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7 | An Bord der Chardhin-Perle

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7

An Bord der Chardhin-Perle


Zeitebene Scobee – auf Nar’gog

„Uns bleibt wohl keine andere Wahl, als die Gefangene auszuliefern!“, erklärte Porlac.

Prosper Mérimée näherte sich Scobee.

Jetzt wird es ernst, Teuerste!, spottete Siroona. Wie wirst du dich verhalten? Versuchst du die Flucht, oder stellst du dich zum Kampf? Es ist doch schön, dass mir auf meine alten Tage noch so ein Schauspiel geliefert wird, das mich richtig mitfiebern lässt.

„Spar dir deine Kommentare, Siroona!“, zischte Scobee ärgerlich. Siroonas Zynismus ging ihr inzwischen ziemlich auf die Nerven.

So empfindlich?

„Das wärst du in meiner Lage mit Sicherheit auch.“

Jedenfalls wirst du mir als Gesellschafterin fehlen!, spottete sie weiter.

Prosper Mérimée blieb in ein paar Metern Entfernung stehen.

„Du solltest keine Schwierigkeiten machen, Scobee“, sagte er.

„Und wenn doch?“

„Du weißt, was dann geschieht. Ein ganzer Planet hätte darunter zu leiden. Und du am Ende auch. Also leiste besser keinen Widerstand.“

Scobee nickte. „Keine Sorge, ich weiß sehr wohl, was von meinem Verhalten abhängt.“

„Dann ist es ja gut.“

„Du scheinst dich sehr verändert zu haben, seit wir uns auf der RUBIKON gesehen haben.“

„Das mag sein. Die Zeit verändert uns alle, Scobee. Ohne Ausnahme. Die einen mehr, die anderen weniger. Und nun komm mit mir!“

„Unter normalen Umständen würde ich das tun“, sagte Scobee. „Aber ...“

„Du hast keine andere Wahl, Scobee. Und es wird dich auch niemand hier schützen. Die hiesige Flotte existiert nicht mehr – jedenfalls ist sie nicht mehr verfügbar.“

Scobee machte einen Schritt. Da bemerkte sie, dass sich von mehreren Seiten Jay’nac näherten und ihr den Weg abschnitten.

Nein, ich habe wirklich keine andere Wahl!, begriff sie.

„Ich hoffe nicht, dass erst Gewalt angewendet werden muss“, drohte ihr Prosper Mérimée nun unverhohlen.

Scobee schluckte. „Ich folge dir!“, kündigte sie an und hatte sogleich das Gefühl, einen Fehler begangen zu haben.

„Das will ich hoffen“, erwiderte Prosper.

––––––––



S COBEE GING AN PROSPER Mérimées Seite in Richtung des seltsamen Aufzugs, der sie beide ins Innere der CHARDHIN-Perle bringen sollte.

Immerhin komme ich an einen Ort, an dem ich schon gewesen bin!, machte sie sich Mut. Die Frage beschäftigte sie, was Prosper Mérimée so verändert haben mochte.

Welcher Faktor war entscheidend dafür gewesen, aus ihm diesen fordernden, skrupellosen Eroberer zu machen?

„Warum bin ich dir so viel wert, dass du die gesamte Jay’nac-Flotte unschädlich machst, um mich in deine Finger zu bekommen?“, fragte Scobee, als der Lift sie empor trug. „Das ergibt eigentlich keinerlei Sinn.“

„Nein?“

„Für mich nicht.“

„Ich werde es dir bei Gelegenheit erläutern. Wenn wir an Bord der RUBIKON sind ... Dann müssten wir eigentlich Zeit genug finden, um darüber zu sprechen.“

„RUBIKON ist ein gutes Stichwort. Wann ist sie in meine aktuelle Gegenwart zurückgekehrt?“

Sie erhielt keine Antwort. „Aha. Halt! Nicht so schnell und so viel an Information auf einmal – das erschlägt mich ja förmlich!“

„Immer noch die Alte“, lächelte Prosper karg. „Aber alles zu seiner Zeit.“

„Ich würde es gerne jetzt wissen. Und ich sehe auch keinen Grund, weshalb du mir meine Fragen nicht sofort beantworten solltest.“

„Hat dir mal jemand gesagt, dass du ganz schön stur sein kannst, Scobee?“

„Hin und wieder. Aber ich nenne das Zielstrebigkeit.“

„Was du nicht sagst ...“

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D URCH DIE LÜCKEN IN der Außenverkleidung des schlauchartigen Fortsatzes, der die Perle mit dem Boden verband, konnte sie noch Blicke auf die Jay’nac werfen. Im Granogk schienen lebhafte Diskussionen vor sich zu gehen. Es war auf eine Weise in Unruhe geraten, die Scobee während ihres gesamten Aufenthalts auf Nar’gog bisher nicht erlebt hatte. Regelrechter Aufruhr schien dort ausgebrochen zu sein.

Scobee wartete immer noch auf eine Antwort. Aber Prosper Mérimée schwieg beharrlich.

„Was war so schwer zu verstehen an meiner Frage?“, hakte Scobee nach.

„Es ist jetzt einfach nicht die Zeit, sie zu beantworten.“

„Ach, aber es war die Zeit, um ein System zu überfallen, das sich mit Mühe noch selbst schützen konnte und dessen gesamte Flotte in einem Feuerball verglühen zu lassen.“

„Die Jay’nac-Flotte ist keineswegs in einem Feuerball vernichtet worden – wie ich schon ausführte.“

„Ich habe Augen im Kopf!“

„Es mag für dich so ausgesehen haben, Scobee. Aber in Wahrheit wurden sie nicht einmal vernichtet. Die Jay’nac-Flotte ist in ein anderes Zeit-Level transferiert worden, damit sie keinen Schaden anrichten kann. Das ist die Wahrheit. Und jetzt hör auf zu löchern.“

„Aber ...“

„Ich werde dir alle deine Fragen beantworten, so gut ich kann, jedenfalls. Aber nicht jetzt.“

Warum ist er so angespannt?, fragte sie sich und hatte dabei sofort eine Assoziation. Er wirkt wie jemand, der selbst nicht frei ist. Wer treibt ihn? Wer bringt ihn dazu, all die Dinge zu tun, die man in den letzten Stunden bei ihm erleben konnte?

––––––––



D ER FORTSATZ MIT DEM Aufzug wurde wieder eingezogen. Porlac und die Jay’nac hielten inne, als sich die CHARDHIN-Perle deutlich hob. Sie stieg wieder in Richtung Stratosphäre auf und beschleunigte dabei immer stärker.

„Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Prosper Mérimée tatsächlich sein Wort hält!“, äußerte sich Porlac, nachdem das goldene Objekt sich noch ein ganzes Stück höher in die Atmosphäre erhoben hatte.

Niemand würde diesen Besucher vermissen.

Ich werde mit den Felorern sprechen müssen! Noch einmal soll uns so etwas nicht passieren!, nahm sich Porlac vor. Und aus dem Geraune des Granogk konnte er eine Reihe von Äußerungen herausfiltern, die einen ganz ähnlichen Tenor hatten.

Nachdem die Chardhin-Perle den freien Raum erreicht hatte, beschleunigte sie noch mehr. Es dauerte nicht lange und die Ortung der Torstationen meldete, dass das riesige Objekt aus dem Erfassungsbereich ihrer Sensoren verschwunden war.

Es hatte die höherdimensionale Schutzzone des Nar’gog-Systems mit unbekanntem Ziel verlassen – wie bei seiner Ankunft, als würde sie gar nicht existieren.

––––––––



S COBEE FOLGTE PROSPER Mérimée einen langen Korridor hinunter. Tausend Fragen spukten ihr im Kopf herum, aber sie hatte das Gefühl, dass Prosper im Moment nicht bereit war, auch nur eine einzige davon zu beantworten. Sie hatte in dieser Hinsicht ja schon einmal auf Granit gebissen.

Sie erreichten ein Schott. Davor stand ein Roboter, der ganz entfernt humanoide Körperformen besaß – sah man einmal davon ab, dass er insgesamt fünf Arme mit verschieden großen Greifwerkzeugen besaß. Eines davon streckte er Prosper Mérimée entgegen.

Der Anführer der Zirkusleute schien sofort zu wissen, was die Maschine von ihm wollte. Er händigte dem Roboter den Armbandkommunikator aus.

Scobee hatte es geschafft, zwischendurch einen Blick auf das seltsame Display zu erhaschen. Dabei hatte sie festgestellt, dass ihr die Schriftzeichen, die darauf zu lesen standen, völlig unbekannt waren.

Das Schott öffnete sich selbsttätig. Es glitt einfach zur Seite, und sie traten ein.

In dem großen, kahlen Raum, der sich vor Scobee ausbreitete, waren sie keineswegs allein. Stimmen riefen durcheinander. Im nächsten Moment stürzte man sich von allen Seiten auf sie.

„Scobee!“

Sie ließ den Blick schweifen und entdeckte Sarah Cuthbert, die sie ungläubig anstarrte. Neben ihr stand Sahbu, ein Mann aus Prospers Zirkus-Truppe. Die anderen Freaks aus dem Getto waren ebenfalls anwesend.

Scobee drehte sich zu Prosper herum. „Spätestens jetzt solltest du mir ein paar Dinge erklären!“, verlangte sie.

Prosper Mérimée zuckte mit den Schultern. „Es tut mir leid, aber ich hatte keine andere Wahl, als da unten bei den Jay’nac Theater zu spielen.“

„Das scheint dir ja gelungen zu sein!“

„Ja.“

„Du bist nicht der Herr der CHARDHIN-Perle“, stellte Scobee nüchtern fest und verschränkte dabei die Arme vor der Brust. Ihr Blick fixierte Prosper, durchbohrte ihn geradezu. Er wich diesem Blick aus.

„Nein, das bin ich bestimmt nicht.“

Scobee sah ihn ernst an und hob die Brauentattous. „Was dann?“, fragte sie. „Was bist du denn?“

„Wir sind Gefangene. Wir alle.“

Scobee seufzte.

Etwas in der Art hatte sie sich schon gedacht. Es hatte nur noch so etwas wie die letzte Bestätigung gebraucht.

„Wie zum Teufel kommt ihr hierher?“

Prosper atmete tief durch. Er ging ein Stück auf und ab. „Es ist viel geschehen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.“

„Auf der Rubikon ...“

„Du bist von Bord gegangen. John hat den Grund dafür wahrscheinlich bis heute nicht begriffen.“

„Ich habe mich auf den Weg zur Milchstraße gemacht, Prosper. Das musste ich einfach tun. Ich weiß nicht, ob ich es dir wirklich erklären kann ...“

„Erklär es John bei Gelegenheit mal.“

Scobees Antwort war sehr ernst. „Sollten wir uns je wiedersehen, werde ich das schon!“

Prosper musterte sie einen Moment. Er zuckte schließlich mit den Schultern. „Wie auch immer. Die RUBIKON ging durch die Portalschleuse. Von Anfang an stand ich ja im Verdacht, der Auslöser der Fehltransition gewesen zu sein, wie du sicher noch weißt.“

„Ja, ich erinnere mich.“

„Die Mannschaft hat glücklicherweise zu mir gehalten, sonst wäre ich irgendwo im Universum gestrandet. Ausgesetzt auf einer Sauerstoffwelt oder so. Auf der RUBIKON tauchte ein sogenannter ERBAUER auf.“

„Was für ein Erbauer?“

„Es ist von den Schöpfern der Chardhin-Perlen die Rede, Scobee. Jenes legendäre Volk, das die Gloriden für die Verwaltung ihres kosmischen Transportnetzes verwendete. Dieses Wesen nennt sich Kargor und hat uns hierher entführt. Wie genau das geschehen ist, weiß ich nicht. Wir waren von eine Augenblick zum anderen nicht mehr an Bord der RUBIKON.“

Scobee hob erstaunt die Augenbrauen. „Aber weshalb? Was will dieser Kargor von euch?“

„Von dir auch, Scobee.“

„Wenn du meinst ...“

„Diese Entität stellte fest, dass nicht nur ich für die Fehltransition verantwortlich war, weil ich etwas in mir trage, das die Zeit mutieren lässt. Eine temporale Anomalie oder etwas in der Art.“

„Sondern?“

„ Jeder, der eine gewisse Zeit im Getto gelebt hat, trägt diese Anlage in sich und bildet daher einen Gefahrenfaktor für die RUBIKON, die bei jeder neuen Transition relevant werden kann. Kargor hat deswegen in seine Selbstherrlichkeit alle, auf die das zutraf von der RUBIKON entfernt. Offenbar hat er es besonders gut mit Cloud und dem Rest der Besatzung gemeint. Das Motiv dieser Entität kann ich mir bis heute nicht erklären.“ Prosper machte eine Pause, blickte auf und fuhr schließlich fort: „Vielleicht wird dich interessieren, wer für die Zeit-Mutation in der Milchstraße mit all ihren schrecklichen Dingen verantwortlich war.“

„Wer?“

„Das Ganze geht auf Darnok zurück. Als Keelon ist er für Zeitmanipulationen ja prädestiniert ...“

Wie gebannt hing Scobee an Prospers Lippen und lauschte seinem Bericht über das, was sich seit ihrer Trennung alles ereignet hatte.

Sie selbst machte schließlich auf eine entsprechende Frage Prosper Mérimées hin ein paar Angaben zu ihren eigenen Erlebnissen.

Dann herrschte plötzlich Schweigen.

Das, was sie von Prosper Mérimée gehört hatte, war für Scobee wie ein Schlag vor den Kopf. Sie war offenbar vom Regen in die Traufe geraten.

„Wenn diese Entität, oder wie immer sich dieses Wesen auch nennen mag, euch hierher entführt hat – dann heißt das doch, dass Kargor an Bord sein muss!“

„Ein zutreffender Schluss“, nickte Sarah. Sie näherte sich zögernd. Dann streckte sie Scobee sogar die Hand entgegen. Ein warmer Händedruck – in Zeiten wie diesen schon eine Rarität.

Scobee wandte sich erneut an Prosper. „Ich möchte in Kontakt mit dieser Entität treten, die sich offenbar einbildet, lebende Wesen wie Schachfiguren benutzen zu können!“

„Du kannst sie jederzeit rufen“, sagte Prosper. „Sie ist überall, und ich nehme auch an, dass sie alles hört und alles versteht, was wir sagen. Ob Kargor sich dann aber dazu herablässt, um mit dir zu sprechen, ist eine ganz andere Frage.“

„Er kann ziemlich launisch sein“, berichtete Sarah. „Aber es hat überhaupt keinen Sinn, sich ihm zu widersetzen. Dabei kannst du nur verlieren.“ Ein offenes Lächeln flog über Sarahs Gesicht. „Wie auch immer Scobee, ich bin froh, dass du hier bist und wir dich dadurch wiedergefunden haben. Ehrlich gesagt, hatte ich nicht damit gerechnet. Immerhin musste auch erneut ein anderes Zeitlevel angesteuert werden, um mit dir zusammenzutreffen ...“

„Wisst ihr zufällig, was Kargor von mir will? Wieso beginnt er einen Sternenkrieg, um mich mitzunehmen?“

Sarah Cuthbert hob das Kinn und atmete tief durch. „Darüber hat die Entität mit uns nicht gesprochen“, erklärte sie. „Wir tragen ja alle angeblich ein Risiko, besagte Anomalie, in uns, was uns zur Gefahr für transitierende Schiffe macht!“

„Wobei das eigentlich nur in Hinblick auf die RUBIKON belegt ist“, mischte sich Sahbu ein. Er vollführte eine wegwerfende Handbewegung und fuhr schließlich fort: „Wir haben natürlich keine Ahnung darüber, ob sich das bei Schiffen anderer Bauart genauso verhält und was die sogenannte Entität angeht, so lässt sie uns nur in sehr sparsamen Maß an den Errungenschaften ihres Wissens teilhaben.“

„Aber irgend etwas muss Scobee anhaften, was es für die Entität zwingend macht, sie hier an Bord zu haben“, gab Sarah zu bedenken. „Fragt sich nur, was.“

„Ich habe wirklich nicht die leiseste Ahnung“, bekannte Scobee. „Aber ehrlich gesagt gefällt es mir nicht besonders. Der Grund spielt da schon fast keine Rolle mehr.“

„Ich kann dich nur zu gut verstehen, Scobee“, erwiderte Sarah. „Kargor ist absolut selbstherrlich und zynisch. Wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen geht, wird er sauer.“

„Hat er euch gesagt, was er mit euch vorhat?“, fragte Scobee.

„Nein, hat er nicht“, erklärte Sahbu. „Zumindest nicht mir gegenüber.“ Sahbu wandte sich an die anderen. „Gibt es einen unter euch, dem Kargor mehr gesagt hat?“

Ein Stimmengewirr erhob sich. Es stellte sich heraus, dass Kargor hier und da Andeutungen gemacht hatte, aus denen aber niemand aus der Gruppe schlau geworden war.

„Kargor spricht manchmal mit Einzelnen von euch?“, fragte Scobee erstaunt.

„Das kommt vor“, bestätigte Sarah. „Ansonsten scheint Prosper sein bevorzugter Ansprechpartner zu sein.“

Prosper meldete sich sogleich zu Wort. „Bevor mich Scobee oder jemand anders jetzt mit Fragen löchert, möchte ich noch mal feststellen, dass ich nicht mehr weiß, als ihr alle. Wäre es anders, hätte ich euch die Neuigkeiten schon weitergegeben!“ Er sah Scobee einen Augenblick lang nachdenklich an und fuhr schließlich in gedämpftem Tonfall fort: „Ich persönlich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass er uns auf ewig in diesem Raum eingepfercht hält. Das hier ist eindeutig eine Übergangslösung.“

„Ich möchte mit Kargor sprechen“, sagte Scobee.

„Dann warten wir am besten ab, ob Kargor das umgekehrt auch will“, meinte Sarah mit etwas sarkastischem Unterton.

––––––––



S COBEE FÜHLTE SICH wie elektrisiert. In ihrem Hirn rasten die Gedanken nur so. Warum hatte dieses mysteriöse Wesen namens Kargor ein so großes Interesse an ihr, dass es offenbar ihretwegen einen Angriff auf das Nar’gog-System begonnen hatte? Und woher hatte Kargor ihren Aufenthaltsort gekannt?

Auf Scobees Anliegen, persönlich mit der Entität zu sprechen, ging Prosper Mérimée zunächst nicht weiter ein. Als Scobee ihn nochmals darauf ansprach, sagte der Anführer der Zirkustruppe nur: „Später, Scobee. Das ergibt sich schon.“

„Was soll das heißen, das ergibt sich schon?“

„Die Entität wird sich an dich wenden, wenn die Zeit gekommen ist. Es hat wenig Sinn, das beeinflussen zu wollen. Glaub mir! Wir müssen Kargors Launen schließlich schon länger ertragen!“

Es schien Prosper nicht weiter zu stören, dass der ERBAUER in der Lage war, alles, was unter den Gefangenen besprochen wurde, mitzuhören. Als Scobee ihn auch darauf ansprach, vollführte er eine wegwerfende Geste und lachte. „Was sollen wir tun? Als Telepathen wurden wir alle leider nicht geboren, und nur noch unehrlich miteinander zu reden kann ja auch nicht der richtige Weg sein, oder?“

„Nein.“

„Also nehmen wir einfach keine Rücksicht darauf, dass dies Kargor vielleicht missverstehen könnte. Sonst wird man ja in kürzester Zeit verrückt!“

Sarah Cuthbert mischte sich in das Gespräch mit ein. Sie hatte den Wortwechsel zwischen Scobee und Prosper aufmerksam verfolgt.

„Ich weiß, dass du viele Fragen hast, Scobee. Das ging uns allen so, nachdem wir hierher versetzt worden sind. Aber es hat keinen Sinn, ungeduldig zu sein.“

„Dann habt ihr euch mit eurem Schicksal also schon abgefunden?“, fragte Scobee.

Die ehemalige Präsidentin der USA schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, das stimmt nicht, Scobee. Aber es hat auch wenig Sinn, sich gegen die Verhältnisse hier aufzulehnen. Kargor beherrscht diese Chardhin-Perle nun mal.“

„Wie hat er das geschafft?“, fragte Scobee. „Wie konnte er dieses gewaltige Objekt unter seine Kontrolle bringen und vor allem die Verankerung lösen, mit der es jenseits des Ereignishorizonts fixiert war?“

„Du wirst Kargor selbst fragen müssen, wenn du Kontakt zu ihm bekommst“, erklärte Sarah. „Ich hoffe, dass er dir etwas erschöpfendere Auskünfte erteilt, als es bei uns der Fall war. Aber wenn er zum Volk der Perlen-Erbauer gehört – wovon wir ausgehen müssen –, war es für ihn wohl keine wirkliche Schwierigkeit.“

Scobee konnte sich nur langsam beruhigen. Zu groß war die innere Anspannung. Die Ungewissheit nagte an ihrer Seele – aber so, wie es schien, musste sie sich wohl für länger darauf einstellen. Schließlich hatten auch Prosper und seine Leute bisher keine umfassenden Auskünfte darüber erhalten, was mit ihnen werden sollte.

Du wirst dich mit der Situation wohl oder übel arrangieren müssen!, ging es der GenTec durch den Kopf. Zumindest für eine Weile. Wahrscheinlich wirst du so am weitesten kommen.

„Ich bin jedenfalls froh, dass du da bist, Scobee“, bekannte Sarah. „Und ich denke, es geht auch noch anderen so. Schließlich bedeutet jeder zusätzliche Charakter hier eine Abwechslung im täglichen Einerlei.“

Scobee lächelte verhalten. „Das kann ich sogar verstehen.“

„Untereinander halten wir hier zusammen, Scobee. Du kannst dich also auf jeden von uns verlassen.“

„Haben wir die Möglichkeit, uns frei an Bord der CHARDHIN-Perle zu bewegen?“, erkundigte sich Scobee.

„Nur innerhalb gewisser Grenzen“, erwiderte Sarah. „Und diese Grenzen werden uns bei Bedarf auch ziemlich deutlich aufgezeigt.“

„Sind Gloriden an Bord?“, fragte Scobee. „Oder noch irgend jemand anders – mal abgesehen von der Entität?“

„Das wissen wir nicht“, ergänzte Sahbu, der sich den beiden Frauen unterdessen genähert hatte, während sich Prosper zu einer anderen Gruppe gesellte. Er war es offenbar leid, all die Fragen beantworten zu sollen, auf die er wohl zum größten Teil selbst keine Antwort hatte. Zumindest keine, die zufriedenstellend war.

Sarah sagte: „Wir haben hier nie jemanden gesehen, der nicht zu unserer Gruppe gehörte. Ich nehme an, dass wir allein an Bord sind – mit Kargor natürlich. Aber Prosper ist in diesem Punkt anderer Ansicht.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Wir haben hier wenig zu tun, da vertreibt man sich schon mal die Zeit damit, irgendwelche Theorien zusammenzuschustern.“

„Dann sind wir also die einzigen Gefangenen an Bord?“

„Ja, das sieht so aus.“

Scobee folgte den anderen zu dem Lagerplatz, an dem die meisten Gruppenmitglieder kauerten. Sie warteten einfach nur ab, was geschah. Das Leben an Bord der Perle war für die Gefangenen recht eintönig.

„Wir werden hier gut versorgt“, sagte Sahbu. „Es gibt genug Nahrungsmittel und Wasser. Ansonsten sind wir im Augenblick dazu verdammt, abzuwarten, was der Herr dieser Perle mit uns vorhat.“

Scobee atmete tief durch.

Ihr stand nun wirklich nicht der Sinn danach, sich so einfach mit diesem Schicksal abzufinden.

––––––––



S COBEE HATTE IRGENDWANN das Bedürfnis zu schlafen. In dem Raum, in dem die Zirkusleute untergebracht waren, gab es einfache Liegen, auf denen man ausruhen konnte. Auf die speziellen anatomischen Bedürfnisse irgendeiner Spezies nahmen sie allerdings keine Rücksicht. Jedenfalls konnte Scobee davon nichts erkennen. Aber alle Lebewesen, die nicht länger als zwei Meter fünfzig waren, konnten mit diesen Möbelstücken auf die eine oder andere Weise etwas anfangen.

Eine Weile hörte sie noch den Unterhaltungen der Zirkusleute zu. Sie spekulierten natürlich auch über die Frage, weshalb es Kargor so wichtig gewesen war, Scobee an Bord zu holen. Eine vernünftige Lösung kam dabei nicht heraus.

Diese Ansammlung von menschlichen Kuriositäten hatte Prosper Mérimée schon im Getto von Peking um sich geschart. Freaks, die äußerlich sehr verschiedenen waren, aber wohl durch eine Gemeinsamkeit gekennzeichnet waren.

Sie tragen die Anomalie in sich!, erinnerte sich Scobee. Trage ich etwa auch eine in mir, ohne es zu wissen?

Eigentlich war ihr Aufenthalt im Getto dazu nicht lang genug gewesen, fand sie. Und hätte es dann nicht auch Cloud und Aylea treffen müssen, von Kargor gekidnappt zu werden?

Aber wer konnte da schon sicher sein, wo wirklich die Grenze für die offenbar auch auf molekularbiologischer Ebene registrierbare Veränderung lag, welche die Gefangenen auszeichnete? Sie war darin zu wenig Experte, um es abschätzen zu können.

Die genetische Besonderheit liegt bei mir ja auf einem ganz anderen Gebiet!, überlegte sie. Aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass die Tatsache, dass ich eine GenTec bin, irgendetwas damit zu tun hat, warum mich Kargor in seine Menagerie eingereiht hat!

Eines stand jedoch fest: Kargor musste sich etwas dabei gedacht haben.

Wir sind Teil seines Plans, wissen aber nicht einmal, worum es eigentlich geht!

Die Ungewissheit nagte an ihr. Und das Gefühl, eine Gefangene zu sein. Sie war es leid, dass andere über ihr Schicksal bestimmten. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass sie einst mit einem genetisch verankerten Gehorsamsprogramm zur Welt gekommen war, warum ihre Abneigung gegen jegliche Bevormundung dermaßen groß war.

Langsam begann sich Scobees Puls zu verlangsamen, und sie fand endlich etwas Ruhe. Die Strapazen der letzten Zeit forderten ihren Tribut. Sie schlief ein Stein ...

––––––––



... UND ERWACHTE SCHWEIßGEBADET aus wirren Träumen.

Das Licht war deutlich abgedämpft worden und die anderen Mitglieder der Gruppe schliefen. Offenbar gab es hier Wach- und Schlafperioden.

Scobee erhob sich. Sie dachte an Ovayran und seine gloridischen Begleiter, die durch die Felorer an Bord der Station im intergalaktischen Leerraum zum Erstarren gebracht und zurückgelassen worden waren.

Scobee hatte keine Ahnung, um was für eine Art von Erstarrung es sich dabei handelte. Wahrscheinlich war es ein ähnlicher Zustand wie die Stasis, in die die Foronin Siroona verfallen war. Je nachdem, ob man die ganze Zeit über bei Bewusstsein bleibt und eventuell sogar mitbekommt, was in der Umgebung vor sich geht, handelt es sich dabei um die wohl schlimmste Folter, die man sich vorstellen kann!, überlegte sie.

Aber seit sie von den Jay’nac in Gewahrsam genommen worden war, hatte es keine Möglichkeit mehr gegeben, Ovayran und den seinen zu helfen.

Die Ereignisse hatten Scobee darüber hinaus kaum Zeit gelassen, zur Ruhe zu kommen und an etwas anderes zu denken als ihr eigenes Schicksal. Doch das hatte sich nun geändert.

Was könnte ich für Ovayran und die anderen Gloriden tun?, fragte sie sich. Zumindest nahm sie sich vor, bei nächster Gelegenheit dafür zu sorgen, dass sie aus ihrer Erstarrung erlöst wurden. Eigentlich musste es für den Beherrscher einer Chardhin-Perle kein Problem sein, die Station im intergalaktischen Leerraum zwischen Andromeda und der Milchstraße aufzusuchen und die Gloriden zu befreien. Zumal, wenn es sich bei Kargor offenbar tatsächlich um einen jener legendären ERBAUER handelte, die die Perlen geschaffen hatten!

Ich werde Kargor danach fragen, sobald er sich dazu herablässt, endlich mit mir Kontakt aufzunehmen!, nahm sich Scobee vor.

Aber bislang hatte Kargor dazu keine Anstalten gemacht. Und ob Prosper, was dies betraf, wirklich auf ihrer Seite stand, wusste sie noch nicht so recht. Ihr schien es eher so zu sein, dass der Anführer der Zirkustruppe seine Stellung als quasi exklusiver Übermittler von Botschaften der Entität auch ein wenig genoss.

Vielleicht tue ich ihm damit auch Unrecht, und er hat einfach nur bereits die Erfahrung gemacht, dass es sinnlos ist, sich gegen Kargor aufzulehnen, kam ihr ein Gedanke, der ihre Meinung über Prospers Rolle an Bord der CHARDHIN-Perle etwas relativierte.

Scobee erhob sich und durchschritt den Raum. Der einzige Zugang war das Schott, durch das Scobee eingetreten war.

Warum sollte ich nicht einfach mal versuchen, die Grenzen selbst auszutesten, die mir hier gesetzt werden?

Sie trat auf das Schott zu. Niemand von den anderen bemerkte sie. Sie versuchte das Schott zu öffnen, aber nichts geschah. Dann fand sie einen Schalter, den sie herunterdrückte, woraufhin das Schott zur Seite glitt.

Sie trat in den Raum davor – noch immer erstaunt darüber, dass Kargor nicht abgeschlossen hatte. Eine Bewegung von rechts ließ sie zur Seite wirbeln. Ein Roboter versperrte ihr den Weg. Es handelte sich um den fünfarmigen Gesellen, den sie hier schon einmal angetroffen hatte.

„Du verlässt den autorisierten Bereich!“, erklärte der Fünfarmige kalt.

Scobee ging einfach weiter. Ich lasse es darauf ankommen!, dachte sie.

Der Roboter folgte ihr nicht, sondern blieb auf seinem Posten.

Na also, es geht doch!, dachte sie.

Scobee stand wenig später vor dem nächsten Schott, das sich selbsttätig öffnete. Dahinter befand sich ein langer Korridor. Da die Gloriden sich in Energiewesen verwandeln konnten und in diesem Zustand dazu in der Lage waren, feste Materie zu durchdringen, gab es weite Bereiche in einer CHARDHIN-Perle, die durch normale Eingänge gar nicht zugänglich waren. Es war also fraglich, ob Scobee auf diesem Weg überhaupt weiterkam.

Am Ende des Korridors befand sich ein weiteres Schott, das ebenfalls sofort zur Seite glitt. Dahinter warteten zwei fünfarmige Roboter. Ehe Scobee sich versah, hatten sie die GenTec an den Armen gefasst. Ihre Griffe waren so fest wie die von Schraubstöcken. Sie versuchte sich loszureißen, trat um sich, aber die Maschinen waren stärker. Sie hatte keine Chance.

„Leiste keinen Widerstand mehr“, kam es aus dem Lautsprecher von einem der beiden Roboter hervor. „Das hat keinen Sinn. Du bist für einer besondere Aufgabe auserwählt und sollest dich innerlich darauf vorbereiten!“

Scobee unternahm einen letzten Versuch, sich aus den Klammergriffen zu befreien. Vergeblich. Sie hatte der Kraft der Maschinen einfach nichts entgegenzusetzen. Gegen ihren Willen wurde sie über den Korridor geschleift. Sie gab den Widerstand schließlich auf. Es hatte einfach keinen Sinn.

Die Worte des Roboters hallten in Scobees Bewusstsein wider.

„Bist du das, Kargor?“, rief sie plötzlich. „Benutzt du einen dieser Roboter als Sprachrohr?“

Die Antwort bestand aus beharrlichem Schweigen.

„Hörst du mich, Kargor? Ich habe ein paar Fragen an dich und die erste wäre, weshalb wir alle hier festgehalten werden? Was hast du mit uns vor?“

Keine Reaktion.

Schließlich brachten die beiden Fünfarmigen Scobee zurück zu den anderen. Sie stießen sie zu Boden, drehten sich um und gingen davon.

Scobee rappelte sich auf. Außer ihr war nur Sarah Cuthbert bereits wach gewesen. Die anderen schliefen noch, waren aber nun durch das Auftreten der Roboter geweckt worden. Sie setzte sich auf und wartete, bis die beiden Roboter den Raum verlassen und sich das schwere, goldenen Schott hinter ihnen geschlossen hatte.

„Was machst du für Sachen, Scobee?“, fragte Sarah.

Scobee zuckte mit den Schultern und rieb sich die Arme. Die Roboter hatten sie ziemlich hart angefasst. Um ein paar blaue Flecken kam sie wohl nicht herum.

„Ich habe versucht herauszufinden, wie weit ich gehen kann“, antwortete sie.

Sarah Cuthbert lächelte verhalten. „Offenbar im wortwörtlichen Sinn.“

„Was dagegen einzuwenden?“

„Abgesehen davon, dass es sinnlos ist, den Überwachungssystemen an Bord entkommen zu wollen – nein.“

„Der erste Roboter hat mich einfach gehen lassen ...“

„... und sofort über Funk Alarm geschlagen.“

„Warum ist eigentlich das Schott nicht abgeschlossen?“

„Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hat die Entität auch eine geheime Freude daran, immer einige von uns dazu zu animieren, den Raum zu verlassen.“

„Du meinst, Kargor will unseren Forschergeist testen?“, wunderte sich Scobee.

„Wenn dir eine vernünftigere Erklärung einfällt – bitte! Realistisch betrachtet haben wir überhaupt keine Chance, innerhalb der Chardhin-Perle auch nur den Sektor zu wechseln. Weite Bereiche kann nur jemand betreten, der feste Materie zu durchdringen vermag.“

„So wie die Gloriden.“

„Ja.“

Eine Pause entstand.

Sarah seufzte. „Trotzdem, es ist wirklich sinnlos, was du versucht hast, Scobee. Glaubst du nicht, wir hätten das nicht alle schon probiert, nachdem wir von einem Augenblick zum anderen hierher transferiert wurden? Die Entität beherrscht diese Perle vollkommen. Jeden Winkel. Sie steckt in allem. Sie kriecht gewissermaßen in die Systeme hinein und wird ein Teil davon.“

„Hat die Entität das auch mit der Rubikon gemacht?“, erkundigte sich Scobee.

Sarah Cuthbert nickte. „Ja. Bis sie irgendwann angekündigt hat, zu gehen – da hat sie uns dann leider mitgenommen, wie du inzwischen ja weißt.“ Sarah zuckte mit den schmalen Schultern. „Na ja, vielleicht war es ja auch richtig so. Zumindest für die RUBIKON.“

„Du meinst wegen dieser angeblichen genetischen Veränderung, die mit der Zeitanomalie im Getto zu tun hat.“

„Warum sagst du angeblich?“, fragte Sarah Cuthbert, während auf ihrer Stirn eine tiefe Furche erschien.

„Steckt denn mehr dahinter, als nur die Behauptung Kargors? Habt ihr irgendeinen Beweis?“

„Die Analysemethoden an Bord der Rubikon sind sicher weit über dem Niveau angesiedelt, das sich Menschen wie wir, die ehemals aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert der Erde stammen und durch Raum und Zeit von ihrem Ursprung entfernt wurden, überhaupt vorstellen können. Ich denke, dass die Aussagen, die Kargor über unsere Genetik macht, weitaus genauer sind, als man das von den Leuten sagen kann, die beispielsweise seinerzeit das GenTec-Programm ins Leben riefen.“

Scobee verzog das Gesicht zu einem gezwungen wirkenden Lächeln. „Heißt das, man sollte der Entität trauen?“

„Bis zu einem gewissen Grad.“

„Ich werde mich nicht damit abfinden, eine Marionette in dem Spiel dieses Wesens zu sein. Und ich kann mir ehrlich gesagt nur schwer vorstellen, dass eine Frau, die immerhin mal Präsidentin der mächtigsten Nation der Erde war, sich sehr wohl dabei fühlt!“

Auf Sarahs Gesicht erschien ein nachsichtiges Lächeln. „Dass ich mal Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika war, ist nun wirklich nicht mehr von Bedeutung“, sagte sie. „Die USA gehören zu einer versunkenen Welt, an die man sich nicht mehr erinnert. Der Flug einer gewissen GenTec Scobee zusammen mit Cloud, Resnick und Jarvis zählt wohl auch dazu. Davon blieben bestenfalls ein paar Erinnerungssplitter – und das war’s.“

Scobee schwieg. So viel Selbstmitleid hätte ich jemandem wie Sarah gar nicht zugetraut!, ging es ihr durch den Kopf. Aber es ist wohl ganz offensichtlich so, dass die Umstände auch den Charakter verändern.

Nach einer Pause fragte Scobee: „Warum ist Prosper so schweigsam?“

„Ich habe keine Ahnung.“

„Aber du hast das doch auch bemerkt, oder?“

„Vielleicht sind es die Umstände, die wir hier angetroffen haben, die ihn so wortkarg werden ließen. Ich weiß es nicht.“ Sie sah Scobee ernst an. „Dieser unmögliche Auftritt da unten auf Nar’gog war ganz bestimmt nicht seine Idee. Das kann ich bezeugen.“

„So?“

„Die Entität herrscht über ihn. Sie scheint der Meinung zu sein, dass wir alle, die wir hier sind, für ihre Pläne zur Verfügung zu stehen haben.“

„Was sind das für Pläne?“

„Eine gute Frage, Scobee. Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung. Auf der anderen Seite ist diese Entität zu intelligent, um mit derart großem Aufwand sinnlose Handlungen zu vollziehen. Sie tauchte auf der RUBIKON auf, um uns später zu entführen. Dann flog sie ins Nar’gog-System, um dich zu holen ...“

„Also ehrlich – wie eine wohlüberlegte Strategie klingt das für mich nicht!“

„Warten wir es ab, Scobee. Aber weil du Prosper angesprochen hast ...“

„Ja?“

„Dir ist ja inzwischen wohl klar geworden, dass er nicht freiwillig gehandelt hat.“

„Wie hat die Entität ihn unter Druck gesetzt?“

„Indem sie ihn glauben ließ, dass dem Rest seiner Truppe etwas geschehen würde, wenn er nicht mitspielt.“

Scobee atmete tief durch. „So etwas in der Art hatte ich mir schon gedacht“, bekannte sie. „Aber er war sehr überzeugend. Ich habe ihm die Charakterwandlung zum skrupellosen Machtmenschen da draußen vor dem Granogk durchaus abgenommen. Erst später, als ich merkte, dass ihr ebenso Gefangene seid wie ich, war mir klar, dass das nicht auf seinem Mist gewachsen ist.“

„Das Schlimme ist, dass ich keine Möglichkeit sehe, an unserer Lage in nächster Zeit etwas zu ändern, Scobee. Es wird alles seinen Gang nehmen. Tag für Tag derselbe Trott ... Das lähmt auf die Dauer den Geist. Man wird träge. Die Lethargie kommt schleichend, und irgendwann bist du bereit, dich mit den Verhältnissen abzufinden und inzwischen vielleicht auch schon geistig so erstarrt, das du dir kaum noch etwas anderes vorzustellen vermagst.“

„Das wird mit mir nicht geschehen“, kündigte Scobee voller Entschlossenheit an. Sie reckte das Kinn vor und hob die eintätowierten Linien, die ihre natürlichen Augenbrauen ersetzten. „Ich habe mir fest vorgenommen, nicht aufzugeben, ganz gleich was auch geschieht.“

„Warten wir ab“, murmelte Sarah in einem Tonfall, der für Scobees Ohren erschreckend resigniert klang.

Genau so will ich nicht werden!, nahm sch Scobee vor. Aber sie war natürlich realistisch genug, um zu wissen, dass dies nur ein frommer Vorsatz war – der sich irgendwann an der Realität messen lassen musste.

––––––––



I NZWISCHEN WURDEN AUCH die anderen wach. Eilig hatte es hier niemand mit dem Aufstehen. Wozu auch? Das Spannendste waren ja ohnehin noch die nächtlichen Träume. Die Wachphasen hatten mehr oder weniger nur Langeweile und quälende, unbeantwortete Fragen zu bieten. Roboter brachten ihnen das Essen. Dabei wurde auf individuelle Wünsche durchaus Rücksicht genommen, soweit sich die an Bord befindliche Technik auf die Herstellung der gewünschten Produkte umstellen ließ. Scobee war überzeugt davon, dass dies nicht an den technischen Möglichkeiten scheiterte, sondern eher an der menschlichen Fähigkeit, dem fremden System zu vermitteln, was Rindfleisch oder Bananen oder Kaffee waren. Selbst hinter synthetischem Kaffee steckte ja immer noch eine Vorstellung davon, was Kaffee eigentlich sein sollte – aber die mit der Herstellung betrauten KIs wusste davon nichts.

Und die Beschreibungen, die ein Mensch dazu abgeben konnte, reichte einfach nicht aus, um das Ergebnis hinterher den Qualitäts- und Geschmackskriterien entsprechen zu lassen. Daher schmeckte das an Bord der CHARDHIN-Perle servierte Essen ziemlich einfallslos.

„Die Gloriden kennen gar keinen Nährstoffwechsel im herkömmlichen Sinn“, berichtete Scobee bei anderer Gelegenheit. „Sie haben sich über eine Art Energietransfer ernährt, wenn das der richtige Ausdruck ist.“

„Deinen Schilderungen nach könnte man eher von ‚Auftanken’ sprechen“, lautete Sahbus Kommentar.

„Das ist richtig. Aber da sie die Hälfte ihrer Zeit als Energiewesen verbringen, sind sie eben auch in der Lage, auf diese Weise eine herkömmliche Ernährung zu ersetzen.“

„Es ist ziemlich eigenartig, dass wir bis jetzt nicht auf Gloriden gestoßen sind“, sagte Sahbu.

„Das finde ich auch“, nickte Scobee. „Aber wissen wir, wer sich noch alles an Bord dieses gewaltigen Objekts befindet?“

„Du meinst, dass die eigentliche Besatzung dieser Perle irgendwo anders einkaserniert gehalten werden könnte“, schloss Sarah Cuthbert.

Scobee nickte. „Genau.“

Sarah strich sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich weiß nicht, aber wenn ich daran zurückdenke, wie sich dieser Kargor auf der RUBIKON verhalten hat, kann ich mir schon vorstellen, dass es ihm irgendwie gelungen ist, die Perle ihren eigentlichen Bewohnern abzuluchsen – wer auch immer das zum Zeitpunkt von Kargors Auftauchen gewesen sein mag.“

Scobee hatte keine Lust, sich weiter an diesen Spekulationen zu beteiligen. Von Ovayran wusste sie genau über die Probleme Bescheid, die das kosmische Perlennetzwerk in letzter Zeit gehabt hatte. Aber ihr stand jetzt einfach nicht der Sinn danach, mehr davon zu berichten, denn sie hatte nicht das Gefühl, dass sich daraus irgendwelche Antworten auf die Fragen ergeben konnten, die sich ihnen gegenwärtig stellten.

Die wichtigsten davon waren: Was für Pläne hatte die Entität namens Kargor? Was waren die Ziele dieses ominösen Wesens? Und vor allem: Was hatte Kargor mit ihnen, den Gefangenen, vor?

Prosper Mérimée wusste vielleicht mehr, als er den anderen gegenüber verriet. Scobee erfuhr von Sahbu, dass er manchmal das Schott des Raumes passierte und erst nach Stunden zurückkehrte. Allerdings wurde er dann im Gegensatz zu Scobee nicht von Robotern gepackt und gewaltsam zurückeskortiert.

Er selbst gab sich diesbezüglich sehr schweigsam ,aber alle anderen Mitglieder der Gruppe gingen davon aus, dass er während dieser „Ausflüge“ in näheren Kontakt zur Entität trat. Und da man sich auf Kargors Seite offenbar sicher war, dass Prosper die Grenzen akzeptierte, ließ man das zu. Grenzen, die im Übrigen für Prosper Mérimée etwas weiter gesteckt zu sein schienen, als für den Rest der Gefangenen.

Die Entität benutzte und manipulierte Prosper letztlich für ihre Zwecke. So zumindest stellte sich das bisher für Scobee dar. Kargor hatte gleich erkannt, wem die natürliche Autorität innerhalb der Gruppe zufiel und diesen Umstand zugunsten seiner eigenen Ziele genutzt.

Es war auch für Scobee offensichtlich, dass Prosper in der Vergangenheit mehr Kontakt zu Kargor gehabt hatte, als die anderen Gefangenen.

Anders wäre wohl auch die Inszenierung auf Nar’gog gar nicht möglich gewesen.

Warum hat Kargor dazu jemanden wie Prosper Mérimée gebraucht?, fragte sich Scobee. Wieso konnte die ach so mächtige Entität diese Rolle, die ihr doch eigentlich wie auf den Leib geschneidert war, nicht selbst spielen?

Scobee zögerte lange, sich mit ihren Fragen nochmals an Prosper Mérimée zu wenden. Aber die Ungewissheit rumorte einfach zu stark in ihr. Sie musste wissen, was los war, außerdem konnte sie den Gedanken schwer ertragen, dass es da jemanden unter den Gefangenen gab, der ihr in dieser Hinsicht etwas voraus hatte.

Also sprach sie ihn schließlich doch noch einmal an.

„Was weißt du über die Entität, Prosper?“ Ihre Stimme klang heiser und ein wenig belegt.

Prosper saß ruhig auf einem Sitzmöbel, dessen Merkmale erkennbar nicht auf die menschliche Anatomie abgestimmt waren. Anscheinend war es darauf aber trotzdem recht bequem, denn der Anführer der Zirkustruppe verharrte dort bereits eine ganze Weile fast regungslos. Er wirkte in sich versunken und schien seinen Gedanken nachzuhängen.

Womit auch immer die sich beschäftigen mochten ...

Die Tatsache, dass er insgesamt einen doch recht resignierten Eindruck auf Scobee machte, gab ihr zu denken. Für die Chancen einer Flucht oder gar einer Schiffsübernahme durch die Gefangenen standen die Chancen damit wohl ziemlich schlecht. Warum sich schon im Vorhinein den Mut nehmen lassen?, ging es Scobee durch den Sinn. Erinnere dich an das, was auf der Foronenarche SESHA geschah, die schließlich zur RUBIKON wurde! Auch dieses Schiff wurde von der eindeutig schwächeren Gruppe an Bord in Besitz genommen. Und du selbst hattest daran deinen Anteil! Warum sollte so etwas also nicht wieder geschehen können?

Vielleicht war das nichts weiter als Zweckoptimismus in einer an sich aussichtslosen Lage. Aber Scobee war das in diesem Moment gleichgültig. Alles, was sie mental stabilisierte, war jetzt ihrer Meinung nach erlaubt. Schließlich musste es irgendwie weitergehen.

Prosper sah sie an. Eine ganze Weile musterten seine Augen Scobee, und sie fragte sich schon, ob er ihre Frage überhaupt verstanden hatte.

Schließlich sagte er: „Ich weiß, dass die Entität mit den ERBAUERN in Zusammenhang steht. Oder sagen wir es genauer: Sie behauptet das, und es gibt bisher keinen Grund für uns, daran zu zweifeln. Außerdem scheint sie an Bord dieser Chardhin-Perle mehr oder minder unbeschränkte Macht auszuüben. Was der Wahrheit entspricht und was vielleicht nur Schaumschlägerei eines mysteriösen Wesens ist, das uns mit seinen Spielzeugen verwechselt, darüber möchte ich im Moment einfach nicht spekulieren.“

Respektier diese Haltung!, meldete sich eine Stimme in Scobees Hinterkopf. Prosper Mérimée hat offenbar seinen eigenen Weg gefunden, mit der Situation klar zu kommen. Mehr wirst du im Augenblick ohnehin nicht von ihm erfahren.

––––––––



E INE ZEIT, DIE NACH Scobees Gefühl mehreren Standardtagen entsprechen musste, verging, ohne dass sich etwas Außergewöhnliches ereignete.

Scobee gewöhnte sich an das Leben an Bord. An die Regeln, die sich unter den Mitgliedern von Prosper Mérimées Truppe eingebürgert hatten und an das fade, breiartige Essen, das man den Gefangenen überließ und bei dem man sich doch redlich Mühe gab, die Geschmacksnuancen irdischer Produkte nachzuahmen.

Wenn auch ziemlich vergeblich.

Alles lief sehr eintönig ab. Eine Weile überlegte Scobee, wie sie das regelmäßige Auftauchen der fünfarmigen Roboter, die die Nahrungsmittel brachten, vielleicht für eine Flucht nutzen konnte. Aber dann sagte sie sich, dass so etwas eigentlich von vorneherein zum scheitern verurteilt war. Schließlich konnte Kargor sie jederzeit an Bord der Perle aufspüren und nötigenfalls mit Unterstützung der Roboter wieder dorthin bringen lassen, wo auch die anderen Gefangenen untergebracht waren.

Sinnvoll war eine derartige Aktion nur dann, wenn sie erstens von den anderen Gefangenen unterstützt wurde und es zweitens auch eine realistische Chance gab, das Schiff zu verlassen.

Wenn die Chardhin-Perle um einen Planeten kreiste, war dies vielleicht gegeben. Noch eher, wenn ein Landemanöver durchgeführt wurde, das jenem auf Nar’gog ähnelte.

Der Haken an der Sache war nur, dass weder Scobee noch die anderen Gefangenen je etwas davon mitbekommen würden, wo sich das Schiff gerade befand und wie nahe möglicherweise der nächste Planet war, dessen Oberfläche das Ziel einer Flucht sein konnte.

Vielleicht war Prosper Mérimées Strategie doch die bessere. Erst einmal abwarten, was geschah. Darauf lief es hinaus.

Irgendwann würde sich der Plan Kargors schon offenbaren.

Irgendwann ...

Scobee verfluchte den ERBAUER innerlich.

Sie konnte es einfach nicht ausstehen, wenn sich jemand wie ein Gott aufspielte. Aber zurzeit musste sie das wohl noch ertragen.

––––––––



E S WAR WÄHREND EINER Schlafperiode, als Worte Scobee weckten. Sie war von einem Augenblick zum anderen hellwach, wunderte sich allerdings, woher diese durchdringende Stimme kam. Sie hörte sie nicht wirklich. Stattdessen hallten die Worte in ihrem Kopf wieder. Aber es war Scobee vom ersten Augenblick an klar, dass es sich nicht um ihre eigenen Gedanken handelte.

„HÖRST DU MICH, SCOBEE? HIER SPRICHT KARGOR.“

Scobee glaubte auch erkennen zu können, dass es sich nicht um eine telepathische Übertragung handelte. Und wenn doch, geschah diese auf völlig anderer Basis, als es beispielsweise während eines Gedankenaustauschs mit Siroona der Fall war.

Vielleicht steuert Kargor einfach das Implantat an, die ich trage. Der Translatorchip würde sich dafür anbieten ...

Kargor reagierte nicht auf Scobees Gedanken. Und das war für sie in weiteres Indiz, dass sie es nicht mit Telepathie, sondern mit einer Transmission zu tun hatte, die Technik fußte.

„Was willst du, Kargor?“, fragte sie laut.

„IST ES WIRKLICH ANGEMESSEN, DIESE FRAGE ZU STELLEN?“, gab der ERBAUER zurück. „SCHLIESSLICH WOLLTEST DU DOCH MIT MIR SPRECHEN – UND NICHT UMGEKEHRT!“

O Mann, so schnell beleidigt? Das kann ja heiter werden!, dachte Scobee. Sie saß nun kerzengerade auf ihrem Lager und war hellwach.

„Was hast du mit uns vor?“, fragte Scobee. Das war der mit Abstand wichtigste Punkt, der geklärt werden musste. Aber die Entität hatte in ihrer Erhabenheit offenbar wenig Neigung zu konkreten Auskünften.

„ZU GEGEBENER ZEIT WIRST DU NÄHERES ÜBER MEINE PLÄNE ERFAHREN“, versprach Kargor.

„Das ist doch völliger Irrwitz!“, rief sie lauter, als sie es beabsichtigt hatte. „Wer soll dir das abnehmen?“

Eines der Mitglieder von Prosper Mérimées Truppe wachte kurz auf und drehte sich auf die andere Seite. Der Mann schien noch immer ziemlich müde zu sein und schlief dementsprechend rasch wieder ein.

Scobee lauschte in sich hinein. Aber die Entität schwieg.

„Warum bekomme ich keine vernünftigen Antworten auf meine Fragen?“, wollte sie wissen, als ihr die Pause des gegenseitigen Schweigens einfach zu lang und unbehaglich wurde. „Du hast Menschen gegen ihren Willen von einem Raumschiff entführt und dasselbe hast du mit mir getan. Es muss einen tieferen Grund dafür geben als den von dir genannten! Das hoffe ich zumindest, denn wenn du das nur getan haben solltest, um ein paar lebendige Spielzeuge um dich zu scharen, fände ich das zutiefst verachtenswert.“

Scobee wartete einen Moment, dann erfolgte die Antwort der Entität. Irgendwie konnte sich Scobee des Eindrucks nicht erwehren, dass Kargor etwas eingeschnappt war. Aber das war ihr im Moment ziemlich gleichgültig.

„ICH VERFOLGE EINEN PLAN, VON DEM ICH JETZT NOCH NICHTS VERRATEN WERDE!“, behauptete die Entität.

„Warum nicht?“, hakte Scobee nach. Sie war nicht gewillt, locker zu lassen, sondern nahm sich vor, einfach penetrant immer weiter zu fragen. So lange, bis sie eine zumindest einigermaßen befriedigende Antwort bekam. Es wurmte sie einfach, mit welcher Arroganz Kargor vorging, und sie hatte längst entschieden, dass sie das nicht leiden konnte.

„DEN GRUND, WESHALB ICH PROSPER MÉRIMÉE UND SEINE GRUPPE AUS DER RUBIKON ENTFERNT HABE, IST DIR DOCH HINLÄNGLICH BEKANNT“, sagte Kargor.

„Du belauschst uns!“, stieß Scobee hervor. „Du belauschst uns alle permanent!“

Die Entität blieb vollkommen ruhig und wirkte verständnislos. „WARUM SOLLTEN INFORMATIONEN AUS EUREM AKUSTISCH-KOMMUNIKATIVEN VERKEHR NICHT GESAMMELT UND AUFGEZEICHNET WERDEN?“, fragte sie. „ICH SEHE KEINEN GRUND, AN DIESER PRAXIS ETWAS ZU ÄNDERN. FÜR MICH SEID IHR EINE WERTVOLLE FRACHT, UND ES GIBT ÜBERHAUPT KEINEN GRUND, MEIN EIGENTUM NICHT STÄNDIG MIT ALLEN SINNEN ZU ERFASSEN.“

„Woher kanntest du meinen Aufenthaltsort, Kargor?“, stellte Scobee die nächste Frage, aber ihre Hoffnung, wenigstens darauf eine zufrieden stellende Antwort zu bekommen, war inzwischen auf den Nullpunkt gesunken.

Es scheint eine Spezialität dieses Wesens zu sein, sich aus allem herauszureden!, überlegte sie. Und mit meinen bescheidenen Verhörmethoden, werde ich da wohl nicht weiterkommen.

„ICH BESITZE EIN GROßES WISSEN ÜBER VIELE DINGE“, erwiderte Kargor so ausweichend, wie Scobee es befürchtet hatte. „WARUM ALSO NICHT AUCH ÜBER DEN AUFENTHALTSORT EINER GENTEC namens Scobee?“

„Wie hast du es geschafft, die Herrschaft über diese CHARDHIN-Perle zu gewinnen und sie aus der Verankerung jenseits der Dunkelzone des galaktischen Schwarzen Lochs zu ziehen?“, fragte Scobee.

„KEIN KOMMENTAR. ÜBERDIES WERDE ICH MICH JETZT MENTAL ZURÜCKZIEHEN!“

„Nein!“, rief Scobee laut.

„WAS IST NOCH? ES HAT WENIG SINN, WENN WIR IM MOMENT WEITER KOMMUNIZIEREN. ICH WERDE MICH STATTDESSEN ZU GEGEBENER ZEIT AN DICH UND DIE ANDEREN GÄSTE AN BORD DER CHARDHIN-PERLE WENDEN...“

Gäste!, echote es in Scobees Kopf wieder. Welch ein Hohn!

„Kargor!“, rief sie. Aber die Entität hatte sie verlassen. Scobee bekam keine Antwort mehr.

„Überheblicher Astral-Schuft!“, schimpfte sie vor sich hin.

––––––––



P ROSPER WAR DURCH DEN Dialog zwischen Scobee und Kargor erwacht. Er hatte von dem Zwiegespräch lediglich den Teil mit anhören können, den Scobee gesagt hatte. Jetzt stand er auf, ging auf sie zu und ließ sich wenig später ganz in ihrer Nähe nieder.

„Kargor hat mit mir gesprochen“, sagte Scobee zur Erklärung dafür, dass sie so viel Lärm gemacht hatte.

„ Du hast mit ihm gesprochen, wenn ich das richtig verstanden habe“, hielt Prosper Mérimée dem entgegen. „Aber die Antwort war nicht zu hören.“

„In meinem Körper befinden sich eine Reihe von Implantaten, darunter auch ein Übersetzungschip. Ich nehme an, dass Kargor eines dieser neuronal vernetzten technischen Elemente angesteuert hat und mir auf diese Weise seine Botschaften zukommen ließ.“

Prosper Mérimée hob die Augenbrauen und gähnte im nächsten Augenblick. Die Schlafperiode schien für ihn nicht lang genug gewesen zu sein. Er machte einen nicht gerade erholten Eindruck.

„Möglich, dass du recht hast“, gestand er ihr zu. „Und? Habe ich dir zuviel versprochen?“

„Die Entität ist nicht gerade sehr gesprächig“, stellte Scobee fest.

„Ja, und es gibt für dich nicht die geringste Möglichkeit, gegen die Entität zu konspirieren. Wenn es anders wäre, hätte ich das längst versucht. Die Überwachung ist total. Vielleicht verfolgt unser aller ‚Wohltäter’ unser Gespräch, indem er einfach die Daten meines Übersetzungschips abgreift.“

„Du darfst nicht resignieren, Scobee!“

Das ausgerechnet du mir so etwas sagst!, ging es ihr bitter durch den Kopf. Aber das bedeutete nicht, dass Prosper nicht Recht gehabt hätte.

––––––––



S COBEE ÜBERLEGTE SICH, wie sie die Entität erneut dazu bringen konnte, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Eine Möglichkeit schien ihr zu sein, Kargor zu provozieren, indem sie immer wieder den Raum verließ, in dem sie untergebracht waren.

Das Schott war auch jetzt nicht geschlossen worden. Sie passierte es also. Prosper hatte ihr dringend davon abgeraten, es aber nicht näher erklärt. Scobee hatte alle Warnungen in den Wind geschlagen. Sie wollte etwas unternehmen, um Bewegung in die Situation zu bringen, denn sie hatte das Gefühl, dass dies dringend nötig war.

Der vor dem Schott postierte fünfarmige Roboter sprach Scobee an und wies sie darauf hin, dass sie den erlaubten Bereich verließ.

Scobee fragte sich erneut, weshalb Kargor das Schott nicht einfach verschloss. Offenbar verfolgte er seine eigenen undurchsichtigen Pläne mit Scobee. Wollte er anhand des offenen Schotts vielleicht den Charakter der Gefangenen testen?

Solche perversen Psycho-Spielchen traue ich ihm glatt zu!, überlegte Scobee.

Der Roboter versuchte sie am Arm zu fassen. Aber Scobee wich aus. Sie spurtete den Korridor entlang, an dessen Ende sie erneut einen Ausgang fand.

Doch als sie sich dem zweiten Schott näherte, verschmolz es mit der Wand und war im nächsten Moment nicht mehr sichtbar. Scobee stand wenig später fassungslos vor der vollkommen glatten Wand, die so kalt und metallisch war, wie man es auch von der gesamten Außenhülle der CHARDHIN-PERLE kannte.

Scobee seufzte.

Sie drehte sich um, damit sie sehen konnte, wie weit ihr die Verfolger schon im Nacken saßen, und stellte fest, dass hinter ihr in etwa drei Metern Entfernung plötzliche eine Wand den Korridor versperrte.

Wie aus dem Nichts war sie erschienen.

Was soll das nun?, fragte sie sich. Eine neue Variante des alten Spiels?

Scobee lief zurück, hämmerte mit den Fäusten gegen die neue Barriere. Ihr Gesicht wurde zu einer grimmigen Maske. „Kargor! Hör auf mit deinem sadistischen Spiel! Alles, was du damit gewinnen kannst, ist meine Verachtung! Du magst dich als die Krone der Schöpfung ansehen, aber das bist du nicht! Jedes sogenannte Primitivwesen besitzt im Umgang mit anderen mehr Anstand und Moral als du!“

„WAS TUST DU DA?“, fragte plötzlich eine laute und sehr artikuliert sprechende männliche Stimme.

Scobee war empört. „Erkläre mir, was du jetzt für eine perverse Versuchsanordnung aufgebaut hast!“

„ICH VERSTEHE DICH NICHT. DU WOLLTEST WEG VON DEN ANDEREN UND ICH HABE DIR DEN GEFALLEN GETAN UND DICH SEPARIERT. WAS IST DAGEGEN EINZUWENDEN?“

„In Wahrheit hatte ich den Plan, mich auf eigene Faust auf den Weg durch die Perle zu machen, um herauszufinden, was hier vorgeht!“

„Habe ich das nicht bereits gesagt?“

„Es tut mir leid, aber das habe ich leider nur zum Teil verstanden!“

Einige Augenblicke herrschte Schweigen.

„DU SOLLTEST ES NICHT DARAUF ANLEGEN, MICH ZU ERZÜRNEN!“, sagte die Entität.

„Kann mir das in meiner jetzigen Lage nicht gleichgültig sein?“, lautete Scobees respektlose Erwiderung.

„DURCHAUS NICHT.“

„Erklär mir, warum“, verlangte Scobee.

„IM AUGENBLICK NUR SO VIEL: ICH MEINE ES GUT MIT EUCH UND WERDE ALLES ZU EUREM BESTEN ARRANGIEREN. DENN ES LIEGT AUCH IN MEINEM EIGENEN INTERESSE. DER PLAN, DEN ICH MIT EUCH HABE, WIRD SICH ERFÜLLEN.“

„Worin besteht der Plan?“

„ICH WEISS NICHT, OB EIN ELEMENT WIE DU DER GRUPPE BEI DER AUFGABE, DIE IHR BEVORSTEHT, WIRKLICH ZUTRÄGLICH IST.“

Scobee horchte auf. „Von was für einer Aufgabe redest du andauernd?“

„Das brauchst du jetzt noch nicht zu wissen.“

„Was ist der Plan?“

„ICH WERDE ES EUCH ERKLÄREN. ABER NICHT JETZT.“

„Wann?“

„WENN DIE ZEIT GEKOMMEN IST!“

„Zu welchem Zeitpunkt soll das sein?“

„BALD.“

„Das ist mir zu schwammig. Ich verlange genauere Auskünfte. Diese Ungewissheit ertrage ich nicht länger!“

Eine Pause entstand.

Schließlich erklärte die Entität: „KURZ BEVOR WIR DAS ZIEL ERREICHEN, WIRST DU NÄHERES ERFAHREN. WENN DIESER FALL EINTRITT, WERDE ICH EUCH INFORMIEREN.“

Deine Arroganz bringt mich noch zur Weißglut!, durchfuhr es Scobee.

„WAREN DAS ALLE DEINE FRAGEN?“

„Nein, durchaus nicht. Ich nehme an, dass für die Chardhin-Perle eine Entfernung zwischen der Milchstraßen-Galaxie und Andromeda leicht zu überwinden ist!“

„DAS IST RICHTIG.“

„Ich bin mit ein paar Gloriden unter der Führung eines gewissen Ovayran bei einer Station mitten im Leerraum gestrandet. Jay’nac und Felorer haben mich in Gewahrsam genommen.“

„WARUM ERZÄHLST DU MIR DAS ALLES?“

„Weil ich möchte, dass wir zu dieser Station fliegen und sie aus der Erstarrung befreien, in die sie versetzt wurden!“

Ein seltsamer Laut drang in Scobees Bewusstsein, und sie wusste sofort, dass es sich um Kargors Entsprechung eines höhnischen Gelächters handeln musste. Es wollte zunächst gar nicht aufhören.

„SO, DU MÖCHTEST ALSO GERNE DEN KURS DIESER CHARDHIN-PERLE BESTIMMEN UND DICH ZUR HERRIN DES SCHIFFS AUFSCHWINGEN? DEIN EHRGEIZ IMMERHIN IST BEMERKENSWERT, AUCH WENN ER IN KEINER WEISE MIT DEINEN FÄHIGKEITEN ZU KORRESPONDIEREN SCHEINT: AUSSERGEWÖHNLICHE AMBITIONEN SOLLTEN VON AUSSERGEWÖHNLICHEN GABEN GESTÜTZT WERDEN. ABER DIESE ANSICHT SCHEINT AUS DER MODE GEKOMMEN ZU SEIN.“ Er seufzte – laut und gut hörbar. „NATÜRLICH KOMMT ES NICHT IN FRAGE, DASS DEIN VORSCHLAG REALISIERT WIRD.“

„Warum nicht?“

„WIR HABE DRINGLICHERES ZU ERLEDIGEN.“

„Was?“

„MÖCHTEST DU IN ZUKUNFT ALLEIN WOHNEN ODER ZU DEN ANDEREN GELANGEN KÖNNEN?“

Er geht nicht auf mich ein!, erkannte Scobee. Daher sagte sie resignierend: „Ich brauche Kontakt zu den anderen“.

„GUT, DANN WERDE ICH DICH ZURÜCKBRINGEN. ICH ÜBERLEGE MIR ABER, OB ICH DICH VIELLEICHT AUF DAUER AUS DER GRUPPE HERAUSNEHMEN UND ELIMINIEREN SOLLTE.“

„Warum solltest du so etwas Verrücktes tun? Dazu hättest du nicht erst das Granogk erpressen müssen ...“

„WEIL ICH MIR MITTLERWEILE NICHT MEHR SICHER BIN, OB DU FÄHIG BIST, DICH IN DEN DIENST EINER GEMEINSCHAFT ZU STELLEN.“

Jetzt war es Scobee, die lachte. „Du meinst damit doch gar nicht den Dienst an einer Gemeinschaft – sondern an dir!“

„DU KANNST DAS MEINETWEGEN DREHEN, WIE DU WILLST. JEDENFALLS WIRD ES GENAU DARAUF IN ZUKUNFT FÜR EUCH ALLE ANKOMMEN. ICH BEOBACHTE EUCH DAHER SEHR INTENSIV, DENN ICH MÖCHTE AUF KEINEN FALL RISKIEREN, DASS MEIN PROJEKT SCHEITERT.“

Imperium der Foronen: Raumschiff Rubikon Band 9-16: Science Fiction Abenteuer Paket

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