Читать книгу 8 Verse für ein Halleluja - Lars Quittkat - Страница 4

Samstag, 12. Juni, frühmorgens

Оглавление

„Komm, Billy, komm weiter!“ Die alte Dame sah zu dem Dackel zurück, der neben dem Häuschen an der Bushaltestelle unter dem Papierkorb schnüffelte. Jetzt drehte er sich so, dass er an dem Pfahl sein Bein heben konnte, hinterließ einen Gruß für spätere Hundenasen und trottete dann weiter, seinem Frauchen hinterher.

Es war so früh am Morgen, dass die Welt noch in einem dämmrigen Grau lag. Die Straßen waren leer, die Menschen des Dorfes schliefen noch, denn es war Wochenende. Nur bei dem Hof, der jetzt links von ihr lag, drang bereits Licht aus dem Vorraum des Stalls. Sie atmete tief ein – noch war die Luft klar und frisch. Bald würde die aufsteigende Sonne die Häuser und Gärten mit strahlender Sommerwärme überziehen. Die meisten Dorfbewohner liebten eher die Wärme, doch ihre liebste Tageszeit war der kühle Morgen mit seinem diffusen Licht und dem lauten Vogelgezwitscher, das sie auf ihrem Spaziergang begleitete.

Billy hatte sie inzwischen überholt und war vorausgelaufen. Seine nächste Station war die Edeka-Ecke, wo tagsüber viele verschiedene Hunde des Ortes an einem Fahrradständer angeleint wurden. Noch war die gelbblaue Leuchtreklame nicht angeschaltet und alles war noch still und dunkel. In etwas mehr als zwei Stunden würde hier reges Treiben herrschen.

‚Gut, dass es diesen Laden von Dieter und Hilde Pohlmann gibt‘, dachte sie. Denn wenn sie Lust auf Gesellschaft hatte, ging sie hierher, meist zusammen mit ihrer Freundin Lieselotte

Rustig. Hier traf man sich, hier gab es den neuesten Klatsch aus dem Dorfleben, und ganz nebenbei konnte man hier auch einkaufen.

Jetzt näherte sie sich langsam dem Kirchplatz, der die Mitte des Dorfes bildete. Die dunkle Silhouette der Kirche erhob sich vor ihr. Schwarz und spitz ragte das Dreieck der Turmspitze in den Himmel empor. Sie sah hinauf. Der Mond verblasste schon und das Licht des heraufziehenden Morgens kündigte sich an. Ihr Hund wartete bereits vor der Kirchentür. Er wusste, dass sie hier auf ihrem Morgenspaziergang immer für einen Moment innehielt. So war es auch heute. Sie ließ sich mit einem kleinen Seufzer auf der Bank nieder, die neben dem Eingang zur Kirche stand, sah zum Gemeindehaus hinüber und von dort aus weiter zum Pfarrhaus. Nur dunkle Umrisse, kein Licht. Pastor Braun schlief bestimmt noch und seine Familie ebenfalls.

‚Heute wird er sicherlich an seiner Predigt für morgen arbeiten‘, dachte sie und schloss die Augen. Sie betete für ihn, für seine Frau, die zwei Kinder und für die ganze Gemeinde. Das tat sie jeden Morgen, jedenfalls solange das Wetter es zuließ. Sie spürte die Schnauze von Billy an ihrem Knie. Er wusste anscheinend genau, wann ihr Gebet zu Ende war, und manchmal, wenn sie seiner Meinung nach zu lange auf der Bank verharrte, mahnte er mit einem Stupser, sie solle endlich zum „Amen“ kommen, damit sie weitergehen konnten.

„Ich komm ja schon“, sagte sie und stützte sich auf die Armlehne der Bank, um wieder aufzustehen. Manchmal meldete sich ihr alter Rücken, aber sonst war sie noch ganz gut zu Fuß für ihre fast fünfundachtzig Jahre. Gut, ihre Freundin Lieselotte war über zwei Jahre älter und marschierte durchs Dorf, als könnte sie noch locker den gesamten Jakobsweg entlangpilgern. Aber man musste dankbar und zufrieden sein.

Weiter ging es in eine Seitenstraße, immer geradeaus und dann links durch die Siedlung. Die meisten Leute, die hier wohnten, kannte sie nicht, denn sie waren erst in den letzten Jahren hierher gezogen. Doch drüben in dem weißen Haus, das wusste sie, wohnte Frau Anders mit ihrer Tochter. Jeden Sonntag sahen sie sich im Gottesdienst.

‚Eine sehr nette junge Frau‘, dachte sie, und schüttelte wieder einmal den Kopf bei dem Gedanken, dass der Mann von Frau Anders sie damals verlassen hatte, als die Kleine gerade auf die Welt gekommen war. Das jedenfalls wollte Lieselotte gehört haben, von Frau Pohlmann an der Fleischtheke. Unbegreiflich war das, wie sie fand. Sie machte sich viele Gedanken über die Menschen, die hier wohnten. Warum beispielsweise war der Nachbar von Frau Anders ausgerechnet hierher in ihr Dorf gezogen? Ursprünglich, so erzählte man sich im Dorf, kam Herr Thoma aus Bayern, war alleinstehend und kannte hier niemanden. Aber schnell kannten ihn alle anderen, diesen hünenhaften Kerl mit der befremdlichen Aussprache.

„Tja“, sagte sie laut zu sich selbst. Billy schaute kurz zu ihr auf, als könnte er sie verstehen. Was wusste man schon davon, was in Menschen vorging?

Die kurzen Dackelbeine wurden schneller. Billy wusste, dass es nun aus dem Dorf hinaus in die Marsch ging, bevor sie wieder nach Hause kommen würden. Hier gab es am Rande des Feldwegs aufregende Gerüche und manchmal gelang es ihm sogar, einige Fasane aufzuscheuchen.

Sein Frauchen folgte ihm langsamer. An der Ecke zum Feldweg blieb die alte Dame kurz stehen und drehte sich noch einmal um. Der Ort lag friedlich unter einem Himmel, der sich nun rot und golden färbte. Hinter der Spitze des Kirchturms kam schon der Rand der Sonne zum Vorschein. Das Grau der Dämmerung verschwand, die Farben traten immer deutlicher hervor. Ein neuer Tag begann in ihrem Dorf, ein ganz normaler Samstag.

***

8 Verse für ein Halleluja

Подняться наверх