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1.1 Überblick: Die Tradition der literarischen Lesung in Deutschland

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Hier soll ein sehr kurzer Überblick zu der Geschichte der Lesung, vor allem in Deutschland, gegeben werden, der in seiner Knappheit keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat, aber dennoch für eine Einordnung der Lesung in das Gefüge des Literaturbetriebes hilfreich sein kann.

Die Geschichte von Autorenlesungen im heutigen Sinne beginnt in Deutschland ungefähr mit dem 18. Jahrhundert und der, mit der Romantik aufkommenden, Genieästhetik. Dadurch, dass Texte nun als individuelle und künstlerische Schöpfung des Autors und nicht mehr als Überlieferung galten, änderte sich der Status des Autors in der Öffentlichkeit.3 Neben der sich daraus entwickelnden Verehrung von Autoren, wurde Schriftstellerei zum Beruf und der Autor jemand, der sich auf dem Markt behaupten musste.4 Lesungen wurden beispielsweise in privaten Gesellschaften und Salons veranstaltet. Friedrich Gottlieb Klopstock führte um 1770 Lesungen nach heutigem Verständnis in Deutschland ein und verfolgte schon damals kommerzielle Interessen.5 Letzteres kam vermehrt zum Ende des 19. Jahrhunderts in Europa auf. 6 Bereits Charles Dickens ging auf professionell organisierte, sehr erfolgreiche Lesetourneen. Zwischen 1853 und 1870 absolvierte er über 450 öffentliche Lesungen in Großbritannien und den USA.7 Anfang des 20. Jahrhunderts wurden neue Formate und Inhalte ausprobiert, beispielsweise von den Dadaisten um Hugo Ball im 1916 gegründeten Cabarét Voltaire in Zürich. Der Schriftsteller und Literaturkritiker Walter Höllerer etablierte Anfang der 1960er Jahren mit seiner überaus erfolgreichen internationalen Lesereihe ‚Literatur im technischen Zeitalter‘ die moderierte Lesung, die unter großem Publikumszuspruch in Berlin stattfand und live im Fernsehen übertragen wurde. Damalige Zeitungen bezeichneten die Lesungen der Reihe als „Sensation der Saison“ 8. Das literarische Leben in Deutschland wurde vielfältiger und professionalisierter; in den 1970er Jahren entstand der Begriff des ‚Literaturbetriebs‘.9

Zu den vorher als Lesungsveranstalter fungierenden Buchhändlern, kamen Mitte der 1980er Jahre neue Institutionen hinzu, wie die ersten Literaturhäuser, die in Deutschland gegründet wurden. In den 1990er Jahren zeichnete sich ein allgemeiner ‚Boom’ von Lesungen ab, der mit der Erneuerung des literarischen Lebens nach der Wende sowie mit Umbrüchen auf dem Buchmarkt erklärt werden kann, die angesichts der zunehmenden Medialisierung und ‚Event‘- Kultur stattfanden.10 So entwickelten sich neue Formen von Lesungen in ausdrücklicher Absetzung des bildungsbürgerlichen Kulturlebens, z.B. Poetry-Slams oder Lesungen in Kneipen oder Clubs als Teil einer „urbanen Szenekultur“ 11. Zu Beginn der 2000er Jahre wurden zudem große Literaturfestivals wie das ‚internationale literaturfestival berlin’, die ‚lit.Cologne’ und das die Buchmesse begleitende Programm ‚Leipzig liest‘ mit großem Besuchererfolg gegründet.

Lesungen und Lesereisen sind heute zu einem festen Bestandteil der Marketingstrategie der Verlage geworden. In jeder Großstadt findet täglich ein umfangreiches Programm statt, ob in Literaturhäusern, in Buchhandlungen oder in Kneipen – in den Provinzen gibt es diese ebenfalls häufig in Form von Festivals, wie z.B. das ‚Erlanger Poetenfest‘ oder das ‚Eifel Literaturfestival‘.

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