Читать книгу Gelingende Literaturvermittlung - Lena Dircks - Страница 6
Kurzzusammenfassung
ОглавлениеObwohl Lesungen einen wichtigen Bestandteil des literarischen Lebens in Deutschland darstellen, findet kaum öffentlicher, theoretischer oder wissenschaftlicher Diskurs über literarische Veranstaltungen und deren Gelingen statt. Es gibt keine Maßstäbe oder Kriterien, nach denen Lesungen bewertet werden können. Bei der Konzeption, Durchführung und Beurteilung werden in der Praxis nur sehr selten theoretische Grundlagen herangezogen. Dadurch wird häufig das Potenzial, das die Lesung als eine Form der Literaturvermittlung hat, nicht genutzt. Die Frage, was eine ‚gute Lesung’ ausmacht, ist nur schwer zu beantworten.
Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, Lesungen aus ästhetischer Perspektive zu untersuchen und eine theoretische Basis sowie Maßstäbe zu erarbeiten, auf Grund derer Lesungen angemessen beurteilt und beschrieben werden können. Zudem ist es das Ziel, ein umfassendes Verständnis für die Lesung als ästhetisches Kunstereignis zu schaffen sowie ein Sensorium für Parameter und Einflussfaktoren zu entwickeln, die bisher meist unbeachtet bleiben. Aufgrund des erwähnten Fehlens einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Lesungen, wird hier eine Ästhetik herangezogen, die für den Bereich der Theater- und Performance-Künste gilt, von der aus jedoch viele Parallelen zu literarischen Veranstaltungen aufgezeigt werden können. Bei der Ästhetik des Performativen, wie sie Erika Fischer-Lichte in ihrer gleichnamigen Studie formuliert, handelt es sich um die gründlichste und einflussreichste Untersuchung von kulturellen Live-Ereignissen. In dieser Arbeit wird sie erstmals in ihren einzelnen Aspekten umfangreich auf die literarische Lesung angewendet, um deren spezifische Performativität herauszuarbeiten.
Die Anwendung des Performativitätsparadigmas auf Lesungen erfolgt in vielen Fallbeispielen und stellt sich als äußerst fruchtbar heraus. Eine Einsicht in den performativen Charakter von Lesungen erlaubt eine genauere Planung und damit eine zuverlässigere Realisation des Potenzials der Literaturvermittlung in Lesungen. Dazu gehört auch, Lesungen generell als ästhetische Aufführung zu verstehen, die eine detaillierte Inszenierung erfordert. Das Herausarbeiten der spezifischen performativen Merkmale zeigt, dass nur mit Verstehen der einzelnen Elemente und ihrer Wirkungsmöglichkeiten, diese auch bedacht, adressiert und in einem inszenatorisch, künstlerischen Sinne eingesetzt werden können. Vor allem für die Veranstaltungspraxis sind die hier gewonnenen Erkenntnisse wertvoll – das heißt für die Konzeption, Organisation, Gestaltung der Details und den Umgang mit den Akteuren. Eine gelingende Lesung stellt eine einzigartige Möglichkeit der intellektuellen, emotionalen und ästhetischen Kommunikation und Begegnung dar, die auf verschiedenen Ebenen Erfahrung und Erkenntnis fördert.