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3.1 Feedback-Schleife und leibliche Ko-Präsenz

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Nur wenn sich Akteure und Zuschauer gleichzeitig für eine gewisse Zeit physisch in einem Raum befinden, kann das entstehen, was Fischer-Lichte im weiteren Verlauf ihrer Ausführungen als feedback-Schleife33 bezeichnet. Damit ist eine Reaktionskette gemeint, die während einer Aufführung zwischen Akteuren und Publikum entsteht. Die Zuschauer reagieren bewusst oder unbewusst, sichtbar oder nach innen unmittelbar auf jede Handlung, die auf der Bühne geschieht. Sei es durch Husten, Stühle-Rücken, verbale Äußerungen, Blicke, Klatschen, Hinausgehen – oder auch nur durch bloße Anwesenheit.34 Laut Fischer-Lichte kann sogar ein Besucher, der sich innerlich entfernt, der „die Augen schließt oder seine Distanz durch spöttische Bemerkung zum Ausdruck bringt“ 35 sich nicht entziehen und greift damit automatisch in die feedback-Schleife ein. „Solange er sich im Raum aufhält, kann er nicht nicht teilnehmen.“ 36

Die Reaktionen der einzelnen Zuschauer haben somit direkte Auswirkungen auf das Handeln der Akteure auf der Bühne sowie auf die anderen Zuschauer. Diese Aktion und Reaktion, auf die wiederum Gegenreaktion und neue Aktion folgen, verändert sich während der gesamten Aufführung. Dadurch, dass alle Beteiligten sich jederzeit auf individuelle Weise einbringen und damit Einfluss auf andere haben, ist das Geschehen prinzipiell unwiederholbar und nicht vollständig vorhersehbar. Während der Interaktion wird die Aufführung von „einer selbstbezüglichen und sich permanent verändernden feedback-Schleife hervorgebracht und gesteuert“ 37. So entsteht etwas Neues und weitgehend Unplanbares, das sich nur bedingt durch inszenatorische Entscheidungen steuern lässt.

Es handelt sich um ein „selbstbezügliches, autopoietisches [sich selbsterschaffendes und -erhaltendes] System mit prinzipiell offenem, nicht vorhersagbarem Ausgang“ 38. Damit impliziert Fischer-Lichte nicht, dass es sich um völlig zufällige Vorgänge handelt, in denen jeder Teilnehmer spontan und ohne jegliche Dramaturgie handelt. Den meisten Aufführungen, sei es ein Theaterstück oder eine Performance, geht eine Inszenierung voraus. Diese setzt zunächst die Regeln und den Ablauf fest. Fischer-Lichte unterscheidet hier klar zwischen den Begriffen Aufführung und Inszenierung. Unter Inszenierung fasst sie alle Strategien zusammen, die „vorab Zeitpunkt, Dauer, Art und Weise des Erscheinens von Menschen, Dingen und Lauten im Raum festlegen“ 39, wohingegen die Aufführung das ist, was im Laufe des Geschehens in Erscheinung tritt, „also das Gesamt der Wechselwirkungen von Handlungen und Verhalten zwischen allen Beteiligten“ 40. Mit Blick auf die Anwendung des Paradigmas der Performativität auf die Lesung ist zu betonen, dass bei Fischer-Lichte jede Art von Aufführung gemeint ist und keineswegs nur solche, in denen eine Beteiligung der Zuschauer von vornherein vorhergesehen ist. Auch ohne inszenierte Einbeziehung des Publikums findet eine ständige Interaktion statt, die etwas hervorrufen kann, das nur so zu entstehen vermag.

Gelingende Literaturvermittlung

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