Читать книгу Imperium der Foronen: Raumschiff Rubikon Band 9-16: Science Fiction Abenteuer Paket - Lars Urban - Страница 34
2.
ОглавлениеKargor zog sich zurück, tauchte in die verborgenen Tiefen seiner Prismengestalt ein, die ihm als Aktionskörper und Wohnort diente (ihm und allen anderen, die waren wie er), kaum dass der Transfer der Passagiere nach Angk I abgeschlossen war. Milliarden Stimmen empfingen und liebkosten ihn und nahmen ihn auf in den Pool der Seelen, den er verlassen hatte, um die Aufgabe zu erfüllen.
Die Aufgabe ... Eigentlich waren es derer viele. Eine Mission baute auf die andere auf. Nichts hatte ein Ende, alles war im Fluss.
Sie hießen ihn willkommen. Alle wussten bereits, was er wusste. Sein Wissen war das ihre. Und umgekehrt. Es gab keine Geheimnisse.
Gekommen war er indes ohnehin nicht zur Berichterstattung, sondern aus anderem Grund.
Alphur ist im Sterben begriffen.
Der Chor der anderen bejahte dies, und für einen Moment von unbestimmbarer Dauer badete er in ihren wohlmeinenden Impulsen.
Bin ich befugt, Taranee zu erwecken?
Du bist unser Arm, wehte ihm die Antwort der Milliarden entgegen. Sie waren im Einklang miteinander. Erwecke Taranee, damit das Reich wieder atmen kann. Kehre zurück und vollende, was der Arm begann. Vielen von uns hungert nach Licht, nach Luft und Bewegung. Nach der Nähe anderer. Du weißt es. Du bist der Arm. Zünde das Feuer des Lebens. Hauche Taranee den Atem ein, der auch manchen von uns zurückbringen wird ans Licht.
Ganz gleich, von wie kurzer Dauer sein Aufenthalt im Pool auch gewesen sein mochte, Kargor hatte ihn genossen. Er hatte fast vergessen gehabt, wie es war, Individuum und Kollektiv zugleich zu sein. Die Bürde seiner Verantwortung fiel von ihm ab, weil die Zuversicht der anderen ihn zurück an die Oberfläche trug.
Ein Ruck ging durch die Gestalt, die die Perle nicht verlassen hatte, sich immer noch dort aufhielt, wo sie zuletzt mit den Menschenpassagieren gesprochen hatte – vor deren Abschied.
Ich werde sie wiedersehen, dachte er. Sie und ihre Nachkommen. Aber zuerst ...
Zuerst musste er Taranee erwecken. Und Alphur dorthin schicken, woher Taranee kam.
Die Aufgabe war klein.
Für einen Schöpfer.
Kargor aktivierte die Perlensensoren, um Kontakt zur sterbenden Sonne herzustellen.
Sie begrüßte ihn respektvoll – auch wenn es nur die Stimme der Maschinen war, die Alphur umschwebten.
Maschinen älter als die Sonne selbst.
Viel, viel älter.
Kargor wusste blind, welcher Befehle es bedurfte, um die Sonne endgültig zum Verlöschen zu bringen ...
... und zu entsorgen.
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D IE SELTSAME STADT lag immer noch in der Ferne, als es zu dämmern begann. Niemand hatte es gewagt, sich ihr zu nähern, noch nicht jedenfalls, zumal der Turm, zu dessen Füßen sie angekommen waren, sie immer noch in seinen Bann zog. Er allein mochte mehr Rätsel beherbergen, als sie in ihrer Lebenszeit – selbst wenn die Sonne am Himmel diese nicht radikal verkürzte – ergründen konnten.
„Wie hoch mag er sein?“, überlegte Scobee laut. Sie saß auf einem glatt polierten Stein, der eine Maserung und Färbung wie Onyx hatte – schwarze und weiße Lagen, die an der Oberfläche wundervolle Strukturen bildeten. Er war körperwarm und fühlte sich fast weich an. Anfangs hatte Scobee befürchtet, es könnte etwas völlig anderes sein als Stein. Aber mittlerweile hatte sie sich an das Gefühl, darauf zu sitzen, gewöhnt.
Prosper, der mit dem Rücken zum Turm an einer lichten Stelle im Gras saß, schaute über die Schulter und meinte. „Kann ich nicht sagen. Aber es müssen Kilometer sein.“
„Sein Durchmesser beträgt höchstens fünfzig, sechzig Meter. Keine Statik der Welt könnte so etwas aufrecht halten – oder vor dem Zusammensturz bewahren“, gab sie zu bedenken, obwohl das ziemlich genau auch ihrer Einschätzung entsprach.
„Du meinst keine Statik unserer Welt“, entgegnete er achselzuckend. „Vergiss nicht, wir haben es hier mit ERBAUER-Technologie zu tun – höchstwahrscheinlich jedenfalls.“
„Du meinst, sie leben hier?“
„Leben oder lebten“, mischte sich Sarah Cuthbert ein. Sie saß so nah bei Prosper, dass sich ihre Arme fast streiften, wenn einer von ihnen sich bewegte.
Für Scobee keine Überraschung. Schon an Bord der RUBIKON hatte sie bemerkt, dass der ehemalige Bewohner des Gettos und die Ex-Präsidentin einander große Sympathie entgegenbrachten. Und es hatte sie verwundert, dass es nie zu intimeren Momenten zwischen beiden gekommen war – zumindest zu keinen, die nach außen erkennbar geworden waren. Im Miteinander gaben sie sich immer noch freundschaftlich distanziert.
Aber das war ihre Sache. Scobee wusste, wie schwer es mitunter sein konnte, die Signale des eigenen Körpers und der eigenen Emotionen zu deuten. Sie hatte dergleichen oft genug im Zusammenspiel mit Cloud erlebt. Dass sie kurz nach dem Friedensschluss zwischen Satoga und Jay’nac einmal auf „Erkundungstrip“, wie sie es nannte, gegangen waren und Grenzen überschritten hatten, war im nachhinein betrachtet wohl nicht die beste Entscheidung gewesen. Es hatte viel Magie zerstört – und für sie zumindest letztlich die Gewissheit erbracht, dass Cloud nicht ihr Mr. Right war.
Sie wünschte Sarah und Prosper ein besseres Händchen.
„Das Problem ist“, sagte sie, „wir wissen eigentlich nichts. Gar nichts. Kargor hat uns ohne jedes Rüstzeug hierher verbannt. Möglich, dass dies wirklich seine Heimat ist und dass wir hier auf ein Heer solcher treffen, die sind wie er ...“
„Grausam, skrupellos und nur sich selbst gegenüber Rechenschaft schuldig?“, fragte die Lange Paula, die sich aus Richtung des Turms näherte und auf Prospers anderer Seite niedersetzte. Ihre Miene war betont ausdruckslos, aber Scobee war Frau genug, um die seismischen Erschütterungen zu spüren, die sich hinter Paulas Augen ereigneten, hier, in unmittelbarer Nähe der Rivalin.
Im Gegensatz zu Sarah hatte Scobee Paula und Prosper diverse Male eng umschlungen in irgendeinem Winkel der RUBIKON gesehen. In letzter Zeit jedoch schien sich ihre Zuneigung abgekühlt zu haben. Zumindest von Prospers Seite.
Scobee lächelte. „Treffend charakterisiert. Ich hätte Mühe, etwas Positives über ihn zu sagen.“
„Er hat dich befreit“, erinnerte Prosper sie, erkennbares Unbehagen färbte seine Stimme. Woran zumindest eine der beiden Frauen, die ihn einrahmten, schuld war.
Offensichtlich.
„Wozu auch immer.“ Scobee machte eine abwiegelnde Geste. Sie hatte Mühe, sich Kargor wirklich als ihren Befreier vorzustellen. Obwohl er mit großem Geschütz über Nar’gog aufgefahren war.
„Das mag sein“, erwiderte er. „Aber Fakt ist, dass du genau wie wir offenbar dazu bestimmt bist, dein Leben hier auf dieser Welt zu fristen.“ Er hob den Arm und zeigte in die Richtung, wo die Sonne kurz zuvor blutrot versunken war. Seither war es empfindlich kalt geworden. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich die Nacht auf einer fremden Welt herbeisehnen könnte. Aber hier tue ich’s. Der Anblick dieser Sonne ist wirklich nichts für sensible Gemüter. Hattet ihr auch das Gefühl, ihre Strahlen würden sich geradewegs ins Gehirn brennen? Hier zu leben muss die Hölle sein. Wir werden es nicht lange ertragen. Auch wenn das nach Schwarzmalerei klingt – aber ich kann aus meinem Herzen keine Mördergrube machen. Ich mag diesen Planeten nicht. Und seine sechs Geschwister auch nicht – dafür muss ich sie gar nicht erst betreten. Die Sonne ist ja überall gleich.“
„Du glaubst wirklich, dass sie stirbt“, erkannte Paula mit einer Betroffenheit, die ihre Fassade kurz zum Bröckeln brachte.
Er sah sie an. „Du nicht?“
Sie zuckte die Schultern. Schwieg. Kniff die Lippen zusammen.
„Er hat uns reingelegt“, meldete sich Rodriguez zu Wort. Er hatte bei einer anderen Gruppe gesessen, kam aber jetzt zu ihnen und stellte sich zwischen Prosper und seine Frauen und Scobee.
Scobee lächelte ihm zu. Sie hatte den Halbwüchsigen an Bord der RUBIKON kaum wahrgenommen, obwohl sie ihm ebenso häufig begegnet war wie jedem anderen Mitglied von Prospers ehemaligem Zirkus.
Aber hier auf Angk I hatte sie ihn sofort bemerkt. Nicht allein, weil er ihnen mit seiner Bewusstlosigkeit Sorgen bereitet hatte, nein, sein ganzes Wesen sprach sie an. Als er vorhin zu der anderen Gruppe gegangen war, hatte sie sich dabei ertappt, dass sie das bedauert hatte.
Verrückt. Er war noch ein halbes Kind. Und das, was sie seine Nähe suchen ließ, war ... alles andere als dazu passend.
Sie rief sich zur Räson. „Aber es hätte dieses Tricks, dieser Täuschung doch gar nicht bedurft“, griff sie den Faden auf. Sie nickte Rodriguez zu, den Prosper häufig Rod oder Roddy nannte. „Kargor hätte uns schon an Bord der Perle zeigen können, wie es um dieses System bestellt ist. Dass sein Zentralgestirn fast ausgebrannt ist und auf absehbare Zeit keine Kraft mehr haben wird, den Welten, die es umlaufen, genug Licht und Wärme zu spenden, um darauf Leben zu ermöglichen. Er hätte es einfach tun können, wenn er uns wirklich so böse gesonnen ist, wie viele von uns zu glauben scheinen. Okay ... ich eingeschlossen. Er hat uns noch nicht wirklich viel Grund gegeben, ihn zu mögen. Aber nichtsdestotrotz: Er hätte diese Sperenzien nicht nötig. Er hätte sagen können: Hier, seht, diese Hölle ist eure neue Heimat. Dort könnt ihr zusehen, wie ihr euch durchschlagt! Stattdessen hat er uns eine rosige Zukunft versprochen ... Das macht für mich keinen Sinn.“
„Vielleicht“, sagte Prosper philosophisch, „liegt der grundlegenden Fehler schon darin, ihm überhaupt sinnvolles Handeln zu unterstellen.“
Der Wind nahm zu. Eine heftige Böe strich aus der Richtung, die Stadt und Turm entgegengesetzt lag, über die Landschaft, bog fremdartige Sträucher und Gräser und zerrte an den Menschen, die sich dichter zusammendrängten.
Erst in diesem Moment wurde Scobee bewusst, wie kalt es wirklich war.
Zum Sterben eisig.
Eine weiße Atemfahne löste sich von ihrem Mund, als sie aufstand und sich mit in die Hüften gestemmten Fäusten vor die Gruppe stellte.
„Wir müssen entweder in den Turm – oder hinüber zu den Häusern. Der Turm ist näher, deshalb schlage ich vor, dass wir versuchen, uns Zutritt zu verschaffen, wenigstens bis zum Morgen, wenn die Sonne wieder aufgeht. Hier draußen werden wir jämmerlich erfrieren. Das ist abzusehen. Mann kann förmlich fühlen, wie das Thermometer sinkt.“
So schnell es kalt geworden war, so schnell senkte sich auch die Dunkelheit über das Land. Die Häuser in der Ferne begannen zu leuchten, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Es sah aus, als legten sich Auren um die einzelnen Gebäude.
„Wenn da keiner zuhause wäre, wäre das doch eine verdammte Energieverschwendung – oder?“, spöttelte Pancake und kicherte, als belaste es ihn in keiner Weise, was für sie alle auf dem Spiel stand.
Einige von ihnen hatten die Stunden seit der Ankunft damit verbracht, den Turm in Augenschein zu nehmen, allerdings ohne auch nur die Andeutung eines Zugangs zu finden.
Darauf wies Sarah jetzt hin. Gleichzeitig zeigte sie zu der sonderbaren Stadt. „Ich würde eher dazu raten, dorthin zu gehen. Hier finden wir doch keinen Einlass, das haben wir längst probiert. Keine Ahnung, was der Turm mit unserem Transfer zu tun hatte – aber rein kommen wir ohne spezielles Know-how nicht.“
Sie versuchten es trotzdem noch einmal, mit vereinten Kräften. Aber der kobaltblaue Turm (der im Übrigen nicht zu glimmen begann wie die entfernt liegenden schildkrötenpanzerartigen Gebäude) wirkte wie aus einem Guss geformt, es gab, von den unbekannten Symbolen abgesehen, nicht die kleinste Fuge, die auf eine verborgene Tür hinwies.
Minuten später – es begann gerade zu schneien, und faustgroße Flocken fielen vom Himmel – einigte sich die Gruppe darauf, doch zur Stadt aufzubrechen und dort Schutz zu suchen.
Die Alternative war erfrieren. Aber keiner wollte Kargor einen so schnellen Triumph gönnen.
Aber lange bevor sie den erhofften Schutz erreichten, verwandelte sich das Schneetreiben in einen ausgewachsenen Blizzard und raubte den meisten von ihnen jeden Mut. Die Tuniken, von Kargor an Bord der Perle erhalten, boten keinen nennenswerten Schutz vor den Unbilden des Wetters. Verzweiflung machte sich breit.
Und die Schemen, die sich ihnen aus der Stadt näherten, bemerkten sie erst, als sie bereits bei ihnen angekommen waren. Und über sie herfielen.
Es wurde ein ungleicher Kampf, der schnell entschieden war. Selbst Scobee, deren Konstitution und kämpferische Möglichkeiten überdurchschnittlich waren, hatte keine Chance.
Netze flogen.
Die Häscher hatten leichtes Spiel. Ihnen schien der Blizzard nichts anhaben zu können.
Nur Minuten nach der Attacke zogen sie mit ihrer Beute wieder ab Richtung Stadt.
––––––––
M IT SONNENUNTERGANG wurde die Lage auf der betroffenen Seite des Planeten dramatisch. Kargor hatte sich zuvor nicht wirklich damit auseinandergesetzt, sonst hätte er mit dem Transfer der neuen Bewohner noch gewartet. Und als es ihm auffiel, wollte er den gemachten Zug nicht noch einmal zurücknehmen.
Es wäre ihm als Schwäche ausgelegt worden. Deshalb entsandte er, während er sich weiter mit der Erweckung Taranees befasste, die Tavner, was so viel wie Diener in seiner Sprache hieß.
Aber der harmlose Begriff täuschte über das Arsenal von Waffen hinweg, mit denen die Tavner ausgestattet waren. Notfalls konnten sie eine Angk-Welt gegen eine komplette feindliche Invasionsmacht dieser Realitätsebene verteidigen.
Dazu war es in der Vergangenheit nie gekommen – und es würde auch in Zukunft nicht dazu kommen. Aber eine der Maxime der Ersten war es, für alles gewappnet zu sein.
Damit waren sie in all den Äonen gut gefahren.
Kargor hatte ein Gefühl von völliger Auflösung, als er an die unglaubliche Zahl von Jahren dachte, die er bereits in diesem Gefängnis weilte. Aber dieser Anflug von Verzweiflung verging wieder wie all die anderen davor.
Ohne in seiner Konzentration nachzulassen, widmete er sich dem Akt der Schöpfung, der Leben für die nächsten Jahrmillionen sichern sollte. Es hätten Jahrmilliarden sein können, wäre das System nicht so energieaufwändig gewesen. Aber allein die Aufrechterhaltung der Straßen zehrte enorm an dem Sonnenfeuer, das die nötige Kraft dafür lieferte.
Er hatte nie gelernt, in diesem Körper zu lächeln (wahrscheinlich, weil er nie das Bedürfnis dazu verspürt hatte), aber, so versunken in die Arbeit wie jetzt, breitete sich zumindest ein warmes Gefühl in jedem Segment seines kristallinen Körpers aus.
Er fühlte sich, nach kurzer Krise, wieder im Einklang mit sich selbst und mit den anderen. Und mit allem, was sie hier geschaffen hatten. Als eines ihrer ersten Werke im Exil. Zu dem sie heute noch den meisten Bezug hatten. Ein Ort, der ihnen die Imagination von Heimat vermittelte – auch wenn die wahre Heimat unerreichbar geblieben war bis in diese Zeit.
Er hatte sich in den elitären Bereich der Perle zurückgezogen – dorthin, wo kein Gloride, geschweige denn ein anderes Wesen, jemals unbefugten Zutritt erlangt hatte.
Kargor versank in den Holographien, die ein Abbild der Realität waren. Seine kristallinen Gliedmaßen berührten in rasendem Tempo mal dieses, mal jenes Symbol des Perlenrechners, der Kontakt zu den Maschinen im engen Orbit um das Gestirn aufgenommen hatte.
Die sterbende Sonne verlor an Schärfe.
Die sterbende Sonne geriet in den Fokus der Gewalten, die Kargor zündete.
Ein Loch entstand. Ein Loch in der Realität, das einen unwiderstehlichen Sog auf die verbrauchte Sonne ausübte.
Ein sonnenloser Moment entstand.
Das System verlor sein Zentrum.
Für die Dauer eines ... was? Wie viel Zeit verstrich, ehe der Wechsel vollzogen, die neue Realität etabliert war?
Es hatte Kargor nie interessiert. Nur das Ergebnis zählte.
Und zufrieden löste er sich aus dem Gespinst der Holoelemente. Es war vollbracht. Die Angk-Welten erstrahlten in neuem, vitalisierendem Licht ...