Читать книгу Gelingende Literaturvermittlung - Lena Dircks - Страница 12
2.2 Geschichte und Entwicklungen des Performativitätsparadigmas
ОглавлениеBereits vor Beginn der „Performance-Kultur“ 17 der 1960er und 1970er Jahre macht Fischer-Lichte eine performative Wende in verschiedenen kulturellen Bereichen fest. Diese wurde befördert durch die Etablierung zweier wissenschaftlicher Fachrichtungen, in denen performative Handlungen und Aufführungen gegenüber dem Text an Wichtigkeit gewannen18: Zum einen begründete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Theaterwissenschaften als eigenständiges Fach neben den Literaturwissenschaften. Statt das Theater als eine Form von Darstellung literarischer Texte anzusehen, die jedem Stück als Grundlage diente, beschäftigen sich die Theaterwissenschaften vor allem mit deren Aufführung, „die sich erst im Zusammenspiel von Akteuren und Zuschauern auf je einmalige Weise konstituiert“ 19.
Zur gleichen Zeit wurde auch die Disziplin der Ritualforschung innerhalb der Religionsforschung begründet, in der der performative Akt in den Mittelpunkt rückte.
Der Begriff ‚performativ’ wurde 1955 von dem Linguisten und Sprachphilosophen John L. Austin geprägt.20 Der Neologismus „performativ“ leitet sich aus dem englischen Wort „to perform“ – „vollziehen“ 21 ab. Austin geht in seiner Sprechakttheorie davon aus, dass durch sprachliche Äußerungen auch Handlungen vollzogen und nicht nur ein Sachverhalt beschrieben werden oder etwas behauptet wird.22 Äußerungen wie „Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau“23 oder „Ich taufe dieses Schiff auf den Namen ‚Queen Elisabeth‘“24 schaffen im entsprechenden Kontext neue Sachverhalte. Austins Ansatz formulierte nachdrücklich, „dass Sprechen eine weltverändernde Kraft entbinden und Transformationen bewirken kann“ 25.
Damit ein performativer Sprechakt gelingt, müssen soziale und institutionelle Bedingungen erfüllt sein. Performative Akte werden nicht nur vollzogen, sondern auch vor einer sozialen Gemeinschaft aufgeführt. Fischer-Lichte beruft sich hier unter anderem auf den von Bourdieu hergestellten sozialwissenschaftlichen Kontext des Performativen.26 Auch in künstlerischen Performances geht es um Handlungen, die selbstreferentiell sind und Wirklichkeit konstituieren und damit „eine – wie auch immer geartete – Transformation [des Künstlers] und der Zuschauer [herbeizuführen vermögen]“ 27.