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4 | Raumschlacht um Nar’gog

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Raumschlacht um Nar’gog


Zeitebene Scobee, ca. 2450 n. Chr.

Scobee sah, wie Porlac eine holographische Positionsübersicht aktivierte. Die Stimmen des Granogk schwollen zu einem schrillen Chor an. Aber es bestand offensichtlich jetzt Einigkeit darüber, was zu tun war. Der Himmel über Nar’gog war von einer Raumschiff-Armada erfüllt. Überall schwebten die Schiffe empor zur Stratosphäre des Jay’nac-Planeten, um den Ankömmlingen begegnen zu können. Hunderte von kristallinen Großeinheiten starteten von der Oberfläche Nar’gogs. Dazu kam eine ungeheure Zahl kleinerer Schiffe, sie ging in die Tausende.

„Was geschieht jetzt?“, fragte Scobee.

Porlac erläuterte es ihr. „Wir versuchen permanent Kontakt aufzunehmen. Aber unsere Kommunikationsversuche werden ignoriert. Da bleibt nur eine Möglichkeit.“

„Der Kampf.“

„Ja.“

Seid ihr dazu denn stark genug?, meldeten sich die Gedanken von Siroona mit einer deutlich spöttischen Note.

„Das wird sich herausstellen“, lautete Porlacs nüchterne Erwiderung.

Auf der Positionsanzeige war zu erkennen, wie sich fast die gesamte verfügbare Flotte der Jay’nac um die Chardhin-Perle sammelte. Die gigantische Kugel hatte indessen ihre Geschwindigkeit verringert und erheblich abgebremst, bewegte sich allerdings immer noch langsam auf Nar’gog zu, sodass das Objekt für einen Betrachter an der Oberfläche des Planeten immer größer wurde.

Ein mehr als imposanter Anblick.

Scobee fragte sich, wer sich wohl an Bord der Perle befinden mochte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Gloriden dazu in der Lage gewesen wären, eine CHARDHIN-Station aus der Verankerung jenseits des Ereignishorizontes zu lösen und letztlich wie ein Raumschiff zu manövrieren. Die Gloriden waren schließlich von den ERBAUERN nur zur Verwaltung dieses fantastischen Erbes eingesetzt worden – ohne die verwendete Technik wirklich bis in die letzte Konsequenz zu verstehen.

Aber wer dann?, ging es ihr durch den Kopf. Die ERBAUER? Eine andere Schlussfolgerung war eigentlich undenkbar. Wer sollte sonst das immense technisch-naturwissenschaftliche Wissen mitbringen, das zweifellos nötig war, um ein solches Objekt zu bewegen – noch dazu mit dieser Effizienz und Zielstrebigkeit? Scobees Eindruck nach hatten die Gloriden noch nicht einmal gewusst, dass dies überhaupt möglich war.

Die androgynen Wesen, die nach Belieben zwischen einem energetischen und physisch fassbaren Status hin- und herwechselten, waren eben mal in der Lage, die vorgefundene Technik der ERBAUER zu benutzen, aber sie durchschauten sie nicht wirklich. Ihnen fehlte ein Verständnis der fundamentalen Gesetzmäßigkeiten des Universums, das tief genug war, um daraus technische Möglichkeiten von so gigantischen Ausmaßen herauszudestillieren wie es das universelle Netz der CHARDHIN-Perlen darstellte.

In all den Äonen, in denen die Gloriden die Perlen verwaltet und das dazugehörige Transportsystem aufrecht erhalten hatten, waren sie niemals imstande gewesen, die vorgefundene Technik auch nur um einen Deut weiterzuentwickeln. Es gab nicht einmal gloridische Modifikationen.

Und noch eine weitere Frage stellte sich für Scobee: War es die CHARDHIN-Perle aus dem Zentrum der Milchstraße, die hier im Nar’gog-System vorstellig wurde? Oder stammte sie aus einer ganz anderen Galaxie?

Alles eine Frage des Antriebs, dachte Scobee. Vermutlich wurde eine Art Transition durchgeführt. Demnach könnte sie fast von überallher gekommen sein. Und im Gegensatz zur Crew der Rubikon dürften diese Superwesen gegebenenfalls auftretende temporale Effekte im Griff gehabt haben.

Schließlich hatten die legendären ERBAUER derlei Nebenwirkungen ja auch jenseits des Ereignishorizontes von schwarzen Löchern in den Griff bekommen – und das war eine wesentlich anspruchsvollere Aufgabe.

Auf der Positionsanzeige war jetzt erkennbar, wie sich die Jay’nac-Schiffe um das goldene Riesenobjekt gruppierten und es einkreisten. Auf allen nur erdenklichen Frequenzen und Kanälen wurden in sämtlichen bekannten Codes Warnungen abgegeben.

Ohne Erfolg.

Die Keelon beteiligten sich ebenso wie die Felorer sehr intensiv an diesem Versuch einer Kontaktaufnahme. Aber das goldene Objekt zeigte allen Bewohnern des Nar’gog-Systems nur die kalte, metallisch wirkende Oberfläche.

Das Granogk gab schließlich Feuerbefehl für eine Warnsalve. Von allen Seiten schossen Strahlenbahnen von geringer bis mittlerer Intensität auf die Außenhaut der Chardhin-Perle zu.

Doch die Wirkung blieb aus. Es gab keinerlei Beschädigungen – und auch keine Reaktion der Perlenbesatzung, wenn man einmal davon absah, dass das Objekt seine Geschwindigkeit nun auf nahezu null abgesenkt hatte.

Aber ob das wirklich eine Reaktion auf den Angriff war, konnte niemand genau sagen. Es war ebenso gut möglich, dass die Perle nun einfach bereits die angestrebte Zielposition erreicht hatte.

Was auch immer ihre Besatzung dort vorhaben mag!, ging es Scobee schaudernd durch den Kopf.

Die Kristallbrocken können nicht kämpfen, lautete Siroonas herablassender Kommentar über die Abwehr der Jay’nac. Eine Flotte von Foronen wäre anders gegen den Aggressor aufgetreten. Die Jay’nac offenbaren erbärmliche Qualitäten ...

Erneut wurde eine Salve befohlen.

Diesmal feuerten die Jay’nac-Schiffe jedoch mit sehr viel höherer Intensität. Von Warnschüssen konnte nicht mehr die Rede sein.

Die Nachricht verbreitete sich rasch, dass ein unsichtbarer Feldschirm die Perle einhüllte und vor dem vernichtenden Einfluss des Beschusses schützte.

Die Perle bewegte sich weiter und verharrte schließlich in einer Höhe von exakt zehn Kilometern direkt über dem Granogk – bis zu ihrer Unterseite gemessen.

Der optische Eindruck war überwältigend. Dieses riesige Objekt lastete schwer auf den Jay’nac, die sich auf der Oberfläche Nar’gogs befanden.

Bewegung kam in die Kristallwesen. Es gab bereits einige unter ihnen, die das Gebiet unterhalb der Perle verließen. Manche stiegen empor, um die Verteidiger in ihrem wenig Erfolg versprechenden Kampf zu unterstützen. Andere wiederum wollten sich wohl einfach nur aus der unmittelbaren Gefahrenzone bringen.

Jede Flucht ist sinnlos, überlegte Scobee. Die Herren der Perle – wer auch immer das im Augenblick sein mag – haben zweifellos die Macht, den gesamten Planeten zu zerstören, wenn sie dies beabsichtigen.

Scobee bekam am Rande mit, dass Porlac offenbar in heftige Beratungen mit dem Granogk verstrickt war, die allerdings schon nach ungewöhnlich kurzer Zeit beendet waren. Danach gab Porlac seinen Befehl, der auch vom Granogk gestützt wurde, an die Flotte aus.

Die Jay’nac-Schiffe wurden angewiesen, eine Kugelschale um das Objekt zu bilden und es auf diese Weise einzuschnüren. Es sollte völlig von der Außenwelt abgeschnitten werden.

Schon Sekunden später startete von der Oberfläche Nar’gogs eine weitere Armada aus Schiffen vielfältigster Art und Größe. Bei den meisten handelte es sich einfach um Jay’nac-Körper, die eine raumtaugliche Form annahmen und mit Geschützen ausgestattet worden waren. Sofort begannen sie, eine Art Kokon um die CHARDHIN-Perle zu bilden. Die einzelnen Schiffe formierten sich zu einem Verbund.

Die Operation ging sehr koordiniert vonstatten.

Warum wehrt sich die CHARDHIN-Perle nicht?, fragte sich Scobee. Die Besatzung hätte bestimmt mit Sicherheit die Möglichkeit dazu ...

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V ON TORSTATION 1 AUS verfolgte Felvert die Operation der Jay’nac-Flotte. Ein kleinerer Teil positionierte sich in der Nähe der Station, um sie im Notfall verteidigen zu können. Denn wenn es die Jay’nac-Armada nicht schaffen sollte, den Feind abzuwehren, mussten andere Maßnahmen ergriffen werden. Maßnahmen mit erheblichem Risikopotenzial, an die Felvert im Moment noch nicht denken mochte.

Auf einem großen Holo-Kubus an der Schnittstelle der Steuer-Acht war die CHARDHIN-Perle nur noch zu etwa zwanzig Prozent zu sehen, der Rest war bereits von den Jay’nac eingeschlossen. Die Kristallschiffe strömten zusammen und bildeten anschließend Fragmente einer löchrigen Kugelschale.

„Wir können nur hoffen, dass die Jay’nac-Flotte groß genug ist, um die Perle vollständig zu isolieren“, äußerte sich Boolvert.

„Und dann?“, fragte Felvert.

„Die Perle wird nicht mehr manövrierfähig sein und sich ergeben müssen.“

„Wenn das wirklich die Konsequenz wäre, hätte sich die Besatzung der Perle – aus wem auch immer sie nun bestehen mag – längst gewehrt, Boolvert.“

„Warum tut sie es dann nicht?“

„Ich weiß es nicht, Boolvert.“

„Vielleicht wartet man auf einen günstigen Moment für einen Gegenangriff.“

„Möglich.“

„Aber du denkst an etwas anderes, nicht wahr, Felvert?“

Der Felorer bewegte seinen wurmartigen Körper etwas nach vorne. „Ich denke, dass wir einen Aspekt in unseren Betrachtungen bisher nicht wirklich berücksichtigt haben.“

„Und der wäre?“

„Ich habe Temporalmessungen an dem Objekt vorgenommen. Dabei bin ich zu sehr seltsamen und teilweise widersprüchlichen Ergebnissen gekommen.“

Felvert nahm ein paar Schaltungen vor und öffnete weitere holographische Displays in Säulen und Würfelform, um neue Berechnungen anzustellen.

„Bist du schon zu einem Ergebnis gekommen?“

„Nur zu einem vorläufigen.“

„Und das wäre?“

„Die Widersprüche in den Temporalwerten ließen sich mathematisch erklären, vorausgesetzt man nimmt an, dass dieses Ding seit Beginn des Universums existiert.“

Boolvert glaubte im ersten Moment sich verhört zu haben. „Das dürfte unmöglich sein. Es würde bedeuten, dass das Objekt älter als seine Schöpfer wäre – und ich dachte eigentlich, dass wir uns darüber einig wären, dass es sich um ein künstlich geschaffenes Artefakt handelt.“

Ein ganzer Schwall von Einwänden prasselte nun auf Felvert ein. Es dauerte daher eine ganze Weile, ehe er wieder zu Wort kam.

„Alles, was ich gesagt habe, ist, dass mit diesem Objekt auf temporaler Ebene etwas nicht stimmt“, sagte er dann. „Und das bedeutet, wir müssen uns jeden Schritt genau überlegen.“

„Scobee weiß einiges über dieses Objekt“, erklärte das Porlac-Hologramm. „Sie nennt es eine CHARDHIN-Perle.“

„Dann möchte ich mit ihr reden“, verlangte Felvert. „Und zwar unverzüglich.“

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S COBEE TRAT MIT FELVERT in Verbindung und fasste ihm gegenüber so knapp wie möglich zusammen, was sie über die CHARDHIN-Perlen wusste.

Viel war es nicht. Sie berichtete ihm von den Gloriden und den unbekannten ERBAUERN, von denen es keine echte Spur gab. Sie beschrieb das kosmische Netzwerk, das die Gloriden in Gang gehalten hatten.

„Waren die Gloriden jene Spezies, mit deren Raumschiff du unsere Torstation im intergalaktischen Leerraum erreicht hast?“, erkundigte sich Felvert.

Scobee bestätigte dies. „Ja.“

„Hast du eine Erklärung dafür, dass diese Perle, wie du sie nennst, seit Anbeginn der Zeiten zu existieren scheint?“

„Sie existiert auch bis zum Ende der Zeiten“, erwiderte Scobee.

„Oh, ich wusste nicht, dass Hellsichtigkeit zu den Fähigkeiten deiner doch eher mit bescheidenen geistigen Fähigkeiten ausgestatteten Rasse gehört“, gab Felvert fast schon süffisant zurück.

Seltsam, dachte Scobee. Bei jedem anderen hätte das jetzt so richtig herablassend geklungen. Bei ihm nicht. Da klingt es eher ... verzeihlich.

Sie blieb gelassen, während Felvert das Hologramm, das sie wiedergab, aufmerksam mit seinen Sinnen erfasste. „Die Gloriden nennen dieses Phänomen Permanenz“, sagte sie. „Die Perlen sind so in der Zeit verankert, dass sie permanent existieren. Wie sie das schaffen, weiß ich nicht. Und mir ist auch nicht klar, ob diese Permanenz aufgehoben ist, sobald eine Chardhin-Perle die Zone hinter dem Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs verlässt.“

„Ich verstehe“, sagte Felvert.

„Ehrlich gesagt, wusste ich bisher nicht einmal, dass die Perlen überhaupt dazu in der Lage sind, ihre Sphäre auch zu verlassen. Meines Wissens haben die Gloriden die niemals geschafft – aber vielleicht bin ich auch nur falsch unterrichtet, oder ich habe sie unterschätzt.“

„Fürs Erste wissen wir genug“, erklärte Felvert.

Was bin ich für ihn?, dachte Scobee. Ein Affe, der etwas von der Relativitätstheorie aufgeschnappt hat und versucht, es wiederzugeben? So in der Art muss ich mir meinen Status wohl vorstellen... Und ich kann ihm dabei noch nicht einmal widersprechen!

Die Verbindung wurde unterbrochen.

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E INE MELDUNG DER KEELON traf ein, wonach auch der jüngste – und letzte – Versuch einer Verständigung gescheitert war. Und die Außenhülle der Chardhin-Perle ortungstechnisch zu durchdringen, erwies sich als ebenso unmöglich, wie ihr durch Beschuss mit Energiestrahlen zu schaden.

„Eine Meldung der Jay’nac-Flotte trifft ein“, meldete einer der untergeordneten Tormeister. „Der Kokon um die Perle ist vollendet. Der Feind ist eingeschlossen. Nach Ansicht des Granogk bleibt ihm nur noch die Möglichkeit der Kapitulation.“

„Schön wär’s“, murmelte Felvert, ihm fehlte der Glaube.

„Immerhin hat es keine weitere Positionsveränderung der Perle gegeben“, stelle Boolvert mit Blick auf die Ortungsanzeigen fest. „Das könnte man doch als gutes Omen deuten, oder?“

„Oder als Zweckoptimismus“, erwiderte Felvert, der sich unbeirrt seinen Berechnungen widmete.

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„ WIR HABEN ES GESCHAFFT“, glaubte Porlac. Und das Granogk teilte seinen Optimismus.

„Diese Perle wurde dazu geschaffen, den Gewalten jenseits des Ereignishorizonts eines Schwarzen Lochs zu trotzen“, stellte Scobee indessen sehr viel nüchterner fest. „Wer diesen Kräften die Stirn bietet, wir sich durch das, was man auf Nar’gog aufzubieten hat, kaum beeindrucken lassen.“

Ausnahmsweise sind wir mal einer Meinung, kommentierte die Gedankenstimme Siroonas ihre Worte.

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„ DIE KEELON MESSEN eine temporale Unregelmäßigkeit an. Leichte Verzerrungen in der Raumzeit“, meldete Boolvert. „Sie umgibt das Objekt und breitet sich aus.“

Felvert war wie elektrisiert.

„Das passt ins Bild“, stellte er fest, ohne dass einer der anderen Tormeister dies begriff. Er blickte zu dem Holo-Kubus und wartete zwei Sekunden.

Dann brach das Inferno aus.

Das habe ich befürchtet!, dachte Felvert. Aber es gab wohl keine Möglichkeit mehr, das Unglück aufzuhalten... Und jetzt wird uns nichts anderes übrig bleiben, als den ANDEREN Weg zu beschreiten ...

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A UGENBLICKE, BEVOR am Himmel von Nar’gog die Hölle losbrach, hatte Siroona mit ihren hochsensiblen Foronensinnen eine Wahrnehmung, die sie nicht näher zu erklären vermochte. Sie bildete jedenfalls das Kopfteil ihrer Rüstung zurück und ließ es anschließend wieder über ihr augenloses Gesicht fahren, so als nähme sie an, dass ihre Empfindung etwas mit dem Anzug zu tun hätte.

Aber das war offenbar nicht der Fall.

Während sie zuvor überwiegend am Boden gekauert hatte, um die Kräfte ihres alt gewordenen Körpers so sparsam wie möglich zu verwenden, stand sie jetzt auf und ging ein paar Schritte völlig unmotiviert auf und ab.

„Was ist los?“, fragte Scobee.

Schweig!!

In diesen Gedankenbefehl legte sie so viel Präsenz, dass Scobee schon fast an die gemeinsamen Zeiten auf der RUBIKON erinnert war.

Scobee kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken. Sie blickte zu dem riesigen Objekt am Himmel, das wie ein Mond kurz vor dem endgültigen Fall über dem Granogk hing.

Die Chardhin-Perle und der sie umgebende Kokon aus Jay’nac-Raumschiffen.

Einzelne Elemente dieser Schale platzten jetzt heraus. Feuer kam darunter zum Vorschein. Die kristalline, kugelförmige Hülle, die von den Jay’nac-Schiffen geformt worden war, brach an mehreren Stellen gleichzeitig auseinander. Risse mäanderten an den Übergängen der einzelnen Schiffe über die Oberfläche.

Der Verbund der Jay’nac-Schiffe brach auseinander, und darunter breitete sich eine Glutwolke aus. Zuerst wurden die einzelnen Einheiten davongeschleudert, doch eine unfassbare Kraft hielt sie zurück und kehrte diesen explosiven Vorgang um.

Die Jay’nac-Schiffe wurden in einen glühenden Schlund gesogen, der wie das Tor zur Hölle wirkte. Die CHARDHIN-Perle hatte sich in dieses feurige Monstrum verwandelt. Ein Jay’nac-Schiff nach dem anderen verschwand darin – angezogen von einer Kraft, gegen die die Antriebsysteme nicht den Hauch einer Chance hatten.

Es dauerte nur wenige Augenblicke und der Großteil der zur Verteidigung des Nar’gog-Systems bereitstehenden Kampfraumschiffe war ein Opfer dieses alles verschlingenden Molochs geworden.

Manche feuerten in ihrer Verzweiflung die Strahlenkanonen mit höchster Intensität ab. Aber das nützte den Jay’nac nichts. Einheiten, die herbeieilten, um die in Not geratenen Schiffe ins Schlepp zu nehmen, gerieten ebenfalls in den Einflussbereich jener mörderischen Kräfte, die das Gros der Flotte bereits in den sich immer weiter öffnenden Feuerschacht gezogen hatten.

Schließlich blieb ein Ballon aus purer Glut übrig. Aber diese Glut verschwand innerhalb weniger Augenblicke. Darunter kam wieder die Perle zum Vorschein. So golden und makellos glänzend wie zuvor.

Scheinbar unverwundbar hing sie tief am Himmel von Nar’gog. Eine Materie gewordene Drohung.

„Der Großteil der Jay’nac-Verteidigung ist jetzt eliminiert worden“, stellte Siroona laut fest. „Ich denke, das ist das Ende.“

Scobee konnte noch immer kaum fassen, was sie soeben gesehen hatte. Sie beobachtete Porlac und hörte dem Geraune des Granogk zu. Verschiedene Lösungen wurden erwogen. Aber nur eine überzeugte die Führungsriege der Jay’nac.

Porlac stellte Kontakt zu Felvert und den Keelon her.

„Wir brauchen eure Hilfe“, bekannte der Sprecher des Granogk. „Andernfalls sind wir rettungslos verloren.“

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„ DIE SACHE KLINGT LEICHTER, als sie sein wird“, gab Felvert zu bedenken, nachdem er den Ausführungen des Jay’nac gefolgt war.

Porlac war in Form einer Holografie virtuell anwesend und hatte zu ihm gesprochen. Außerdem bestand eine Konferenz-Schaltung zu den Keelon.

„Es ist die einzige Möglichkeit, die uns bleibt“, erklärte Porlac. „Und das Granogk teilt diese Meinung einhellig. Wenn ihr oder die Keelon eine Alternative wisst, dann nennt sie uns jetzt.“

Das Anliegen, mit dem Porlac an die Felorer und die Keelon herangetreten war, lief darauf hinaus, das Auftauchen der Chardhin-Perle ungeschehen zu machen.

Auf eine Manipulation der Zeit.

„Was soll so schwierig daran sein?“, fragte das Porlac-Hologramm. „Schließlich hat das schon einmal geklappt, als das zerstörte Nar’gog-System wiedererstanden ist und von der Außenwelt abgeschirmt wurde. Und als wir jüngst der temporalen Krise ausgesetzt waren, habt ihr ebenfalls eingegriffen – mit derselben Technik, wie ich vermute. Es gibt also kein Argument, ausgerechnet jetzt zu zögern.“

„Doch das gibt es“, widersprach Felvert. „Wir haben noch nie ein Objekt mit temporaler Permanenz ungeschehen gemacht. Dieses Ding hat vom Anfang des Universums an existiert und wird, so wie es scheint, auch bis in alle Ewigkeit ‚da’ sein. Die Temporalparameter habe ich bereits eingehenden Untersuchungen unterzogen und dazu ein Rechenmodell entwickelt.“

„Mit welchem Ergebnis?“

„Mit dem Ergebnis, dass die Folgen eines Eingreifens nicht absehbar wären.“

„Was sagen die Keelon dazu?“, wollte Porlac wissen.

Die herzmuskelförmigen Meister der Zeitmanipulation hielten sich zunächst zurück. Sie mussten erst ihre eigenen Berechnungen anstellen.

Doch Porlac und das Granogk wollten nicht länger warten. Sie konnten es auch nicht. „Wenn dieses Objekt uns angreift, ist Nar’gog verloren“, stellte er klar. „Wir haben so gut wie keine Verteidigung mehr. Nur ein kärglicher Rest ist uns geblieben, und unsere Waffen sind offenbar wirkungslos. Wir müssen alles auf eine Karte setzen!“

Scobee beobachtete die Meinungsbildung im Granogk.

Dich fragen sie nicht einmal, ob du vielleicht noch mehr weißt, stellte Siroona fest.

„Und sie haben Recht damit“, erwiderte Scobee. „Ich kann ihnen nicht sagen, was geschieht, wenn sie ihren Plan in die Tat umsetzen. Mehr als die wenigen Dinge, die ich von den Gloriden weiß, konnte ich ihnen nicht vermitteln.“

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„ DIE FELORER WERDEN jetzt zusammen mit den Keelon versuchen, den optimalen Zeitpunkt zu ermitteln, an dem sie die Existenz dieses Objekts auslöschen können“, erklärte Porlac, an Scobee gewandt.

„Dann sollten wir ihnen wohl die Daumen drücken“, gab sie zurück.

Porlac reagierte mit Unverständnis. „Meinem Kenntnisstand nach bezeichnet der Begriff Daumen einen Teil des Greiforgans der Menschen.“

„Das ist korrekt“, sagte Scobee.

„Aber weshalb möchtest du einen Teil deines Greiforgans drücken?“

„Das ist eine Redensart meines Volkes. Damit ist gemeint, dass man jemandem viel Glück bei einem Vorhaben wünscht.“

„Vielleicht sprechen wir ein anderes Mal darüber, weshalb es dabei notwendig ist, das Greiforgan zu misshandeln und worin dann die eigentliche Bedeutung dieser Symbolik liegt“, erwiderte Porlac.

Die Emotionen eines Jay’nac einzuschätzen, fiel Scobee sehr schwer – sofern man bei den Anorganischen überhaupt von Emotionen sprechen konnte. Andererseits glaubte sie, deutliche Anzeichen von Nervosität bemerken zu können.

Es wurmt ihn, dass er im Moment zur Untätigkeit verdammt ist, dachte sie. Wie wir alle, ist auch er gezwungen, abzuwarten, ob die Felorer und die Keelon eine Möglichkeit finden, den goldenen Koloss unschädlich zu machen, ihn auszuradieren – so als hätte es ihn nie gegeben ...

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E S BLIEB NICHT VIEL Zeit, um zu entscheiden. Die Keelon schickten ein Rechenmodell, nach dem ein Zeitpunkt, der ein paar Monate in der Vergangenheit lag, ideal dazu geeignet war, um den Angriff der goldenen Riesenkugel zu verhindern.

„Ich persönlich würde gerne wissen, wie die Keelon auf diesen Wert kommen“, gestand Boolvert. „Aber ich nehme an, dass uns keine Zeit bleibt, ihre Berechnungen zu überprüfen.“

„Ich bin zumindest soweit, sagen zu können, dass es durchaus ein paar Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Analyse gibt“, erklärte Felvert. „Der von den Keelon anvisierte Zeitpunkt scheint eine Art temporale Bruchstelle zu sein. Wenn man dort ansetzt, könnte es möglicherweise gelingen, die Perle aus ihrer Permanenz herauszuhebeln, ohne damit ein Paradoxon zu erzeugen.“

„Weshalb sollte denn dadurch kein Paradoxon erzeugt werden?“, fragte Boolvert. „Da bin ich entschieden anderer Meinung. Ich habe zwar keine Ahnung, wie diese ominösen ERBAUER es geschafft haben sollen, etwas herzustellen, das von Anfang bis Ende des Universums existiert ...“

„... was ja an sich schon ein Zeitparadoxon wäre!“, mischte sich Yyvert ein, ein noch junger Felorer, der sehr viel kleiner als die anderen Tormeister war. Das lag an seiner Jugend. Es war noch nicht lange her, als er durch das hastige Zusammenwerfen von nur drei verschiedenen Achter-Strukturelementen und die dazugehörige ebenso hastige mentale Entleerung gezeugt worden war.

Bevor es dazu kam, hatte einer der Beteiligten Mitleid gehabt und noch ein weiteres achtförmiges Element geopfert, sodass Yyvert in der ersten Zeit seiner Existenz nicht ganz so unscheinbar daherkommen musste.

Yyvert galt unter den Felorern als hochbegabtes Talent. Aber sowohl sein körperliches wie auch sein geistiges Wachstum waren noch längst nicht abgeschlossen.

Normalerweise fand ein Felorer erst dann als Tormeister Verwendung, wenn er mindestens 70 Prozent der durchschnittlichen Anzahl von achtförmigen Elementen besaß. Yyvert besaß nicht einmal dreißig.

Was hätte aus ihm werden können, wenn seine Schöpfer nicht so ungeduldig gewesen wären und mit ihrer mentalen Entladung hätten warten können, bis sich das eigentlich vorgeschriebene Dutzend an Tormeistern zusammenfand, um ihn zu beseelen, dachte Felvert beiläufig, während er ein paar Schaltungen an einer Kristallkonsole vornahm.

„Die temporale Sollbruchstelle ist angepeilt“, meldete Boolvert. „Wir brauchen nur noch die Schaltung auszulösen.“

„Wenn wir scheitern, könnte eine temporale Schockwelle die gesamte Existenzzeit des Universums durchlaufen“, gab Yyvert zu bedenken. „Niemand weiß, wie sich das auswirkt.“

„Wir haben keine andere Wahl“, meinte Felvert. Die Kommunikation mit den Keelon und dem Granogk lief auf Hochtouren.

Es gab niemanden, der diese Auffassung nicht teilte. Schließlich war allen bewusst, dass die Besatzung der Perle mächtig genug war, um Nar’gog mit einem einzigen, entschlossenen Angriff zu zerstören.

„Das Ziel der Fremden ist es offenbar, unsere Kapitulation zu erzwingen“, stellte Porlac fest. „Aber dazu wird es nicht kommen.“

Felvert war noch nicht hundertprozentig überzeugt. Ihm war klar, dass es unmöglich war, sämtliche Risiken auszuschließen. Niemand konnte das. Und die Bedenken, die Yyvert geäußert hatte, waren nicht von der Acht zu weisen.

„Wir wissen, was beim Ausradieren eines unerwünschten Phänomens aus der Zeitlinie geschieht“, begann Yyvert von neuem. „Wir wissen auch, wie Zeitparadoxa eliminiert werden können. Aber der Fall liegt hier anders. Wir setzen an einer temporalen Sollbruchstelle an und erzeugen möglicherweise eine Resonanz, die die Stabilität unserer eigenen Zeitlinie gefährdet.“

„Wir riskieren es“, entschied Felvert schließlich. „Dieses Objekt gefährdet schließlich ebenfalls unsere Existenz, und gewiss nicht unbeträchtlich! Es hat bereits die Flotte der Jay’nac vernichtet. Einen weiteren Schlag werden wir nicht verwinden können ...“

Felvert gab das Signal zum Eingreifen.

Und dann blieb nur das bange Warten darauf, was geschehen würde ...

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S COBEE BLICKTE ZUM Himmel. Das Wispern des Granogk verriet ihr, dass etwas im Gange war, das sie mit ihren vergleichsweise primitiven menschlichen Sinnen noch nicht erfasste.

Auch Siroona war plötzlich aufmerksamer als sonst.

Es geschieht etwas mit dem Ding, erklärte sie in einem sehr diffusen Gedankenstrom, der auch nicht nur an Scobee gerichtet war, sondern eher wie eine telepathische Streuemission wirkte.

Eine Flut von Bildern und Gedanken suchten Scobee in diesem Augenblick heim. Das Ganze fühlte sich wie ein sehr intensiver, aber auch sehr chaotischer Tagtraum an. Bilder aus der Vergangenheit, der Zukunft und möglichen Parallelrealitäten mischten sich zu einem bizarren Konglomerat, bei dem Scobee zunehmend Schwierigkeiten hatte zu ergründen, was nun tatsächlich zur Kontinuität ihrer eigenen Zeitlinie gehörte.

Temporaler Stress – das könnte das richtige Wort dafür sein!, dachte sie.

Oh, du empfindest so etwas auch?, fragte Siroona in einem sehr viel konzentrierteren Gedankenstrom. So viel Sensibilität hätte ich einer primitiven Spezies wie der deinen gar nicht zugetraut!

Unverhohlener Spott schwang in Siroonas Gedanken mit. Aber ihre telepathische Stimme verstummte, als die gewaltige Kugel am Himmel von Nar’gog innerhalb weniger Augenblicke verblasste.

Das Zentralgestirn Nar’gogs stand inzwischen hoch am Himmel. Sein Licht schien nun durch die transparent gewordenen Chardhin-Perle hindurch, die schließlich gänzlich entmaterialisierte.

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E IN ERLEICHTERTES SEUFZEN brandete über Nar’gog. Es erfasste nicht nur das Granogk, sondern alle lebenden Jay’nac, die die Oberfläche des Planeten bevölkerten.

Porlac wandte sich an Scobee. „Du wirst uns über diesen Invasor alles berichten müssen, was du weißt. Jede Einzelheit wird unseren Verbündeten, den Keelon und Felorern, als Grundlage ihrer Studien dienen, sodass wir gegen einen Angriff weiterer Objekte dieser Art besser gewappnet sein werden!“

„Nun, ich sagte bereits, dass ich nicht viel mehr darüber sagen kann. Ich war zwar schon mal an Bord einer solchen Chardhin-Perle, muss aber gestehen, dass ich das Meiste von dem, was dort geschah, nicht wirklich verstehen konnte.“

„Das macht nichts“, erwiderte Porlac. „Trotzdem können deine Beobachtungen wertvoll sein. Dieses Mal mussten wir schnell handeln. Aber nachdem wir erfolgreich waren, werden wir jetzt mehr Zeit haben, um uns auf das eventuelle Auftauchen weiterer goldener Kugeln vorzubereiten – und darauf zu reagieren.“

„Ehrlich gesagt ist mir das Ziel dieser Operation ...“ Scobee vermied instinktiv das Wort Angriff, da es ihr nicht wirklich klar war, ob es sich tatsächlich um einen solchen im klassischen Sinn gehandelt hatte. „... noch immer nicht klar. Was erhoffte sich die Besatzung der Perle hier auf Nar’gog zu errechen?“

„Eine Frage, auf die ich auch gerne eine Antwort wüsste“, bekannte Porlac.

Eine Meldung der Keelon traf ein. Demnach war das Nar’gog-System wieder vollkommen vom Rest der Milchstraße isoliert.

„Wir können uns also in Sicherheit wiegen“, stellte Porlac gegenüber Scobee, Siroona und dem Granogk fest. „Selbst wenn jetzt plötzlich noch weitere sogenannte Chardhin-Perlen auftauchten, so wäre es ihnen unmöglich in unser System einzufliegen.“

Es sei denn, sie sind in Wahrheit schon längst da!, ging es Scobee plötzlich mit einem Schaudern durch den Kopf. Schließlich ist niemandem von uns auch nur in Ansätzen bewusst, was temporale Permanenz wahrhaftig bedeutet ...

Siroona fragte: Warum behältst du diesen Gedanken für dich, Scobee?

Scobee fluchte innerlich.

„Ich werde mir wieder mehr Mühe geben, meine Gedanken abzuschirmen“, sagte sie.

Das kannst du gar nicht!, lautete die zynische Erwiderung der Foronin.

Scobee beobachtete schon seit einer ganzen Weile, dass sich die Kräfte der Foronin zu erholen schienen. Sie mischte sich ein, zwang Scobee mitunter Gedanken auf und war inzwischen auch wieder in der Lage, ihre Gedanken zu lesen, ohne dass Scobee es ihr gestattete.

Ich werde etwas unternehmen müssen!, entschied sie.

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F ELVERT VERLIEß DIE Steuer-Acht von Torstation 1. Er wollte sich ein wenig ausruhen. Die Abwehr der goldenen Kugel hatte die geistigen Kräfte des Felorers bis aufs Äußerste angestrengt. Jetzt brauchte er dringend Regeneration.

Aber die Gedanken sprudelten nur so. Sie ließen sich einfach nicht aufhalten, Fragen über Fragen taten sich auf. Die wichtigste war momentan ganz sicher, mit was für einem Feind sie es hier zu tun hatten.

Waren die Herren der Perle – wer immer das nun auch sein mochte – vielleicht auch für das Zeitentartungsfeld verantwortlich, das im Rest der Galaxis die temporale Geschwindigkeit so radikal beschleunigt hatte?

Waren sie auch dafür verantwortlich, dass dieses Feld verschwunden war und plötzlich wieder scheinbare Normalität vorherrschte?

Wenn Scobees Worte auch nur einen Hauch von Wahrheit enthielten, dann waren sowohl die Gloriden als auch die legendären ERBAUER ungeheuer mächtige Wesen, deren temporale Fähigkeiten vielleicht noch größer waren als das Vermögen der Felorer und Keelon zusammengenommen.

Felvert machte auf seinem Weg zum Meditationsbereich der Station an einer Konverterküche Halt. Felorer besaßen keinen eigenen Stoffwechsel. Dieser war in riesigen Energiewandlern ausgelagert, die alles Mögliche verarbeiten konnten.

An diesen Konverterküchen existierten Dockingstationen, in die sich die Tormeister einklinkten, um sowohl mit Energie als auch mit den nötigen Nährchemikalien versorgt zu werden, die für den Körperaufbau nötig waren.

Felvert klinkte sich in die Dockingstation ein und genoss den angenehm prickelnden Energiestrom. Durch Eingabe eines persönlichen Codes ließ dieser Energiestrom sich so modifizieren, dass die Vorlieben des Betreffenden berücksichtigt wurden.

Anschließend ließ sich Felvert eine Reihe chemischer Verbindungen zuführen, an denen sein Körper im Augenblick laut eines Kurzdiagnose-Scans Mangel litt.

Felvert neigte dabei etwas zur Fehlernähung. Zumindest, wenn man nach den Vorgaben des Diagnoseprogramms ging. Insbesondere starke Anteile an Schwefelverbindungen wurden von der felorischen Medo-Kontrolle mit äußerstem Misstrauen betrachtet. Felvert nahm einfach zu viele solcher Verbindungen zu sich. Da Felorer keine Ausscheidung kannten, sondern darauf angewiesen waren, dass die zugeführten Chemikalien vollständig in das körpereigene, in achtförmigen Sektionen aufgeteilte Gewebe transferiert wurden, begegnete man Fehl-Ernährern mit Misstrauen. Schwefel sagte man eine halluzinogene und bisweilen auch bewusstseinsverändernde Wirkung nach. Es gab Schwefelverbindungen, die von Felorern geächtet wurden, weil sie süchtig machten. Und Felvert wusste nur zu gut, dass er selbst nahe daran war, abhängig zu werden.

Wenn das publik wurde, war er auf seinem Posten als oberster Tormeister nicht mehr tragbar. Das wusste er sehr wohl.

Schon deswegen nicht, weil er natürlich immer auch ein Vorbild für jüngere Felorer zu sein hatte, die ihm als Meister nacheiferten und davon träumten, einmal genau so große Fähigkeiten zu erwerben.

An Felverts Körper begann sich bereits ein verräterischer Fortsatz zu bilden. Eine tote Acht. Gewebe, das unbeseelt war und nur die Körpermasse vermehrte.

Selbst für die verfeinerten Sinne eines Felorers waren diese toten Achten zunächst einmal nicht von ganz gewöhnlichen Körpersegmenten zu unterscheiden. Aber dieses eine tote Segment würde nicht das einzige bleiben, wenn er weiterhin einen so hohen Anteil an Schwefel in sich hineinsog.

Man hatte unter den Felorern bereits darüber beraten, ob die Chemikalienspender nicht mit automatischen Kontrollen versehen werden sollten. Aber dieses Maß an öffentlicher Kontrolle über das Verhalten des Einzelnen erschien der Mehrheit als völlig unverhältnismäßige Maßnahme.

Aber die Minderheit, die genau dies forderte, wuchs.

Wir werden sehen, was kommt!, dachte Felvert. Einstweilen kann ich jedenfalls noch so viel Schwefel zu mir nehmen, wie ich will. Und wie ich brauche ...

Felvert musste sich eingestehen, dass er immer höhere Schwefeldosen genommen hatte. Ich bin nicht der Einzige!, wusste er. Und wer konnte sich auch allen Ernstes angesichts der enormen Verantwortung, die auf den Schultern eines hochrangigen Tormeisters lastete, darüber wundern?

Manipulationen an der Raumzeit und den Dimensionen waren extrem gefährlich. Der kleinste Fehler konnte Katastrophen ungeahnten Ausmaßes bewirken. Die mentale Anspannung ließ sich durch die Teilnahme am Ritual zumindest teilweise im Griff halten.

Aber dieselbe Anspannung fand ihre biochemische Entsprechung bis auf Molekularebene in jedem einzelnen Achter-Element, aus dem sich Felverts bizarrer Körper zusammensetzte.

Auch dafür bedurfte es eines Ausgleichs. Und den vermochte sehr oft nur der Schwefel zu bieten. Schwefelhaltige Verbindungen verbesserten den Allgemeinzustand eines von übermäßigem Stress heimgesuchten Felorers.

Der Preis mag sein, dass dafür der Geist auf lange Sicht versklavt wird, dachte Felvert. Dieses Risikos war sich jeder bewusst, der in die Parallele des Schwefels gefallen war, wie man unter Felorern sagte.

Jeder wusste, dass dies auf viele Tormeister zutraf. Jeder wusste, dass die meisten von ihnen sonst kaum in der Lage gewesen wären, ihre Aufgabe zu erfüllen. Und doch verurteilte man den Schwefelkonsum auf das Heftigste.

Aber das war eben die öffentliche felorische Doppelmoral.

Und dass der Schwefel auf Dauer deine Persönlichkeit verändert?, meldete sich ein kritischer Kommentator aus dem hintersten Winkel von Felverts Bewusstsein. Hat das überhaupt kein Gewicht?

Felvert kam nicht mehr dazu, diese Frage zu beantworten.

Weder im Allgemeinen noch zur Besänftigung seiner Selbstzweifel.

In diesem Augenblick ertönte nämlich ein schrilles Alarmsignal. Dieser Ton wäre das Einzige gewesen, was neunundneunzig Prozent aller Spezies davon wahrgenommen hätten. Aber für die Felorer transportierte er gleichzeitig noch weitere wichtige Informationen, die über die speziellen Sinneskanäle gesendet wurden.

Felvert aktivierte seinen Kommunikator. Eine Holokugel bildete sich vor ihm. Boolvert meldete sich.

Die Botschaft war ernüchternd: „Station 5 meldet das erneute Auftauchen eines goldenen Objekts an der Grenze des Nar’gog-Systems. Die Messungen ergaben, dass es sich um exakt dieselbe CHARDIN-Perle handeln muss. Sie nimmt Kurs auf Nar’gog!“

„Und diesmal haben die Jay’nac nicht einmal eine Flotte, mit der sie sich verteidigen könnten!“, stellte Felvert fest. Der Appetit auf fragwürdige Schwefelverbindungen war ihm nachhaltig vergangen.

Imperium der Foronen: Raumschiff Rubikon Band 9-16: Science Fiction Abenteuer Paket

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