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Kleiner Abstecher in die Zellbiologie
ОглавлениеIch muss Sie leider vorwarnen: An dieser Stelle wird es ziemlich theoretisch, besonders für alle, die kein wissenschaftliches oder biologisches Hintergrundwissen haben. Um die Bedeutung der Mitochondrien und der entsprechenden Forschungsergebnisse sinnvoll erläutern zu können, muss ich einige technische Details erklären. Nur so kann ich sicherstellen, dass alle Leserinnen und Leser für die folgenden Informationen das gleiche Grundverständnis für Zellbiologie haben. Daher halte ich einen schnellen, groben Überblick für absolut angemessen und möchte damit nicht etwa Seiten schinden. Wenn Sie bei den Einzelheiten irgendwann abschalten, bleiben Sie bitte unbesorgt. Versuchen Sie lediglich, das Gesamtbild zu erfassen. Mitunter geht es auch weiter ins Detail für all jene, die die Komplexität dieses Bildes noch besser verstehen möchten. Also los!
Die Zelle ist die einfachste Lebensform, die unabhängig existieren kann. Deshalb gilt sie in der Biologie als Grundeinheit. Die einfachsten Zellen sind Einzeller, zum Beispiel Bakterien. Einzellige Organismen sind extrem klein und haben in der Regel nur einen Durchmesser von wenigen Mikrometern (ein Mikrometer ist das Tausendstel eines Millimeters). Sie können unterschiedliche Formen annehmen, doch die meisten sind entweder kugelig oder stäbchenförmig. Vor Umwelteinflüssen schützt sich die Zelle durch eine starke, aber durchlässige (permeable) Zellwand. In dieser Zellwand befindet sich die Zellmembran, eine unglaublich dünne und feine, aber relativ undurchlässige (impermeable) Membran. Mithilfe dieser Membran erzeugen Bakterien ihre Energie. Genau diese Membran bildet auch die Innenmembran der Mitochondrien und dürfte die wohl wichtigste Membran im menschlichen Körper darstellen.
Innerhalb der Bakterienzelle befindet sich das Zytoplasma, eine gelartige Masse, die unzählige biologische Moleküle enthält. Manche der „großen“ Moleküle sind selbst bei millionenfacher Vergrößerung durch ein starkes Mikroskop kaum erkennbar. Eines dieser Moleküle ist die lange, gedrehte Struktur der DNA, die legendäre Doppelhelix, die Watson und Crick vor über 50 Jahren beschrieben haben. Ansonsten sieht man dort nicht viel. Biochemische Analysen ergaben jedoch, dass Bakterien – die einfachsten Lebensformen – in Wahrheit derart komplex sind, dass wir nach wie vor nur sehr wenig über ihre kaum wahrnehmbare Organisation wissen.
Menschen hingegen bestehen aus unterschiedlichen Zelltypen.* Zellen gelten zwar als einfachste Grundeinheit des Lebens, doch das Volumen dieser Zelltypen ist häufig Hunderttausendmal größer als das von Bakterien, was uns deutlich bessere Einblicke ermöglicht. Es gibt große Strukturen aus komplexen Membranen, in die verschiedenste Proteine eingebettet sind, und die als Organellen bezeichnet werden. Für die Zelle sind die Organellen dasselbe, was für den Körper die Organe sind: Unauffällige Einheiten mit ganz bestimmten Aufgaben. Daneben finden sich im Zytoplasma die verschiedensten großen und kleinen Vesikel (bläschenförmige Strukturen) sowie das Zytoskelett, ein dichtes Fasernetzwerk, das der Zelle strukturellen Halt verleiht. Und schließlich gibt es den Zellkern, der landläufig als Schaltzentrale der Zelle gilt. All dies zusammen ergibt die Zellen, aus denen die uns bekannte Welt besteht, und die wir als eukaryote Zellen bezeichnen. Alle Pflanzen und Tiere, sogar die Algen und letztlich jedes Lebewesen, das wir mit bloßem Auge erkennen könnten, setzen sich aus eukaryoten Zellen zusammen, die jeweils einen eigenen Zellkern beherbergen.
Innerhalb des Zellkerns befindet sich die DNA. Einerseits hat die DNA einer eukaryoten Zelle genau die gleiche Doppelhelixstruktur wie jene von Bakterien, andererseits ist sie völlig anders organisiert.
Bei Bakterien bildet die DNA lange, gewundene Schlingen (ringförmige oder zirkuläre DNA). Lassen Sie sich von dieser Bezeichnung jedoch nicht täuschen, denn man sieht hier keineswegs einen „Ring“, sondern eher eine Art chaotisch verwickelten Ball. Es geht lediglich darum, dass es wie bei einem Kreis keinen Anfang und kein Ende gibt. Von dieser zirkulären DNA liegen in jedem Bakterium diverse Kopien vor, die allesamt Kopien derselben Gene darstellen.
Bei eukaryoten Zellen findet sich normalerweise eine bestimmte Anzahl verschiedener Chromosomen, die nicht kreisförmig, sondern linear ausgerichtet sind. Auch dies heißt nicht etwa, dass die DNA eine gerade Linie beschreibt, sondern lediglich, dass jeder Strang zwei eindeutig getrennte „Enden“ besitzt. Im Gegensatz zur zirkulären DNA enthalten die Chromosomen jeweils unterschiedliche Gene. Menschen haben 23 Chromosomen. Weil wir jedoch von jedem über zwei Kopien verfügen, sind es insgesamt 46 Chromosomen pro Zelle. Bei der Zellteilung schließen diese sich paarweise zusammen, verbinden sich in der Mitte und nehmen hierfür die vertraute X-Struktur an, die wir aus dem Biologieunterricht kennen.
Chromosomen bestehen jedoch nicht nur aus DNA. Sie sind von spezialisierten Proteinen überzogen, darunter die sogenannten Histone, welche die DNA nicht nur vor Schaden bewahren, sondern auch als „Türsteher“ zu den Genen fungieren. Histone unterscheiden die eukaryoten Chromosomen von denen der Bakterien, deren DNA nicht in dieser Form geschützt ist und sozusagen „nackt“ vorliegt.
Jeder der beiden Genstränge der Doppelhelix ist eine Blaupause für den anderen Strang. Wenn sie bei der Zellteilung auseinandergezogen werden, enthält jeder Strang die nötige Information zur Rekonstruktion der vollständigen Doppelhelix, wodurch wiederum zwei identische Kopien entstehen. Die in der DNA enthaltene Information ist in Genen organisiert, die ihrerseits die molekulare Struktur von Proteinen codieren. So wie jedes Wort aus den Buchstaben des Alphabets besteht, ist jedes Gen eine Sequenz aus lediglich vier „Molekül-Buchstaben“. Die Abfolge dieser Buchstaben bestimmt die Proteinstruktur.
Das Genom (das über eine Milliarde Buchstaben umfassen kann) ist die vollständige Ausgabe aller Gene eines Organismus‘. Jedes Gen (zumeist Tausende von Buchstaben) codiert ein bestimmtes Protein. Jedes Protein besteht wiederum aus einem Strang Untereinheiten, den Aminosäuren, und die exakte Abfolge dieser Aminosäuren bestimmt die funktionellen Eigenschaften dieses bestimmten Proteins.
Eine „Mutation“ entsteht, wenn die Buchstabenreihenfolge sich verändert. Dadurch kann sich die Aminosäure oder aber die Proteinstruktur ändern. Zum Glück hat die Natur an dieser Stelle gewisse Redundanzen einkalkuliert. Eine Aminosäure kann nämlich von unterschiedlichen Buchstabenkombinationen codiert werden, sodass solche Mutationen nicht immer zu strukturellen oder funktionalen Veränderungen am Protein führen.
Das ist wichtig, denn Proteine sind der Dreh- und Angelpunkt des Lebens. Sie können nahezu unbegrenzte Formen annehmen und zahllose Funktionen ausfüllen. Nur ihretwegen ist das Leben, das wir kennen, möglich. Wenn wir die Funktion der Proteine verstehen, lassen sich bestimmte übergeordnete Kategorien unterscheiden, zum Beispiel Enzyme, Hormone, Antikörper und Neurotransmitter.
Der gesamte Prozess der Proteinbildung wird wiederum von anderen Proteinen gesteuert, unter denen die Transkriptionsfaktoren besonders hervorstechen. Die DNA enthält die Gene nämlich in inaktiver Form, und die Transkriptionsfaktoren bestimmen, ob sie zum Ausdruck kommen (sogenannte Genexpression). Dafür teilen die Transkriptionsfaktoren der Zelle mit, dass sie aus einem bestimmten, zuvor inaktiven DNA-Abschnitt ein aktives Protein bilden soll. Hierfür greift die Zelle jedoch nicht auf die DNA direkt zurück, sondern verlässt sich auf entbehrliche Kopien, die RNA. Es gibt verschiedene RNA-Typen mit jeweils unterschiedlichen Aufgaben. Da wäre zunächst einmal die Messenger- oder Boten-RNA (mRNA). Ihre Abfolge ist eine exakte Kopie der entsprechenden DNA-Sequenz. Wie der Name schon verrät, wandert dieser Botenstoff durch die Poren der Membran um den Zellkern ins Zytoplasma. Dort findet es eines der vielen Tausend proteinbildenden Ribosomen. Die Ribosomen sind sozusagen die Fabrik, in der die auf der mRNA verschlüsselte Information in eine Abfolge von Aminosäuren übersetzt wird, die zusammen das gewünschte Protein bilden.
Ich hoffe, Sie konnten mir folgen. Ich habe mich bemüht, diese Vorgänge möglichst einfach zu beschreiben, wenngleich Hunderte von Wissenschaftlern sich ihr Leben lang bemüht haben (und es gegenwärtig weiterhin tun), einem unglaublich winzigen Abschnitt der bisherigen Biologielektion ein weiteres Detail zu entlocken. Dieser Schnellkurs sollte jedoch die meisten Leserinnen und Leser in die Lage versetzen, nachfolgend die Bedeutung und das Innenleben der Mitochondrien nachzuvollziehen. Fahren wir also fort.