Читать книгу Imperium der Foronen: Raumschiff Rubikon Band 9-16: Science Fiction Abenteuer Paket - Lars Urban - Страница 36
3.
ОглавлениеAls Prosper erwachte, fühlte er sich, als wäre ihm jeder noch so kleine Muskel im Leib gezerrt worden. Sein kompletter Körper war in Schmerz getaucht; nicht unerträglich, aber doch von solcher Präsenz, dass er sekundenlang nichts anderes tun konnte, als sich darauf zu konzentrieren.
Seine Augen waren offen, und trotzdem war es dunkel.
Wo bin ich?, dachte er. Und als würde der Gedanke ein Licht zünden, kam von irgendwoher plötzlich ein Strom von Helligkeit.
Der Anblick der Gefährten, die um ihn verstreut am Boden lagen, beruhigte ihn sofort und ließ ihn sogar den Schmerz weitgehend vergessen.
Die Erinnerung kehrte zurück, erst zögerlich, dann mit Vehemenz. Sie gipfelte in den Moment, als die feindseligen Schatten aus dem Eishagel des Blizzards aufgetaucht waren – fremdartige Gestalten, die Ähnlichkeit mit den Gebäuden der Stadt hatten, die Prosper und seine Freunde zu erreichen versucht hatten.
Ohne Vorwarnung hatten sie angegriffen. Es hatte ausgesehen, als würden sich aus hornig gepanzerten ihren Körpern dunkle Netze lösen, die mit unentrinnbarer Wucht nach den Gestrandeten gegriffen hatten. Auch Prosper hatte sich plötzlich von den Maschen eines solchen Netzes umwickelt gefühlt, er war gestürzt, und dann hatte sich auch schon der sengende Schmerz an jeder Stelle, die mit dem Netz in Berührung kam, durch seine Haut gefressen. Der Stoff seiner Kleidung hatte keinerlei Schutz davor geboten, er hätte ebenso nackt sein können.
Wenige Atemzüge später war sein Bewusstsein geschwunden. Er hatte geglaubt, nie wieder aufzuwachen, sondern todgeweiht zu sein ...
Nun aber war er hier erwacht, vermutlich in einem Gebäude der Stadt, zusammengepfercht mit seinen Gefährten, von denen noch keiner außer ihm erwacht zu sein schien. Niemand regte sich, und für einen grausamen Moment tastete Prospers Verstand die Möglichkeit ab, dass er der einzige Überlebende sein könnte, dass alle anderen tot waren und er nur durch eine Laune des Schicksals davongekommen war. Umgeben von Leichen ...
Das stellte sich zu seiner Erleichterung als Irrtum heraus.
Ein Stöhnen war der erste Hinweis. Dann begann eine Gestalt, wenige Schritte von ihm entfernt, zu zucken.
Es war Sahbu, sein engster Vertrauter seit Gettozeiten.
Prosper kroch zu ihm, kam an anderen vorbei, deren Puls er rasch fühlte. Ihre Körper waren warm und alle am Leben.
„Sahbu ...“
„Meister.“
Es lag kein Spott in der Anrede des Freundes. Aufgrund seiner beispiellosen Bibliothek hatte Prosper im Getto für Eingeweihte auch als „Meister des verbotenen Wissens“ gegolten. Denn, was er im Laufe seines Lebens an niedergeschrieben Informationen zusammengetragen hatte, streifte sämtliche Zeitalter der Zivilisation, wie sie vor Erscheinen der Master gewesen war. Epochen, deren wahre Natur die Master gerne verfälschten oder komplett unterdrückten. Aber gerade Prosper hatte nach eingehender Lektüre diejenigen seiner Mitleser gewarnt, die da glaubten, alles, was geschrieben stand, entspräche der „wahren Wahrheit“. Auch Gedrucktes konnte lügen, und da es sich bei vielen Büchern nicht einmal um Werke handelte, die sich die unverfälschte Wiedergabe von Tatsachen aufs Banner geschrieben hatten, sondern um fiktive Werke mit frei erfundenen Handlungen, war es zwar möglich, Zeitgeist und andere Dinge daraus zu entnehmen, aber keineswegs durfte jedes geschriebene Wort zum Dogma erklärt werden.
„Hast du auch solche Schmerzen?“
„Ja, Meister.“
„Das waren diese Höllenhunde, die uns mit Netzen außer Gefecht setzten ...“
„Höllen kröten träfe es wohl eher. Ich sah den, der mich niederstreckte. Er sah furchterregend aus, nicht größer als ein erwachsener Mensch, aber sehr viel gedrungener. Wie eine ... Schildkröte auf zwei Beinen eben. Wobei die Wölbung des Panzers nicht nur auf dem Rücken, sondern auch vorne auf der Brust war.“
„So ähnlich sah ich es auch, kurz bevor es finster wurde.“
„Wenigstens sind wir jetzt im Warmen. Das wollten wir doch. Zuflucht suchen ...“
„Siehst du irgendwo eine Tür?“
„Nein.“
„Dann sollten wir unseren Optimismus stark zurückschrauben. Ich glaube ohnehin nicht, dass dies das übliche Prozedere ist, um Besuchern die Gastfreundschaft anzutragen.“
Sahbu nickte. „Wir sind Gefangene. Dieser Mistkerl Kargor muss gewusst haben, was uns hier unten erwartet. Nicht nur diese komische Sonne, die mich selbst in meine Träume verfolgt ... da sind auch diese aggressiven Planetenbewohner. Nach unserer Begegnung mit ihnen glaube ich übrigens nicht mehr wirklich, dass es sich um ERBAUER handelt. Sie haben keinerlei Ähnlichkeit mit Kargor ...“
„... was aber rein gar nichts bedeuten muss. Du hast seine Wandlungsfähigkeit gesehen. Er kann nach Belieben Gestalt annehmen. Vielleicht sind wir hier erstmals auf ERBAUER getroffen, die sich uns unmaskiert zeigten. Vielleicht ...“
Sahbu schüttelte entschieden den Kopf, was offenbar den Schmerz kurzzeitig ins Uferlose anschwellen ließ. „Den Eindruck vermitteln sie mir absolut nicht. Sie wirkten nicht wie geniale Geister, denen ich es zutrauen würde, die Perlen und alles, was dazu gehört, zu ersinnen und zu bauen. Nein, so wirkten sie ganz und gar nicht. Eher wie tumbe Werkzeuge, Befehlsempfänger, die kritiklos nach der Pfeife der ERBAUER – nach Kargors Pfeife beispielsweise – tanzen.“
„Mag sein.“ Prosper ließ den Blick durch den Raum schweifen. Immer mehr Körper regten sich. Stöhnen prägte die Lärmkulisse, bis ...
... plötzlich ohrenbetäubend still wurde.
Nicht nur Prosper, auch Sahbu wusste sofort, was passiert war. Ihre Augen suchten den Halbwüchsigen, der zum Ensemble ihres Zirkus gehört hatte, und fanden ihn gleichzeitig. Vielsagend nickten sie einander zu.
Rodriguez erhob sich gerade wankend. Sein Gesicht spiegelte die Qual wider, die die Netzwaffe der Angreifer auch bei ihm hinterlassen hatte. Aber da war noch mehr, was ihm zugesetzt hatte, und erst jetzt, in der absoluten Stille, in der kein Kleidungsstück raschelte, kein Atem mehr hörbar war, nicht einmal das Rauschen des eigenen Blutes in den Ohren, gelang es ihm, ein wenig zu entspannen. Seine Züge lockerten sich. Er blickte zu Prosper und zuckte fast entschuldigend die Achseln.
Im nächsten Moment kehrte die Lautkulisse zurück. Rodriguez hatte seine Kräfte zurückgenommen. Seine Gabe, von der niemand auch nur annähernd wusste, wie sie funktionierte, aber alle kannten ihre Wirkung. Der Halbwüchsige war allein kraft seines Willens in der Lage, eine Art Glocke über sich und seine Umgebung zu legen, in der kein noch so leises Geräusch aufzukommen vermochte. Absolute Stille war etwas Verwirrendes, denn niemand erlebte sie im Alltag. Irgendein Geräusch gab es immer, und sei es noch so leise, noch so fern. Die völlige Abwesenheit von Lauten hatte selbst Prosper bislang nur während der Vorstellungen erlebt, in denen Rodriguez – dessen Künstlername Silence Programm war – seine Nummer vorführte.
Die Reaktionen darauf waren stets verhalten geblieben. Kein tosender Applaus, sondern Nachdenklichkeit hatte er beim Publikum hinterlassen. Aber Prosper hatte nie den Eindruck gewonnen, dass ihm das zu wenig gewesen wäre – im Gegenteil.
„Entschuldigt – ich habe das Jammern nicht mehr ertragen. Zu meinem eigenen Schmerz ...“
Seine Stimme klang dünn, fast kindlich. Aber keiner der Mitgefangenen machte ihm einen Vorwurf. Sie alle hatten, jeder auf seine Weise, mit den Nachwehen der Verschleppung zu kämpfen.
Prosper ließ ihnen die Zeit, die sie brauchten, um sich zu sammeln und sich nacheinander vom metallisch glänzenden Boden zu erheben. Er war noch immer eine Autorität für sie, und als er sagte: „Helft mit zu prüfen, ob wir noch alle vereint sind!“, gehorchten sie ohne jede Widerrede.
Jeder kannte jeden, und jeder ließ seinen Blick über die Gemeinschaft wandern.
Eine Minute später stand fest, was Prosper Mérimée insgeheim befürchtet, aber als Möglichkeit erst einmal von sich geschoben hatte.
Jemand fehlte.
Eine Frau, die vielleicht schon nicht mehr am Leben war. Wer wollte schon sagen, was da draußen im Schneegestöber im Detail passiert war.
„Scobee ...“, ging der Name der Vermissten von Ohr zu Ohr. „ Scobee ist nicht bei uns ... Sie ist weg ...“
––––––––
„ ICH BIN RAMH“, SAGTE die Schildkröte. „Folge mir. Du wirst erwartet.“
Scobee konnte das fremde Geschöpf sekundenlang nur anstarren. Vor Minuten war sie in einem kahlen Raum ohne Fenster zu sich gekommen, einfach auf dem nackten Fußboden, der, wie Wände und Decke auch, aus einem unbekannten, aluminiumfarbenen Metall bestand. Sie war allein gewesen, hatte nach ihren Gefährten gerufen, aber keine Antwort erhalten. Licht strömte aus unbekannter Quelle. Es war mild und leuchtete jeden Winkel des knapp zwanzig Quadratmeter großen Raumes schattenlos aus.
Den Schmerz, der ihren ganzen Körper drangsalierte, konnte sie ignorieren. Er stellte keine wirkliche Herausforderung dar, ihre Konstitution war diesbezüglich überdurchschnittlich gut und kam mit derlei Blessuren zurecht. Manchmal zahlte es sich eben aus, eine GenTec zu sein, ein genetisch optimierter Klon ...
Sie verbiss sich jeden Sarkasmus zu ihrer Herkunft, und sei es nur in Gedanken.
Seit sich eine ovale Öffnung an einer Wandstelle gebildet hatte, wo vorher nicht das kleinste Anzeichen für eine Tür zu sehen gewesen war, „erfreute“ sie sich der Gesellschaft einer menschengroßen, aufrecht auf zwei gedrungenen, muskelstrotzenden Beine gehenden „Schildkröte“ – oder präziser ausgedrückt: eines Außerirdischen, der frappante Ähnlichkeit mit den Reptilien aufwies, die Scobee von der Erde kannte. Nur dass diese selbstredend sehr viel kleiner gewesen waren und sich auch in vielen Details unterschieden, die erst bei genauerem Hinsehen ins Auge stachen.
So war beispielsweise der Panzer keine Hornschale, in die der Extraterrestrier seine „Weichteile“ – Kopf und Extremitäten – bei Bedarf zurückziehen und schützen konnte, sondern er umhüllte ihn mehr nach Art einer fixen Rüstung; um den Schutz des Hauptes, der Arme und Beine musste er sich anderweitig kümmern. Offenbar trug er deshalb auch einen Helm, der die Schädelkontur exakt nachzeichnete und nur das Gesicht freiließ. Der Helm war aus einem Metall gefertigt, das nicht glatt poliert war, sondern rau, fast schroff aussah und eher an einen behauenen Felsen erinnerte. Aber gerade dadurch passte er, auch in seiner Farbgebung, perfekt zum Hornpanzer. Beine und Füße – die dreizehig waren – besaßen nur hier und da Accessoires, die künstlicher Natur waren; ihr Zweck ließ sich nicht auf Anhieb erkennen, vielleicht waren es nur Schmuckstücke ohne zweckgebundene Bedeutung.
Die Hautmaserung war ebenfalls reptilisch, und die Physiognomie hätte fast eins zu eins von irdischen Schildkröten übernommen worden sein können.
Nur dass diese hier des Sprechens mächtig war – und offenkundig auch des Verstandes.
„Schön Ramh.“ Scobee hatte sich längst vom Boden erhoben, schon bevor der Fremde eingetreten war. Sie straffte sich und nahm Konfrontationshaltung ein, die Hände in die Hüften gestützt, das Kinn vorgereckt. „Ich freue mich auch, dich zu sehen. Du gehörst der Spezies an, die uns überfiel, ich erinnere mich genau. Diese Netze, mit denen ihr uns beschossen habt – eine wirklich extravagante Art der Rettung in Not geratener. Du siehst mich beeindruckt. Darf ich fragen, warum ihr uns auf diese gewöhnungsbedürftige Weise aus der Kälte geholt habt?“ Die euch doch übrigens auch zusetzen muss, richtig? Ihr seid Kaltblütler, oder?“
Ramh starrte sie eine Weile nur stumm an. Vielleicht wog er die Nuancen ihrer Rede ab, suchte nach Untertönen, die es durchaus gab. Erstaunlich war schon, dass Scobee ihn problemlos verstand; sie glaubte nicht, dass der Übersetzungschip, der in ihr Stirnbein implantiert war, dieses Idiom ursprünglich beinhaltet hatte. Entweder war daran manipuliert und war dieses neue „Wörterbuch“ darauf überspielt worden, oder Ramh und seinesgleichen hatten einen ganz eigenen Weg, Verständnisschwierigkeiten zu überbrücken.
Fakt war: Es wurde gesprochen. Die Unterhaltung verlief nicht in irgendeiner Weise telepathisch.
Schließlich ging Ramh, als Scobee schon nicht mehr damit rechnete, doch noch auf ihr Bemerkungen ein. „Die Kalte Zeit ist Vergangenheit. Die Ersten sind zurückgekehrt. Sie haben uns das Geschenk der Wärme zurückgegeben.“
Scobee schüttelte verständnislos den Kopf. „Du redest wirr. Eure Sonne stirbt. Sie wird nie mehr in der Lage sein, dieser und den anderen Welten das zu spenden, was ihr an wohltuender Wärme braucht. Selbst wenn die ‚Ersten’ zurück wären – ich nehme an, du redest von Kargor, der uns hier aussetzte –, wird sich daran nicht die Bohne ändern. Also hör auf, mir solche Märchen zu erzählen. – Kürzen wir’s ab: Wer erwartet mich? Warum seid ihr uns so aggressiv begegnet? Wir führen nichts Böses im Schilde, sind froh, wenn man uns in Ruhe lässt ...Wie nennt sich deine Spezies eigentlich?“
„Ich bin ein Tavner.“
„Wunderbar. Ich bin ein Mensch. Schon mal von uns gehört?“
„Nein“, sagte Ramh. Seine Stimme war dunkel und durchaus angenehm.
„Das glaub ich dir sogar.“
„Warum sollte ich lügen?“
„Eben. Warum solltest du? Aber wenn wir gerade bei der Wahrheit sind: Ich vermisse da was.“
„Dir wurde nichts entwendet. Es gab nichts, was uns gefährlich werden könnte. Deine Kleidung ...“
„Ich rede nicht von Kleidung oder anderen Habseligkeiten. Ich rede von meinen Freunden.“
„Die anderen ... Menschen?“
„Korrekt.“
Ramhs Mimik war nicht die leiseste Unsicherheit oder auch nur Veränderung zu entnehmen. „Sie sind ebenso wohlauf wie du.“
„Selbst wenn das stimmen mag: Warum wurden wir getrennt?“
„Der dich erwartet wollte es so.“
„Und wer ist ‚der mich erwartet’? Euer Häuptling?“
„Du versündigst dich.“
„Ach?“ Jetzt wurde es interessant. „Du verstehst es, einen auf die Folter zu spannen. Okay, warte, ich blättere mal rasch im Geiste durch meinen Terminplan, ob sonst etwas anliegt ... Neeeiin, sieht gut aus. Dann will ich mal nicht so sein und dein Angebot annehmen. Auf geht’s, worauf warten wir noch? Führ mich zu deinem ... na, was auch immer!“
Sie wusste nicht, woher sie die Lockerheit nahm. Angesichts ihrer Situation war es wohl eher ein erstes Anzeichen von psychischer Destabilisierung, dass sie sich so übertrieben flapsig gab. Andererseits hatte sie einfach keine Lust, Trübsal zu blasen. Draußen im Blizzard war es schlimmer gewesen als hier, viel schlimmer. Deshalb konnte sie der Situation tatsächlich etwas Gutes abgewinnen. Und alles andere wollte sie auf sich zukommen lassen – vorerst.
„Hast du keine Angst, dass ich dir ebenso herzig begegne wie ihr uns begegnet seid, draußen vor der Stadt?“, fragte sie, als sie hinter Ramh, der ihr scheinbar bedenkenlos den Rücken zukehrte und vorausging, auf einen Gang trat, der sich optisch kaum von dem Raum unterschied, in dem sie zu sich gekommen war. „Ich meine, ich könnte dich angreifen, und glaub mir, ohne deinen Netzwerfer darfst du mich als Gegner ruhig ernst nehmen.“
Darauf erwiderte Ramh nichts, und gerade damit brachte er Scobee ein wenig in Rage. Sie wertete es als Selbstgefälligkeit, und sie hätte ihm gerne eine kleine Lektion erteilt. Aber damit wäre ihr momentan nicht gedient gewesen. Sie war völlig orientierungslos, und solange ihre Gefährten als Faustpfand in der Gewalt der Tavner waren, wäre es sehr unklug gewesen, diese zu provozieren.
Wahrscheinlich war es dieser Umstand, der Ramh keine Sekunde in Betracht ziehen ließ, sie könnte sich zu einer Attacke hinreißen lassen.
Wenigstens hält er mich offenbar nicht für dämlich.
Dabei beließ sie es.
Mehrfach zweigte der Gang ab, und einmal wechselten sie sogar die Ebene um ein Stockwerk nach oben – über etwas, das wie eine stufenlose Treppe aussah, eine Art geschwungene Rampe.
Nach Minuten erreichten sie einen Raum, der sich völlig von dem unterschied, in dem Scobee erwacht war.
Und wo sie auf den traf, der sie erwartete.
––––––––
R ODRIGUEZ LAUSCHTE seinem rasenden Puls. Etwas schnürte ihm die Kehle zu, und er wusste nicht, ob es die Angst vor einer realen Bedrohung war – oder einfach nur ein sehr viel heftigerer klaustrophobischer Anfall als er ihn auch schon an anderen Orten, an Bord der RUBIKON beispielsweise ... und zuletzt auf der Perle erlebt hatte. Dabei spielte die Größe des von Wänden umgebenden Raumes nicht die entscheidende Rolle, um die Intensität der Beklemmung festzulegen. Es war mehr die Situation, die den Anfall regulierte.
Auf der RUBIKON hatte er nur schwache und höchst seltene Zustände dieser Art bekommen – wahrscheinlich, weil er sich im Rahmen der Möglichkeiten durchaus wohl gefühlt hatte. Schrecklich war es hingegen in dem Quader gewesen, in dem die ROOGAL sie seinerzeit einfach im Weltraum ausgesetzt hatte. Und auch auf der Perle hatte er zeitweilig unter heftigsten psychosomatischen Beeinträchtigungen gelitten. Stets hatte sich dann andere aus der Gruppe rührend um ihn bemüht. So wie auch jetzt, nachdem er seine Schweißausbrüche und Atemnot nicht länger hatte verbergen können. Sarah war bei ihm. Sie sprach beruhigend auf ihn ein, aber das Herzrasen wollte und wollte nicht besser werden. Eine Zeitlang hatte er sich in dem kleinen Raum auf und ab bewegt wie ein zwischen Gitterstäben eingesperrtes Tier.
„Warum tun sie uns das an?“, fragte er und rutschte auf dem Hosenboden hin und her, während er versuchte, aus der Berührung von Sarahs Hand an seinem Oberarm ein wenig Stärke und Kraft zu schöpfen. „Wir haben ihnen doch nichts getan! Wer sind die überhaupt?“
„Ich bin sicher, wir werden es erfahren. Sie haben uns nicht grundlos verschleppt.“
„Wenigstens lassen die Schmerzen mehr und mehr nach.“
„Ja, das könnte man auch als ein Stück wiedergewonnener Lebensqualität bezeichnen.“ Sarah lächelte, was ihrem Gesicht stets auf Anhieb die sonstige Strenge nahm. „Du hasst das Eingesperrtsein, was ich gut nachfühlen kann. Vielleicht weißt du, dass ich lange Zeit ... Jahrhunderte ... in einem Staseblock zubrachte. Nicht bei Bewusstsein – was es auch gab, bei Johns Vater zum Beispiel, und was unweigerlich in den Irrsinn führen muss, aber immerhin leide auch ich seither manchmal unter engen Räumen. Als würde sich etwas in mir noch an die Zeit in der Stasis erinnern und sich dagegen sträuben. Na ja, wie gesagt, ein klein wenig kann ich mitfühlen.“
Zu Rodriguez Verwunderung schafften es gerade diese Worte, seinen Herzschlag endlich zu verlangsamen. „Sprich weiter“, sagte er. „Das tut gut. Wie war es ... damals. Vor den Metrops. Ich habe Gerüchte gehört, von anderen, aber du bist ... eine echte Zeitzeugin.“
Ihr Lächeln wurde noch wärmer. Vielleicht, weil sie erkannte, wo sie den Hebel ansetzen musste, um ihn abzulenken. Sie schürzte die Lippen, suchte scheinbar nach dem richtigen Ansatz, um mit ihrer Schilderung zu beginnen – fand ihn und begann mit leiser, sonorer Stimme zu sprechen.
Rodriguez hing ihr schon nach kurzer Zeit regelrecht an den Lippen ...
... und wünschte, sie hätte nie mehr aufgehört, die alte Zeit vor seinem geistigen Auge zu beschwören, auferstehen zu lassen.
Doch das tat sie irgendwann.
Zwangsläufig.
Weil die Tavner kamen.
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A MMONITEN.
Das Erste, was Scobee bei Betreten des riesigen Raumes ins Auge stach, war das Heer von Ammonitengehäusen, die überall wie an unsichtbaren Fäden schwebten.
Der Boden war nicht länger fester Halt, sondern mutete wie ein schwarzer Abgrund an – vergleichbar mit der Situation draußen im Weltraum, nur ohne Sterne, ohne jegliche Lichtquelle.
Was aber täuschte. Ihre Füße berührten eine feste Fläche, wie aus Glas geschaffen, aber die leuchtenden Ammoniten nicht reflektierend. Das Schwarz absorbierte alles. War wie ein samtener Hintergrund, der die hellen Objekte noch mehr aufwertete, noch mehr in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit rückte.
Als ob das nötig gewesen wäre!
Es gab ja sonst nichts, was Scobees Blick hätte auf sich ziehen können. Nichts Sichtbares jedenfalls. Nur eine Stimme empfing sie, und diese wandte sich zunächst an Ramh: „Geh jetzt. Du wirst erst wieder gebraucht, wenn ich rufe.“
Der Tavner, gerade noch zwei Schritte vor Scobee, nahm nicht den Weg, den er gekommen war, sondern versank förmlich in der Schwärze des Bodens, als würde er unter ihm flüssig. Oder als würde Ramhs Körper mehr und mehr flüssig, sodass er im Boden versickerte.
Scobee überlegte noch, ob sie es gespenstisch oder nur faszinierend finden sollte, als sich die Stimme auch schon an sie wandte.
„Du weißt, wo du bist?“
Sie lachte auf. „Wie sollte ich das wissen? Eine Museum, ein Ort der Kunst? Es kann alles sein. Du kannst jeder sein. Fangen wir doch damit an: Wer bist du?“
Die Schnelligkeit der Antwort verblüffte sie – und auch die Leichtigkeit, mit der das Eingeständnis kam: „Kargor.“
„Kargor? Warum zeigst du dich dann nicht? Erinnere dich, wir haben uns schon gesehen. Ich glaube nicht, dass mich dein Anblick noch erschrecken könnte.“
„Warum sollte er auch. Bin ich nicht schön?“
Sie überlegte, ob das seine Art von Humor war, kam aber zu dem Urteil, dass er zu Späßen kaum fähig war. Nicht nach dem, was sie schon von ihm hatte ertragen müssen. Wie alle, die in seine Gewalt geraten waren.
Ihre Meinung über Kargor wurde auch nicht deshalb besser, weil er – objektiv betrachtet – die Milchstraße von Darnoks Heimsuchung befreit hatte. Der durchgedrehte Keelon, der Freund von einst, hatte sich zur Nemesis entwickelt gehabt. Ohne Kargor wäre sein Unwesen wahrscheinlich nicht gestoppt worden. Niemand schien es mit dem Entarteten aufnehmen zu können – bis der ERBAUER auf den Plan getreten war und sie mit der RUBIKON zum System Butterfly M2 geführt hatte. Darnoks Zentrale. Der Ort, von dem aus er das Feld steuerte und entfaltete, das den Zeitablauf innerhalb der Galaxis um ein Vielfaches gegenüber der Außenwelt beschleunigte. Zugleich hatte er noch eine Komponente beigemischt, die sämtliche mit höherdimensionaler Energie betriebene Technik zerstörte. Wodurch die Milchstraße von solcher komplett gesäubert worden war.
Zumindest hatte es so geschienen.
Ausnahmen bestätigen die Regel, dachte Scobee. Wobei das gesamte Angk-System eine solche Ausnahme zu bilden schien. Wie sonst hätte es Darnoks Wüten überdauern können?
Das Erste Reich, nannte Kargor es. Ohne jemals konkret zu werden.
Vielleicht jetzt?
„Schön?“ Sie tat, als prüfe sie seine Frage auf Herz und Nieren. „Hm, doch ... ja, ich habe mich schon dabei ertappt, mich fast in dich zu verknallen.“
„Verknallen?“
Sie machte eine abwiegelnde Handbewegung in den Raum hinein, wobei sie noch schärfer in jeden Winkel blickte, als könnte sie ihn dort irgendwo doch noch erspähen. „Reden wir ein anderes Mal darüber. Sag mir lieber, was das alles soll. Warum hast du uns fast vor die Hunde gehen lassen? Diese Vorspiegelung falscher Verhältnisse auf der Welt, auf die du uns schicktest ... Warum? Warum musstest du uns ein Paradies versprechen, wenn uns eine Welt erwartete, die im Sterben liegt?“
„Die Welt liegt nicht im Sterben. Das ist eine völlig falsche Einschätzung der Lage.“
„Ach? Dann haben wir den Kälte, den Sturm nach Sonnenuntergang und den Eindruck, den die Sonne generell bot, wohl nur geträumt. Halluzinationen ...“
„Es war nur ein vorübergehender Zustand, leicht zu beheben. Für euch hat es keinerlei Bedeutung – die Kälte hättet ihr überlebt, zumal ich euch die Tavner schickte ...“
„Wow. Du hast sie uns auf den hals gehetzt. Klar, was auch sonst. Aber reden wir noch mal von diesem ‚leicht zu behebenden, vorübergehenden Zustand’ ... Für wie beschränkt hältst du mich eigentlich?“
„Der Fehler ist bereits behoben. Die Tavner litten darunter beträchtlich mehr als ihr in der kurzen Zeit. Aber nun bin ich zurück, und alles ist gut.“
„Alles ist gut.“ Angesichts seines Selbstbewusstseins konnte sie nur den Kopf schütteln. „Du willst mich verkohlen, definitiv. Es bleibt dein Geheimnis, was du dir davon versprichst, aber auf diese Ebene hab ich keine Lust, überhaupt mit dir weiterzureden. Ich will lieber zu den anderen, von denen du mich isoliert hast. Was sicherlich auch wieder einen Grund hat, den zu verstehen ich zu blöd bin. Also?“
„Du wirst sie treffen – wenn die Zeit dafür gekommen ist. Aber vorher will ich dir ein paar Dinge zeigen. Sie werden deine Wissbegierde stillen, zumindest teilweise. Wolltest du das nicht immer, Antworten, Informationen? Über mich, meinesgleichen, die Bedeutung der Perlen, dieses Systems ...?“
„Aus leidvoller Erfahrung glaube ich zu wissen, dass du zwar schon oft Antworten versprochen, aber bislang wenig davon gehalten hast.“
„Du kannst gehen, wenn du so denkst. Ich ruhe Ramh, und er wird dich –“
„Schon gut. Aber nimm zuerst die Lüge zurück, dass da draußen wieder alles im Lot ist. Keine Sonne in den letzten Zügen und die damit verbundenen klimatischen Bedingungen ...“
„Es ist keine Lüge. Alphur ist gegangen, Taranee ist gekommen, erwacht. Sie strahlt bereits in jungem Glanz. Und wird es noch Jahrmillionen tun, je nachdem, wie der Energiebedarf ist, der ihr abgezapft wird. Auch Alphur hätte noch Jahrmillionen als Lebensspenderin ausgereicht, hätte sie nicht so viel von ihren Ressourcen freigeben müssen, um den Schirm zu erzeugen, der die Angk-Welten vor den Einflüssen der Zeitentartung schützte. Nur dem Schild ist es zu verdanken, dass du heute hier stehst. Dass das Archiv noch existiert, von dem du umgeben bist, und all die anderen Hinterlassenschaften meines Volkes, die lange ungenutzt blieben, brach lagen, viel zu lange schon – aber auch die längste Zeit ...“
„Alphur, Taranee ... Was sind das für Namen? Bezeichnest du so die Sonne des Systems?“
„Die alte und die neue“, bestätigte Kargor.
„Hör – damit – auf!“
„Womit?“
„Mich zum Narren halten zu wollen. Was soll das? Eine Sonne geht nicht, um einer anderen Platz zu machen, von ihr ... ersetzt zu werden! Aber genau so könnte man das verstehen, was du mir hier weiszumachen versuchst!“
„Du hast es verstanden.“
Sie musste sich mühsam beherrschen, um nicht weiter in den Raum zu gehen und zu versuchen, eines der Ammonitengebilde aus seiner Schwebe zu reißen. „Du willst sagen, du ... ihr ... dein Volk kann nach Belieben Sonnen ... erzeugen oder ... abschalten?“ Ihre Augen waren nur noch schmale Schlitze, mit denen sie jetzt den Boden absuchte. Sie hatte auf Infrarotsicht gewechselt, vermochte aber auch damit die Schwärze dort nicht aufzulösen. An der Stelle, wo Ramh verschwunden war, wies nichts mehr auf den Verbleib des Tavners hin. Und wenn sie dorthin zurückschaute, von wo sie gekommen war, gab es dort nicht einmal mehr eine Tür.
„Unter bestimmten Bedingungen und mit den entsprechenden Vorrichtungen ist das möglich, durchaus“, bestätigte Kargor gelassen. Plötzlich entstand vor Scobee ein Holowürfel, in dem die Schildkrötenstadt und der kobaltblaue Turm abgebildet waren, weitläufig. Es war Tag, und eine völlig intakt aussehende Sonne bestrich die Landschaft mit warmem Licht ...
„Prima. Die Aufnahme kenne ich. Damit hast du uns schon an Bord der Perle getäuscht!“
„Diesmal ist es real. Die Gegenwart. Die aktuelle Situation, wie sie auch noch Jahrmilliarden andauern wird – falls immer ein ERBAUER da ist, um den Wechsel, den Austausch der ausgebrannten Sterne rechtzeitig zu initiieren. Vielleicht werde sogar ich es sein.“
„Du?“ Nun brach der Zynismus endgültig aus ihr heraus. „In Jahr milliarden? Du hast echt ein sonniges Gemüt, passend zur Thematik.“
„Lass uns über das Archiv sprechen. Ich habe mich entschieden, dir Einblick zu gewähren. Du bist das erste biologische Geschöpf seit ... nun, seit sehr langer Zeit, dem diese Gunst gewährt wird.“
„Gunst muss man sich normalerweise verdienen.“ Scobee blieb auf emotionalem Kriegspfad. „Womit hätte ich das tun können?“
„Du siehst die Strukturen, die hier überall verankert sind?“, fragte Kargor, ohne darauf einzugehen.
„Siehst aus wie Schneckengehäuse, die ich von früher kenne. Schalen ausgestorbener Lebewesen, die einst die Meere der Urerde bevölkerten. Ihre Fossilien haben die Zeiten überdauert ... Womit wir bei meiner Frage wären: Bist du auch ein Fossil?“
„In gewisser Weise.“
Wieder verblüffte er sie durch ein Eingeständnis. Derart moderate Töne war sie aus der Vergangenheit nicht gewöhnt.
„Willst du über dich sprechen?“
„Gehen wir durch das Archiv ...“
Aus dem Augenwinkel sah Scobee eine huschende Bewegung, und dann stand er neben ihr, der Mann, den sie vermisste, mehr noch als die Gefährten, mit denen sie nach Angk gekommen war: John Cloud.
Es war eine von Kargors Masken.
Sie wich einen Schritt zurück. Er ergriff ihre Hand, was sie widerstrebend zuließ. „Du spielst gerne mit den Gefühlen anderer, stimmt’s?“
„Es ist dir nicht wirklich unangenehm“, erwiderte „John“.
Alles an ihm stimmte. Er fühlte sich sogar an, wie sie ihn in Erinnerung hatte.
„Nein“, sagte sie. „Das andere überwiegt.“
„Du bist mit diesem Mann emotional verbunden?“
Wie seltsam, ihn so von sich sprechen zu hören – wobei es jedoch sofort nicht mehr seltsam war, wenn sie sich bewusst machte, es immer noch mit Kargor zu tun zu haben.
„In Freundschaft, ja.“
Er beließ es dabei. „Komm“, sagte er und führte sie genau unter einen der Ammoniten, sodass dessen Trichteröffnung über ihr gähnte. Ein ähnliches Schwarz, wie sie es vom Boden unter ihren Füßen kannte, waberte darin.
„Was hast du vor? Was stellen diese gehäuseartigen Dinger dar?“
„Du bist hier im Archiv“, sagte Kargor/John. „Im Archiv der Zeitalter. Wir haben es angelegt, als wir die Angk-Welten vollendet hatten und hier heimisch geworden waren.“
„Ein Geschichtsmuseum“, übersetzte Scobee es in ihren Sprachgebrauch. „Nicht die Art, wie ich sie gewohnt bin, aber sicher habt ihr andere Mittel, Wissen zu konservieren als über Gegenstände und audiovisuelle Systeme, die ihr ausstellt.“
„Ein Geschichtsmuseum“, wiederholte der Pseudo-John, der immer noch ihre Hand hielt, als wollte er verhindern, dass sie weglief. Der Ausdruck schien ihm zu gefallen.
„Darf ich die Vergangenheit des Angk-Systems sehen?“, fragte sie. „Wie es entstand – es kann ja nur auf gezielten Eingriffen beruhen, wenn sich sieben Welten eine Umlaufbahn teilen – noch dazu sieben Welten, die offenbar von ihrer Beschaffenheit, ihrem Aufbau her relativ gleich sind.“
„Ich fürchte“, sagte John (sie war soweit, es sich nicht ständig zu vergegenwärtigen, dass er es nicht war; es machte vieles angenehmer, ihn einfach zu akzeptieren, um das Heimweh nach ihm etwas zu besänftigen), „du hast es missverstanden.“
„Was missverstanden?“
„Wir sprechen nicht von den Zeitaltern des Ersten Reiches, die hier festgehalten wurden.“
„Sondern?“
„Wir bewahren hier sämtliche Aufzeichnungen und Studien über die Zeitalter des Universums auf – seit seiner Entstehung.“
––––––––
R ODRIGUEZ FÜHLTE SICH, als wäre er brutal aus einem wundervollen Traumgespinst herausgerissen worden. Lärm brach den Zauber von Sarahs Worten. Plötzlich war überall Geschrei, liefen alle wild durcheinander.
In einer der Wände war eine Öffnung entstanden, durch die jetzt mehrere jener Wesen hereinströmten, die allen noch in schlechter Erinnerung waren.
Die Netzwerfer!
„Ruhe! Alle bleiben ruhig, sonst müssen Maßnahmen ergriffen werden!“, donnerte die klar verständliche Stimme eines der Extraterrestrier durch den Raum.
Die Schreie und Rufe verstummten widerwillig. Die Art, wie der Fremde das Wort Maßnahmen betont hatte, brachte sie zur Räson.
Insgesamt waren es ein halbes Dutzend der mutmaßlichen Ureinwohner dieser Welt, die Position neben und hinter ihrem Anführer einnahmen, dabei zunächst den Ausgang blockierten. Alle, bis auf den zuvorderst Stehenden, hielten jene zylinderförmigen Stäbe in den dreigliedrigen Händen, mit denen sie im Blizzard die betäubenden Netze abgefeuert hatten – die nachhaltigen Schmerz beim Wiederwachen der Getroffenen hinterließen.
Letztlich war es wohl die Furcht vor einer neuerlichen Bekanntschaft mit diesen Waffen, die Mérimées Truppe einsehen ließ, dass es angeraten war, die Nerven zu bewahren.
Der Direktor, der möglichst Schaden von seinen Schäfchen fernhalten wollte, wandte sich mit beschwichtigenden Worten an sie. „Bleibt ruhig. Gehorcht. Macht keinen Ärger. Es lohnt nicht. Wir müssen uns fügen. Wir sind hier nur ... zu Gast.“
Jeder wusste, wie es gemeint war. Nur die Schildkrötenmänner offenbar nicht. Ihr Anführer schnaubte anerkennend. „Hört auf ihn. Er ist klug.“ Nach diesen Worten dirigierte er sie zu einer Reihe, deren Spitze Mérimée einnahm, gefolgt von Sahbu und dem Rest der gut zwei Dutzend Gefangenen.
„Wohin werden wir gebracht?“, fragte aus der Mitte heraus Sarah Cuthbert, vor der Rodriguez sich platziert hatte.
„In die Schlüsselkammer.“
Eine nicht sehr aussagekräftige Antwort.
„Was ist eine ‚Schlüsselkammer’?“
„Der Ort eurer Initialisierung.“
„Initialisierung?“
„Ihr seid Privilegierte. Zumindest werdet ihr es. Die, die es wert sind.“
Der Schildkrötenmann lachte. Zumindest hörte es sich so an. Die Kolonne setzte sich auf sein Zeichen in Marsch. Zu erstenmal verließen sie die Zelle und erreichten freien Himmel, als sie aus dem Gebäude heraustraten, in dem sie untergebracht worden waren.
Es war Tag. Und es war warm, sonnig.
Und weder Rodriguez noch irgendein anderer aus der Truppe traute seinen Augen.
„Wie ...?“ Er verstummte. Der Schildkrötenmann, der neben ihm ging, folgte seinem Blick zum Himmel und raunte: „Das Geschenk der Ersten. Sie haben unserem langen Leiden ein Ende gesetzt. Alles ist gut. Das Blut fließt wieder leicht durch unsere Adern. Wir sind neugeboren – wie unsere Sonne.“
Rodriguez wusste nicht, was er darauf erwidern sollte, oder ob irgendjemand sonst die Worte noch gehört hatte.
Die Sonne hoch oben im Zenit jedenfalls war wie ausgewechselt, nicht mehr blutrot und ein altes, sterbendes Licht verströmend, sondern gleißend hell und große Hitze erzeugend. Schon nach wenigen Schritten im Freien fühlte Rodriguez Schweiß auf seiner Stirn und unter den Achselhöhlen.
Ein Blick auf die anderen genügte, um zu zeigen, dass sie so perplex waren wie er.
Aber auch auffallend schweigsam. Sarah etwa.
Kurz darauf wechselten sie in ein Gebäude, und noch einmal Minuten später betraten sie den Ort, den der Schildkrötenmann gemeint hatte, als er von der Schlüsselkammer sprach.
Sofort kehrten die unguten Gefühle und Erwartungen zurück.
Der Ort war düster und abweisend.
Rodriguez spürte instinktiv, dass eine neue, wenig verheißungsvolle Etappe ihres Aufenthalts auf Angk I begonnen hatte.
Ohne zu ahnen, was sich gerade anderenorts, im Archiv der Zeitalter, abspielte.
––––––––
D ER AMMONIT SENKTE sich herab. Seine Öffnung zeigte genau auf Scobee und den falschen John. Während er herabglitt, wurde er immer größer und größer, und als der gähnende Schlund seiner Unterseite sich über Scobee stülpte, als sie das Gefühl, spiralartig in sein Innerstes gesogen zu werden.
Wo alles anders war.
Wo seltsame Strukturen, seltsamer Glanz, fast abseitig und alles zersetzend, was damit in Berührung kam, auf sie wartete. Sie selbst war davor geschützt. John schützte sie. Oder der, der hinter der Maske kauerte.
Kargor.
Was – ist das? Wo bin ich?
Die Antwort ließ nicht auf sich warten. Das ist der Moment Null. Das Universum wird gerade geboren. Raum und Zeit entstehen. Materie und Energie.
Der Urknall.
Der Moment Null. Der Moment der Zündung. Die heutigen Naturgesetze waren noch nicht etabliert.
Der Urknall. Ich sehe ... nein, ich begreife nicht, was ich sehe. Erkläre es mir. Was sind das für Gebilde, die dort in dem kränklichen Licht schwimmen? Halt! Warte! Ich ... erkenne die Form, die Farbe ... sie war schon damals ... golden. Aber – das kann nicht sein! Ihr könnte die Permanenz der Perlen nicht bis in diese Anfänge etabliert haben. Das wäre ...
Ihr fehlten die Worte.
... und wozu auch?, fügte sie nur noch hinzu. Ohne dass von Kargor/John eine Erwiderung kam.
Der Ammonit hob sich nach unbestimmbarer Zeit wieder von ihnen wieder ein zu groß geratener Helm. Im Aufsteigen wurde er kleiner und kleiner, bis ihm nicht mehr anzusehen war, welchen bedeutungsschwangeren Inhalt er beherbergte.
Scobee war völlig benommen von den Eindrücken und leistete keinen Widerstand, als Kargor sie zur nächsten Etappe führte.
Ein neuer Ammonit, der gleiche Akt.
Das Universum war zur „kosmischen Suppe“ geworden. Die Inkredenzien: Materie, Antimaterie, extrem starke Strahlung und Gravitation mit zusammenstoßen Photonen und dabei entstehenden Protonen und Neuronen. Physikalische Gesetze, die noch heute Gültigkeit hatten, formten sich im Chaos und ordneten es. Die Temperatur hat so stark abgenommen, dass keine neuen Protonen oder Neuronen entstehen können, kommentierte Kargor. Geladene Materie und Antimaterie zerstrahlen jedoch, sodass ein Überschuss an Materie übrig bleibt. Die Temperatur fällt weiter, sodass zusammenstoßende Photonen nicht mehr genug Energie besitzen, um Elektronen zu erzeugen. Protonen und Neuronen verbinden sich zu leichten Atomkernen.
Scobee ging mit Kargor auf die Reise ins Universum der ersten Anfänge und Ausformungen. Sie schmeckte und las die Prozesse, die sich hier abspielten, und mochte sie in der Theorie auch so manches von ihrer Ausbildung her mitbekommen haben, so war es doch etwas völlig anderes, in die Vergangenheit einzutauchen, die der Ammonit so täuschend echt in sich gespeichert, simuliert hatte.
Es ist keine Simulation. Es ist eine Aufzeichnung, korrigierte Kargor ihre Gedanken dazu ab, als sie seiner Meinung nach in die falsche Richtung liefen. Ob nur die besondere Umgebung des Ammoniten ihn dazu befähigte, oder ob er generell in der Lage war, jeden ihrer Gedanken zu empfangen, wusste Scobee nicht. Aber eine gewisse Art der Telepathie musste er beherrschen, sonst hätte er nicht schon früher Personen aus dem Gedächtnis von Crewmitgliedern erstehen lassen können.
Auch dieses Zeitalter wurde wieder verlassen. Sie tauchten in einen neuen Abschnitt ein.
Ein bereits stark verändertes Szenario.
Die Materie im Universum beginnt zusammenzuklumpen. Es bilden sich Galaxien, in denen Sterne entstehen.
Scobee wanderte von Ammonit zu Ammonit, von Zeitalter zu Zeitalter ... und langte schließlich in einem Universum an, das dem heutigen sehr ähnlich war. In dem das Leben sich verbreitet hatte, in vielfältigster Form.
Sie war wie im Rausch, das Eintauchen in die Ammonitenwelt wurde beinahe zur Sucht. Sie wusste nicht, ob sie je wieder darauf würde verzichten können, eins zu werden mit dem Kosmos, mit all den unterschiedlichen Kräften, die ihn zu dem geformt hatten, was er heute war.
Irritierend bei alldem war und blieb das Vorhandensein der Perlen in jedem Szenario, in das Kargor sie führte. Auch wenn Fontarayn und Ovayran viel über die Permanenz der CHARDHIN-Station zum Besten gegeben hatten – so recht abgenommen hatte Scobee den Gloriden nie, dass die Basen tatsächlich sämtliche Zeitalter durchsetzten, wie Bojen, die jemand in jeder Tiefe eines Ozeans verankert hatte, bis hinab zum Grund.
Und bei alledem blieb auch die Frage, warum die ERBAUER das getan hatten? Diente das CHARDHIN-Konzept lediglich der Erforschung sämtlicher Zeitalter der kosmischen Entstehungsgeschichte ... oder griffen die Perlen gar in die Entwicklung ein?
Manipulierten die ERBAUER den natürlichen Prozess, und wenn ja, mit welchem Ziel? Was wollten sie erreichen? Wie wollten sie das Gesicht des Universums verändern?
Kargor schien zu spüren, dass die Grenzen ihres Fassungsvermögens erreicht waren. Er führte sie aus dem Ammonitenraum, und ohne dass es ihr bewusst wurde, wie weit sie gingen, landeten sie plötzlich im Freien.
Falls dies nicht wieder nur ein weiterer Trick des ERBAUERs war, musste Scobee ihm im Stillen Abbitte leisten: die Schildkrötenstadt ruhte träge unter dem wärmenden Schein einer geradezu euphorisierend normalen Sonne.
„Glaubst du mir jetzt?“, fragte das unbegreifliche Wesen mit Johns Gesicht, mit Johns Stimme.
„Wolltest du mir nicht mehr von dir erzählen? Von deinem Volk, das all dies erschaffen hat?“ Sie machte eine Geste, die nicht nur die nähere Umgebung, sondern das ganze Angk-System einzuschließen versuchte. „Falls es deine Absicht war, mich schwer zu beeindrucken, ist dir das übrigens gelungen. Von nun an werde ich dich mit anderen Augen sehen müssen. Nicht nur wegen dem da ...“ Sie zeigte zum Zenit. „... sondern auch wegen der Perlen-Permanenz, an die ich nie recht geglaubt hatte. Offenbar ist sie real. Wir könnten ... zumindest theoretisch ... nicht nur in diesen Ammonitenaufzeichnungen, sondern ganz real in die Zeit des absoluten Beginns reisen. Mit einer Perle. Habe ich Recht? Oder bringe ich da wieder irgendetwas durcheinander?“
„In der Theorie ist das möglich“, stimmte Kargor/John zu. Täuschte sie sich, oder schlich sich tatsächlich etwas Wehmut in die geliehenen Züge? „Praktisch wären einige Hürden zu überwinden, die zu erklären aber zu weit führte.“
„Weil mein Grips nicht ausreicht?“
Der falsche John lachte, wie der echte es vermutlich auf diese Frage hin getan hätte. Und ebenso launig sagte er: „Weil dein Grips nicht ausreicht, so könnte man sagen.“
Sie nickte, während ihr Blick durch die Umgebung streifte und Schildkrötenwesen entdeckte, die sich in respektvollem Abstand durch die Straßen der Stadt bewegten. Sie waren, soweit Scobee es sah, unbewaffnet.
„Sie fürchten dich“, sagte sie. „Zumindest kommt es mir so vor. Obwohl ... erkennen sie dich auch in dieser Maske?“
„Sie sehen mich nicht, wie du mich siehst. Ihre Sinne lassen sich nicht manipulieren. Das ist auch nicht nötig. Die Tavner sind treu ergeben.“
Scobee stutzte. „Heißt das?“, fragte sie schließlich, „die ... Tavner sehen dich, wie ein ... ERBAUER wahrhaftig aussieht?“
„Das sagte ich gerade.“
Sie trat ganz dicht an ihn heran, spürte sogar seinen simulierten Atem auf ihrem Gesicht. „Ich habe von Anfang an angenommen, dass diese Prismengestalt, mit der du unter uns agiert hast, bereits eine Täuschung ist, die nichts mit deinem wahren Äußeren zu tun hat. Du hast sie nur gewählt, weil du die natürliche Aversion meiner Spezies gegen das Erscheinungsbild einer riesigen Fangschrecke kanntest.“
„Willst du mir jetzt beweisen, dass du doch Grips hast?“
Sie erwiderte das unterdrückte Lachen, das seine Kehle verließ.
„Habe ich denn Recht?“
„Vielleicht.“
„Und wenn ich einen der Tavner fragen würde ... wie würde er mir dich beschreiben?“
„Frag einen.“
„Du könntest es mir auch selbst verraten.“
„Das hatte ich ohnehin vor.“
„Hattest du?“
„Natürlich. Komm.“
„Wohin?“
„In die Schlüsselkammer. Es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Und den Welteneroberern ihr künftiges Terrain zuzuweisen.“
„Schlüsselkammer“, echote Scobee. „Werde ich dich dort so sehen, wie du wirklich bist?“
„Das wirst du.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“
„Und ...“ Sie zögerte, als hätte sie plötzlich Angst vor der eigenen Courage bekommen.
„Ja?“
Fast unhörbar kam es über ihre Lippen: „... werde ich es ertragen?“
––––––––
„ WORAUF WARTEN WIR?“
Es war Prosper Mérimée, der mit dieser immer gleichen Frage ein ums andere Mal an die Schildkrötenmänner, meist ihren Anführer, herantrat.
Auch die Antwort lautete jedes Mal gleich: „Auf den Moment der Schlüsselvergabe.“
Nähere Details waren den Angk-Bewohnern nicht zu entlocken. Sie hatten sich über den ovalen Raum verteilt, dessen Höhe eine weitere Täuschung sein musste (denn eine Decke war nicht zu sehen, es hatte den Anschein, als verlöre er sich irgendwo dort oben, Kilometer über ihnen, ohne dass eine Öffnung Tageslicht hereinließ). Nun standen sie da wie Wachposten, wie Wächter, die jede Ausschreitung verhindern sollten und ebenso, dass jemand unbefugt den kathedralenartigen Raum verließ.
Niemand versuchte dies auch nur. Die Waffen der Wächter, obwohl gesenkt, drohten, und es gab keinen unter der Truppe der Ausgesetzten, der damit noch einmal in Kontakt kommen wollte. Auch Rodriguez nicht, der immer noch Sarahs Nähe suchte, die wiederum keine allzu große Distanz zum Direktor aufkommen ließ.
So standen sie da, wartend, versuchten den großen Raum auf seine Bedeutung hin zu erfassen.
Schlüsselkammer.
Was für ein Name für einen solchen Ort. Beredt und nichtssagend zugleich.
Der Boden war übersät mit quaderförmigen Blöcken, die das wenige Licht auch noch in sich aufzusaugen versuchten. Es gelang ihnen nicht, aber irgendwie hatte Rodriguez das Gefühl, dass die Düsternis, in der sie sich aufhielten, ein spürbares Gewicht hatte, das ihn niederdrückte, ihn und alle anderen, die Schildkrötenmänner vielleicht ausgenommen. Sie ließen sich nichts anmerken, auch keine Ungeduld.
Obwohl die Quader nur etwa einen Meter Kantenlänge aufwiesen, wagte niemand, sich darauf niederzulassen. Wer sitzen wollte, wählte lieber den Fußboden.
Plötzlich kam Bewegung in die erstarrte Szenerie.
Durch den Torbogen, den auch Rodriguez und seine Gefährten durchschritten hatten, näherten sich zwei Gestalten.
Menschen.
Scobee und ...
Verdammt!, fluchte Rodriguez in Gedanken. Er hasste diese Spielchen, mit denen sie schon auf der RUBIKON viel zu häufig konfrontiert und getestet worden waren.
Kargors Spielchen.
Niemand glaubte, den wahren John Cloud zu sehen, wie er sich an Scobees Seite näherte. Und auch dem Letzten dämmerte, wen sie stattdessen vor sich hatte, ohne dass es irgendjemand aussprechen musste.
Kargor, dachte Rodriguez, einerseits erleichtert, dass offenbar noch nicht alle Brücken, die aus dem Angk-System hinausführten, hinter ihnen abgebrochen waren, andererseits aber auch stark verärgert über die erneute Anmaßung des ERBAUERs, der sich einmal mehr wie ein tyrannischer Despot aufführte.
Scobee an seiner Seite verhielt sich seltsam, warf immer wieder Blicke auf ihren Begleiter, die nur als bass erstaunt interpretiert werden konnten. Eigentlich jedoch hätte sie erfahren genug sein müssen, um sich nicht mehr dermaßen von Kargors Masken beeindrucken zu lassen.
Seltsam.
Rodriguez ging ihr wie andere auch entgegen.
Sie lächelte scheu – mit Seitenblick auf den falschen John Cloud.
„Ich bin froh, dich wohlbehalten zu sehen“, empfing Prosper Mérimée. Er beschränkte sich nicht nur auf die Worte, sondern umarmte sie herzlich, ignorierte dabei den falschen Commander.
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Ich fürchtete schon ... Na, ihr könnt euch denken, was ich mir für Sorgen machte, als ich ohne euch zu mir kam.“
„Hat er dir ...“ Prospers Blick ging zu der Cloud-Erscheinung, aber nur für einen Moment. „... etwas angetan? Dich drangsaliert, körperlich oder seelisch?“
Rodriguez fragte sich, was der Direktor getan hätte, wenn Scobee seine Frage bejaht hätte,
Was sie aber nicht tat. Stattdessen gestikulierte sie beruhigend. „Nein. Nein, ganz und gar nicht, im Gegenteil. Er war sogar sehr .. kooperativ. Obwohl –“
„Obwohl?“ Mérimée sog scharf die Luft ein, ballte die Hände zu Fäusten. Zu frisch war noch die Erinnerung an die eigenen erlittenen Psychoqualen, denen er in Kargors Kokon an Bord der RUBIKON ausgesetzt war, als er missbraucht wurde, um das Schiff durch Darnoks entarteten Zeitenstrom zu lenken. Und dabei nicht vernichtet zu werden.
„... er nicht nur gute Nachrichten für mich hatte. Aber darüber später mehr.“
„Warum später? Warum nicht jetzt?“
„Weil“, mischte sich die Attrappe des Commanders in die Unterhaltung ein, und zwar mit so eisigem Ton, dass auch Mérimée jeden Ansatz von Widerstand sofort wieder in den hintersten Winkel seines Geistes verbannte, „weil wir hier zunächst Wichtigeres zu erledigen haben. Ich will keine Zeit mehr verlieren. Ich will auch nicht endlos auf Angk I bleiben. Ich werde wiederkehren, aber das werdet ihr nicht mehr erleben. Nach meinen Weichenstellungen seid ihr euch völlig selbst überlassen – wie ich es schon auf der Perle andeutete. Ich seid hierher gebracht worden, um alles hinter euch zu lassen, was euch einmal wichtig war. Hier, auf den Welten, die auf euch warten, zählen nur noch Gegenwart und Zukunft.“
„Welten die auf uns warten?“, echote Mérimée. Auch unter den anderen entstand Unruhe. Sie fühlten die gleiche Beklemmung wie Rodriguez, der immer noch ein Fünkchen Hoffnung gehabt hatte, dass sich die Aussetzung als nicht wirklich ernst gemeint entpuppte. Dass sie alle wieder an Bord der Perle gehen und schließlich zurückgebracht würden zur RUBIKON. Oder zur Erde. Oder –
Clouds Stimme holte ihn auf den Boden der nüchternen Realität zurück.
„Ihr werdet jetzt einer endgültigen Prüfung und Anpassung unterzogen“, erklärte Kargor. „Danach wird sich zeigen, wer es wert ist, die Welten zu betreten, die jenseits von Angk I warten. Wer sich als unwürdig im Sinne von ungeeignet erweist, wird den Rest seines Lebens hier verbringen. Er wird unbehelligt leben und sich auf der ganzen Welt bewegen können – aber ihm wird nicht beschieden sein, was allen übrigen vergönnt ist.“
„Und das wäre?“, fragte Sarah mit mühsam unterdrückter Empörung.
„Unsterblichkeit“, sagte Kargor/Cloud. „Womit ich keine biologische, sondern spirituelle Unsterblichkeit meine. Ihr Menschen glaubt doch an den Wert von Erbinformationen – oder dem Weiterleben in der Erinnerung von Hinterbliebenen. Das alles steht denen offen, die auf die anderen Angk-Welten gelangen.“
„Du solltest sie nicht unnötig quälen“, wandte sich Scobee an den falschen Cloud, als wüsste sie schon viel mehr als das, was Kargor ihnen gerade vermittelt hatte. „Beginne mit der Prozedur, von der du dich ohnehin nicht abbringen lässt. Danach wissen wir, wer getröstet werden muss.“
„Was ist mit dir?“, fragte Rodriguez – und erschrak über sich selbst, als er unaufgefordert zu Scobee sprach. In dieser Situation, in der er Kargors Blick aus Clouds Augen auf sich lasten fühlte ... Er errötete.
„Mit mir?“, fragte Scobee. Sie wich seinem Blick aus. Kein gutes Zeichen.
„Ja. Gehörst du ... zu den Auserwählten, die die anderen Welten sehen werden? Weißt du es schon? Es ist nur so ein Gefühl, das ich habe, wenn ich dich betrachte. Du verhältst dich so seltsam, als wüsstest du mehr, viel, viel mehr, als du uns verrätst. Wahrscheinlich hat sich der ERBAUER dir in der Zwischenzeit offenbart. Er –“
„Lass es gut sein, Rod“, unterbrach sie ihn. „lass uns später darüber reden. Ich will euch nichts verheimlichen. Aber der Reihe nach. Erst das Procedere ... Gehorcht seinen Anweisungen. Niemandem wird ein Leid geschehen. Er hat es mir versprochen. Der Akt bringt lediglich Klarheit. Eine Art ... Auslese. Es ist nicht zu ändern. Er wird sich nicht davon abbringen lassen. Leistet keinen Widerstand. Ich will nicht, dass irgendjemand Schaden erleidet ...“
„Er ist ein Teufel!“, rief jemand aus dem Hintergrund. Es war Paula. Die Lange Paula. Die ihre Körpergröße kraft ihres Willens verändern konnte. Momentan war sie nicht größer als die meisten von ihnen. Sie hasste es, aus einer Menge herauszuragen, tat es nur während einer Vorstellung gern.
Wie lange lag die letzte zurück? Wann waren sie zum letzten Mal zusammen aufgetreten und hatten Zirkusluft geschnuppert, ohne um die dunkle Zukunft zu wissen, die da bereits auf sie gelauert hatte?
Rodriguez hielt den Atem an. Er fürchtete, es könne zu offenem Aufruhr kommen. Und dann wären die Schildkrötenmänner wieder aktiv geworden, wären Netze geflogen – oder Schlimmeres.
Aber soweit kam es nicht. Mérimée bewies einmal mehr Weitsicht und stellte sich vor seine Schützlinge. „Seid nicht dumm. Lasst euch nicht provozieren. Wir werden ihm keinen Anlass bieten, ein Exempel an einem von uns zu statuieren! Wir lassen uns nicht auf seine moralische Stufe herab – er kann uns nicht brechen. Wir sind Menschen. Wir haben eine Würde, die unverletzlich ist. Schon andere versuchten, sie uns zu nehmen. Aber wir waren immer stärker. So soll es bleiben – egal, was geschieht!“
Er war eine charismatische Persönlichkeit. Rodriguez hatte es immer gewusst. Sein Ziehvater. Aber noch viel mehr. Er kümmerte sich um alle aus der großen Familie der vom Schicksal Geschlagenen. Jeder war ihm gleich viel wert. Er bevorzugte niemanden. Das war das Geheimnis, warum er von allen geachtet wurde.
Sie beruhigten sich.
Und nach einer kurzen Pause sagte der falsche Cloud ihnen, was sie zu tun hatten.
Unmittelbar nachdem er geendet hatte, veränderten sich die Quader, formten sich um und wurden zu Torbögen. Durch sie – es schien gleichgültig, durch welchen – musste jeder Mensch hindurchgehen. Mehr wurde nicht von ihnen verlangt.
Als Rodriguez an der Reihe war, spürte er ein Kribbeln am ganzen Körper. Es war kein Schmerz, und es ging auch gleich wieder vorbei, aber offenbar genügte der Moment Kargor, um alle individuellen Daten, auf die es ihm ankam, zu ermitteln.
Erstaunlicherweise wurde Scobee durch keinen der Scanner geschickt.
„Wie lange dauert die Auswertung? Und wann erfahren wir, worauf das Ganze hinausführt?“, wandte sich Sarah an Scobee und Kargor/Cloud gleichermaßen.
Rodriguez wartete ebenso gebannt auf eine Antwort wie die anderen aus der Gruppe.
Die Maske des ERBAUERs sagte: „Ihr müsst nicht mehr warten. Die Ergebnisse liegen mir bereits vor. Ihr erhaltet jetzt die Schlüssel – diejenigen von euch jedenfalls, die es wert sind.“
So ähnlich hatte sich auch der Schildkrötenmann ausgedrückt. Rodriguez spürte, wie sich in seinem Magen ein kalter Knoten bildete. Nervös trat er von einem Fuß auf den anderen, während sich um ihn her die Scannerbögen wieder zurückbildeten, bis nur die altbekannten Quader übrig blieben.
Aus dem Hintergrund lösten sich Tavner, die verschieden farbige Gegenstände auf Tabletts herbeitrugen.
„Ich rufe jetzt die Namen auf und weise die Farbe zu“, sagte der ERBAUER.
„Sarah Cuthbert: Gold. Prosper Mérimée: Gold. Pancake ...“
Keiner der Aufgerufenen machte Anstalten, sich in Bewegung zu setzen. „Was sind das für Dinger?“, knurrte Pancake, dem gerade ein blasses Grün zugewiesen worden war. Genau wie Rodriguez, der einen Moment später seinen Namen hörte, weil Kargor/Cloud sich von der Frage nicht beirren ließ.
Aus der Entfernung war nicht jedes Detail der Objekte erkennbar, die auf den Tabletts lagen. Aber sie waren klein, hatte die Länge und Breite eines Daumens, wirkten aber hauchdünn, waren höchstens von Fingernageldicke. Dabei wirkten sie durchaus kunstvoll gearbeitet, hatten hier einen Schnörkel und dort eine Verzierung ... wodurch sich aber ihr Sinn dem Betrachter auch nicht erschloss.
Kargor setzte seine Zuweisung der Farben an die entsprechenden Personen fort, und erst als er geendet hatte, widmete er sich den Verweigerern.
„Ihr habt keine Wahl“, sagte er gelassen. „Die Schlüssel werden euch notfalls auch gewaltsam übergeben.“
„Was sind das für ... Schlüssel?“, fragte Prosper Mérimée, auch jetzt noch ohne Anstalten zu machen, sich zu dem goldfarbenen Gegenstand, das ihm zugeteilt worden war, zu begeben.
„Sie öffnen euch Türen und Wege.“
„Wohin?“
„Zu den anderen Welten des Systems. Eurer zukünftigen Heimat, wo ihr ansässig werdet.“
„Und die Farben?“
„Sie legen die Autorisation fest. In welchem Maße ihr die Straßen begehen dürft. Welche Einrichtungen euch wo offen stehen ...“
„Und du hast das gerade festgelegt.“
Der falsche Cloud nickte. „Anhand der Biodaten, die ich über euch erhielt. Sie verrieten mir gleichzeitig die Kompatibilität eines jeden von euch mit anderen.“
„Kompatibilität ...“ Allein das Wort verursachte Rodriguez noch stärkeres Bauchgrimmen.
Einige Blicke richteten sich auf ihn. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er laut gesprochen hatte. Hitze stieg ihm in den Kopf.
„Ich erkläre es euch“, ergriff jetzt Scobee das Wort. Offenbar spürte sie, dass sich eine erneute Krise anbahnte. Das Konfliktpotenzial war immens. Jeder Einzelne von ihnen war ein Pulverfass, und ein einziges Wort von Kargor – ein einziges der Situation unangemessenes Wort – mochte genügen, die Lunte anzuzünden.
„Er hat dich bei der Zuweisung vergessen“, sagte Rodriguez rau. Und wusste wiederum nicht, warum er nicht einfach den Mund hielt. „Du hast keine Farbe ... keinen ‚Schlüssel’ zugewiesen bekommen. Warum nicht?“
Sie zögerte kurz, dann machte sie eine Geste wie jemand, der andere um Verständnis und Verzeihung bitten wollte.
„Weil ich ... nicht im Angk-System bleiben werde. Kargor will mich mitnehmen, wenn er mit der Perle von hier abreist.“
Ihre Worte lähmten Rodriguez regelrecht. Er war zu keiner Erwiderung fähig.
Zumal Scobee nicht unbedingt traurig über die Entscheidung des ERBAUERs klang.
Doch plötzlich nickte Rodriguez, und noch bevor irgendwer sonst etwas darauf erwidern konnte, hörte er sich sagen: „Du gehörtest von Anfang an nicht zu denen, die Kargor als Gefahr für die RUBIKON einstufte und deshalb aus ihr ... entfernte. Er hat dich niemals mit der Absicht von Nar’gog geholt, dich in unsere Gemeinschaft zu integrieren. Du bist ... eine andere Baustelle ...“
Jetzt wirkte sie betroffen. Aber schließlich nickte sie. „So in etwa hat er es mir auch erklärt. Und ihr kennt ihn alle selbst gut genug, um zu wissen, dass er mir damit letztlich überhaupt nichts erklärt hat. Ich bin im Ungewissen, wie es mit mir weitergeht. Was er wirklich mit mir vorhat. Das Einzige, was ich sicher weiß, ist, dass meine Zukunft nicht hier im Angk-System liegt.“
Sie schwieg. Alle sahen sie an. Dann richteten sich die Blicke auf die Cloud-Maske des ERBAUERs. Der Direktor trat zu ihm, als wäre es tatsächlich der Commander, und sah ihm fest in die Augen.
„Mehr werden wir nicht erfahren, oder? Du willst uns ins kalte Wasser werfen, über etliche der Welten hier verstreuen – und wer schwimmen kann, wird sich dort durchsetzen, überleben, wer sich als zu schwach erweist, wird untergehen ...“
„Ja. Aber dort habt ihr gute Chancen, stehen euch mannigfache Möglichkeiten offen“, sagte Cloud.
Mehr nicht.
Mérimée sah ihn noch ein paar Sekunden länger an, dann ging ein Ruck durch seinen Körper. Er nickte und trat zu dem Tavner, der die Schlüssel hielt, die bläulich schimmerten. Fast demonstrativ klaubte er einen davon vom Tablett und drehte sich zu den anderen um, während er an Kargor gerichtet fragte: „Und was mache ich jetzt damit?“
„Drücke es gegen deine Stirn.“
„Und dann falle ich tot um?“
„Wohl kaum. Das könnte ich einfacher haben, so ich es wollte.“
Mérimée nickte. Ohne länger zu zögern presste er den filmdünnen Schlüssel gegen seine Stirn, wo er haften blieb. Mehr geschah nicht.
Zunächst.
Andere folgten seinem Beispiel, auch Rodriguez, der seinen grünen Schlüssel zusammen mit Pancake und drei, vier anderen abholte.
Außer Gold und Grün gab es noch Blau und Rot als Schlüsselfarbe.
Als alle Objekte einen Träger gefunden hatten, schnippte Cloud einmal kurz mit den Fingern ... und plötzlich spannte sich von seiner Stirn, wo eine kristallene Schuppe leuchtete, die vorher nicht sichtbar gewesen war, ein vielfach verästelter Blitz, der in die Schlüssel der ihn umgebenden Menschen einschlug. Als der Blitz verlosch, waren die verschieden farbigen Schlüssel noch für einen kurzen Moment wahrnehmbar – dann erweckte es den Anschein, als würden sie von den Hautporen absorbiert. Sie verschwanden in die Körper der Betroffenen.
Offenbar ohne nachteilige Folgen für die Männer und Frauen, die nur an den anderen bemerkten, dass das Blau, das Gold, das Rot oder Grün verschwunden war. Sie tasteten über die eigene Stirn und fanden dort keinen Widerstand mehr.
„Die Tavner bringen euch jetzt zum Einspeisungspunkt“, kündigte Kargor/Cloud an. „Dort werdet ihr die Bedeutung der Schlüssel praktisch begreifen lernen.“
Im nächsten Moment sah sich die Gruppe um Mérimée mit den Tavnern alleingelassen. Kargor war verschwunden – und hatte Scobee gleich mitgenommen.
„Ob wir sie jemals wiedersehen werden?“, überlegte Sarah laut. Sie klang traurig. Sie hatte Abschiede immer gehasst, und dieser hier machte keine Ausnahme.
Die einzige Antwort, die sie von den anderen erhielt, war Schulterzucken.
„Das Shuttle steht bereit“, erklärte der Anführer der Schildkrötenmänner und winkte sie aus dem düsteren Raum hinaus. „Ihr braucht nicht zu Fuß zu gehen. Es gibt bequemere Möglichkeiten, zum Turm zu gelangen.“
Zum Turm also.
Vor dem Gebäude wartete eine Art schwebendes Floß auf sie. Es gab keine ausgewiesenen Sitzplätze, jeder ließ sich einfach auf dem Boden des Vehikels nieder. Nur die Tavner blieben stehen und schwankten nicht einmal, als der Schweber Fahrt aufnahm.
Nach wenigen Minuten erreichten sie den kobaltblauen Turm, der wie eine gigantische Nadel in die Wolken stach.
Etwas hatte sich verändert, seit sie die Umgebung verlassen hatten, um zur Stadt aufzubrechen. Von der Sonne einmal abgesehen, die tatsächlich „erneuert“ worden zu sein schien.
Als sie vom Floß stiegen gewahrten sie den leuchtenden Kreis, der über den Boden vor dem Turm verlief, wenige Schritte von der Außenwand entfernt. Der Kreis durchschnitt das Gras und schien in mehrere Ringe unterteilt zu sein, die in den Abstufungen Gold, Blau und Rot strahlten.
Unmittelbar vor der Markierung blieb der Anführer der Tavner stehen und forderte die Menschen auf, sich ebenso wie er vor dem Kreis aufzustellen. Alle gehorchten.
Kurz darauf sagte der Schildkrötenmann: „So geht dann. Übertretet einfach die Linie. Den Rest erledigen die Schlüssel.“
Auch hier ging der Direktor mit gutem Beispiel voran. Er setzte sich in Bewegung, schritt über die Linie, der Schlüssel auf seiner Stirn, zuvor noch unsichtbar, leuchtete kurz auf ...
... und dann war Mérimée fort.
Sarah folgte seinem Beispiel. Ihre Hand hielt die von Rodriguez, und er schloss sich ihr ohne nachzudenken an. Aus den Augenwinkeln sah er weitere Mitglieder des Ensembles verblassen. Instinktiv presste er die Lider zusammen, erwartete eine ähnliche Erfahrung wie schon beim Wechsel von der Perle nach Angk I.
Aber diesmal war es anders. Er spürte immer noch einen sanften Wind um die Nase.
Als er die Augen wieder öffnete, standen die Schildkrötenmänner immer noch auf der anderen Seite der Kreismarkierung und neben ihm waren Pancake und drei weitere Gefährten, darunter zwei Frauen.
Sie alle sahen einander verdutzt an, bis der Anführer der Tavner sagte: „Die Ersten haben entschieden. Ihr seid dazu erkoren hier, auf Angk I bis zu eurem Lebensende zu verweilen. Euch steht das Netz der Wege nicht offen.“
„Was ... was soll das heißen?“, keuchte Pancake fassungslos.
„Das wissen wir nicht“, erwiderte der Schildkrötenmann kühl. „Wir werden euch fortan unangetastet lassen. Diese Welt ist groß genug, um euch dulden zu können, bis ihr der natürlichen Auslese zum Opfer fallt. Der erste teilte uns mit, dass eure Lebenserwartung nicht einmal die Hälfte der eines Tavners beträgt. Ihr werdet also bald aus unserem Alltag verschwinden. Es steht euch auch frei, loszuziehen und irgendwo sonst euer Leben zu beschließen. Diese Welt bietet Nahrung und Trinkwasser im Überfluss. Es wird euch an nichts mangeln.“
Pancake übertrat wieder den Kreis, dem offenbar nicht grundlos ausgerechnet die Farbe ihrer Schlüssel fehlte. „Was macht euch denn so sicher, dass ihr uns Störenfriede so schnell loswerdet, wenn ihr uns nicht antasten dürft, ey?“, schnaubte er aufsässig. „Ich bin ein Mann in den besten Jahren, von Roddy ganz zu schweigen. Oder Earl, der Typ mit dem Zyklopenauge dort drüben. Schon allein um euch zu ärgern, würde ich mich liebend gern mit einer unserer beiden Frauen hier einlassen.“ Er ignorierte geflissentlich die Grimassen, die beide zu seiner Ankündigung schnitten. „Die Quittung erhieltet ihr dann neun Monate später!“
Der Schildkrötenmann trat auf ihn zu. Nach wie vor war seine Mimik undeutbar, als er erwiderte: „Ihr habt die Schlüssel, die das verhindern. Es wird keine Population aus eurer Zelle entspringen. Dafür wurde gesorgt. Der Erste ist vorausschauend. Er hat uns informiert. Niemand von euch ist noch fruchtbar. Ihr wurdet alle im Zuge des Scans sterilisiert.“
Vor Rodriguez Gesicht begann sich alles zu drehen. Er merkte schon nicht mehr, wie er fiel und zu Boden ging. Aber als er später wieder zu sich kam, war ihm wie jedem anderen mit grünem Schlüssel klar, dass sie dazu verdammt waren, bis an ihr Lebensende auf Angk I zu verweilen.
Ohne Hoffnung auf ein normales Leben – das zumindest die Chance auf Nachkommenschaft eingeschlossen hätte.