunger einen über Tage quält, schreckt man auch vor brachialer Gewalt nicht zurück, um irgendwo reinzukommen, wo man Nahrungsmittel vermutet. Allerdings bin ich nur in Wohnungen eingebrochen, in denen niemand mehr war, oder besser gesagt: niemand, der noch lebte. Aber selbst das hat seinen Preis. Der Geruch von verwesenden Leichen und der Anblick ihrer madenzerfressenen Überreste hat sich für immer in mein Gedächtnis gebrannt. Auch darum bin ich froh, Marc getroffen zu haben, denn es macht einen fertig, tagtäglich, Woche um Woche, Monat um Monat mit dem alltäglichen Horror ganz allein zu sein und mit niemandem reden zu können.

Wir umrunden zu Fuß einmal das Waffengeschäft und Marc verausgabt sich dabei mit der Brechstange, obwohl seine Schusswunde am Bauch immer noch ausheilen muss. Am Ende behalte ich recht.

»Scheiße!«, ruft er frustriert und schlägt meine geliebte Brechstange an die Hauswand.

Ich spare mir zwar einen bissigen Kommentar, aber die Sorge wegen seiner Schussverletzung hat Ärger in mir aufsteigen lassen. Ich reiße sein T‑Shirt hoch und werfe einen Blick auf seinen Verband.

»Gott sei Dank sind deine Wunden nicht wieder aufgerissen! Und jetzt gib her, die brauch ich noch!«

Ich nehme ihm das Brecheisen wieder ab.

»Wir müssen aber unbedingt Munition beschaffen! Du hast sie doch gehört: Die Jailhounds sind im Anmarsch.«

Diese Jailhounds sind angeblich Verbrecher, Überlebende aus allen Gefängnissen des Landes, die man in einer Haftanstalt zusammenlegte. Da es irgendwann auch für die weder Essen noch Wärter gab, setzte man sie gezwungenermaßen auf freien Fuß. Falls die wirklich hier auftauchen …

Ich weigere mich, weiter darüber nachzudenken, sonst bringe ich mich vor lauter Panik noch selbst um. Die Angst ist für mich nämlich das Schlimmste. Also konzentriere ich mich.

»Tagesaufgabe«, murmele ich mehr zu mir. »Wie kommen wir in dieses Waffengeschäft mit seinen Gittern aus Stahl.«

»Und das ohne Geräte, die mit Strom laufen«, ergänzt Marc grimmig und ich merke, ihm gehen auch allmählich die Nerven durch.

»Gib mir ein bisschen Zeit, ich finde schon eine Lösung.«

Ich drehe mich langsam im Kreis und schaue mich um.

»Alles, was hier rumsteht, kann ich verwenden«, sage ich mir selbst.

Die Alarmanlage ist bestimmt durch die EMP-Wellen geschrottet, und falls sie dennoch anspringt, käme eh keine Polizei. Es gibt sie schlicht und ergreifend nicht mehr. Also ist es auch völlig egal, ob ich Lärm verursache oder rohe Gewalt anwende. Alles ist erlaubt …

Das Geschäft befindet sich an einem Wege‑T. Die abschüssige Straße, auf der man am Ende nach links oder rechts abbiegen muss, endet quasi direkt vor der Eingangstür, wenn man den Gehweg mal außer Betracht lässt. Und da steht ein alter VW-Käfer, der mit Sicherheit schwerer als ein moderner Mittelklassewagen ist.

Ich sehe Marc an und zwinkere ihm zu.

»Du darfst mich Wiki nennen.«

»Wiki?«

»Kennst du nicht Wiki und die starken Männer? Mir kam nämlich gerade ein genialer Einfall!«

Mit meiner Brechstange heble ich den Kofferraum hinten auf und finde natürlich den Motor.

»Typisch Käfer, der Kofferraum ist vorn. Hätte ich wissen sollen.«

Also gehe ich nach vorn und breche auch da die Haube auf. In dem kleinen Kofferraum ist genau, was ich suche: Neben dem Ersatzrad liegt ein Abschleppseil.

»Jetzt kann es losgehen, Marc!«

Ich weihe ihn in meinen Plan ein …

Zeit zum Überleben - Zukunft

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